E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Prinz Die letzten Tage
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-99027-316-6
Verlag: Jung u. Jung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-99027-316-6
Verlag: Jung u. Jung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
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Null
Schwarz auf weiß steht dein Urteil auf dem Papier. Du bist weggelaufen. Du hast dein Urteil nicht losgelassen, hast es in deine Tasche gesteckt, als wärst du nur dann davor sicher. So nah wie möglich hast du es bei dir getragen.
*
Antrag auf Zustellung einer Urteilsausfertigung: Er sei vom Volksgerichtshof Wien am 24.5.1947 zum Tode durch den Strang verurteilt worden. Da er beim Obersten Gerichtshof einen Antrag zur Überprüfung des Urteils zu stellen beabsichtige, beantrage er die Zustellung einer Urteilsausfertigung.
Antrag auf Aussetzung des Vollzuges der Strafe: Er beabsichtige, sowohl beim Obersten Gerichtshof einen Antrag auf Überprüfung zu beantragen als auch ein Gnadengesuch an den Herrn Bundespräsidenten einzubringen. Er stelle daher den Antrag, den Vollzug der Strafe auszusetzen.
*
Wie eine Gletscherzunge scheint der Nadelwald die Wiese herunterzurollen. Tiefgrün und eng die Bäume. Auf den ersten Blick stehen sie derart dicht, als ragten sie aus dem Dach des Hauses hervor, das sich darunter duckt. Eine schmale Straße führt den Hang hinauf, rechts zwei kurze Quergassen, links eine.
Auf dem Foto von damals ist die Wiese über dem gesamten Geländerücken frei. Die Baracken des RAD-Lagers (Reichsarbeitsdienst), von weitem unverkennbar. Wie zur schönen Aussicht liegen Terrassen zwischen den immer steiler werdenden Hangstufen.
Ein Hund bellt. Männer vor einer der Hauseinfahrten in Forstarbeitermonturen. Ein Haus weiter die unvermeidliche Warntafel: Achtung vor dem freilaufenden Hund! Eine Motorsäge wird gestartet. Die schmale Straße, so heißt es, werde heute noch RAD-Gasse genannt. Oder Radgasse.
Auf der alten Aufnahme ist das Landhaus hinter den Bäumen die Essensbaracke. Das gelbe und das giftgrüne Haus links und rechts der Radgasse dienten als Baracke von Schreib- und Wachstube, Mannschafts- und Arrestraum.
*
Er sei von Beruf Bäckergehilfe gewesen, bevor ihn ein besonders unglückliches Schicksal mit der Politik der nationalsozialistischen Partei bekannt gemacht habe. Seine Schulbildung und seine Intelligenz seien nicht so groß gewesen, um die Frage zu lösen, ob der Gauleiter das Recht hatte, ein solches Standgericht einzusetzen beziehungsweise ihm als Kreisleiter die Befugnisse zur Bildung eines Standgerichts zu übertragen.
Er selbst hätte niemals irgendein Standgericht errichtet. Seine ganze Person sei niemals auf Gewalttätigkeit aufgebaut gewesen. Er verweise diesbezüglich auf die zutreffenden Ausführungen des Urteils, in welchen dargelegt werde, dass er im Allgemeinen ein sehr trauriges Los sein ganzes Leben hindurch gehabt hätte.
So stelle er das Gesuch, es möge der hochverehrte Herr Bundespräsident (Dr. Karl Renner) seine Bitte um Begnadigung und Umwandlung der Todesstrafe in eine Freiheitsstrafe gnädigst bewilligen.
Wien, am 26. Jänner 1948, Johann Braun
(NS-Kreisleiter Neunkirchen)
*
Du bist ein halbes Kind. Sie haben dich nicht durchsucht. Sie haben dich aufgegriffen und in der Arrestbaracke eingesperrt. Sie haben deine Angst gesehen, sie mussten dich nicht durchsuchen. Dich und deine Angst. Sie war das Einzige, das dir geblieben ist. Die Angst, nicht dein Name. Den konntest du den Männern des Standgerichts nicht sagen, die dich einen Soldaten nannten. Nur, aus welchem Ort du stammst. Erst dann haben sie dich durchsucht. Dich und die Angst, die dir ins Gesicht geschrieben stand. Seit Tagen hast du sie mit dir herumgetragen. Aufbewahrt wie einen Ausweis, so lag sie als Urteil in deiner Jackentasche, als wäre es ein Pass, der dich über alle Grenzen bringt.
Gericht der 12. Flakdivision, Ortsunterkunft, mit einem gut eine Woche zurückliegenden Datum stand dein Name darauf: Roman Kneissl wurde wegen mehrmaliger Fahnenflucht zum Tode verurteilt.
Du hättest das Papier verstecken können, auf dem alles stand. Du konntest es nicht. Du hast die ganze Nacht geweint, du hast vor den Männern des Standgerichts geweint. Und sie haben dich verurteilt, dich und deine Angst.
*
Als siebzigjährige Mutter des am 24. Mai 1947 durch das Volksgericht Wien zum Tode verurteilten Josef Weninger (SA-Standartenführer und Kreisstabsführer des Volkssturms) erlaube sie sich, an ihn als Bundespräsidenten mit der Bitte heranzutreten, ihrem Sohn im Gnadenwege die Todesstrafe zu erlassen.
Abgesehen davon, dass ihr Sohn schon im durchgeführten Volksgerichtsverfahren immer bestritten habe, dass er als Komplottant des Kreisleiters Braun tätig gewesen sei, sondern nur als SA-Standartenführer von Braun für das Standgericht als Beisitzer befohlen wurde, sei die Einstellung ihres Sohnes als Bürgermeister von Neunkirchen während der Zeit von 1938 bis 1945 und als Standartenführer der SA-Standarte derart gewesen, dass von einer fanatischen nationalsozialistischen Gesinnung kaum gesprochen werden könne.
Ihr Sohn habe im Jahre 1938 keinen Erfassungsantrag bei der Partei gestellt, so dass er in der Reichskartei der NSDAP als Parteigenosse nicht aufscheine. Dies allein beweise schon, dass er nur bei der SA gewesen sei, weil er immer schon großes Interesse für Sport gehabt habe und sich als Sportler und Soldat fühle, nicht jedoch als fanatischer Nationalsozialist.
Ihr Sohn beabsichtige beim Obersten Gerichtshof gesondert die Überprüfung des Urteiles zu beantragen, weil das Beweisverfahren in keiner Richtung Anhaltspunkte dafür liefere, dass er im bewussten Zusammenhang mit dem Kreisleiter Braun und dem HJ-Führer Wallner die Fällung und Vollstreckung von Todesurteilen in sogenannten Standgerichten vorgenommen habe.
Ihr Sohn habe während des gesamten Beweisverfahrens vor dem Volksgericht behauptet, dass nur vom Kreisleiter Braun selbständig und mit Umgehung der Beisitzer Wallner und ihres Sohnes die Todesurteile gefällt wurden. Dies habe auch der Angeklagte Wallner bestätigt.
Hochverehrter Herr Bundespräsident! Machen Sie von Ihrem schönsten und zugleich schwersten Rechte Gebrauch, das die Verfassung Ihnen als Bundespräsident einräumt, begnadigen Sie meinen Sohn, schenken Sie einer gramgebeugten Mutter das Leben ihres Sohnes und schenken Sie mir selbst durch diesen Gnadenakt mein weiteres Leben.
In Ergebenheit, Therese Weninger
*
Du seist noch ein halbes Kind gewesen und habest ihm ungefähr bis zur Achsel gereicht, sagte Braun. Und dass du geweint habest, um dein Leben gebettelt. Und dass du vielleicht freigegangen wärst, wenn der HJ-Gebietsführer für Niederdonau an dem Tag nicht anwesend gewesen wäre. Der Gebietsführer habe dich selbst anhören wollen und daraufhin gemeint, du gehörest zusätzlich noch gehängt. Der HJ-Gebietsführer Kracker-Semmler sei verantwortlich, nicht er als Kreisleiter, und auch sonst niemand vom Standgericht, das dich zum Tod durch Erschießen verurteilt hat. Eine andere Möglichkeit, sagte Braun vor dem Vorsitzenden des Volksgerichtssenats, habe es nicht gegeben. Du seist ein Opfer des Krieges geworden, sagte er auf die Frage, ob es ihn in stillen Stunden nicht bedrücke, ein Kind zum Tod verurteilt zu haben. Ein Opfer des Krieges. So wie er sich selbst auch sehe.
Man habe sich lediglich gewundert, warum du das Papier deiner vorausgegangenen Verurteilung immer noch bei dir hattest, sagte HJ-Oberbannführer Wallner. Es sei ihm klar gewesen, dass du nichts weiter anstellen würdest und nur am Weg nach Hause wärst. Man habe ja noch nachgeschaut, ob nicht irgendein Vermerk auf dem Papier stehe, dass man dich nicht doch auf freien Fuß gesetzt hätte. So wenig wahrscheinlich sei es ihnen als Standgericht erschienen, dass einer mit seinem eigenen Urteil herumgehe, ohne es auch nur im geringsten zu verstecken. Man habe es sich nur damit erklären können, dass du dir vielleicht einen Vorteil beim Überschreiten der feindlichen Linien verschaffen wolltest. Was dem Vorsitzenden des über Braun, Weninger und Wallner tagenden Volksgerichtssenats jedoch keineswegs einleuchtete, da einer, der als fahnenflüchtiger Flakhelfer die eigenen, rundum massierten Truppen passieren müsse, ein Todesurteil wohl kaum zu seinem eigenen Vorteil mit sich herumtrage.
*
An den sichtbarsten Plätzen wurden die Leichen der nach ihrer Verurteilung Erschossenen aufgehängt. Einer an der Linde vor dem Gasthof, ein anderer vor dem Sägewerk und Kneissl direkt auf dem Wegweiserschild an der Hauptstraße. Eine Tafel um den Hals gebunden, die von den HJ-Burschen des Exekutionskommandos mit der Aufschrift Ich war ein fahnenflüchtiges Schwein versehen wurde.
Der letzte zum Tod Verurteilte wurde der Spionage für die Russen bezichtigt, er wurde durch Erhängen ums Leben gebracht. Dazu montierten die Hitlerjungen auf dem A-Masten vor der Post einen Querbalken, führten den Verurteilten denen, die sich in der Zwischenzeit auf dem Platz versammelt hatten, vor, ließen ihn auf einen Hocker steigen und legten ihm die Schlinge um den Hals. Er durfte einen Gruß an Frau und Kinder sagen, dann wurde der Hocker unter seinen Füßen weggezogen. Nach Minuten des Krampfens und Zuckens musste der Mann erschossen werden, da der Hocker zu niedrig oder sein Körper zu leicht gewesen war. Als er endlich tot war, hängten sie ihn wieder auf und befestigten mit einer Nadel an seinen Lippen eine Tafel mit den Worten Ich war ein Schwein und habe den Russen Spionagedienste geleistet.
Tagelang blieben die Leichen hängen. Dort, wo sie...




