E-Book, Deutsch, 168 Seiten, Format (B × H): 135 mm x 215 mm
Rabisch Putzfrau bei den Beatles
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-946086-31-4
Verlag: Verlag duotincta GbR
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 168 Seiten, Format (B × H): 135 mm x 215 mm
ISBN: 978-3-946086-31-4
Verlag: Verlag duotincta GbR
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Birgit Rabisch wurde in Hamburg geboren. Nach dem Studium der Soziologie und Germanistik war sie als Dozentin an der VHS tätig. Heute lebt sie als freie Schriftstellerin in Hamburg. Birgit Rabisch hat viele Bücher veröffentlicht. Ihr dystopischer Roman 'Duplik Jonas 7' (ausgezeichnet mit dem Literaturpreis NRW) avancierte zum Bestseller und Standardwerk, wurde mehrfach übersetzt, dramatisiert und 2018 verfilmt.
Autoren/Hrsg.
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JANA
George stimmt seine Gittarre und blickt nicht auf, als ich den Wohnraum betrete, John lächelt mich an, Paul winkt mir zu und Ringo schlägt einen kurzen Trommelwirbel.
Ich stelle mich vor die offene Tür zwischen Wohnzimmer und Studio und rechtfertige meine Verspätung:
»Ewige Warterei beim Zahnarzt!«
Normalerweise frühstücken sie noch, wenn ich zum Putzen komme, aber heute hat mich der verdammte Dr. Nolte fast eine Stunde dem Gedudel des Gute-Laune-Senders in seinem Wartezimmer ausgeliefert, so dass meine Laune auf dem Tiefpunkt war, als er mein Zahnfleisch endlich mit seiner professionellen Zahnreinigung malträtierte. Nein, auf dem Tiefpunkt war sie, als mir seine Assistentin danach lächelnd die Rechnung über den Tresen schob. Achtzig Euro!
»Und, Jana? Hast du dich wenigstens diesmal gegen den Raffke gewehrt?«, fragt John. Er hat mir vor ein paar Tagen einen langen Vortrag darüber gehalten, dass die professionelle Zahnreinigung von der Krankenkasse zu Recht, völlig zu Recht! nicht bezahlt würde, dass ihr Nutzen wissenschaftlich nicht nachgewiesen sei und sie nur dazu diene, den ach so verarmten Zahnärzten die Taschen zu füllen. Ich habe nicht die geringste Lust, mich schon wieder auf eine Diskussion mit John einzulassen. Warum bin ich so feige und wehre mich nicht gegen Dr. Noltes Griff in mein ohnehin nicht gut gefülltes Portemonnaie? Warum ist meine Generation generell so duckmäuserisch? Ja, ja, ich weiß, John würde sich das niemals bieten lassen, niemals!, obwohl er es in seinem Portemonnaie gar nicht merken würde, aber es ist eine Frage des Prinzips, ja, des Prinzips! Für John ist andauernd etwas eine Frage des Prinzips. Und das, obwohl er die ewige Prinzipienreiterei seines Vaters angeblich so gehasst hat. Oder gerade deshalb? Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, oder? Aber wenn ich den Spruch bringen würde, oh, oh, oh! Dann müsste ich mir garantiert eine endlose Belehrung über Evolution, Biologismus, reaktionäre Weltsicht und was sonst noch alles gefallen lassen!
»Ich muss mich beeilen«, sage ich, »sonst siegt der Staub.«
»Der siegt letztlich sowieso«, knurrt John, lässt aber von mir ab und schlägt auf seiner Gitarre ein paar Akkorde an. Ich werfe einen kurzen Blick in die Küche, aber hier gibt es für mich heute nichts zu tun. Die Fab Four haben brav ihr Frühstücksgeschirr in den Geschirrspüler gestellt und von ihrer abendlichen Kocherei kann ich auch keine Spuren mehr entdecken. Ich steige die Wendeltreppe zum ersten Stock hoch, wo ihre Zimmer sind. Heute ist nach meinem Putzplan Johns Zimmer dran. Bei ihm liegt nie etwas herum und ich kann gleich anfangen, mit einem Staubtuch über die Möbel zu wischen. Ich lasse die Tür offen, wie ich es meistens tue, außer beim Staubsaugen natürlich. Von unten klingen die ersten Takte eines Songs herauf, den ich schon erkenne, bevor Pauls Stimme erklingt:
It’s been a hard day’s night,
and I’ve been working like a dog …
Ich höre ihrer Musik gern zu, aber, ehrlich gesagt, manchmal auch ihren Gesprächen beim Frühstück. Ich bin nun mal entsetzlich neugierig. Das muss eine Schriftstellerin auch sein, finde ich, und Schriftstellerin will ich schließlich mal werden.
Vor einem halben Jahr las ich auf einem Zettel an einem Ampelmast: Zuverlässige Reinigungskraft gesucht. 4x2 Std. vormittags. Gute Bezahlung.
Wenn das kein verlockendes Angebot für eine Vierundzwanzigjährige mit einem abgebrochenen Studium in Geschichtswissenschaft ist! Meine wahre Leidenschaft gilt weniger der Geschichte als den Geschichten. Das habe ich aber leider erst nach dem achten Semester erkannt und den verwegenen Plan gefasst, Geschichten nicht nur zu lesen, sondern selbst zu schreiben. Ich habe sogar mit schön schrägen Texten zwei Hamburger Poetry-Slams gewonnen und beim Open Mike im vorigen Jahr den dritten Platz ergattert, aber von der Zusicherung des Lektors eines renommierten Verlages, wenn ich mal einen Roman schriebe, würde er den wirklich gern prüfen, konnte ich nicht leben. Noch nicht. Natürlich würde ich ihn schreiben, meinen großartigen Debütroman, nur, bis die Tantiemen strömten, musste ich von irgendetwas meine Miete und andere Kleinigkeiten bezahlen. Warum nicht am Vormittag zwei Stunden meiner Zeit der Reinigung eines Hauses widmen, dachte ich beim Studieren des Zettels. Noch dazu in der Nachbarschaft, nur vier Häuser von meiner Dichterinnenklause unterm Dach entfernt! Nach dem Putzen hätte ich noch genug Zeit zum Schreiben. Dass ich noch nie einen Putzjob gemacht hatte – wo war das Problem?
Ich entschied mich, nicht anzurufen, sondern machte mich kurz entschlossen auf den Weg zu der großen Gründerzeitvilla, an der ich fast jeden Tag vorbeikam. Sie war nach einer Renovierung vor einem Jahr ein Prunkstück der Tornquiststraße im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel: Sonnenblumengelbe Fassade mit strahlend weiß abgesetzten Fensterrahmen und ebenso strahlend weißem Stuck. Warte, warte nur ein Weilchen, hatte ich nach Entfernung des Gerüstes im Vorbeigehen oft gedacht, warte nur einige Jahre, dann wird aus dem strahlenden Weiß wieder ein schmutziges Grau. Aber es war natürlich der pure Neid, der aus diesem Gedanken sprach. Was für ein Glückspilz mochte in der Villa wohnen? Bestimmt ein reicher Schnösel, arrogant und selbstverliebt. Mit Frau und Kindern? Jedenfalls nicht mit jemandem, der den Dreck wegmachte. Wollte ich das wirklich tun? Egal, sagte ich mir, Hauptsache, die Bezahlung stimmt. Von deren Höhe hatte allerdings nichts auf dem Zettel gestanden, nur: gute Bezahlung. Gut war ein sehr subjektiver Begriff. Ich würde mich auf keinen Fall über den Tisch ziehen lassen.
Vor der Villa angekommen, musste ich einen schmalen Vorgarten durchqueren und stand dann auf einem Fußabtreter, der mich mit Welcome to our Yellow Submarine begrüßte. Und verblüfft stellte ich fest, dass es zwar nur einen Klingelknopf gab, aber daneben vier Namensschilder angebracht waren: Prof. Dr. Michael Mann, Kristian Tugendhat, Dr. Thomas Kaufmann, Arnold Behringer.
Gleich vier Schnösel?, dachte ich verwirrt, drückte aber trotzdem energisch auf den Klingelknopf.
Der Mann, der die Tür öffnete, entsprach keineswegs meinem Bild von einem Schnösel. In abgewetzten Jeans und kariertem, kurzärmeligem Hemd stand ein untersetzter, fast glatzköpfiger älterer Mann vor mir. Braungebrannte runzlige Haut, registrierte ich. Der Gärtner?
»Ich, äh … ich komme wegen der Anzeige.«
Er hob fragend die Augenbrauen.
»Wegen des Putzjobs.«
In seinen Augen leuchtete Erkenntnis auf.
»Ah ja … das hätte ich jetzt … so schnell … wer hat denn … ja, kommen Sie doch rein, bitte!«
»George, wer ist denn da?«, hörte ich eine tiefe Männerstimme aus dem Hintergrund. George? War das nicht ein typischer Name für einen Butler? In mein Bild von einem Butler passte der Mann, der mich jetzt durch einen schmalen Flur führte, nun wirklich nicht. Der Flur öffnete sich zu einem riesigen Raum, der offenbar fast das ganze Erdgeschoss einnahm und in dessen Mitte eine Wendeltreppe in den ersten Stock führte. Links konnte ich einen Blick in eine topmodern eingerichtete offene Küche werfen, doch der Glatzkopf führte mich rechts an der Treppe vorbei in eine – tja, wie nennt man sowas? Wohnlandschaft würde wohl in einem Möbelprospekt stehen.
Auf einem riesigen Ecksofa saß ein zweiter Mann, der mir deutlich jünger vorkam als der, der mich in Empfang genommen hatte. Ein Irrtum, wie sich später herausstellte. Beide waren achtundsechzig und der Mann auf dem Sofa war drei Monate älter. Er lächelte mich an und mein erster Eindruck war: attraktiver Kerl! Männliche Gesichtszüge, braune Augen, volles dunkles, mit wenig Grau meliertes Haar. Als er aufstand, um mir die Hand zu geben, streckte sich ein großer, schlanker Körper, an dem die schwarze Jeans und das weiße Button Down-Hemd wie maßgeschneidert saßen.
»Jana Jessen«, stellte ich mich vor. »Ich bin interessiert, bei Ihnen als Reinigungskraft zu arbeiten. Und da ich in der Nachbarschaft wohne, dachte ich, ich komm einfach mal vorbei …«
»Ah, sehr gut! Gute Idee! Kristian Tugendhat, angenehm. Nehmen Sie doch Platz, bitte. Möchten Sie etwas trinken?«
»Einen Saft, wenn Sie haben.«
Es war George, der mir ein Glas Orangensaft aus der Küche brachte und danach die große Glastür zur Terrasse beiseiteschob und laut »Ringo! John! Kommt ihr mal?«, in den Garten hinausrief.
Kristian Tugendhat, der gerade angefangen hatte, mich nach meinen Referenzen zu fragen, ersparte mir erst mal die Antwort, denn er bemerkte offenbar meine Verwirrung über diese Namen, die mir, auch wenn ich lange nach der Beatles-Zeit geboren wurde, doch nicht unbekannt waren:
»Wer fehlt noch?«, fragte er mit verschmitztem Lächeln.
»Bitte?«
»John, George, Ringo und …?«
»Paul.«
Er nickte zufrieden, als hätte ich eine Schulaufgabe gelöst, erhob sich noch einmal kurz und sagte:
»Call me Paul.«
Bevor ich mir meine Frage beantworten konnte, bei was für seltsamen Vögeln ich denn bloß gelandet war, rollte ein Mann mit energischen Armschwüngen an einem Rollstuhl herein, gefolgt von einem kleinen, schmächtigen Mann mit einem wilden weißen Lockenkopf. Eine Stunde später nannte ich den Rollstuhlfahrer schon ganz selbstverständlich Ringo und den weißen Lockenkopf John, flirtete mit dem charmanten Paul und wartete geduldig, bis George seine gestammelten Sätze beendet hatte.
Und seitdem bin ich die Putzfrau...