E-Book, Deutsch, 240 Seiten
R. Lockridge IN DER NACHT VOR NEUJAHR
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7554-0265-7
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der Krimi-Klassiker!
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-7554-0265-7
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Alle Gesichter wandten sich zur Tür. Auch Celia hob den Kopf und blickte hin. Phipps drehte sich im Sessel herum, Fay Burnley, die mit dem Rücken zur Tür saß, ebenfalls. Ihre Gesichter waren für einen Augenblick alle starr, ohne Ausdruck, noch leer im ersten Staunen und in unsicherer Erwartung. Sie sahen aus wie unvermutet vom Blitzlicht eines Fotographen festgehaltene Menschen. Freddie sprang gleich auf und ging mit schnellen Bewegungen hinaus, um zu öffnen. Aller Augen folgten ihr, der schlanken jungen Frau, wie sie in stolzer Haltung dahinschritt... Der Roman In der Nacht vor Neujahr von F. R. Lockridge (eigentlich Richard Orson Lockridge; * 26. September 1898 in Missouri; ? 19. Juni 1982 in South Carolina) erschien erstmals im Jahr 1949; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1959. Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
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Erstes Kapitel
Ich habe doch wirklich keinen Grund, besorgt zu sein, redete sich Freddie Haven ein. Lohnt nicht, darüber nachzudenken; ich bin doch kein Backfisch mehr; warum gleich schwarzsehen. Nur weil es sich um diesen Mann handelt? Ich bin doch ein erwachsener Mensch – war doch schon mal verheiratet! – Ja, Jade, Ihr erster Mann, dessen Augen so fröhlich waren und in dessen Stimme immer ein zuversichtliches Lachen mitschwang, der aus dem Krieg nicht zurückgekommen war! Dies ist jetzt nicht dasselbe, kann es gar nicht sein, sagte sie sich. – Nein, es waren die Gefühle gereifter Menschen: ehrliche Sympathie, gleiche Interessen; Zuneigung, aber nicht Verliebtsein! Nicht fieberndes Verlangen, unsinnige Angst und süßer Glückstaumel. Freddie Haven betrachtete sich im Spiegel ihres Frisiertisches. Sie griff nach der silbergefassten Bürste und strich über ihr tief rotes Haar. Freddie war gewohnt, dass es bewundert wurde und jedem gefiel. Es haftete einen Augenblick an der Bürste und fiel dann in weichen Wellen herab, lag glatt um ihren Kopf, die Enden als Locken untergeschoben. Du siehst gut aus, Freddie, sagte sie sich. Eine hübsche junge Frau bist du, mit der Bruce Ehre einlegen kann. Selbst wenn es Bruce gewesen war, überlegte sie, wird die Sache schon eine plausible Erklärung finden. Er hatte eben seine Pläne geändert, das war alles. Hatte aus irgendeinem Grund einen früheren Zug von Washington genommen. Hunderterlei konnte ihn dazu bewogen haben, und er war nicht verpflichtet, sie über seine verschiedenen Pläne zu informieren, sofern diese nicht sie beide betrafen. Gegen zehn Uhr wollte er auf ihrem Gesellschaftsabend erscheinen, hatte er ihr versprochen. Es hatte sich bestimmt nichts geändert, was von Bedeutung war, sonst hätte er ihr Nachricht gegeben. Sie versuchte das, was sie gesehen hatte, nüchtern zu durchdenken. Sie war im Wagen von Tante Flora heimgefahren, nach dem Tee im Hause ihrer Tante auf dem Gelände der Marinewerft. Der Wagen hatte den East River überquert und war über den Foley Square und durch die Lafayette Street gefahren, in schnellem Tempo, da nur wenig Verkehr herrschte. Sie hatte warm in ihrem Pelz im Fond des großen Wagens gesessen und uninteressiert auf die fast menschenleeren Bürgersteige geblickt, hatte kaum achtgegeben, in welcher Gegend sie sich befanden. Und dann hatte sie diesen großen Mann gesehen, der Bruce Kirkhill so verblüffend ähnlich sah. Nur ganz flüchtig hatte sie ihn gesehen, während der Wagen vor einer Verkehrsampel hielt. Und gerade in diesem Moment wechselte das Licht auf Grün, und der Wagen brauste weiter. Ein großer Mensch war es gewesen, ebenso groß wie Bruce Kirkhill, mit offenem Mantel, der im Wind flatterte. Ihr fiel ein, dass sie gerade dadurch aufmerksam geworden war und plötzlich auf ihn achtete, während sie andere Männer, die sie unterwegs schon gesehen haben mochte, doch gar nicht beachtet hatte. Es war ein kalter Tag, nachmittags war es noch kälter geworden. Sie hatte die scharfe Kälte sehr empfunden, als sie aus Tante Floras Haus trat und durchs Werftgelände zum Wagen gegangen war. Aber dieser Mann war gegen die Kälte so gleichgültig gewesen, dass er sich nicht einmal die Mühe machte, seinen Mantel zuzuknöpfen. Es musste an seinem Gang gelegen haben, dass sie gleich an Bruce dachte. Sein Gesicht hätte sie gar nicht erkennen können. Es war doch alles recht unbestimmt. Gewiss, der Mann hatte dieselbe Größe gehabt, und sein Gang hatte sie an Bruce erinnert. Mehr aber auch nicht. Außerdem hatte sie auf die Entfernung und bei dem flüchtigen Hinschauen bemerkt, dass seine Kleidung schäbig war. Obwohl sie es sich selbst nicht erklären konnte, kam ihr mit dem Begriff schäbig zugleich auch das Wort schlenkernd in den Sinn. Sie musste lachen. Nie würde sie Bruce das erzählen – oder eines Tages vielleicht doch, damit sie zusammen darüber lachen konnten. Sie erhob sich, trat ans Fenster und zog einen der schweren Vorhänge zurück. Sie konnte weit die Park Avenue hinunterschauen. Die Straßenlampen sahen merkwürdig verschwommen aus. Es schneite, hatte eben zu schneien begonnen. An ihrer Schlafzimmertür klopfte es kurz und energisch. Sie lächelte, bevor sie: »Herein!«, rief. Ganz ihr Vater, dieses kurze, gebieterische Klopfen. Er war höflich – nie im Leben hätte Vizeadmiral Jonathan Satterbee auch nur im Traum daran gedacht, ein Schlafzimmer zu betreten, ohne vorher anzuklopfen. Aber es bedeutete nicht – darüber gab es gar keine Debatte –, dass er etwa bat, eintreten zu dürfen. Vielmehr kündigte es an, dass der Admiral im Begriff war einzutreten. Bei ihrem »Komm rein, Papa!« fragte sie sich, ob wohl schon jemals ein Mensch riskiert hatte, den Admiral warten zu lassen, wenn er sein Erscheinen ankündigte. Ihre Mutter bestimmt. nicht, und auch sie selbst nicht. Vizeadmiral a. D. Jonathan Satterbee, ein großer Mann in tadellos sitzendem Smoking trat ins Zimmer. Er musterte seine Tochter, die ihm zulächelte. »Inspektion zur Zufriedenheit ausgefallen, Sir?«, fragte sie scherzend Er lächelte, ganz fein nur, wie ein Mensch, der nicht gewohnt ist zu lächeln, aber seine Züge wurden doch ein wenig, weicher. »Sehr zufrieden.« Der Admiral nickte anerkennend. »Aber liebster Papa, etwas Besseres weißt du mir nicht zu sagen?« »Liebes Kind, du siehst sehr nobel aus, sehr schön. Und du weißt es auch.« »Und das Kleid?«, fragte Freddie. »Das Kleid, Papa?« »Sitzt sehr gut«, meinte der Admiral. »Erkälte dich nur nicht. Wo steckt Martha?« »Auf Freiwache«, antwortete Freddie. »Sie muss nachher an der Garderobe helfen, da habe ich ihr gesagt, sie soll sich ein bisschen ausruhen. Weshalb fragst du?« »So, nicht auf Station«, sagte der Admiral. »Du verhätschelst sie, Freddie.« Freddie musste lachen. Der Admiral betrachtete das Thema als erledigt. »Sitzt meine Schleife?«, fragte er und reckte sein Kinn noch etwas höher als für gewöhnlich. Die Schleife saß tadellos; Watkins war ein Meister im Schleifenbinden. Was Papa ganz genau weiß, dachte Freddie. Trotzdem trat sie vor ihn hin und tat so, als müsse sie die Schleife noch ein wenig geradeziehen. Zurücktretend lächelte sie zu ihrem Vater auf, der ihr leicht und zärtlich auf den Arm klopfte. »Bist ein gut.es Kind, Winifried«, sagte er, »verwöhnst alle Leute.« Es war ein bedeutsamer Augenblick, deshalb nannte er sie Winifried. Sie sagte nichts, legte ihm nur für einen Moment beide Hände auf die Arme, zog sie jedoch, ehe das wie eine Zärtlichkeit erschien, wieder fort. »Übrigens«, sagte er, »ich habe noch ein junges Ehepaar eingeladen.« Er machte eine Pause. »Diesen Verleger. Der das Buch herausbringen soll. North heißt er.« »Natürlich, Papa«, sagte Freddie. »Glaube immer noch, der andere Plan wäre besser gewesen«, sagte der Admiral, auf seine Tochter hinabblickend. »Hätten ein anständiges Dinner geben sollen.« »Papa«, erwiderte sie, »so was macht immer Umstände. Glaub mir, es ist schon besser so.« Der Admiral gab ein Räuspern von sich. Wahrscheinlich weiß er ganz genau, dass es nicht nur um die Umstände geht, dachte Freddie. Tante Flora und Onkel William, noch nicht außer Dienst; Kapitän zur See Hammond und Frau; Tante Angela; Mrs. Burton, die Admiralswitwe, deren Gatte noch ein Jahr vor seinem Ableben zum Flottenchef befördert worden war – sie alle waren sehr kultivierte und ganz prächtige Menschen, aber völlig vom Marinegeist erfüllt. Sie alle wären zum Dinner eingeladen worden, während man die übrigen – weniger bedeutenden – Gäste für später gebeten hätte. Und in so einem Rahmen wäre natürlich Bruce Kirkhill für sie als Gastgeberin wie als Verlobte ein besonderes Problem gewesen. Hätten sie ein Dinner gegeben, so wäre es nicht denkbar gewesen, ihn nicht mit dazu zu bitten. Das heißt: für sie nicht denkbar – der Admiral hätte sich in diesem Fall in einer etwas schwierigen Lage befunden. Bestimmt aber wäre die gleichzeitige Anwesenheit Senator Kirkhills und der Admiralswitwe ein Problem geworden, denn Mrs. Burton hatte für Politiker nicht gerade sehr viel übrig. »So ist’s doch besser, Papa«, wiederholte Freddie, und wieder räusperte sich der Admiral, wenn auch nicht so kräftig. Er ist wirklich ein lieber Mensch, dachte sie. »Ich nehme an, du hast Nachricht von Kirkhill?«, fragte der Admiral, indem er mit Nachdruck das Thema wechselte. »Nein«, antwortete sie, »er kommt mit dem Kongress-Schnellzug und fährt dann rasch ins Waldorf, um sich umzuziehen. So ist’s abgemacht.« Abermals räusperte sich der Admiral. Er schien noch mehr zu wollen. Dieses Zögern passte gar nicht zu ihm. »Sonst noch etwas, Papa?«, fragte Freddie. »Nichts«, gab er zurück. »Ich... ich Hab’ dich lieb, Freddie. Das weißt du doch, ja? Du weißt doch, was du tun willst?« »Selbstverständlich, darüber haben wir doch schon genug geredet, Papa.« »Nun – er ist schließlich Politiker«, sagte der Admiral. »Aber lieber Papa, bitte! Haben wir das nicht schon gründlich besprochen? Bruce ist Senator, ein Senator der Vereinigten Staaten.« Diesmal kam das Räuspern ein bisschen unsicherer heraus. »Und«, fuhr Freddie fort, »du magst ihn gern. Kannst es ruhig zugeben.« Der Admiral hob die breiten Schultern ein wenig. »Hab’ nichts gegen ihn«, sagte er. »Als Mann. Scheint ganz in Ordnung zu sein. Im Krieg gute Führung.«...




