E-Book, Deutsch, 700 Seiten
Prokop Der Samenbankraub
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-360-50045-8
Verlag: Das Neue Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
und andere unglaubliche Kriminalgeschichten
E-Book, Deutsch, 700 Seiten
ISBN: 978-3-360-50045-8
Verlag: Das Neue Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gert Prokops Kriminalgeschichten um den Stardetektiv Timothy Truckle, der mit Hilfe seines Computers Napoleon und eines guten Tropfen "Old Finch" ungewöhnliche Kriminalfälle löst, spielen in einer von Bigbossen und der allmächtigen Geheimpolizei kontrollierten kapitalistischen Restwelt.
Sieben außergewöhnlich rätselhafte Verbrechen stellen hier sieben phantastisch spannende Herausforderungen für den sympathischen, zwergenwüchsigen Detektiv dar. Stets sind die Geschichten ein bißchen skurril, arbeiten mit phantastischen Elementen, sind aber auch von bösem Realismus.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Das Orakel von Queens 1. Der Notruf gellte wie eine Sirene durch alle Räume, die Lämpchen über den Türen flackerten rot: Polizei. Timothy stürzte auf den Flur. Der Monitor zeigte einen Mann in Zivil, der im Stakkatotempo seinen Polizei-Coder in den Schlitz des Communicators stopfte und wieder herauszog. Timothy warf einen Morgenmantel über und riß die Tür auf, damit endlich dieses entsetzliche Heulen aufhören sollte, das auch einen Toten hätte wecken können. Der Polizist sah ihn nur kurz an, dann nickte er. »Sie sind Truckle, was? Timothy Truckle. Ich soll Sie sofort zum Commissioner bringen.« »Zu Maroon?« Timothy überlegte krampfhaft, was vorliegen konnte, Momsen Maroon zählte weiß Gott nicht zu seinen Freunden. »Nein, zum Commissioner von Illinois«, sagte der Polizist. »Aber dalli!« Was hatte er beim Chef der Staatspolizei zu suchen? Einen Klienten bestimmt nicht. Timothy grübelte. Irgendwas war mit Mel Saunders gewesen, doch was? Der Polizist ließ ihm keine Zeit, Napoleon zu fragen, er beobachtete argwöhnisch, wie Timothy sich anzog. Timothy mußte froh sein, daß man ihm Zeit für einen Kaffee ließ. »Ich soll Sie nicht verhaften«, erklärte der Polizist, »nur sofort hinbringen, das schließt einen Schluck Kaffee wohl nicht aus. Wenn ich auch einen bekomme.« »Was Sie wollen. Wie ist es mit einem Schnaps?« »Im Dienst nie«, sagte der Polizist und streckte die Hand aus. Timothy gab ihm eine Flasche »Kansas-Bourbon«, die man ihm aus Versehen geliefert hatte; diesen Rachenputzer konnte man nur einer Bullenkehle zumuten. Sie flogen in einem Patrouillencopter, doch nicht zum Hauptquartier in der 37. Straße, sie nahmen Kurs auf eines der Hochhäuser am Südrand der Stadt, und sie landeten nicht auf dem allgemeinen Flugdeck, sondern vor einem Penthaus13 im Stil der Bergbungalows, wie sie um die Jahrhundertwende von ein paar Superreichen auf den Gipfeln der Rocky Mountains errichtet worden waren, bevor diese unbewohnbar wurden. Das Penthaus mußte ein Vermögen gekostet haben, von der Miete für den Standort ganz zu schweigen; oberhalb der absoluten Smoggrenze war jeder Quadratmeter so teuer, daß man ihn mit Gold hätte pflastern können. Woher hatte ein Polizeibeamter soviel Geld? Es war nicht Mel Saunders, der Timothy erwartete, sondern die Bachstelze! Deborrah Johnson trippelte mit geöffneten Armen auf ihn zu, ihr Mund lächelte süß, und ihre Hängebäckchen und das Dreifachkinn wippten. Timothy streckte ihr schnell beide Hände hin, aus Angst, sie könne ihn umarmen und an ihre massigen Brüste drücken. »Herzlich willkommen«, sagte sie. »Wie oft habe ich Sie zu mir eingeladen, Tiny, aber ich muß Sie erst von einem Polizisten kidnappen lassen, damit Sie mich besuchen.« Timothy lächelte verlegen. Es war entschieden zu früh für ein Kompliment, das von der Bachstelze nicht falsch aufgefaßt werden konnte. Er sagte es ihr. »Ich habe Sie nicht zu mir gebeten, damit Sie Süßholz raspeln«, erwiderte sie. »Kommen Sie ’rein. Ich habe Kaffee gemacht, und mein Whisky-Vorrat ist sicher nicht viel schlechter als der Ihre.« »Ich wußte, daß Sie reich sind«, sagte Timothy, »aber ich hatte keine Ahnung, daß Sie so reich sind!« Die Bachstelze führte ihn vor ein Ölgemälde, das Porträt eines arglos lächelnden Mannes mit einer Kolbennase. »Das habe ich alles Big Lyndon B.14 zu verdanken«, erklärte sie. »Wußten Sie nicht, daß er mein Urgroßvater war?« »Das schon, nur – er hat doch so gut wie kein Vermögen gehabt, als er Präsident wurde. So habe ich es zumindest gelernt.« »Ja, als er es wurde!« Die Bachstelze schmunzelte. »Und seine Nachkommen haben das Vermögen fleißig vermehrt. Und ich bin die letzte der Johnsons. Leider. Unser Zweig wird aussterben.« Timothy konnte sich die Bachstelze auch schlecht als Mutter vorstellen. Nicht weil sie schon fast fünfzig zählte, sondern weil sie auf ihrem Weg buchstäblich durch Blut und Schmutz gewatet war; ihr matronenhaftes Äußeres und ihr mütterliches Gehabe waren nur Maske. Timothy hatte von Augenzeugen gehört, wie brutal und grausam die Bachstelze sein konnte, und er fragte sich immer wieder, warum sie gerade ihn so wohlwollend behandelte. »Wollen Sie mir gar nicht zum Commissioner gratulieren, Tiny?« fragte sie. »Natürlich. Entschuldigen Sie bitte, Debby!« Timothy neigte ehrfürchtig den Kopf. »Das nächste Mal, denke ich, werden Sie mich als Gouverneur empfangen. Sie haben das Zeug dazu! Eine stolze und progressiv beschleunigte Karriere: zehn Jahre Polizeipräsident von Chicago, zehn Monate Detektiv-Chief von Illinois, jetzt noch zehn Wochen als –« »Pst!« Die Bachstelze legte mit kokettem Lächeln den Finger auf die Lippen. »Nicht beschreien, Tiny!« »Sind Sie etwa abergläubisch?« »Sie etwa nicht?« fragte die Bachstelze zurück. »Womit wir beim Thema sind. Setzen Sie sich. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Nachher zeige ich Ihnen meine Gemäldesammlung.« Der Kaffee war gut, die Whisky-Auswahl nicht schlechter. Timothy dankte, als die Bachstelze ihm einen »Old Finch« eingießen wollte; auch dafür sei es noch entschieden zu früh. »Es ist fast Mittag«, rief die Bachstelze. »Ich habe Sie neun Stunden schlafen lassen, das dürfte wohl reichen. Oder sind Sie nicht gleich zu Bett gegangen?« »Lassen Sie mich etwa beobachten?« »Ich wollte nur wissen, wann Sie wiederkommen. Ich hatte bei den Bentleys angerufen, dort sagte man mir, Sie seien auf dem Weg nach Chicago.« Sie sah Timothy lauernd an. »Wo waren Sie eigentlich?« Timothy machte unschuldige Augen und breitete die Arme aus. »Sie wissen doch –« »Ja, ja, Ihre berühmte Diskretion. Man kann auch zu diskret sein, Tiny, zu den falschen Leuten und zum falschen Zeitpunkt. Was muß ich bieten, damit Sie mir verraten, wo die Mumie sich aufhält?« »Nicht einmal Sie wissen das?« »Selbst die Macht der NSA endet an den Inneren Reichen der Bigbosse, so heißt es.« Ihr Lächeln verriet, daß sie nicht daran glaubte. »Also, verraten Sie es mir?« »Ich werde darüber nachdenken«, sagte Timothy. »Wenn, dann nicht hier.« »Sie können getrost sprechen«, sagte die Bachstelze, »ich werde nicht abgehört.« »Aber Sie könnten, aus Versehen natürlich, eine Aufzeichnung machen und mich damit in die Hand bekommen, nicht wahr? Ein indiskreter Detektiv ist erpreßbar. Oder erledigt. Ist das alles, was Sie von mir wollten?« »Das war nur eine Frage am Rande. Sie haben sicher vom ›Orakel von Queens‹ gehört, der ›Queen of Queens‹.«15 Timothy hatte keine Ahnung, wovon sie sprach. »Allein in unserer Stadt gibt es Tausende von Wahrsagern aller Schattierungen«, sagte er, »von Handlesern und Kartenschlägern bis zu Kybernetik-Astrologen und Computer-Futurologen; ich interessiere mich, ehrlich gesagt, nicht sehr für Okkultismus.« »Das sollten Sie aber, Tiny, der Okkultismus ist eines der faszinierendsten Phänomene unserer Zeit: Je wissenschaftlicher die Welt, desto abergläubischer die Menschen, ein verblüffendes Paradoxon. Ja, wenn es nur die Underdogs wären, aber es scheint so, daß vor allem die Gebildeten von Jahr zu Jahr mehr dem Okkultismus anhängen.« »In einer Welt, in der alles und jeder von Elektronengehirnen berechnet und erfaßt wird und doch immer wieder das Unvorhergesehene mit elementarer und unberechenbarer Gewalt einbricht, scheint mir das nicht verwunderlich.« »Ja«, sagte die Bachstelze nachdenklich, »der Mensch sucht Gewißheit. Wer ist frei davon?« »Vielleicht ist es eher Wahrheit, was die Leute suchen?« gab Timothy zu bedenken. »Es heißt ja auch ›Wahr‹sager! Vergessen Sie nicht, daß wir in einer Welt des Scheins leben, in der nichts so ist, wie es sich darbietet, und schon gar nicht so, wie es von ihm behauptet wird. Nehmen Sie einen beliebigen Satz, ob nun aus der Werbung oder den Nachrichten oder den offiziellen Verlautbarungen – können Sie, ohne zu zögern, behaupten, daß er stimmt? Gibt es überhaupt noch eine öffentlich zugängige Information, die nicht manipuliert wurde, sei es nun von den Regierungsstellen, den Firmen oder den Interessengruppen? Wohl noch nie haben sich so viele, so hochqualifizierte Leute damit befaßt, die Wahrheit zu verschleiern oder wenigstens zu verdrehen: Die Vergangenheit hat uns eingeholt: ›Mundus vult decipi – ergo decipiatur!‹ Das ist das erste Gebot unseres Jahrhunderts.« Die Bachstelze sah ihn mißtrauisch an. »Ein über zweitausend Jahre alter lateinischer Spruch: ›Die Welt will betrogen sein – also betrügen wir Sie!‹ Wenn ich in den Nachrichten höre, daß heute Dienstag ist, sehe ich erst einmal auf dem Kalender nach, ob es auch stimmt.« »Heute ist Mittwoch«, sagte die Bachstelze lächelnd. »Seien Sie nur vorsichtig mit solchen Äußerungen, Tiny!« »Na, ist doch wahr!« brummte Timothy. »Und jeder weiß das.« »Auch die Verbreitung von wahren und nicht geheimen Informationen kann strafbar sein, wenn sie zum Schaden des Staates geschieht«, zitierte die Bachstelze. »Vielleicht ist das der Grund, warum so viel gelogen wird«, sagte Timothy. »Wer weiß schon, ob eine Wahrheit ihm nicht später einmal als staatsgefährdend angekreidet wird! – Die Verbreitung von unwahren Informationen zum Nutzen des Staates wird aber nicht verfolgt, oder?« Die Bachstelze grinste. »Gibt es ein besseres Mittel gegen zu gutes, also gefährliches Wissen als...