Purschke | Hendrikje, vorübergehend erschossen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Reihe: galleria

Purschke Hendrikje, vorübergehend erschossen

Roman

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Reihe: galleria

ISBN: 978-3-423-40047-3
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein heiterer Frauenroman
'Ach, Hendrikje. Ein Bild des Jammers, eine, die sich selbst die Schuld gibt und nicht weiß, wie stark sie ist. So stark, flott, jung und liebenswert wie dieses Buch.' Tiroler Tageszeitung
Hendrikje Schmidt ist eine Pechvogelin. Und jetzt sitzt sie auch noch im Gefängnis und erzählt der spröden Psychologin Frau Dr. Palmenberg ihre Geschichte. Denn eigentlich hatte Hendrikje ihr Leben mal ganz gut im Griff. Tagsüber arbeitet sie als Bedienung in einem Café, nachts malt sie Bilder. Doch an Weihnachten schlägt das Schicksal knüppeldick zu: Von einem Tag auf den anderen ist Hendrikje bis über beide Ohren verschuldet, allein und todunglücklich. Und weil ihr Selbstmordversuch kläglich misslingt, wollen ihre Freunde ihr beim zweiten Mal helfen. Bloß, dass am Ende nicht Hendrikje, sondern zwei ihrer Freunde tot sind.
›Hendrikje‹ ist ein origineller Roman in der Tradition des ›Simplicius Simplicissimus‹, der das ganze Elend, aber auch die moralische Stärke eines ebenso einfältigen wie aufrechten Menschen in die heutige Zeit überträgt. Man kann lachen und weinen mit dieser Hendrikje, und am Ende fragt man sich, ob man sie nicht schon längst kennt.
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1
»Störe ich?« »Nein, nein, kommen Sie rein.« Hendrikje kommt rein, und vorsichtig, als wollte sie gar kein Geräusch machen, schließt sie die schwere Tür hinter sich, ganz leise. »Ich verstehe Ihre Frage gar nicht. Das ist doch unsere verabredete Zeit.« »Ja.« Der Behandlungsraum für Psychotherapie also. Hendrikje sieht verlegen auf den grauen Industrieteppichboden und auf die grauen Waschbetonwände, vor denen auf einem Glasbord fünf weiße Orchideen prangen, echt edel. »Setzen Sie sich.« Hendrikje setzt sich in einen bequemen Sessel gegenüber von Frau Doktor Palmenberg, die in einer Art Fernsehliege thront, mit hochgelegten Füßen. Sofort beginnt Doktor Palmenberg, im großen Schreibblock, den sie auf dem Schoß liegen hat, die ersten Eindrücke von ihrer neuen Patientin zu notieren: schüchtern-verhuscht/gefasst/klein/mager/blass /zu große Männercordhose + schlabbriger Pulli/ungepflegte Kurzhaarfrisur Typ Straßenköter/sieht aus wie 15. Hendrikje ihrerseits betrachtet die Palmenberg, die mehr liegt als sitzt. Die Schuhe hat sie abgestreift und ist barfuß. Sie hat lackierte Zehennägel, was auf ein, so denkt sich Hendrikje, ausgefülltes Sexualleben hinweist. Völlig lässig, Grandezza gratis. Dezenter schwarzer Hosenanzug, der weich fällt und sicher ein Vermögen gekostet hat, weil die Dame darin so unverkrampft bleibt. Ein Anzug, in dem du immer gut aussiehst, egal wie du dich hinfläzt. Frau Doktor Palmenberg ermuntert Hendrikje. »Wir springen gleich rein. Ohne große Vorrede. Nur so viel: Alles ist hier erlaubt. Erzählen Sie mir, was immer Sie für wichtig halten. Alles. Kein Tabu. Ihr Name ist Hendrikje Schmidt, stimmt das?« Hendrikje nickt. »Warum sind Sie hier?« »Ich habe einen Menschen getötet.« Doktor Palmenberg schlägt ungerührt das Patientenblatt auf. »Ja, das lese ich hier.« »Streng genommen sogar zwei, das lässt sich so genau nicht sagen.« »Zwei?« »Ja. Es war Notwehr, das eine Mal. Das andere Mal, da, wo ich mir halt nicht so sicher bin, das war einfach irrsinnig dumm gelaufen. Ganz, ganz furchtbar blöd.« »Und wie geht es Ihnen damit?« »Furchtbar. Schrecklich. Ich weiß nicht, wie ich damit leben soll.« »Gut. Lassen Sie uns beim Anfang bleiben. Sie sind wie alt?« »34.« »Was machen Sie beruflich?« »Ich bin Malerin.« »Malerin?!« Doktor Palmenberg klingt anerkennend. »Ja. Und Kellnerin.« »Ah-ha.« Doktor Palmenberg klingt abschätzend. »Ja nee, ich bin wirklich Malerin, nicht nur so hobbymäßig. Als Kellnerin verdien’ ich mir nur mein Geld. Die Leute kaufen zur Zeit nicht so viele Bilder, wir haben eine Rezession.« Doktor Palmenberg nickt. »Gut. Wie gefällt Ihnen Ihre Arbeit als Kellnerin?« »Prima. Macht Spaß.« Doktor Palmenberg guckt Hendrikje an, ruhig und forschend. »Ich hasse es.« Doktor Palmenberg nickt. »Also, wenn man nur Gast im Café ist, kann man sich das nicht vorstellen. Aber die Welt von hinterm Tresen aus gesehen ist so was wie der Vorhof zur Hölle. Ich komme um 9 Uhr morgens ins Café und mache belegte Brote und lege sie in die Vitrine, ich hole die Torten aus dem Kühlhaus, fülle die Kaffeemaschinen auf und verteile frische Aschenbecher. Ich gebe den Blumen frisches Wasser. Um 10 mache ich auf und ab da brummt das Frühstücksgeschäft. Dann gibt’s zum Beispiel Zeugnisse, dann hab ich plötzlich ’ne ganze Schulklasse im Laden. Das heißt: 18 Cappuccini müssen gleichzeitig fertig sein, aber mit so festem Schaum, dass der Löffel drin steht, dann sind die belegten Brote aufgegessen, ehe die Stammgäste kommen, und ich muss neue schmieren, hab dafür aber gar keine Zeit, weil eine Oma Mohnstrudel haben will, den ich in der Mikrowelle warm machen muss, aber in der taut gerade das Gratin für mittags auf. Ein Gast bringt seine Cola zurück, weil da angeblich die Kohlensäure drin fehlt, dann rauscht Goebbels rein, also das ist meine Chefin, und räumt in ihrem Führerhauptquartier erst mal auf und schreit mich an, weil keine belegten Brote mehr da sind und dass ich solche Kuchengabeln mit solchen Wasserflecken unmöglich den Gästen hinlegen kann, aber wann hätte ich die polieren sollen? Genau in dem Augenblick beschwert sich die Oma, wo denn ihr Mohnstrudel bleibt, und meine Chefin macht mich zur Schnecke, dabei will sie, dass das Gratin auftaut. Dann zerrt sie das Gratin aus der Mikrowelle raus und haut einen Mohnstrudel rein. Die Oma ruft noch: ›Ohne Sahne!‹, und meine Chefin hat das auch gehört, will aber trotzdem Sahne draufknallen, weil sie dann 30 Cent mehr nehmen kann. Ich kenn das schon, sie sagt dann der Oma, dass sie das nicht gehört hat, dass sie keine Sahne wollte, und dass aber doch die Sahne zum Mohnstrudel gehört wie die Elbe zu Hamburg, und dann lacht die Oma und Goebbels schmunzelt die Oma komplizenhaft an und sagt: ›Sie können sich das doch leisten!‹ Und die Oma fühlt sich geschmeichelt und zahlt die Sahne. Also. Goebbels will Sahne auf den nun endlich aus der Mikrowelle gekommenen Strudel machen und merkt, dass die Sahnemaschine leer ist. Weil ich vergessen habe, sie aufzufüllen. Riesentheater. Zeter und Mordio. In der Zwischenzeit hab ich drei Milchkaffee fertig gemacht und zwei Kännchen Tee, hab die Schulklasse abkassiert, wodurch es erforderlich wurde, mal eben schnell rüber zur Bank zu flitzen um Wechselgeld zu holen, denn die haben alle mit großen Scheinen bezahlt. Die Gäste, die in der Zwischenzeit neu dazugekommen sind, sind immer noch nicht bedient worden und werden langsam knatschig, und meine Chefin steht hinterm Tresen und raucht und sagt kopfschüttelnd: ›Mein Personal ist ein bissel überfordert …‹ Ich renne also an die neuen Tische und nehme die neuen Bestellungen auf, und meine Chefin poliert die Kuchengabeln mit einem feuchten Handtuch und sagt bei jeder einzelnen: ›Hier, Picasso! So muss das aussehen!‹ Und ich gucke und sage: ›In Ordnung! Denk ich in Zukunft dran‹, während ich schon die neuen Bestellungen mache: also wieder Mohnstrudel in die Mikrowelle und ein paar Cappuccini, und wenn Goebbels merkt, dass der Schaum nicht ›steif wie der Knochen von Banderas‹ ist – sagen Sie bitte: ist das nicht dégoutant? – dann gießt sie die fertigen Cappuccini in den Ausguss, macht neue und stellt mir die weggegossenen Cappuccini in Rechnung. Zieht sie mir einfach vom Trinkgeld ab. Während ich also Bauklötze staunend daneben stehe und gucke, wie sie den Schaum – also bitte, wenn’s denn sein muss – so steif wie den Knochen von Banderas macht, renne ich mal eben an Tisch 8 bis 13, um den Saustall abzuräumen, den die Schulklasse hinterlassen hat, und trage das Geschirr zur Spülmaschine, die aber voll ist. Voll mit schmutzigem Geschirr, das die Kollegin vom Vortag hinterlassen hat. Dafür schreit Goebbels dann mich an, und ich verteidige die Kollegin vom Vortag, denn die Geschirrspülmaschine ist nur zu ungefähr sieben Achteln voll, und sie, Goebbels, predigt doch ewig, dass wir die Geschirrspülmaschine erst dann anschmeißen sollen, wenn sie zu neun Achteln voll ist, weil das Geschirrspülmittel für diese besonderen Gastronomiemaschinen, die eben besonders schnell arbeiten, so wahnsinnig teuer ist. Ich mache also die Maschine voll und stelle das schmutzige Geschirr von der Schulklasse oben drauf ab, und das führt dazu, dass wir plötzlich kein sauberes Geschirr mehr haben. Jetzt hat Goebbels festen Schaum, aber keine Tassen. Die neuen Gäste stehen auf und gehen. Ich bin ehrlich gesagt froh darüber, das gibt uns Gelegenheit, erst mal ein bisschen Grund in die Sache zu kriegen und neue belegte Brote zu schmieren, aber Goebbels meint, ich sollte jetzt mal den Kühlschrank auswaschen, den unteren, den verquasten, wo die Bierkästen stehen. Und da hab ich dann aber einmal Nein gesagt. Da hab ich ihr eiskalt ins Gesicht gesagt: ›Nee, jetzt schmiere ich belegte Brote, so ’ne günstige Gelegenheit kriege ich nie wieder.‹ Und da war sie still. Da hat sie nichts mehr gesagt. Und ich bin völlig seelenruhig zum Kühlschrank, hab mir meinen Käse und meinen Schnittlauch und meinen Parmaschinken rausgeholt und hab neue Brote belegt, weil gleich würden ja die Stammgäste kommen. Goebbels hat ganz schön blöd geguckt bei so ’ner Befehlsverweigerung, aber sie musste natürlich das letzte Wort haben und meinte, den Bierkühlschrank sollte ich dann eben nach Feierabend auswaschen, als Gegenleistung schenkt sie mir die weggeschütteten Cappuccini und dann ist sie raus, weil sie...


Purschke, Ulrike
Ulrike Purschke, Jahrgang 1961, ging nach dem Abitur von Kassel nach Hamburg und wurde Schauspielerin. Sie studierte Literaturwissenschaft in Rom und Filmdramaturgie in Hamburg. Seitdem schreibt sie Drehbücher und lebt in Berlin. Hendrikje ist ihr erster Roman.

Ulrike Purschke, Jahrgang 1961, ging nach dem Abitur von Kassel nach Hamburg und wurde Schauspielerin. Sie studierte Literaturwissenschaft in Rom und Filmdramaturgie in Hamburg. Seitdem schreibt sie Drehbücher und lebt in Berlin. Hendrikje ist ihr erster Roman.


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