Würde bis zum Schluss auch ohne assistierten Suizid
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-7615-6898-9
Verlag: Neukirchener
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Autorin hinterfragt all dies ausführlich und leicht verständlich, sodass das Buch für Laien, aber auch für Mitarbeitende aus der Praxis, ein unverzichtbarer Wegweiser in der weltweiten Diskussion über assistierte Sterbehilfe ist. Denn besonders Menschen in sozialen Berufen oder in der Kirche sehen sich früher oder später einem Sterbewunsch gegenüber, ob vor oder nach der Suizidassistenz, und müssen dabei auf eine Vielzahl von Emotionen und Deutungen eingestellt sein.
Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Peter Dabrock (ehem. Mitglied und Vorsitzender des Deutschen Ethikrates) und Dr. Stefanie Schardien (u.a. bekannt aus "Das Wort zum Sonntag").
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Vorwort Von Peter Dabrock und Stefanie Schardien Menschen müssen sterben. Nach dem Wie gefragt, sagen viele entweder ‚friedlich‘ oder ‚selbstbestimmt‘. Was aber meint ‚selbstbestimmtes Sterben‘? Für die gesellschaftliche Antwort auf diese Frage war der 6. Juli 2023 ein ganz wichtiger Tag. Gegen Mittag hatte der Bundestag drei entscheidende Weichenstellungen vorgenommen. Zum einen hat er das in Deutschland seit Jahren schlummernde Thema überhaupt wieder auf die politische Agenda gehoben. Wir erinnern uns: 2015 hatte der Bundestag mit großer Mehrheit die so genannte geschäftsmäßige Sterbehilfe – darunter war nicht ein gewerbsmäßige, sondern ein organisiertes und auf Wiederholung angelegtes Tun verstanden – unter Strafe gestellt. 2020 hatte in einem spektakulären Urteil das Bundeserverfassungsgericht diese Norm gekippt und dem Gesetzgeber enge Grenzen für mögliche Neuregulierung gesetzt. Es sei ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ anzuerkennen, das die „Freiheit einschließe, sich das Leben zu nehmen“ und dabei „auf Hilfe Dritter zurückzugreifen“. Dabei müsse der „Zugang zu freiwillig bereit gestellter Suizidhilfe auch real eröffnet“ bleiben. Diese Entscheidung zum Suizid sei als „Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren“, was nicht ausschließe, dass unter Wahrung dieses Grundrechtes der Staat ein „legislatives Schutzkonzept“ entwickle (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020 –2 BvR 2347/15 -, Rn. 1-343). Viel ist über dieses Urteil geschrieben und nachgedacht worden. Es hat die bis dato lebensschutzsensible Tradition der Auslegung von Menschenwürde und Selbstbestimmung verändert. Es hat – selbst bei denen, die 2015 für eine liberalere Gesetzgebung votiert hatten – für Erstaunen und Irritation gesorgt. Dazu hat nicht zuletzt die übertreibende Formulierung „autonome Selbstbestimmung“ beigetragen. Sie hat bei Vielen, die Menschen im Sterben begleiten, für Kopfschütteln gesorgt. Denn im Sterben wie im Leben wollen die meisten zwar selbstbestimmt sein, aber diese Selbstbestimmung richtet sich nicht nur an sich selbst aus („autonom“), sondern versteht sich aus den Beziehungen zu den Menschen, die einem wichtig sind. Von dieser beziehungsorientierten Selbstbestimmung spürt man in diesem kühl wirkenden Urteil wenig. Wie immer man zu dem Urteil stand – wir fanden es wegen seiner Deutung des Suizids als Siegel „autonomer Selbstbestimmung“ und wegen seiner vielen Auflagen, die es jedem künftigen Gesetzgebungsverfahren mit auf den Weg gab, als hochproblematisch –, es musste umgesetzt werden. Und nach einer gewissen Schockstarre machten sich viele an die Aufgabe, ihren Teil zur weiteren Gestaltung des gesellschaftlich und menschlich so sensiblen wie schwierigen Themenfeldes ‚Suizidassistenz‘ beizutragen. Ganz wichtig war sicherlich die Entscheidung des Deutschen Ärztetages von 2021, die Suizid-
assistenz weiterhin zwar nicht als ärztliche Aufgabe zu verstehen, aber das bis dato gültige, in der Musterberufsordnung verankerte, standesrechtliche Verbot aufzuheben. Damit gewannen Ärztinnen und Ärzte vor allem in einer persönlichen Arzt-Patienten-Beziehung wieder Grauzonen zurück, die in Ausnahmefällen möglich sein müssen – zumal wir keinerlei Indizien haben, dass solche Grauzonen systematisch ausgenutzt worden wären. Das Gegenteil ist der Fall. Auch in den Verbänden und Organisationen der freien Wohlfahrtspflege blieb man nicht tatenlos. Für die christlichen und evangelischen Institutionen stellten sich schwierige Fragen: Dürfen evangelische Einrichtungen Suizidbeihilfe ermöglichen oder ist es ein moralisches Gebot, sie zu verbieten? Welchen Preis wäre man bereit, dafür zu zahlen? Sich etwa aus der gesamten Wohlfahrtsarbeit zurückzuziehen? Das sicher nicht! Also muss man mit dem Urteil, sofern an der staatlich gerahmten Wohlfahrtsproduktion festhalten will, leben. Aber wie kann man theologisch, seelsorglich und diakonisch das klare Signal senden, dass das Recht auf Selbstbestimmung zu achten ist, aber auch so ausbuchstabiert wird, dass Lebensschutzfreundlichkeit, Beziehungswunsch und Verletzlichkeit im Leben wie im Sterben prägend bleiben? Darüber gab es nach dem Urteil des Verfassungsgerichtes intensive, strittige, aber doch auch von wechselseitigem Respekt und von der Bereitschaft, auch bei unterschiedlichen Positionen aufeinander hören zu wollen, geprägte Debatten in Kirche, Theologie und Diakonie. Selbst wo man sich eingestanden hatte, dass man in der Umsetzung unterschiedliche Akzente setzen will, gab es eine breite Übereinstimmung, nämlich in den Punkten: Suizid darf nie ein Normalfall des Sterbens werden. Niemandem darf der Eindruck vermittelt werden, sich fragen zu müssen: „Warum bin ich noch da?“ Lebensschutzfreundlichkeit und Selbstbestimmung müssen Hand in Hand gehen. Und doch lassen wir niemanden, der an seinem Wunsch festhält, durch eigene Hand zu sterben, in seiner Situation allein. Dies gilt auch für die An- und Zugehörigen wie die professionell in Kirche und Diakonie Tätigen. Wir begleiten seelsorglich bis zum Ende – bis zu jedem Ende. All diese Initiativen in Ärzteschaft und Wohlfahrtspflege fanden seit 2020 statt. In einem rechtsfreien, ungeregelten Raum leben wir in Deutschland nicht, wie manche behaupten. Denn das Bundesverfassungsgericht hatte uns in die Situation vor 2015 versetzt. Die Ärzteschaft hatte das wichtige Standesrecht verantwortungsethisch präzisiert. Dennoch hatten viele das Urteil des höchsten deutschen Gerichts so gelesen, als ob unbedingt eine neue Regelung gefunden werden müsste. Die Abgeordneten taten sich allerdings schwer damit. Immerhin brachten sie nach langen und zähen Debatten zwei Entwürfe zur Abstimmung: Der eine setzte im Strafrecht an und sandte somit das Signal: Suizidhilfe – zumindest die geschäftsmäßige – ist weiterhin – zumindest moralisch – problematisch. So nachvollziehbar diese moralische Einstellung ist, sie trägt den zu respektierenden Vorgaben des Verfassungsgerichtes nicht Rechnung. Wenn das Gericht die Suizidhilfe grundrechtlich so verankert wie es das getan hat, sollte man bei der rechtlichen Regelung dieses „Grundrechtes“ nicht im Strafrecht ansetzen. Der andere Gesetzentwurf dagegen vertrat mit gewissen Sicherungs- und Beratungskonzepten einen allzu liberalen Ansatz – nahe an dem heroisierenden Verständnis von Suizid aus Ausdruck „autonomer Selbstbestimmung“ und mit geringer Lebensschutzfreundlichkeit – und er kannte ein aus unserer Sicht unverantwortliches Behördenverfahren, bei dem man ohne allzu große Schwierigkeiten an die tödlichen Medikamente herankommen konnte. Diese gesetzgeberische Sorglosigkeit war geradezu fahrlässig. So verwunderte es nicht, sondern konnte nur begrüßt werden – und dies war die zweite Entscheidung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages in dieser Frage am 6. Juli 2023 –, dass keiner der beiden ins Parlament eingebrachten Gesetzentwürfe eine erforderliche Mehrheit fand. Es muss also in Fragen der Rahmung der Suizidbeihilfe verantwortlich weitergedacht werden. Für alles Weitere hat der Bundestag mit beeindruckender Mehrheit – und dies war dann die dritte Entscheidung des Tages – sich, der Bundesregierung, aber auch als Signal an die Landesparlamente und -regierungen, die Richtung vorgegeben: Bevor wir in Deutschland umfangreiche Prozeduren, Beratungsstellen und Behörden für Suizidbeihilfe institutionalisieren, müssen wir die Suizidprävention wie auch die Aufgaben des Alterns in Würde, die Palliativ- wie die Hospizarbeit ausbauen. Hilfe beim Sterben muss unsere erste gesellschaftliche Aufgabe sein. In deren Klammer können dann auch Wege der Hilfe zum Sterben – als verantwortliche Gestaltung der Ausnahme – gesucht und gegangen werden. Dazu muss der Bundestag der Gesellschaft viel mehr Zeit geben, als er es bei den beiden gescheiterten Gesetzentwürfen getan hat. Diese geisterten zwar durch die öffentlichen Debatten und Medien, waren aber vom gesetzgeberischen Organ, dem Bundestag, erst am Tag vor der Abstimmung online gestellt worden. Angesichts der existentiellen wie gesellschaftlichen Bedeutung des Themas war dies ein Unding. Selbstverständlich müssen die konkreten Gesetzentwürfe ausführlich in der Zivilgesellschaft diskutiert werden. Das muss beim nächsten Mal – wenn es ein nächstes Mal gibt – besser werden. In jedem Fall bleibt der Fragekomplex „Hilfe beim Sterben – Hilfe zum Sterben“ drängend: für Einzelne in ihrer eigenen Situation, als An- und Zugehörige, als vielleicht im Feld Tätige, als Kirche, als Gesellschaft. Das vorliegende Buch von Annegret Puttkammer ist ein wertvoller Beitrag, in einer großen diakonischen Einrichtung diese Fragen anzusprechen und im Glauben wie in der Wohlfahrtspraxis verantwortlich zu gestalten. Es kann weit über den evangelischen Kontext hinaus dazu anregen, Sterben als Teil des Lebens zu begreifen und sich dieser ohne Zweifel schweren Situation gestärkter und getrösteter zu stellen: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ (Psalm 90,12). Dr. Stefanie Schardien,
Pfarrerin und Sprecherin
beim Wort zum Sonntag Prof. Dr. Peter Dabrock,
Systematische Theologie mit Schwerpunkt Ethik und...