E-Book, Deutsch, 164 Seiten
R. Lockridge DIE AUGEN DER STAATSANWÄLTIN
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7554-1808-5
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der Krimi-Klassiker!
E-Book, Deutsch, 164 Seiten
ISBN: 978-3-7554-1808-5
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Bernard Simmons, der New Yorker Staatsanwalt, rechnet nicht mit Schwierigkeiten im Mordprozess gegen J. Stanley Martin. Alle Indizien sprechen gegen den Angeklagten. Abe Levinsky, der berühmte Verteidiger, bleibt dennoch zuversichtlich. Hat er einen Trumpf in petto? Ehe er ihn ausspielen kann, wird Levinsky ermordet... Der Roman Die Augen der Staatsanwältin von F. R. Lockridge (eigentlich Richard Orson Lockridge; * 26. September 1898 in Missouri; ? 19. Juni 1982 in South Carolina) erschien erstmals im Jahr 1972; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1975 (unter dem Titel Trumpf in petto ). Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
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Erstes Kapitel
Es war der zweite Freitag im September, und längst schon hätte der erste Herbsthauch durch die Stadt wehen müssen. Es war nach elf Uhr abends, als Bernard Simmons in westlicher Richtung die 66. Straße hinunterschritt. Er strebte seiner Wohnung und den kühlen Segnungen der Klimaanlage entgegen - die er allerdings am Morgen auf die Bitte der Elektrizitätsgesellschaft hin abgestellt hatte, so dass er nun auf die Erfrischung würde warten müssen. Dabei überlegte er, dass New York doch ein teuflisches Klima hatte und erkannte sogleich, dass dieser Gedanke wenig originell war. Drei Tage lang herrschte jetzt schon drückende - wie man es im Wetterbericht ausdrückte der Jahreszeit nicht gemäße - Hitze. Am Nachmittag war das Thermometer bis auf dreißig Grad geklettert. Und seit vier Tagen streikten die Taxifahrer. Der Weg von der 52. Straße über die Second Avenue hinweg bis zu jenem Block der 66. Straße, die zwischen Lexington und Park Avenue liegt, ist sehr lang. Und Bernard Simmons ging in der falschen Richtung. »Es ist zu allem zu heiß«, hatte Nora gesagt. »Es ist zu heiß zum Leben. Und du siehst kaputt aus, Bernie.« Bernie Simmons hatte versichert, dass er sich wohl fühlte. »Gut«, meinte Nora, »dann bin ich eben kaputt. Das Essen war schön, und ich bin immer froh, wenn du bei mir bist. Du weißt doch, dass ich mich freue, wenn du da bist, nicht wahr? Gehe nach Hause, Bernie«. »Und?« »Und ich liebe dich, Bernie. Gehe nach Hause.« Trotzdem war der Heimweg lang. Sein Hemd klebte an seinem Körper; sein Sommerjackett klebte an seinem Hemd. Nun, es war ja nur noch ein halber Block. An seinem Ende wartete ein großer, kalter Drink. Und, zu gegebener Zeit, kühlere Luft aus einer Maschine, die in ein Fenster eingepasst war. Sie hatte gesagt, Ich liebe dich, Bernie, gute letzte Worte an einem Tag, der von Worten wie vernebelt gewesen war. Es bestand doch eigentlich gar kein Grund zur Unzufriedenheit, wenn einem solche Worte noch im Ohr klangen. Es gab keinen Grund, keinen echten Grund für dieses spürbare Unbehagen. Es war nur diese verdammte, brütende Hitze. Es war nur... Ein großer, magerer Mann bog von der Park Avenue ein und kam ihm entgegen. Der Mann ging mit leichtem, ausholendem Schritt, so als wäre es überhaupt nicht heiß. Er hat einen Gang wie jemand, den ich kenne, dachte Bernie Simmons. Ich kenne jemanden, der so... Ihm blieb keine Zeit, den Gedanken zu vollenden. Ein Mann in dunkler Kleidung - ein Mann, der in der nächtlichen Straße nur ein unförmiger Schatten war - tauchte von irgendwoher auf und sprang den mageren Mann von hinten an. Ein Arm schlang sich um den Hals des mageren Mannes. Da rannte Bernie Simmons schon vorwärts. Laut hallten seine Schritte wider. Der magere Mann erschlaffte in der Umarmung des Angreifers. Dann sah Bernie, der noch mehr als dreißig Meter entfernt war, wie die Hand des massigen Mannes hochschwang. Sie hielt etwas, diese Hand, und sauste herunter, und was immer sie gehalten hatte, traf mit Wucht den Hinterkopf des mageren Mannes. Der massige Mann ließ den mageren Mann los, und der magere Mann glitt an dem anderen herunter und blieb reglos auf dem Bürgersteig liegen. Der Angreifer wirbelte herum und rannte davon. Er war ein großer Mann und er rannte mit langen Schritten. Er rannte über die Park Avenue, ohne auf Autos zu achten. Ein Wagen wich ihm im letzten Moment aus. Die Reifen quietschten auf dem Asphalt. Auf dem Grünstreifen, der die Fahrbahn der Park Avenue teilt, zögerte der fliehende Mann nicht. Hupen jaulten und Reifen quietschten. Er schaffte es. Es hatte keinen Sinn, ihn zu verfolgen. Er war ein Verbrecher, und ein brutaler dazu, und er hatte nicht bekommen, was er gewollt hatte, weil Bernie Simmons ihn gestört hatte. Neben dem Mann, der reglos auf dem Bürgersteig lag, blieb Bernie stehen und kauerte sich nieder. »Ist Ihnen etwas passiert?«, fragte Bernie und verstummte, weil es sinnlos gewesen wäre, weiterzusprechen. Der Mann lag mit dem Gesicht nach oben, und schon hatte sich eine Blutpfütze um seinen Kopf gebildet. Sein Hinterkopf lag flach auf dem Bürgersteig. Das Gesicht war unberührt. Nur der Hinterkopf war zerschmettert. Und das Gesicht war das von Abraham Levinsky, Rechtsanwalt. Nicht zu fassen, dachte Bernie. Vor einer Stunde habe ich noch von ihm gesprochen. Weil ich mir Sorgen machte, was für einen Trumpf er in petto haben könnte. Und jetzt ist er tot. Ihm ist nicht mehr zu helfen. Er ist tot. Es war mehr als eine Stunde vergangen, seit er von Abe Levinsky gesprochen hatte, seinem Gegner und Freund. Sie hatten in der erfrischenden kühlen Luft eines Restaurants beim Kaffee gesessen und Cognac dazu getrunken, und Nora Curran hatte gesagt: »Du bist ja weit weg von mir, Bernie. Irgendetwas macht dir zu schaffen. Läuft es denn nicht so, wie du es dir gewünscht hast?« Es war der Prozess des Staates New York, vertreten durch Staatsanwalt Bernard Simmons, gegen J. Stanley Martin, vertreten durch Abraham Levinsky. Die Anklage lautete auf vorsätzlichen Mord. »Es läuft genauso wie ich es mir wünsche«, erwiderte Bernie. »Ich - äh, ich schaue dem geschenkten Gaul nur einmal ins Maul. Entweder ist Abe auf dem absteigenden Ast, oder...« Er beendete den Satz nicht. Er schüttelte nur langsam den Kopf. Sie wartete, lächelte, ein behutsames Lächeln. Als er sie nicht ansah, sondern mit grämlichem Ausdruck beharrlich in seine Kaffeetasse starrte, wartete sie fast eine Minute, ehe sie sagte: »Oder was, Bernie?« »Oder er hat etwas in petto. Etwas, glaube ich, was er eben erst entdeckt hat.« Jetzt schüttelte sie den Kopf. »Bis heute Morgen«, erzählte Bernie, »war er ganz der alte Abe Levinsky. Was besagen will, dass er einer der zwei oder drei besten Strafverteidiger des Landes war. Der Typ, der dir mit einem Überraschungsmanöver den Teppich unter den Füßen wegzieht; der Lücken findet, von deren Existenz du überhaupt keine Ahnung hattest; der den Geschworenen Vorstellungen suggeriert, die du viel lieber gar nicht erst aufs Tapet gebracht hättest. Mit anderen Worten, er ist ein respektabler Bursche. Vor ein paar Jahren schlug er mir vor, zu ihm in die Kanzlei zu kommen. Ich blieb bei der Staatsanwaltschaft, aber ich fühlte mich geschmeichelt, Nora. Ich hätte viel vom alten Abe lernen können, und ich würde das Drei- oder Vierfache von dem verdienen, was ich jetzt verdiene.« »Ja«, erwiderte Nora. »Das hast du mir erzählt, Bernie.« Sie sprach sehr ruhig. Er blickte sie über den Tisch hinweg an und lächelte zärtlich und warm. »Na schön«, sagte er. »Ich bin ein alter Angeber.« »Nein, du bist kein Angeber, Bernie«, versetzte sie und fügte hinzu: »Erzähl weiter!« »Heute Morgen schien er plötzlich gar nicht mehr - oh, mit Leib und Seele dabei zu sein. Er erhob zwar die üblichen Einwände, vertrat den Standpunkt, den wir wussten, dass er vertreten würde - aber es war, als spielte das alles für ihn keine Rolle mehr. Es ist schwer, diesen Eindruck zu erklären, aber ich fing allmählich an, darüber nachzudenken, was er wohl in petto haben mochte. Abe Levinsky hat nämlich immer etwas in petto. Darauf kann man sich verlassen. Seit dreißig Jahren ist er Verteidiger, und garantiert waren nicht alle seine Mandanten unschuldig. Aber insgesamt hat er höchstens vier Prozesse verloren. Und einen davon hat er in der Berufung gewonnen. Ja, er ist wirklich ein respektabler Bursche. Es kann natürlich sein, dass er ein wenig nachlässt. Er ist ja wirklich nicht mehr der jüngste. Es kann aber auch sein, dass ich mir alles einbilde, weil ich Bammel habe.« »Das hast du nicht«, entgegnete Nora Curran. »Zigarette, Liebling?« Er bot ihr eine Zigarette an und gab ihr Feuer. »Es zieht sich allerdings auch entsetzlich in die Länge«, meinte sie. Die Verhandlung gegen J. Stanley Martin, der wegen Mordes an seiner Ehefrau vor Gericht stand, lief bereits seit zehn Tagen. Und seit zehn Tagen machte der Fall im ganzen Land Schlagzeilen. Radio und Fernsehen berichteten ständig in den Nachrichten über die letzten Entwicklungen. Janice Phillips Martin war die Enkelin von Randolph Phillips gewesen und die Tochter von Mr. und Mrs. Carrington Jerome - Wanda Phillips Jerome. Der Nachdruck lag immer auf Phillips; Geld verleiht einem Namen Nachdruck. Und Janice Phillips Jerome, die als Janice Phillips Martin in ihrer Wohnung in der Park Avenue gestorben war, hatte der sogenannten guten Gesellschaft angehört. Sie war erdrosselt worden, und nach eingehenden Ermittlungen hatte die Staatsanwaltschaft Anklage gegen ihren Ehemann J. Stanley Martin erhoben. Martin war Teilhaber der Firma Osgood, Rositer und Martin, Börsenmakler, und niemand, auch Martin nicht, bestritt, dass das Geld seiner Frau ihn dahin gebracht hatte. Martin würde, wenn er nicht ihr Mörder war, die Phillips-Millionen erben. Diesen Aspekt hatte der Staat klar zum Ausdruck gebracht. Abraham Levinsky hatte eingewendet, dass diese Tatsache für den Fall selbst nicht von Belang wäre, doch er war mit diesem Einspruch nicht weiter gekommen, als er erwartet hatte. Überlebende Phillips’ gab es nicht, nur einen Jerome, einen Vetter von Janice - einen gewissen Clifton Jerome. Ein Kellner schenkte heißen Kaffee ein. Als er sich zurückzog, bemerkte Nora: »Der Staat hat seine Beweisaufnahme abgeschlossen. Dann ist es doch bald vorbei, Bernie?« »Ich glaube, man wird Martin in den Zeugenstand rufen«, erwiderte Bernie Simmons. »Unschuldsbeteuerungen und langes Kreuzverhör. »Die Verteidigung war über...




