E-Book, Deutsch, 350 Seiten
Pym In feiner Gesellschaft
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-8321-7044-8
Verlag: DuMont Buchverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 350 Seiten
ISBN: 978-3-8321-7044-8
Verlag: DuMont Buchverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dulcie Mainwaring ist stets zur Hilfe, wenn andere sie brauchen - um ihre eigenen Bedürfnisse kümmert sie sich dagegen kaum. Die Verzweiflung nach dem unrühmlichen Abgang ihres Verlobten erträgt sie still und bewahrt, wie gewohnt, Contenance. Allein die Aussicht auf den Besuch einer wissenschaftlichen Konferenz erhellt Dulcies Gemüt. Denn lässt sich eine bessere Ablenkung von Liebeskummer denken als ein Haufen älterer Akademiker, deren Gespräche sich um wissenschaftliche Spitzfindigkeiten drehen? Auf der Tagung lernt sie nicht nur die Femme fatale Viola Stint kennen, sondern auch deren Schwarm Aylwin Forbes. Der Herausgeber einer Literaturzeitschrift ist überaus attraktiv, aber ein Aufschneider. Er ist egoistisch, unzuverlässig – und unwiderstehlich. So kommt es, dass Dulcie dem charmanten Akademiker nachzustellen beginnt. Aber drei sind einer zu viel; und die Anreise von Dulcies achtzehnjähriger Nichte Laurel kompliziert die Situation nur noch weiter – ist es doch ausgerechnet Laurel, auf die Aylwin ein Auge wirft.
Weitere Infos & Material
1. Kapitel Es gibt verschiedene Arten, gegen ein gebrochenes Herz vorzugehen, aber der Besuch einer Fachtagung dürfte eine der unüblicheren sein. Als Dulcie Mainwarings Verlobter damit herausrückte, dass er sie lieber doch nicht heiraten wollte – oder, wie er es ausdrückte, dass er ihrer Liebe nicht würdig sei –, konnte sie sich monatelang zu gar nichts aufraffen, sondern litt nur still vor sich hin. Zu der Tagung meldete sie sich deshalb an, weil sie ihr genau das zu bieten schien, was man Frauen in ihrer Situation immer anriet: eine Gelegenheit, neue Kontakte zu knüpfen und sich durch die Beobachtung anderer von sich selbst abzulenken, wenn auch nur für ein Wochenende und unter fragwürdigen Umständen. Denn was konnte absonderlicher sein als ein Haufen erwachsener Leute, die meisten davon mittleren oder sogar vorgerückten Alters, in einem Mädcheninternat in Derbyshire, wo sie über akademische Spitzfindigkeiten debattierten, die dem Rest der Welt herzlich egal waren? Selbst die Zimmer – wenigstens pferchte man sie nicht in Schlafsälen zusammen! – muteten unnormal an mit den beiden schmalen eisernen Bettgestellen und der Aussicht auf solch enge Tuchfühlung mit fremden Schlafgenossen. Dulcie spekulierte darüber, wer ihr wohl zugeteilt war, und sah ihrer Ankunft – denn sicher würde es doch eine Frau sein? – etwas bange entgegen. Aber zumindest war es spannend, sagte sie sich tapfer, das Zimmer mit einer Unbekannten zu teilen, und als auf dem Flur Schritte erklangen, wappnete sie sich und überlegte schon, was sie zueinander sagen würden, wenn die Tür aufging. Aber die Schritte machten nicht an Dulcies Tür halt, sondern erst ein Stück weiter. Dann, auf den zweiten Blick, fand sie das andere Bett doch verdächtig flach, und als sie den Überwurf anhob, sah sie, dass es gar nicht hergerichtet war. Sie war erleichtert und enttäuscht zugleich. Wenn sie genügend Mut aufgebracht hatte, würde sie an die Nachbartür klopfen und nachsehen, wer dort wohnte. Sie hätte niemals hierherkommen dürfen. Das wurde Viola Stint klar, kaum dass sie den kleinen, zellenartigen Raum betreten hatte, und ihr Unbehagen steigerte sich fast zu Panik, als ihr Blick auf das zweite Bett fiel, das wie ihr eigenes mit einem weißen Überwurf mit Waffelmuster bedeckt war. Dann würde sie diese elende Kammer also auch noch mit einer fremden Person teilen müssen – der Gedanke war zu grauenvoll! Mit spitzen Fingern schlug sie einen Zipfel des Überwurfs zurück, um zu schauen, ob das Bett hergerichtet war; glücklicherweise nicht, nur ein Kissen mit gestreiftem Drillichbezug und ein Stapel grauer Decken lagen da. Das hieß, sie war wenigstens allein hier drin, und für drei Nächte ließ sich das vielleicht zur Not überstehen. Sie zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich aus dem Fenster. Unter sich sah sie ein Beet voll prächtig blühender Dahlien, üppig tragende Apfel- und Birnbäume, und dahinter erstreckte sich Moorland bis zu den fernen Hügeln, wo die Außenwelt begann, die Freiheit. Ein leises Klopfen ließ Viola herumfahren; ihr »Herein« fiel recht scharf aus. In der Tür stand eine aschblonde Frau Anfang dreißig, recht groß und mit freundlichem Gesicht. Sie trug ein Tweedkostüm und Straßenschuhe, die zu schwer für ihre dünnen Beine wirkten. Ganz die biedere englische alte Jungfer, dachte Viola, froh darüber, dass sie selbst einen so anderen »Akzent« setzte mit ihrem schwarzen Kleid, dem blassen, fast schon abgezehrten Gesicht und den widerspenstigen dunklen Haaren. »Dulcie Mainwaring«, sagte die aschblonde Frau. »Ich habe das Zimmer neben Ihrem. Ich dachte, vielleicht können wir ja gemeinsam zum Essen hinuntergehen?« »Wenn Sie wollen«, sagte Viola ungnädig. »Ich heiße Viola Stint. Wie benimmt man sich hier, und was zieht man an?« »Das scheint niemand so richtig zu wissen«, sagte Dulcie. »Mir kommt es ein bisschen so vor wie am ersten Abend auf einem Schiff, wo sich keiner zum Essen umzieht. Soviel ich weiß, ist das die erste Tagung dieser Art, die hier abgehalten wird. Sonst kommen wohl eher religiöse Gruppierungen her und auch die schreibende Zunft. Obwohl – zu der gehören wir ja selbst, oder?« »Könnte man so sagen.« Viola hatte ihren Lippenstift gezückt und trug ihn mit Verve auf, offenbar wild entschlossen, so wenig wie eine Dienstleisterin an den staubigeren Rändern der akademischen Welt auszusehen wie nur irgend möglich. Dulcie betrachtete mit einiger Faszination das Ergebnis, aber das grelle Korallenrot in dem fahlen Gesicht wirkte auf jeden Fall ungewöhnlich und frappant und ließ sie ein wenig mit ihrem eigenen sorgfältig aufgetragenen »natürlichen« Make-up hadern. »Eine sonderbare Idee, für unsereins eine Tagung zu veranstalten«, sagte sie. »Plagen wir alle uns mit Fahnenlesen, Registern und Bibliografien und was es noch gibt an drögen, undankbaren Zuarbeiten für Menschen, die mehr zu sagen haben als wir?« Viola schien es, als würde sie sie fast genießerisch bei den Worten verweilen, wie um mit aller Gewalt den Eindruck unüberbietbarer Tristheit zu erwecken. »Also mein Leben ist überhaupt nicht so«, sagte sie eilig. »Ich habe eigene Forschungsprojekte, und einen Roman habe ich auch angefangen. Hier bin ich eigentlich nur, weil ich einen der Referenten kenne, und …« Sie hielt inne, aufs Neue überwältigt von einem Gefühl der Panik, denn bestimmt war es ein Fehler gewesen, zu kommen. Nun, dieser tüchtigen Miss Mainwaring, die exakt so wirkte, als verrichtete sie sämtliche der öden Tätigkeiten, die sie da eben beschrieben hatte, würde sie ihr Herz ganz gewiss nicht ausschütten. »Ich mache nur Stichwortregister und was sonst noch so anfällt«, sagte Dulcie fröhlich. »Ich wollte gern von zu Hause aus arbeiten, als meine Mutter krank wurde, und seit ihrem Tod bin ich noch nicht dazu gekommen, mich nach einer Ganztagsstelle umzutun.« Eine Glocke begann zu schlagen, was die Bedrückung, die Viola bei Dulcies Worten befiel, noch verstärkte. »Zeit zum Abendessen«, sagte sie. »Wollen wir?« Früher oder später, dachte sie, würde sich schon eine Möglichkeit bieten, die Frau loszuwerden. Aylwin Forbes nahm die Flasche Gin aus dem Koffer, wo sie, eingebettet in die Falten seines Schlafanzugs, unbeschadet von London in dieses abgelegene Dorf in Derbyshire gereist war. Er stellte sie probeweise auf den Frisiertisch, aber zwischen seinen Hefetabletten, dem Magenpulver und dem Haarwasser nahm sie sich irgendwie ungehörig aus, weshalb sie, in Ermangelung von Alternativen, doch im Kleiderschrank landete – diesem bewährten, wenn auch leicht ehrenrührigen Versteck aller Flaschen. Sein anderes wichtiges Stück Gepäck, das Skript für seinen Vortrag über »Häufige Probleme eines Herausgebers«, deponierte er auf dem Stuhl neben dem Bett. Dann entdeckte er, dass es doch noch ein Schränkchen gab, an der Wand über dem Waschbecken, also holte er den Gin wieder aus dem Kleiderschrank und räumte ihn dort hinein. Ein neuer Gedanke beschlich ihn: War dem Personal denn zu trauen? Vor seinem inneren Auge sah er eines der Hausmädchen, wie sie den Flachmann ansetzte und sich beim Bettenmachen einen raschen Schluck gönnte. Nun, dieses Risiko würde er eingehen müssen, entschied er und stellte die Hefetabletten und das Magenpulver auch hinein, aber er kam zu keinem rechten Schluss, wo er am ehesten das Haarwasser benutzen würde, darum blieb es auf dem Frisiertisch. Als Nächstes nahm er sein Skript von dem Stuhl am Bett und legte es neben seine Bürsten und die Manschettenknöpfe in dem Etui aus florentinischem Leder. Damit blieben in seinem Koffer nur noch die jüngste Ausgabe der Literaturzeitschrift, deren Herausgeber er war, und der große Bilderrahmen – ebenfalls aus florentinischem Leder – mit der Fotografie seiner Frau Marjorie. Die Zeitschrift legte er auf den Stuhl beim Bett, mit einem leichten Widerwillen, als sähe er sich schon im Bett liegen und darin lesen, aber für Marjorie bot sich kein Platz an, also packte er das Bild zurück in den Koffer, klappte ihn zu und schob ihn unters Bett. Wozu es jetzt noch aufstellen? Vorsichtig öffnete er die Tür und spähte den langen Flur entlang. Wo wohl die Toilette sein mochte? Er riskierte sogar ein paar tastende Schritte in eine Richtung, da erblickte er eine ältere Frau mit Kneifer, Haarnetz und einem Steppbademantel mit einem Muster aus großen roten Blumen, die, Handtuch und Waschbeutel unterm Arm, zielstrebig auf ihn zuhielt. Wo immer er hingewollt hatte, sie würde vor ihm dort sein. Hastig floh er in sein Zimmer zurück, zutiefst aufgewühlt. War man denn nicht einmal nach Geschlechtern getrennt in diesem Haus? Die Schritte der Frau tappten vorbei und schienen vor der Nachbartür haltzumachen. Und zu spät wurde ihm klar, dass das Miss Faith Randall war, eine seiner Mit-Referentinnen. Im Geist sah er den Titel des Vortrags, den sie halten würde – »Häufige Probleme bei der Registererstellung«. Würde sich jeder Vortrag mit häufigen Problemen bei diesem oder jenem befassen?, fragte er sich, während er sich erneut auf den Flur begab, um einiges forscher diesmal. Wieder in seinem Zimmer, goss er sich etwas Gin in sein Zahnputzglas, ließ Wasser aus dem Hahn hineinlaufen und trank es in hastigen Schlucken, als wäre es eine Medizin – was es in gewissem Sinne ja auch war. Ich muss hinunter zum Essen gehen, dachte er, aufatmend bei dem Gedanken, dass die Referenten ja ihren eigenen Tisch haben würden, getrennt von den anderen Teilnehmern. Er stellte sich Miss Randall mit ihrem Haarnetz und Kneifer vor und fragte sich, ob er wohl neben ihr zu sitzen käme und worüber sie dann...