E-Book, Deutsch, 226 Seiten
R. Lockridge DAS TESTAMENT DER MRS. MONTFORT
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7554-1769-9
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der Krimi-Klassiker!
E-Book, Deutsch, 226 Seiten
ISBN: 978-3-7554-1769-9
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ist das Testament der reichen Mrs. Montfort echt? Lois Williams war dabei, als die alte Dame das Dokument unterschrieb - und dennoch hat die Zeugin Zweifel an dessen Gültigkeit. Noch am selben Tag stirbt Mrs. Montfort - und Lois begegnet einer Schauspielerin, die mit der gleichen bedächtigen und hohen Stimme spricht wie die alte Dame. Hat sie die Rolle von Mrs. Montfort gespielt? Manche Indizien sprechen dafür, und Lois ahnt, dass sie dieses Wissen in höchste Gefahr bringt... Der Roman Das Testament der Mrs. Montfort von F. R. Lockridge (eigentlich Richard Orson Lockridge; * 26. September 1898 in Missouri; ? 19. Juni 1982 in South Carolina) erschien erstmals im Jahr 1961; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr (unter dem Titel Bitte hier unterschreiben ). Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
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Erstes Kapitel
An einem Oktobernachmittag, kurz nach zwei Uhr, stieß ein Düsenjäger auf seinem routinemäßigen Übungsflug über Arizona plötzlich aus dem unschuldigen Weiß einer Wolke hervor. In diesem Moment war es bereits zu spät, um das Unglück abzuwenden. Wie ein Geschoss raste der Bomber auf seinem vorbestimmten Kurs daher. Er bohrte sich genau mittschiffs in den schweren Transporter. Es war ein Werk von Sekunden. Wie Papierfetzen in einem gewaltigen Sturm wirbelten die Männer durcheinander, wurden zerfetzt. Eine gigantische Stichflamme schoss in den Himmel - und dann ereignete sich nichts mehr, ausgenommen der grausige Regen von Metall, und nicht nur Metall -, der herniederfiel. Dreiundvierzig Menschen fanden den Tod. Unter ihnen Captain Kenneth Williams, Pilot, sechsunddreißig Jahre alt, wohnhaft in Glenville im Staat Connecticut. Ungezählte Nächte lag seine Frau Lois Williams in den folgenden Monaten mit trockenen Augen bis in die frühen Morgenstunden wach, die Schreie der Todesangst in ihren Ohren. Es war, als ob die Flamme - die Flamme, die sie nie gesehen hatte – ihre Augen ausgebrannt hätte. Später dann, als die, entsetzliche Erstarrung gewichen war, als sie das Unfassliche zu tragen versuchte und die Natur ihr Recht verlangte, waren es nur noch Stunden, in denen sie sich ruhelos herumwälzte und schluchzend das Kissen umklammerte. Meist schlief sie aber nach einer Weile wieder ein, was sie für ein Zeichen hielt, dass die anderen recht hatten, wenn sie sagten, die Zeit werde heilen, die Zeit werde trösten, die Zeit... Lois war noch jung, erst fünfundzwanzig Jahre. Eines Tages werde wieder ihr Interesse an den täglichen Dingen des Lebens zurückkehren, sie werde wieder ein neues Leben beginnen, tröstete man sie. Man verwies sie auf die Sonnenblumen, wie sie sich der Sonne zuwandten, auf die Tulpen, deren Kelche sich beim ersten wärmenden Strahl wieder öffnen. Der Alltag mit seinen Notwendigkeiten werde sie wieder gefangen nehmen - bis der Tag käme, wo sie sich stark genug fühlen würde, aus dem alten Städtchen Glenville wegzuziehen, weg von dem Platz, der sie immer wieder an das Geschehene erinnerte. Als ob sie das jemals könnte, jemals wollte! Diejenigen, die ihr all das prophezeiten, waren zum größten Teil ebenfalls Frauen von Flugzeugpiloten. In Glenville gab es eine Kolonie, in der nur Piloten und ihre Familien lebten. Das Städtchen ist freundlich und ruhig und liegt etwa sechzig Meilen von New York entfernt. Die Frauen - junge Frauen, meistens mit kleinen Kindern - hatten für sich selbst eine Reihe verschiedener Bezeichnungen erfunden. Die am häufigsten gebrauchte war Himmelsfrauen. Und wenn sie von ihrer Gemeinschaft sprachen, so redeten sie von der Clique. Bis zu dem Zeitpunkt, da die beiden Maschinen zusammenstießen und über Arizona in Flammen aufgingen, hatte Lois in Glenville fast keinen anderen Menschen gekannt, der nicht zu dieser Clique gehörte. Wozu auch! Von ihrem gemeinsamen Standpunkt aus betrachteten sie die anderen bis zu einem gewissen Grad als Außenseiter, als Leute, die über manche Dinge anderer Ansicht waren als sie. Der wesentlichste Unterschied bestand darin, dass die Männer der anderen, wenn sie Glenville überhaupt verließen, abends pünktlich mit dem Fünfuhrzweizug ab Grand Central zurückkehrten. Die Männer der Himmelsfrauen aber befanden sich um diese Zeit irgendwo - nur nicht in Glenville. Die Clique schloss Lois natürlich nicht aus, als sie, genaugenommen, nicht mehr dazugehörte. Im Gegenteil, man tat alles, um sie mit einzubeziehen - sie wieder aufzumuntern. Das Schlimmste aber daran war, dass, nachdem die erste Betäubung etwas gewichen war, auch die Erinnerung wieder wach wurde, wenn sie mit ihnen zusammentraf. Manchmal glaubte sie es nicht mehr ertragen zu können. Aber auch jetzt im Mai fühlte Lois sich immer noch nicht stark genug, Glenville zu verlassen, obwohl sie wusste, dass sie es irgendwann doch einmal tun würde. Lois hatte sich keineswegs dazu gedrängt, bei den Vorbereitungen für die 250-Jahr-Feier der Gründung der Stadt Glenville mitzuhelfen. Es war reiner Zufall. Eine Unterhaltung mit dem Stadtbibliothekar, eine Bemerkung ohne besondere Überlegung - wie es sich eben manchmal so ergibt. Außerdem war jede Ablenkung willkommen, jede Beschäftigung, mit der die Zeit verstrich. Vor dem Unglück, das sie so hart betroffen hatte, wäre die 250-Jahr-Feier der Gründung Glenvilles unter der britischen Krone höchstens etwas gewesen, worüber Lois Williams im Glenville Advertiser gelesen hätte, und das vermutlich mit nur mäßigem Interesse. Zu viel Vergangenheit! Was hätte ihr auch damals das Vergangene bedeuten sollen? Wenn im Oktober der Himmel über Arizona nicht in Flammen gestanden wäre, hätte Lois auch nicht im August des folgenden Jahres an einem Nachmittag ihren Wagen in der Battle Street geparkt, um zu Abigail Montforts Haus hinaufzugehen und an die altertümliche Tür zu klopfen. Auch von der Kanonenkugel, die vermutlich britischen Ursprungs war und irgendwo in dem Holzwerk des alten Teils von Abigail Montforts Haus steckte, hätte sie nichts geahnt. Während sie nun wartete, dass ihr jemand die Tür öffnete, blickte sie auf die ausgebesserte schwarze Straßendecke der Battle Street zurück und fragte sich, ob es wohl damals, am 10. April des Jahres 1777, geregnet hatte. An jenem 10. April war es gewesen, als eine Abteilung britischer Truppen von Danbury heruntermarschierte. Sie hatte dort als Vergeltung einige Häuser niedergebrannt und war dann hier auf eine Abteilung Rebellen unter dem Kommando von Oberst Ephram Sopher gestoßen. Diese befand sich auf dem Weg nach Danbury, aber einige Tage zu spät. Damals hieß die Battle Street noch Brown’s Pike und war eine schmale, schmutzige Straße, gerade so breit, dass die Fuhrwerke aneinander vorbeikonnten. Sie erwies sich jedoch als nicht breit genug, marschierende Truppen aneinander vorbeizulassen. Daher vermutlich die Kanonenkugel im Holzwerk des Montfort-Hauses - damals noch Brown-Haus - und ein gut Teil Toter auf beiden Seiten, wie die Geschichte über das Gefecht von Glenville berichtet. War die Straße im April des Jahres 1777 von Regenfällen aufgeweicht gewesen? Waren die Männer im Morast der Straße gestorben? Oder hatte man die Verwundeten in das Brown-Haus, wie es damals hieß, geschleppt, damit sie dort starben oder genasen? Das Montfort-Haus besaß, wie sie schon auf ihrer Herfahrt bemerkt hatte, einen weißgestrichenen Schornstein aus Ziegeln, der oben in einem schwarzen Streifen endete. Drei oder vier Lagen der Ziegel waren schwarz bemalt, so dass es wie ein Trauerband aussah. Lois wusste, dass es eine zweihundertfünfzig Jahre alte Sitte war. In jener längst vergangenen Zeit waren die treuen Anhänger der Krone mit Leitern auf ihre Dächer gestiegen und hatten die weißen Schornsteine mit schwarzer Farbe übermalt. Die britischen Soldaten hatten daran erkannt, auf welcher Seite die Bewohner eines Hauses standen. Sie löschten ihre Brandfackeln und kamen als Freunde. Es ist ganz interessant, dachte Lois, als sie darauf wartete, dass man ihr öffnete, wie viele der ältesten Häuser aus der Revolutionszeit dieses schwarze Trauerband an ihren Schornsteinen trugen. Es schien, dass ein beachtlicher Teil der Einwohner von Glenville mit scheelen Blicken auf die Revolution geschaut und keine Lust gehabt hatte, Kinder dieser Zeit zu werden. Wahrscheinlich waren das die wohlhabenderen und konservativeren Bürger gewesen. Lois ertappte sich dabei, wie diese Gedanken sie ein wenig fesselten. Ohne es zu wissen lächelte Lois - ein Lächeln, das ihr junges Gesicht unter dem sorgfältig gepflegten schwarzen Haar erhellte. Wenn sie bei diesen alteingesessenen Familien die Runde machte, um ihre Bitte vorzubringen, wollte sie ihnen wenigstens beweisen, dass die Neuzugezogenen keine Vogelscheuchen waren, was immer sie sonst sein mochten. Lois wusste recht wohl, dass es darüber mehrere Ansichten gab - und nicht immer freundliche. Um sicher zu sein, einen guten Eindruck zu machen, hatte sie sich das neue, erst vor zwei Tagen erstandene Modellkleid angezogen. Es war von einem satten, leuchtenden Blau, aber trotzdem noch um einige Nuancen heller als ihre dunklen Augen. Obwohl es heiß war, hatte sie sich dazu durchgerungen, Strümpfe zu tragen, da man schließlich bei Abigail Montfort nicht mit nackten Beinen erscheinen konnte. Lois Williams, in ihren hochhackigen weißen Leinenschuhen fast 1,70 Meter groß, stand gedankenverloren vor der schweren hölzernen Tür des niedrigen, massiven Hauses und wartete, dass man ihr öffnete. Als jüngeres Mitglied des Historischen Komitees war sie nach vorheriger Anmeldung gekommen, um eine Bitte auszusprechen. Da sie niemand gehört zu haben schien, klopfte sie noch einmal, diesmal etwas kräftiger. Lois war für fünf Uhr angemeldet, nicht früher, weil Mrs. Montfort vorher ruhte. Jetzt war es gerade Punkt fünf. Endlich kam jemand. Die Frau, die öffnete, war ungewöhnlich groß. Ihr längliches, verwittertes Gesicht mit dem leicht behaarten Kinn war von weißem Haar umrahmt. Sie sah auf Lois herab und fragte: »Mrs. Montfort?« Lois erschien es ziemlich unwahrscheinlich, dass diese große Frau Abigail Montfort sein sollte. Viel eher passte diese Erscheinung zu ihrer Vorstellung, die sie sich von der Haushälterin - wie war doch der Name? Mrs. Harbrook - gemacht hatte. Die große Frau lächelte. Lois hatte von Leuten gehört, die lächelten. Sie war bisher persönlich solchen Menschen noch nicht begegnet, kannte sie nur aus Büchern. Doch jetzt schien sie einem...




