E-Book, Deutsch, 248 Seiten
Prokop Detektiv Pinky
2. Auflage 2016
ISBN: 978-3-407-74830-0
Verlag: Julius Beltz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 248 Seiten
ISBN: 978-3-407-74830-0
Verlag: Julius Beltz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gert Prokop (1932-1994) wuchs in Richtenberg auf und zog 1950 nach Berlin. Er studierte an der Kunsthochschule Weißensee, bevor er dann als Journalist bei der Neuen Berliner Zeitung tätig wurde. Seit 1971 widmete er sich der Schriftstellerei, daneben wirkte er als Filmdokumentarist bei verschiedenen Filmen mit. Prokops Jugenddetektivroman 'Detektiv Pinky' wurde ein Klassiker der DDR-Jugendbuchliteratur. Das Buch wurde 2001 von Stefan Lukschy verfilmt.
Weitere Infos & Material
Die Vorgeschichte
oder: Wie Kittsburgh zu einem Affen kam
Pinky saß auf seiner Mülltonne und träumte.
Die Mülltonne war kakelbunt angemalt und stand auf dem Dach des Hauses. Pinky hatte sie gefunden. Nun ja, nicht richtig gefunden, aber auch nicht richtig gestohlen. Sie lag eines Morgens mitten auf der Straße. Pinky stellte sie erst einmal auf den Bürgersteig. Nicht dass er besonders ordentlich war, aber er liebte Autos, und der Gedanke, dass eines zu schnell um die Ecke biegen und mit der Mülltonne zusammenstoßen könnte, gefiel ihm gar nicht. Als die Mülltonne am späten Nachmittag immer noch auf dem Bürgersteig herumstand, rollte er sie auf den Hof und stellte sie zwischen das Gerümpel, das dort überall herumlag. Er wartete zwei Tage, dann schleppte er sie auf das Dach, schrubbte sie aus, bemalte sie und erklärte sie zu seinem Thron.
Da hockte er nun, sechs Stockwerke über der Stadt, an einen Schornstein gelehnt, ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen und träumte seinen Lieblingstraum: Ganz Kittsburgh war im Centralpark zusammengelaufen, die Kapelle spielte einen Tusch, der Bürgermeister hob die Hand, ein Raunen lief durch die Menge, das Tuch fiel und gab das neue Denkmal frei. Und da stand er, Pinky, in Marmor auf einem Sockel, an dem geschrieben stand: »Die Stadt Kittsburgh ihrem großen Sohn«.
An dieser Stelle wechselte Pinkys Traum von Mal zu Mal. Einmal wurde ihm ein Denkmal gesetzt, weil er ein berühmter Jazztrompeter geworden war, dann ein Astronaut, dann wieder ein Erfinder ... am liebsten aber träumte Pinky, er wäre der berühmteste Detektiv der USA; daher auch sein Spitzname: nach dem großen Pinkerton, der im vorigen Jahrhundert die weltberühmte Detektivagentur gegründet hatte.
Von der Straße gellte Monsters Pfiff. Pinky schob den Kopf über die Dachbrüstung. Monster fuchtelte aufgeregt mit den Armen und gab das Zeichen: Supersuper! Pinky sprang, so schnell er konnte, die rostigen Stufen der Feuerleiter an der Außenwand des alten Backsteinhauses hinunter.
»Ein Zirkus, ein Zirkus!« Monster gestikulierte aufgeregt mit den Armen. Sie liefen durch den Centralpark, dann den Washington-Boulevard hinunter, hätten beinahe einen Polizisten umgerannt, der mit weit aufgerissenem Mund gähnte, als gäbe es nichts Langweiligeres, als am Washington-Boulevard mit seinen vielen Geschäften Streife zu gehen. Dann liefen sie durch die 53. Straße und noch nie war sie ihnen so lang vorgekommen wie heute. Endlich erreichten sie die Festwiese. Die Zirkuswagen standen im Halbkreis, wie eine Wagenburg in einem Indianerfilm, und in ihrer Mitte lagen bereits die Bahnen des Zeltes; gerade wurden die Zeltmasten abgeladen.
Ein kleiner Wanderzirkus! Für Pinky und Monster aber war es wie ein Wunder aus einer anderen Welt: kein Fernsehen, kein Kintopp, wo man nie wusste, war es nun Schein oder Wirklichkeit, hier gab es richtige Löwen, Pferde, zwei Elefanten und — Affen.
Pinky und Monster liebten Tiere. Die beiden trieben sich oft in dem kleinen Gehege herum, das sich hochtrabend »Kittsburgh-Zoo« nannte, aber nur ein paar Käfige mit Vögeln, ein halbes Dutzend Pfauen, Präriehunde, zwei Elche und einen alten Bisonbullen beherbergte. Zugegeben, nicht gerade prächtig, aber für zwei zwölfjährige Jungen, die in den dunklen Zimmern von »Potters Kinderheim« lebten, war es ein Paradies. Und kostenlos!
Im Zirkus hingegen wollte man schon für den billigsten Stehplatz fünfzig Cent. Woher nehmen? Ihnen fiel nicht einmal ein, wo sie es hätten stehlen können. Und verdienen? Seit es so viele Arbeitslose in Kittsburgh gab, nahmen die Erwachsenen den Jungen sogar die kleinen Gelegenheitsarbeiten als Autowäscher oder Zeitungsausträger weg. Auch auf der Festwiese standen ein paar Dutzend Männer und hofften, dass sie vielleicht einen Dollar verdienen könnten. Doch die Leute vom Zirkus schienen keine Hilfe zu brauchen.
Sie sahen ein Mädchen, das zwischen den Wagen mit einem halben Dutzend Bällen jonglierte.
»Du bist doch bestimmt vom Zirkus?«, erkundigte sich Pinky.
»Bin ich.« Das Mädchen sah die beiden nicht an, es hatte nur Augen für seine Bälle.
»Trittst du auch auf?«, wollte Monster wissen.
»Klar. Jeden Nachmittag und jeden Abend.«
»Mit den Bällen, was? Das kannst du auch prima!«
»Ihr solltet mich mal sehen, wenn ich das auf dem Elefanten mache.«
»Auf ‘nem richtigen Elefanten?«, rief Pinky.
»Mensch, bist du doof! Denkst du, wir haben welche aus Pappe?«
»Wir würden uns das gerne mal ansehen«, sagte Monster, »es gibt da nur ein Problem.«
Das Mädchen ließ einen Ball nach dem anderen in seine Arme fallen, dann musterte es die beiden von Kopf bis Fuß.
»Ihr habt kein Geld?«
»So ist es«, sagte Monster. »Wir sind aus ‘nem Waisenhaus.«
Das Mädchen überlegte. »Ich will mal sehen, was ich für euch tun kann«, sagte es. »Seid morgen um halb vier am Eingang und fragt nach mir. Ich bin Cindy.«
»Machen wir!«, riefen Pinky und Monster wie aus einem Mund. Sie lungerten noch bis zum Einbruch der Dunkelheit am Zirkusgelände herum und sahen zu, wie das Zelt aufgebaut und der Eingang geschmückt wurde. Dann flammten lange bunte Lichterketten auf und Musik dröhnte aus den Lautsprechern zur Stadt hinüber.
Weil sie zehn Minuten zu spät ins Heim kamen, schickte Potter sie ohne Abendbrot ins Bett und am nächsten Tag mussten sie zur Strafe die Treppe scheuern. In ihrer Wut schrubbten sie die abgetretenen Stufen so blank, dass die Blindschleiche, wie sie Missis Potter nannten, sie ausnahmsweise einmal lobte und jedem einen Apfel als Belohnung gab. Erst als sie hineinbeißen wollten, stellten sie fest, dass die Äpfel schon Faulstellen hatten. Und Ausgang bekamen sie auch nicht. Potter befahl ihnen, den Dachboden aufzuräumen.
»Können wir dann gehen?«, fragte Pinky.
Potter nickte vergnügt. »Dann dürft ihr gehen.« Er dachte sicher, dass die beiden mindestens zwei Tage dafür benötigten, er hatte ja keine Ahnung, dass der Dachboden längst aufgeräumt war. Pinky und Monster hatten schon vor ein paar Wochen das Gerümpel auf die Straße geschleppt und zwei Häuserblocks weiter auf einem Ruinengrundstück abgelegt. Die verbliebenen alten Möbel hatten sie an der einen Wand aufgetürmt und den Boden nicht nur gefegt, sondern sogar gescheuert. Seitdem nutzten sie den Boden als Baseballplatz.
Potter passte auf, dass sie auch tatsächlich nach oben gingen. Sie setzten sich auf das Dach und ließen sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Als die Uhr der St.-Josephs-Kirche drei schlug, kletterten sie über die Dachbrüstung und sprangen die Feuerleiter hinunter. Zu schnell. Das Dröhnen der Treppe alarmierte Potter. Als Pinky gerade am zweiten Stock vorbeifegte, schoss Potters Arm aus dem Fenster und packte Pinky am Fußgelenk. Er konnte sich noch an dem Geländer festhalten, sonst wäre er kopfüber hingestürzt. Monster konnte seinen Schwung nicht mehr abbremsen und prallte hart auf Pinky auf. Potter zog ihn am Fuß zum Fenster herein und schnauzte: »Kommt mal rein, aber dalli!« Potter baute sich vor den beiden auf, stemmte die Fäuste in die Seite und blickte sie drohend an. »Also abhauen wolltet ihr! Das setzt acht Tage Ausgangssperre und vier Wochen Fernsehverbot.«
»Warum«, maulte Monster, »wir haben doch ...«
»Schnauze, Bastard!«, brüllte Potter. »Jetzt rede ich.« Aber dann sagte er kein einziges Wort, sondern starrte sie nur an. »Ich warte auf eine Erklärung«, knurrte er endlich. »Wird’s bald?«
»Sie haben erlaubt, dass wir gehen können, wenn der Boden aufgeräumt ist«, sagte Pinky. »Wir sind fertig.«
»Na, das wollen wir uns mal ansehen!« Potter packte mit der linken Hand Pinky am Ohr und mit der rechten Hand Monster, so schob er die beiden vor sich die Treppe hinauf. Als er den Bodenraum sah, ließ er sie los, schüttelte den Kopf und kaute auf seinem Schnurrbart.
»Wie habt ihr denn das so schnell geschafft?«, fragte er.
Monster sagte gar nichts, er rieb sich wütend sein Ohr, bei ihm griff Potter immer doppelt hart zu. Pinky zuckte nur mit den Schultern.
»Dürfen wir gehen?«, fragte er.
»Erst mal nach unten!«, kommandierte Potter. Vor der Tür des Heimes blieb er stehen. ...