Prisching | Bildungsideologien | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 230 Seiten, eBook

Prisching Bildungsideologien

Ein zeitdiagnostischer Essay an der Schwelle zur Wissensgesellschaft
1. Auflage 2008
ISBN: 978-3-531-91019-2
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark

Ein zeitdiagnostischer Essay an der Schwelle zur Wissensgesellschaft

E-Book, Deutsch, 230 Seiten, eBook

ISBN: 978-3-531-91019-2
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark



An der Schwelle zur Wissensgesellschaft intensiviert sich die Diskussion darüber, was Bildung, Ausbildung, Qualifikation oder Wissen überhaupt sei. Einzelne Aspekte der Bildung werden in aller Einseitigkeit als Heilslehren angeboten, und in ihrer Borniertheit und Verzerrtheit werden sie zur Bildungsideologien. Die Studie analysiert diese Modelle vor dem Hintergrund zeitdiagnostischer Interpretationen der Zweiten Moderne.

Dr. Manfred Prisching ist Professor für Soziologie an der Universität Graz.

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1;Inhaltsverzeichnis;5
2;1 Einleitung;7
2.1;1.1 Bildungsparadigmen, Zeitdiagnostik und Ideologie;8
2.2;1.2 Die obsoleten Bildungs-Bilder;11
3;2 Das Lagerhausmodell;15
3.1;2.1 Die Enzyklopädie und das Wissen;18
3.2;2.2 Hirnbewirtschaftung und Neugierweckung;20
3.3;2.3 Das Repertoire der Qualifikationen;22
3.4;2.4 Von den Qualifikationen zur Bildung;29
3.5;2.5 Von der Informationssammlung zum Denkprozess;30
4;3 Das Datenbankmanagement-Modell;35
4.1;3.1 Die Geschichte der Übertreibungen;36
4.2;3.2 Algorithmen der Informationsbeschaffung;38
4.3;3.3 Die Welt an den Fingerspitzen;40
4.4;3.4 Unmöglichkeit des Lernens ohne Lernen;44
4.5;3.5 Bildung als Veränderung des Menschen;45
4.6;3.6 Die Fülle der Wissenskompetenzen;46
4.7;3.7 Wissensqualitäten;48
4.8;3.8 Die Industrialisierung der Bildung;51
4.9;3.9 Maschinelle Bildungsbeschleunigung;53
5;4 Das alltagspragmatische Modell;56
5.1;4.1 Schule als universale Sozialisationsinstanz;57
5.2;4.2 Schule als Identitätsbildungsinstanz;65
5.3;4.3 Die Vielfalt der Intelligenzen;67
5.4;4.4 Alltag, Praxis, Technik;70
5.5;4.5 Der Hang zum Therapeutischen;74
5.6;4.6 Der Kampf gegen die schulische Normalität;77
5.7;4.7 Die Praxis des Projektismus;79
6;5 Das Erlebnismodell;82
6.1;5.1 Individualisierungs-Übertreibungen;83
6.2;5.2 Der sensationalistische Bildungsprozess;85
6.3;5.3 Das Steigerungsspiel der Sensationen;89
6.4;5.4 Didaktik als Erlebnislehre;93
6.5;5.5 Das Aufmerksamkeitsdesaster;96
7;6 Das Geschwindigkeitsmodell;101
7.1;6.1 Zeitlichkeit, Zeitverlust und Zeitmanagement;103
7.2;6.2 Fraktale Zeit und Entschleunigungsideologien;107
7.3;6.3 Dromologische Theorie der Bildung;109
7.4;6.4 Turbo-Studien für den Arbeitsmarkt;113
8;7 Das Arbeitsmarktmodell;117
8.1;7.1 Pädagogische Ideologie der wissensbasierten Gesellschaft;118
8.2;7.2 Bildungsexpansionismus und Karriere;123
8.3;7.3 Die Identifizierung von Bildung und Nützlichkeit;125
8.4;7.4 Konformismus unter dem Etikett der Individualisierung;134
8.5;7.5 Die Rentabilität von Bildung;137
9;8 Das Zertifikatsmodell;140
9.1;8.1 Das Spiel um die Verschönerung der Statistik;141
9.2;8.2 Die Falle der positionellen Güter;144
9.3;8.3 Bildung als Wettbewerb der Signale;146
10;9 Das Managementmodell;149
10.1;9.1 Industrialisierung der Wissensproduktion;150
10.2;9.2 Neue Wissensinterpretationen;155
10.3;9.3 Der Code Geld und seine Wirkungen;159
10.4;9.4 Die Neuerung der institutionellen Arrangements;164
10.5;9.5 Das Evaluierungsspiel;170
11;10 Das bürgerlich-abendländische Modell;181
11.1;10.1 Zwischen Abendland-Nostalgie und Fortschritts-Enthusiasmus;182
11.2;10.2 Bildungsinstitutionen und ihre Schleusenfunktionen;184
11.3;10.3 Bildung als individualisiertes Patchwork;186
11.4;10.4 Fast food und die Veränderung des Menschen;188
11.5;10.5 Von der Toleranz zur Indifferenz;193
11.6;10.6 Die Breite der Bildung;195
11.7;10.7 Multidimensionale Bildung;199
11.8;10.8 Naturwissenschaft als Bildung;202
12;11 Schlussbemerkungen;208
12.1;11.1 Kurzer Rückblick auf die Bildungsideologien der letzten Jahre;209
12.2;11.2 Das Bildungssystem an der Jahrhundertwende;214
12.3;11.3 Semantische Weltgestaltung;218
12.4;11.4 Eine Synthese;220
12.5;11.5 Eine Definition;222

Das Lagerhausmodell.- Das Datenbankmanagement-Modell.- Das alltagspragmatische Modell.- Das Erlebnismodell.- Das Geschwindigkeitsmodell.- Das Arbeitsmarktmodell.- Das Zertifikatsmodell.- Das Managementmodell.- Das bürgerlich-abendländische Modell.- Schlussbemerkungen.- Erratum.


8 Das Zertifikatsmodell (S. 143-144)

Wie erkennt man Bildung? Gebildete Menschen verfügen über ein symbolisches Kapital, welches gewährleistet, dass jene Signale ausgesendet werden, an denen man einander erkennt. Diese Signale richten sich gegen Trivialität, Impertinenz, Kitsch, Sensation, Geschmacklosigkeit, Oberflächlichkeit, Zeitgeistigkeit. Aber das sind die subtilen Ebenen (und natürlich haben wir hier auf den traditionellen Bildungsbegriff zurückgegriffen), weniger subtil sind Zertifikate, die in der Sicht vieler als zuverlässige Indikatoren für Bildung gelten: Bildungsabschlüsse, die zu weitergehenden Bildungsgängen, zur Einreihung in feste Posten- oder Einkommenskategorien oder zur Ausübung bestimmter Berufe berechtigen. In obrigkeitlichen Gesellschaften wie in Österreich oder Deutschland stellt das traditionelle Beamtenschema auch ein Bewertungsschema bereit, welches Zertifikate mit Positionen, Titel und Karrieren koppelt. Wenn einer einen „Doktor" hat, dann weiß man, woran man ist oder glaubt es jedenfalls zu wissen.

In einer zur Zweckorientiertheit zurechtgestutzten Bildung ist der Erwerb von „Zertifikaten" essentiell, und es gibt tatsächlich eine entsprechende Korrelation. Auf diese Welt von zertifikatsvermittelten Optionen zielt auch die Bildungsnachfrage jener, die, ungebildet, wie sie sind, mit einem „Berechtigungsschein" alles erlangt zu haben glauben, worum es im Bildungsgeschehen geht. Ein „Schein" muss her: etwa ein Abitur- oder Maturazeugnis irgendeiner Art. Tatsächlich werden diese Abschlüsse in den empirischen Untersuchungen als Indikatoren verwendet, und die Daten belegen, dass man sich mit höheren Abschlüssen allemal besser stellt.

Das haben die Eltern begriffen: Was die hoffnungsvolle Nachkommenschaft tatsächlich kann, ist weitgehend irrelevant, der „Schein" verleiht die wesentlichen Berechtigungen. Deshalb intervenieren sie, um die Schwelle von der Grundschule zum Gymnasium zu überschreiten, sie üben Druck aus, um die Barrieren der einzelnen Schulklassen zu überwinden, sie zahlen Nachhilfestunden, um die Unfähigkeit von LehrerInnen oder den Widerwillen der Kinder zu kompensieren, und sie tun alles, um das Abitur oder die Matura zu bewältigen. Aber der „Schein" ist oft nur Schein. Einzelne Hürden mögen überwunden werden, das Scheitern kommt hinterdrein. Zertifikate mögen in einer gewissen losen Korrelation zum Bildungsniveau stehen, sehr viel mehr ist es nicht. Somit gehört zur Durchsetzung der Zertifikatsberechtigung für alle auch ein gehöriges Repertoire an Heuchelei.

8.1 Das Spiel um die Verschönerung der Statistik

In einer Gesellschaft, die nur auf Quantitäten und Steigerungen orientiert ist, sind äußere Indikatoren wie jene von den Bildungsabschlüssen angeblich Indiz für das Gelingen einer „Wissensgesellschaft". Je mehr Abschlüsse, desto mehr Wissen. Je mehr Wissen, desto besser für das Sozialprodukt. In der Wissensgesellschaft ist Zertifikatslosigkeit eine Anomalie. Anomalien können nicht geduldet werden. Fortgeschrittene Länder wie Deutschland und Österreich sind Anomalien, denn sie produzieren eine qualifizierte Arbeitskraft zu schnell, ohne quasi-akademischen Abschluss. Die Arbeitskräfte dürften nicht so gut sein, wie sie sind: gelingender Output mit zu wenig Input. Die Kritik der OECD richtet sich auf den Mangel an Input. Um bildungspolitisches Lob einzuheimsen, gilt es deshalb, fürderhin denselben beruflichen Output mit wesentlich steigendem akademischen Input zu erzielen. „Bologna" heißt deshalb auch: konsequente Akademisierung in allen Lebensbereichen, auch in Nischen wie etwa den mit einem Bachelor-Abschluss ausgestatteten „Outdoor-Trainer und –Manager".


Dr. Manfred Prisching ist Professor für Soziologie an der Universität Graz.



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