E-Book, Deutsch, 384 Seiten
Purcell Moonstone
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-98676-218-6
Verlag: Festa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Gothic-Fantasy-Roman
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
ISBN: 978-3-98676-218-6
Verlag: Festa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Camille wird zu ihrer Patentante und deren Tochter Lucy geschickt, die in einem kleinen Haus im Wald wohnen. Weit weg vom Komfort der Stadt muss sie sich nun den strengen Regeln ihrer Tante fügen.
Camille hat noch nie zuvor jemanden wie Lucy getroffen, ein blasses, kränkliches Mädchen, das von Sternen träumt, aber den Wald nie verlassen hat. Als sich die beiden anfreunden, häufen sich unheimliche Ereignisse: Mysteriöse Tode, Kratzspuren an den Türen und in den Nächten hallt das schreckliche Heulen einer unbekannten Kreatur durch den Wald.
Sollte Camille mehr Angst vor dem haben, was sich in der Dunkelheit verbirgt – oder vor sich selbst?
Die bewegende Dark-Fantasy-Liebesgeschichte mit Biss von der preisgekrönten »Queen of Gothic Fiction« Laura Purcell, Autorin der Bestseller und
The Times: »Eine düstere viktorianische Gothic-Story, gruselig und fesselnd.«
Times Literary Supplement: »Ein wahrer Pageturner ... und alle paar Seiten eine schauerliche Offenbarung.«
Die erste Auflage von MOONSTONE erscheint mit Motiv-Farbschnitt.
Weitere Infos & Material
1
In der Nacht träume ich, ich wäre nach Einbruch der Dunkelheit tief im Wald von Felwood. Zweige knacken und in den Büschen raschelt es. Ich habe keine Angst. Dies ist nicht der Schauplatz des Grauens, dem ich entflohen bin, sondern ein Ort des Zaubers. Die Sterne sind wie Salzkörner über den indigoblauen Himmel verstreut, der Mond hängt als schmale Sichel über den Bäumen. In seinem Perlmuttlicht verblassen alle Farben, aber ich brauche sie nicht.
Ich kann die Farne riechen, von denen es nach dem Regenschauer grün tropft, die violetten Knospen des Heidekrauts, die bald aufbrechen werden. Die Luft schmeckt schwer nach feuchter Erde. Ich verspüre einen tiefen inneren Frieden.
Und dann erwache ich und die Folter beginnt.
Ich hätte nie gedacht, dass es solche Schmerzen geben kann. Mein eigener Körper hat mich verraten. Als ich klein war, hatte ich Angst vor einer Invasion Napoleons oder dem Geist der Cock Lane – jetzt weiß ich, dass wahre Gefahr von innen kommt.
Tausend Insekten krabbeln unter meiner Haut. Der Juckreiz sitzt tief, er geht bis hinab in mein Innerstes, wo er sich in Hunger verwandelt – in ein Verlangen, das ich nicht stillen kann.
Unruhig wälze ich mich unter der Decke. Während meiner ganzen Zeit in Felwood Lodge habe ich mich nach meinem Bett gesehnt, nach der gesteppten Tagesdecke, den Kissen aus weichen Eiderdaunen. Das Ironische daran ist, dass ich es dort auf meiner schmalen Pritsche bequemer hatte. Die Wände von Felwood Lodge brachten mich immer mit dem Ächzen ihrer Balken um den Schlaf; hier kommt das Knarren nicht von Holzbrettern oder von totem Efeu, der im Wind raschelt – es kommt von mir. Meine Knochen verändern sich, sie zerbrechen ohne Einwirkung von außen, um sich in einer neuen und entsetzlichen Gestalt wieder zusammenzufügen.
Wie lange kann ich es verbergen? Wie lange wird es dauern, bis der Arzt erkennt, dass ich an keiner gewöhnlichen Krankheit leide?
Ich taste nach dem Anhänger um meinen Hals, dem einzigen Gegenstand, der mir Trost spendet. Ein Mondstein schmiegt sich kühl und glatt in meine heiße Handfläche. Seit Beginn meiner Krankheit sehe ich die Welt um mich herum in Grautönen, aber den blauen Schimmer auf der Oberfläche dieses Steins kann ich noch erkennen. Er ist wie ein Licht der Hoffnung in der Finsternis. Während mich der Mond am Himmel in die eine grauenvolle Richtung zerrt, zieht der Stein, der seinen Namen trägt, mich sanft, ganz sanft zurück.
Aber er ist nicht stark genug. Was kann schon ein einziger kleiner Anhänger gegen einen ganzen Himmelskörper ausrichten? Der Mondstein mag meinen Verfall verlangsamen, aber er kann mich nicht retten. Er kann die Schmerzen nicht beenden.
Ein Jaulen löst sich aus meiner Kehle.
»Camille?« Jemand kommt – ich höre Schritte auf dem Holzboden. Marie betritt das Zimmer, sie sieht nervös aus. Früher habe ich meine ältere Schwester an ihrem mahagonifarbenen Haar und den Sommersprossen um ihre Nase erkannt; jetzt ist das Erste, was mir an ihr auffällt, ihr Geruch. Ein Hauch von buttriger Milch und frisch gebackenem Brot. »Camille, was ist denn?«
Marie schwebt auf mich zu. Sie hat ihre Haare am Hinterkopf zu einem Knoten hochgesteckt und trägt ein fein gemustertes Musselinkleid mit einer Schärpe um die Taille. »Warte, ich helfe dir.« Sie beugt sich über das Bett und löst meine verkrampften Finger vom Mondstein. Ich schäme mich für meine Fingernägel, meine rauen Handflächen. »Ruhig, ruhig«, gurrt sie. »Mr. Leiston wird bald hier sein.«
Unser Arzt mag vielleicht Gicht heilen können oder einen gebrochenen Arm richten, aber mir kann er nicht helfen.
»Ich bin so hungrig«, keuche ich.
Sie zögert. »Ich hole dir etwas Brühe, bevor er kommt.«
Jahrzehnte scheinen zu vergehen, bis Marie mit einem Tablett zurückkehrt. Ich bin so ausgehungert, dass ich fast aus dem Bett springe und ihr das Essen aus der Hand reiße, aber ich zwinge mich zu warten. Sie zieht den Stuhl heran, füllt einen Löffel mit Brühe – was für ein winziges, armseliges Häppchen. Meine Schwester verzieht das Gesicht, während sie mich füttert. Es widert sie an, wie ich sabbere, wie ich mit der Zunge schlappe, was ich dabei für Geräusche mache.
»Camille«, flüstert Marie. »Was ist nur mit dir passiert? Kannst du es mir denn nicht sagen?«
Nur ein Wimmern kommt über meine Lippen. Marie seufzt und füttert mich weiter. Sie sollte sich nicht so erniedrigen. Sie sollte sich auf ihre Hochzeit vorbereiten und mich nicht vorn und hinten bedienen.
Erschütternd schnell versiegt die Suppe. Ich habe sie so hastig gegessen, dass ich kaum ihren Geschmack registriert habe, und bin weit davon entfernt, gesättigt zu sein. Sie hat meinen Appetit nur noch mehr angeregt.
Marie starrt auf den leeren Teller. Ein zartes Weidenmuster ist durch die dünne Haut zu erkennen, die von der Suppe zurückgeblieben ist. »Das ist alles meine Schuld«, murmelt meine Schwester.
»Nein!« Meine raue, heisere Stimme lässt sie zusammenzucken. »Warum sagst du das?«
»Weil … ich der Grund bin, weshalb du fortgeschickt wurdest! Wäre ich nicht gewesen, hätte Papa dich nie nach Felwood Lodge gebracht und du wärst nie krank geworden.«
Ja, ich hatte zugestimmt, Marie zuliebe nach Felwood Lodge zu gehen, aber es war nicht ihre Idee gewesen. Unsere Eltern hatten den Plan ausgeheckt, zusammen mit unserem Bruder Pierre. »Ich habe dir doch nie Vorwürfe gemacht! Keine einzige Sekunde lang! Vielleicht habe ich dir gegrollt, dich beneidet – aber ich habe dir nie vorgeworfen, dass du mich von hier forthaben wolltest.«
Sie wischt sich die Tränen ab. »Aber wer sollte denn sonst schuld daran sein? Ich war es doch, die geschmollt hat und gejammert, du hättest einen Skandal verursacht.«
»Aber das habe ich doch auch. Es war meine eigene Schuld. Mein eigenes Verhalten hat mir das alles eingebrockt.«
»Ich wünschte, nichts davon wäre je geschehen!«, sagt Marie heftig. »Ich wünschte, der König wäre nie gekrönt worden. Ich würde alles zurücknehmen, sogar meine Verlobung mit Adam aufgeben, wenn ich dadurch alles wieder so machen könnte, wie es war.«
Ich bin mir nicht sicher, ob ich es auch tun würde. Die Erinnerung an jenen Abend ist jetzt ein kostbares Kleinod, eine Oase, die am Horizont meines Krankenbettes schimmert, voller Musik und Farben, zu denen ich nie wieder zurückkehren kann.
Ich war zuvor noch nie in Vauxhall Gardens gewesen, bevor wir den Maskenball anlässlich der Krönung von König George IV. besuchten. Ich trug mein neues Ballkleid aus purpurner Seide und eine weiße Dominomaske. Es war aufregend, mein Gesicht zu verstecken, mich als jemand anderes auszugeben und endlich einmal aus meiner eigenen langweiligen Persönlichkeit auszubrechen. Schon mein ganzes Leben lang maßen meine Eltern mich an Marie. Ich verstand, warum: Sie war älter, hübscher und kultivierter. Sie konnte ein Menuett tanzen oder das Pianoforte spielen, ohne sich dabei auch nur annähernd so unbeholfen anzustellen wie ich. Aber an jenem Abend, als wir über die Vauxhall Bridge zu den Gärten eilten, hätte man uns zwei kaum auseinanderhalten können.
»Bleibt bei mir, Mädchen«, zischte Mama. »Streunt nicht herum.«
Ich konnte gar nicht anders, als vom Weg abzukommen. Als wir die Tore der Lustgärten durchschritten, betraten wir eine andere Welt. Gläserne Laternen hingen zwischen den Bäumen; es sah aus, als wären Sterne vom Himmel gefallen und hätten sich in den Zweigen eingenistet. Ich verdrehte meinen Hals, um sie besser zu sehen, und keuchte beim Anblick eines Seiltänzers, der über meinem Kopf balancierte.
»Pass auf, wo du hingehst!« Papa zerrte mich gerade noch rechtzeitig zur Seite. Ein Jongleur ging so nahe an uns vorbei, dass ich die Hitze seiner brennenden Fackeln auf meinen Wangen spürte.
»Wie schafft er es, sie so aufzufangen?«, staunte ich.
»Mit großer Mühe. Komm, meine Liebe, setzen wir uns hin und sehen uns das Puppentheater an. Dort stehen wir niemandem im Weg.«
Obwohl die Marionetten mich eine Weile amüsierten, war es mir unmöglich, mich auf die Vorstellung zu konzentrieren. Fetzen von God Save the King wehten von dem achteckigen Orchesterpavillon herüber, vor dem maskierte Feiernde tanzten. Gelegentlich untermalte ein Ploppen die Musik und ein Feuerwerk erhellte den Himmel.
Das Abendessen nahmen wir in einer der wunderschön bemalten Lauben ein. Mein Bauch war so voller Aufregung, dass kein Raum für Essen blieb; stattdessen trank ich Wein. Pierre plapperte ununterbrochen über seine Pferde und darüber, wie dünn der Schinken geschnitten war. Während ich so tat, als würde ich ihm zuhören, achtete ich kaum auf Adam Ibbotsons Aufmerksamkeiten gegenüber Marie. Es musste meinen Eltern schwerfallen, ein Lächeln zu unterdrücken. Wahrscheinlich nickten sie einander über den Tisch zu, überzeugt davon, dass dies der Abend war, an dem er ihr endlich einen Antrag machen würde, aber ich bekam nichts davon mit. Über die Schulter meines Bruders beobachtete ich die Menschen: eine vor Diamanten funkelnde Witwe, ein kicherndes junges Mädchen, einen Gentleman mit einer altmodischen Perücke, begleitet von Dienern.
Nach ein paar kurzen Worten mit dem Servierer drehte sich Papa wieder zum Tisch um. »Dieser Bursche erzählt mir gerade, dass ein großes Transparentbild des Königs in seinen Krönungsgewändern gezeigt werden soll! Über sieben Meter hoch!«
»Oh! Das müssen wir sehen!« Mama empfand keine...




