Prokop Der Tod des Reporters
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-360-50073-1
Verlag: Das Neue Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-360-50073-1
Verlag: Das Neue Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
"Starreporter tot aufgefunden" - daraus lässt sich eine Sensation machen! Das ist die Nachricht, auf die Dr. Naumann sehnlich gehofft hat, um die Auflage der "Revue" wieder in die Höhe treiben zu können. Sein bester Mann bekommt den Auftrag, die Story des Jahres zu schreiben. Aber schnell muss es gehen. Was immer auch über den Toten zu erfahren ist, die Leute von der "Revue" müssen es zuerst wissen, denn: "Die ›Revue‹ druckt die ganze Wahrheit über den Fall Jörgensen!"
Damit beginnen für Peter Lobenstein unruhige Tage. Seine Recherchen über das Leben und die Karriere des toten Kollegen bringen ihn nach und nach in Widerspruch zur Polizei, zu seiner Redaktion und zeitweilig zu sich selbst. Wie er sich mit Hilfe von Freunden aus der Sackgasse hinausmanövriert, in die ihn sein ungewolltes Thema gelockt hat, schildert Gert Prokop (1932 - 1994) mit Sachkenntnis und auf angenehm spannende Weise.
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3. Bis zum Präsidium brauchte Lobenstein fast eine dreiviertel Stunde. Am Hauptbahnhof brach der Verkehr ganz zusammen, ein Unfall. Im Nu stauten sich die Autos, ein Hupkonzert dröhnte über den Platz. Lobenstein fluchte. Zu Fuß wäre erlängst da gewesen. Er versuchte einen Haken zu schlagen und in die Kaiserstraße zu entwischen aber auf die Idee waren andere auch gekommen, nun saß er fest. Anfahren, drei Wagenlängen vorwärts, bremsen, warten, anfahren, bremsen, anfahren – die Auspuffgase drangen trotz der geschlossenen Fenster in den Wagen und würgten in der Kehle. Jemand klopfte an sein Fenster. Ein Mädchen. Er kurbelte die Scheibe herunter. »Fahren Sie doch in einer halben Stunde weiter«, sie lachte ihn auffordernd an, »dann sind Sie ebenso schnell zu Hause. Parken Sie inzwischen bei mir, vier Häuser weiter können Sie Ihren Wagen auf dem Hof unterstellen und Tee mit mir trinken.« Der Trick war neu. Sie faßte sein Lachen als Zustimmung auf. »Hundert«, sagte sie, »ohne Extras. Aber inklusive Parkplatz und Tee. Du wirst zufrieden sein. Es gibt keinen Wunsch, den ich dir nicht erfüllen kann.« Er winkte ab und drehte das Fenster wieder hoch. Am Theater lösten sich die Autokolonnen auf. Lobenstein fädelte sich in die rechte Fahrbahn ein und jagte zum Präsidium. Dort gab es jetzt sogar Parkplatz genug. Wilhelmis junger Mann saß mit einem Dutzend anderer Reporter in Maurachs Vorzimmer. Lobenstein winkte ihn heraus und ließ sich berichten, wa es bisher an Fakten gab. »Jörgensens Leiche ist vormittags gegen elf von einem Radfahrer entdeckt worden, der den Landweg unter der Autobahnbrücke am Eilenberg benutzt hat. Die Leiche lag in einem großen Gebüsch und hätte wahrscheinlich Tage oder sogar Wochen unentdeckt liegen können; der Weg ist eigentlich nur ein Pfad durch verwahrlostes Gelände und wurde kaum noch benutzt. Von der Autobahn wäre die Leiche nur zu sehen gewesen, wenn man direkt über dem Gebüsch gestanden und hinuntergesehen hätte. Aber wer würde an dieser Stelle sein Auto parken und sich auf die Brücke stellen? Jörgensen ist offensichtlich von der Brücke herab in das Gebüsch gestürzt worden. Todesursache sind wahrscheinlich die Kopfverletzungen, aber ob die von dem Sturz herrühren oder ihm schon vorher zugefügt wurden, kann erst die Obduktion ergeben.« Der Kollege sah auf seine Notizen. »Die Leiche war völlig ausgeraubt.« »Wieso hat man ihn dann so schnell identifiziert?« »Einer der Beamten hat Jörgensen erkannt. Er ist ja erst vor zwei Wochen mit seiner Südtirol-Geschichte im Fernsehen aufgetreten. Man hat ein paar Leute vom Fernsehen kommen lassen, die haben ihn identifiziert.« »Andere Hinweise?« »Keine. Die ganze Meute ist sauer. Die Morgenzeitungen brauchen bald Material.« »Keine Angst. Sie werden sich schon was zusammenschreiben. Ich geh’ mal zu Maurach ’rein.« »Wenn Sie ’reinkommen. Er hat sich gut abgeschirmt.« Lobenstein lachte. Sie warteten einen Augenblick, bis ein Beamter in das Zimmer gehen wollte. Lobenstein hielt ihn zurück. »Geben Sie Herrn Maurach meine Karte.« Er drückte dem Beamten eine Visitenkarte in die Hand. Der wollte sie gleich zurückgeben. »Kriminalrat Maurach ist für niemanden zu sprechen.« »Wenn er nicht in einer Minute die Karte hat, dürften Sie Schwierigkeiten mit Ihrer Karriere bekommen.« Der Beamte sah ihn prüfend an. Lobenstein lächelte. »Geben Sie sie ihm. Es ist besser.« Der Kriminalbeamte kam bald wieder, nickte Lobenstein zu, führte ihn den Gang hinunter und durch die Zimmer wieder zurück in Maurachs Büro. Der Kriminalrat begrüßte ihn freundlich und bat ihn, Platz zu nehmen. »Wenn der Bundeskanzler ermordet worden wäre, könnte es nicht schlimmer sein«, stöhnte er. »Womit habe ich das nur verdient. Wenn ich den Bestien in meinem Vorzimmer nicht bald was zum Fraß vorwerfen kann, zerreißen sie mich morgen in ihren Artikeln.« »Was Neues?« »Nichts. Woher auch. Wir sind froh, daß wir ihn so schnell identifiziert haben. Und ich sage Ihnen, ich hätte drei Tage kein Wort von dem Fall nach außen dringen lassen, wenn nicht die Fernsehleute dabeigewesen wären.« »Was glauben Sie, war es Unfall oder Mord?« »Mit Glauben ist mir nicht geholfen. Glauben ist ein Wort, das ich vor Jahren aus meinem Wortschatz gestrichen habe. Am Fundort gibt es keine Spuren von Gewaltanwendung. Die Leiche weist andererseits so viele Verletzungen auf, daß wir noch nichts Genaues sagen können. Kann alles vom Sturz herrühren, da sind ein Haufen Steine.« »Ist es sicher, daß er von der Brücke gestürzt ist? Kann nicht jemand die Leiche vom Pfad aus in das Gebüsch gelegt haben?« »Nein, ausgeschlossen. Das ist fast das einzige, was wir mit absoluter Sicherheit sagen können.« »Was halten Sie von Selbstmord?« »Und wie soll er dahin gekommen sein? Es ist schließlich ein ganzes Eckchen vor der Stadt. Kein Auto in der Nähe. Zu Fuß? Glauben Sie, daß ein Mann wie Jörgensen so weit zu Fuß geht?« »Ich glaube auch nie etwas«, entgegnete Lobenstein lächelnd. »Ich will Fakten.« »Wir haben sein Auto gesucht. Oder irgendein anderes herumstehendes Auto: Wir wissen ja noch nicht einmal, ob er mit seinem Wagen nach Frankfurt gekommen ist. Auf den nächstgelegenen Parkplätzen war nichts, auch nicht an der Raststätte, und die ist eigentlich schon zu weit entfernt, um bis zur Eilenbergbrücke zu Fuß zu laufen. Wir haben heute nachmittag die ganze Gegend abgesucht. Jemand muß ihn dorthin gefahren haben. Wer? Warum? Warum hat sich noch niemand gemeldet? Die Nachricht von seinem Tod ist inzwischen durch den Rundfunk gekommen. Ich bin fast sicher, daß es weder ein Unfall noch ein Selbstmord war.« »Was geschieht weiter?« »Wir haben München um Amtshilfe gebeten. Und die haben Gott sei Dank alle Bürokratie fallen lassen und gleich angefangen, obwohl das offizielle Gesuch an die bayerische Staatspolizei nicht vor morgen da sein wird.« Maurach steckte sich eine neue Zigarette an. Der Aschenbecher war voller Kippen, der Raum stank nach kaltem Rauch. »Wir wissen noch nichts. Nicht, warum er in Frankfurt war, woran er gerade arbeitete, wenig über seine privaten Verhältnisse. Es ist einfach zu früh. Aber sagen Sie das mal Ihren lieben Kollegen draußen.« Er machte eine Handbewegung auf die Tür zum Vorzimmer und grunzte verächtlich. »Sollen sie morgen alle sein Bild bringen. Vielleicht melden sich Zeugen. Ich glaube nicht an den lieben Gott, aber hier könnte er ruhig mal helfen.« »Die Zeitungen werden den Fall schon groß aufmachen.« Beide lachten. »Ein gefundenes Fressen«, sagte Maurach. »Da könnt ihr euch wieder richtig austoben. Tausend Möglichkeiten für Spekulationen, was?« »Oder mehr. Wann rechnen Sie mit dem Obduktionsbefund?« »Morgen früh. Rufen Sie mich an.« »Das wird unser junger Mann besorgen. Ich will heute noch nach München. Können Sie mich bei Ihren Kollegen avisieren?« Maurach sah ihn an. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. »Wird wenig Sinn haben. Kammhuber persönlich.« »Na, dann gute Nacht.« Maurach grinste. »Ich glaube, er mag Sie nicht besonders.« »Dafür liebt er den Tag.« »Ich denke, er ist überhaupt nicht mehr gut auf die Presse zu sprechen, aber wer ist das schon.« »Und warum sprechen Sie mit mir?« Maurach zuckte mit den Schultern. »Freuen Sie sich, daß Sie nicht wie die anderen im Vorzimmer hocken müssen.« »Ich würde nicht im Vorzimmer hocken, nicht eine halbe Stunde.« »Ach ja, ich vergaß, daß Sie der berühmte Lobenstein sind.« »Doch nicht etwa deshalb?« »Bilden Sie sich nur nicht zuviel ein. Ob Lobenstein oder ein anderer … Doktor Naumann hat mich angerufen und Ihr Verleger auch.« Lobenstein überlegte, woher sich Maurach und Becher kennen mochten. Vielleicht hatte der Verleger Maurach einen Posten versprochen, wenn der eines Tages den Polizeidienst satt haben sollte. Becher besaß nicht nur den Verlag, sondern noch ein halbes Dutzend anderer Betriebe. Hatte nicht neulich jemand erwähnt, in den Becher-Werken sollte eine Art Betriebsschutz aufgebaut werden, wie in anderen Konzernen, eine Betriebswehr? Vielleicht hatte Maurach schon einen Vertrag in der Tasche. »Ich bedanke mich«, sagte Lobenstein. »Ich darf Sie vielleicht wieder anrufen? Aus München.« »Sie dürfen. Viel Spaß mit Kammhuber.« Kurz nach sieben saß Lobenstein wieder im Wagen. Die Zeil, Frankfurts Prachtstraße, war nahezu verödet. Schaufenster und Leuchtreklamen warfen ihr Licht ins Leere. Es war überall das gleiche, eine einzige Fehlkonstruktion, unwirtliche Innenstädte, in denen niemand mehr wohnte, in die morgens der Verkehr brandete, blecherne Heuschreckenschwärme, die nach Büro- oder Ladenschluß wieder aus der Stadt flüchteten. Ihm sollte es recht sein. So erreichte er sein Flugzeug wenigstens. Er hatte sogar noch Zeit, vom Flughafen aus in der Redaktion der Frankfurter Nachrichten anzurufen. Man sagte ihm, Benno Bornig sei schon nachmittags nach Hause gefahren. Lobenstein versuchte es dort. Bornig nahm erst nach dem sechsten Klingeln den Hörer ab. »Hallo, Benno, hast du von Jörgensen gehört?« »Ja. Ich kann es noch gar nicht glauben.« »Du mußt mir helfen. Ich soll eine Serie für die Revue schreiben.« »Du? Das ist doch nicht deine Strecke. Ich denke, du...