Pym | Quartett im Herbst | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Pym Quartett im Herbst

Roman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8321-7114-8
Verlag: DuMont Buchverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-8321-7114-8
Verlag: DuMont Buchverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Sie arbeiten im selben Büro und stehen kurz vor der Rente: Marcia, Letty, Norman und Edwin. Alle vier leben allein, dennoch pflegen sie außerhalb des Büros kaum Kontakt - auch wenn sie täglich Kaffee und Teewasser teilen. Sie beobachten, beargwöhnen, beraten einander und versuchen, über ihre Einsamkeit hinwegzuspielen. Letty, die zur Untermiete wohnt, gerne liest und Wert auf ihre Kleidung legt, steht im Schatten ihrer Freundin, zu der sie im Alter aufs Land ziehen wollte. Plötzlich jedoch werden alle Pläne umgeworfen. Das einzige große Ereignis in Marcias Leben, eine Krebsoperation, bringt sie dazu, für ihren Arzt zu schwärmen. Wenn sie keinen Nachsorgetermin hat, widmet sie sich dem Ordnen ihrer Milchflaschen und Konserven. Edwin ist Witwer und verbringt seine Zeit mit der Suche nach einem Gottesdienst. Sein ewig nörgelnder Kollege Norman besucht lieber einen kranken Verwandten, den er eigentlich genauso wenig leiden kann wie den Rest der Menschheit. Als Marcia und Letty in Rente gehen, trennen sich die Wege der vier ? aber das Leben bringt die Schicksalsgemeinschaft immer wieder zusammen. Ironisch, schwarzhumorig und doch mit leisem Optimismus zeigt Barbara Pym in >Quartett im Herbst< ihr herausragendes Können.

BARBARA PYM (1913 bis 1980) studierte Literatur in Oxford und arbeitete als Assistant Editor im African Institute in London. Mit sechzehn Jahren schrieb sie den ersten von insgesamt dreizehn Romanen. Ihr Werk >Quartett im Herbst< (DuMont, 2021) wurde 1977 für den Booker-Preis nominiert. Außerdem erschienen bei DuMont ihre Romane >Vortreffliche Frauen< (2019) und >In feiner Gesellschaft< (2020).

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1. Kapitel Alle vier gingen sie an dem Tag in die Stadtbücherei, allerdings leicht zeitversetzt. Der Mann am Auskunftstresen nahm keine Notiz von ihnen; hätte er es getan, hätte er sie vielleicht als im weitesten Sinne zusammengehörig empfunden. Sie wiederum nahmen ihn, jeder für sich, sehr wohl wahr, ihn und sein schulterlanges goldenes Haar. Ihr abfälliges Urteil über die Länge dieser Haare, über ihre Üppigkeit, ihre generelle Unangebrachtheit – in seiner Funktion und an seinem Platz! – hatte sicher auch mit ihren eigenen diesbezüglichen Defiziten zu tun. Edwin trug sein Haar, das dünn, angegraut und oben sehr schütter war, in einer Art Pagenkopf – »Sogar ältere Herren tragen ihr Haar heute länger«, hatte sein Friseur ihm gesagt –, und die Frisur hatte etwas Legeres, das Edwin nicht ganz unkleidsam für einen Mann in den frühen Sechzigern fand. Norman hingegen hatte schon immer »Problemhaar« gehabt, grob, borstig und mittlerweile eisengrau, das in jüngeren Jahren um den Scheitel herum partout nicht glatt hatte anliegen wollen. Jetzt musste er es nicht mehr scheiteln, denn er hatte sich einen Bürstenschnitt nach dem Vorbild des amerikanischen Crewcut der Vierziger- und Fünfzigerjahre zugelegt. Die Frisuren der beiden Frauen – Letty und Marcia – unterschieden sich so stark, wie dies nur denkbar war in den 1970ern, als die Frau ab sechzig weiße, graue oder rotgefärbte Löckchen zu haben hatte, die sie beim Friseur regelmäßig in Form bringen ließ. Lettys Haare waren von einem blassen Mausbraun, länger als ratsam und von ähnlich schlaffer, flusiger Beschaffenheit wie die von Edwin. Die Leute sagten ihr manchmal – wenn auch nicht mehr so oft –, welches Glück sie doch habe, so gar nicht grau geworden zu sein, aber Letty wusste nur zu gut, dass sich zwischen den braunen genügend weiße Haare versteckten und dass sich die meisten Frauen längst eine aufhellende »Tönung« gegönnt hätten. Marcia färbte ihr steifes, stumpfes Kurzhaar zu einem kompromisslosen Tiefdunkelbraun, aus einer Flasche, die in ihrem Badezimmerschrank stand, seit sie vor nahezu dreißig Jahren das erste Weiß bei sich entdeckt hatte. Wenn seitdem schonendere und kleidsamere Methoden zum Haarefärben erfunden worden waren, so war dies nicht zu Marcia durchgedrungen. Jetzt, während der Mittagspause, nutzten sie die Bücherei jeder auf eigene Weise. Edwin konsultierte Crockford’s Klerikeralmanach und fand zudem Anlass, im Who’s Who sowie im Who Was Who nachzuschlagen, denn er war dabei, Vorleben und Eignung eines gewissen Kirchenmannes zu überprüfen, der in einem Sprengel, wo Edwin manchmal den Gottesdienst besuchte, kürzlich eine Pfründe erhalten hatte. Norman, der kein großer Leser war, las auch jetzt nichts; für ihn war die Bücherei ein Ort, an dem es sich angenehm sitzen ließ, und dazu näher als das Britische Museum, wo er ebenfalls gern die Mittagspause verbrachte. Auch Marcia sah in der Bücherei ein angenehmes, warmes Plätzchen, wo man sich im Winter gut aufhalten konnte, ohne dafür Eintritt bezahlen zu müssen. Außerdem konnte man allerlei Broschüren und Faltblätter mitnehmen, in denen die diversen Angebote beschrieben waren, die der Bezirk Camden für seine Senioren bereithielt. Seit sie die sechzig überschritten hatte, nutzte Marcia jede Gelegenheit, um herauszufinden, was ihr an kostenlosen Busfahrten und Vorzugspreisen in Restaurants, Friseurläden oder Fußpflegesalons zustand, auch wenn sie von diesem Wissen nie Gebrauch machte. Die Bücherei war zudem ein guter Ort für die Entsorgung von Dingen, die sie nicht mehr brauchte, die aber aus Marcias Sicht zu schade zum Wegwerfen waren. Darunter fielen bestimmte Flaschen – allerdings nicht Milchflaschen, die sie in ihrem Gartenschuppen aufbewahrte –, alle möglichen Schachteln und Papiertüten sowie sonstige Gegenstände, die in einer Ecke der Bücherei zurückgelassen werden konnten, wenn niemand hinsah. Eine der Bibliotheksangestellten hatte sie deshalb schon seit einer Weile im Blick, doch davon ahnte Marcia nichts, als sie einen kleinen, mit Schottenkaros bedruckten Pappkarton – »Haferkekse aus Killiecrankie« – in einer Lücke, die sich in einem der Belletristikregale anbot, nach hinten durchschob. Von den vieren diente die Bücherei nur Letty zur Erbauung und möglichen geistigen Fortentwicklung. Sie hatte von Jugend an passioniert Romane gelesen, aber falls sie gehofft hatte, einen zu finden, der ihre eigene Erfahrung widerspiegelte, so hatte sie einsehen müssen, dass das Leben einer weder verheirateten noch sonst wie gebundenen älteren Frau von keinem Interesse für den Verfasser moderner Prosa war. Vorüber waren die Tage, da sie in ihre Ausleihliste bei Boots hoffnungsfroh die Romantitel einzutragen pflegte, die in den Sonntagszeitungen besprochen waren, und nun hatte sie ihr Leseverhalten umgestellt. Von Liebesromanen enttäuscht, suchte Letty ihre Erfüllung in Biografien, von denen es ja ausreichend gab. Und da in ihnen »wahre« Geschichten erzählt wurden, hatten sie der Belletristik letztlich sogar etwas voraus. Vielleicht nicht unbedingt einer Jane Austen oder einem Tolstoi, die Letty ohnehin nicht gelesen hatte, aber »wertvoller« als irgendwelche heutigen Romane schienen sie allemal. Ganz ähnlich, möglicherweise weil sie als Einzige der vier gerne las, war sie auch die Einzige, die häufig außerhalb des Büros Mittag machte. Das Lokal, das sie für gewöhnlich aufsuchte, hieß zwar »Rendezvous«, war aber alles andere als ein Ort für romantische Stelldicheins. Angestellte aus den umliegenden Büros drängten zwischen zwölf und zwei Uhr herein, aßen in aller Eile und hasteten wieder davon. Der Mann an Lettys Tisch saß schon, als sie Platz nahm. Mit einem kurzen, feindseligen Blick schob er ihr die Speisekarte hin, dann kam sein Kaffee, er trank ihn aus, ließ fünf Pence für die Kellnerin liegen und ging. Seinen Platz nahm eine Frau ein, die sich mit gerunzelter Stirn in die Karte vertiefte. Dann sah sie auf, als läge ihr eine Bemerkung über die Preiserhöhungen auf der Zunge – Die Mehrwertsteuer!, schien ihr bläulich-blasser Blick zu sagen. Doch von Letty kam keine Ermutigung, und so senkte sie die Augen wieder, bestellte überbackene Makkaroni mit Pommes frites und dazu ein Glas Wasser. Der Moment war vorbei. Letty griff nach ihrer Rechnung und stand vom Tisch auf. So unbeteiligt sie sich nach außen auch gab, war ihr die Geste keineswegs entgangen. Jemand hatte auf sie zuzugehen versucht. Sie hätten ein paar Sätze wechseln können, und zwischen zwei einsamen Menschen wäre vielleicht ein Band entstanden. Aber ihre Tischnachbarin, die nun den ersten Hunger stillte, beugte sich tief über ihre Makkaroni. Jetzt ließ sich das Versäumte nicht mehr nachholen. Wieder einmal hatte Letty eine Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen. Im Büro biss derweil Edwin, der gern naschte, einem schwarzen Geleepüppchen den Kopf ab. Weder die Handlung an sich noch die Farbwahl waren rassistisch motiviert, er mochte nur einfach den stechenden Lakritzgeschmack der schwarzen Püppchen lieber als das süßliche Orangen-, Zitronen- oder Himbeeraroma der anderen. Der Verzehr der kleinen Geleefigur bildete den letzten Gang seiner Mittagsmahlzeit, die er in der Regel am Schreibtisch einnahm, inmitten von Papieren und Karteikarten. Als Letty ins Zimmer kam, streckte er ihr die Tüte mit den Geleepüppchen hin, was freilich nur eine rituelle Geste war, denn er wusste schon, dass sie ablehnen würde. Naschen war undiszipliniert, und auch wenn sie nun in den Sechzigern war, gab es keinen Grund, warum sie ihre schmale, adrette Figur nicht bewahren sollte. Die beiden anderen im Zimmer, Norman und Marcia, waren ebenfalls noch beim Essen. Norman aß ein Hühnerbein, Marcia ein unordentliches Sandwich, aus dem Salatblätter und glitschige Tomatenscheiben herausquollen. Von einer Matte auf dem Fußboden blies der elektrische Wasserkocher seinen Dampfstrahl in die Luft. Norman wickelte seinen Hühnerknochen ein und versenkte ihn säuberlich im Papierkorb. Edwin ließ einen Beutel Earl Grey vorsichtig in die Tasse hinabschaukeln und goss ihn mit kochendem Wasser aus dem Kessel auf. Dann gab er einen Zitronenschnitz aus einem kleinen, runden Plastikbehälter dazu. Marcia öffnete eine Büchse Nescafé und machte zwei Tassen, eine für sich und eine für Norman. Das hatte nichts weiter zu besagen, es war einfach eine praktische Übereinkunft zwischen ihnen. Sie mochten beide Kaffee, und es kam billiger, eine große Büchse zu kaufen und sie zu teilen. Letty, die nach ihrer Auswärtsmahlzeit kein Heißgetränk mehr brauchte, holte sich in der Toilette ein Glas Wasser und deponierte es auf einem bunten, handgearbeiteten Bastuntersetzer auf ihrem Tisch. Ihr Schreibtisch stand am Fenster, und sie hatte das Fensterbrett mit Topfpflanzen vollgestellt, wuchernden Hängepflanzen, die sich vermehrten, indem sie Miniaturexemplare ihrer selbst abwarfen, die als Ableger in neue Töpfe gesetzt werden konnten. »Mehr als die Kunst noch, liebt’ sie die Natur«, hatte Edwin einmal Landors Abgesang eines alten Philosophen auf Letty abgewandelt, und er hätte fast noch die Zeile mit dem Feuer des Lebens hinzugefügt, an dem sie ihre Hände gewärmt hatte – ohne jedoch zu nahe heranzugehen, wohlgemerkt. Nun sank das Feuer, wie es für sie alle sank, aber war sie, war irgendeiner von ihnen, schon bereit zu gehen? Etwas dergleichen mochte in Normans Unterbewusstsein herumspuken, als er die Seiten seiner Zeitung umblätterte. »Hypothermie.« Er las das Wort langsam. »Da ist schon wieder eine alte Frau dran gestorben. Wir müssen aufpassen, dass wir keine Hypothermie kriegen.« »Das ist nichts, was man...


Roth, Sabine
SABINE ROTH ist seit 1991 als Übersetzerin tätig. Zu den von ihr übersetzten Autor*innen gehören Jane Austen, Henry James, Agatha Christie, John Le Carré, V. S. Naipaul, Elisabeth Strout, Lily King und Barbara Pym.

Pym, Barbara
BARBARA PYM (1913 bis 1980) studierte Literatur in Oxford und arbeitete als Assistant Editor im African Institute in London. Mit sechzehn Jahren schrieb sie den ersten von insgesamt dreizehn Romanen. Ihr Werk ›Quartett im Herbst‹ (DuMont, 2021) wurde 1977 für den Booker-Preis nominiert. Außerdem erschienen bei DuMont ihre Romane ›Vortreffliche Frauen‹ (2019) und ›In feiner Gesellschaft‹ (2020).



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