E-Book, Deutsch, Band 5, 150 Seiten
Preisler Net Force. Im Auge der Drohne
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-641-26925-8
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 5, 150 Seiten
Reihe: Special Unit Cyberterrorismus
ISBN: 978-3-641-26925-8
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
München. Ein renommierter IT-Spezialist kommt zu Tode, seine Tochter verschwindet unter mysteriösen Umständen. Die Hackerin Kali Alcazar will wissen, warum. Immer tiefer dringt sie in gefährliche Gefilde vor, als sie realisiert, dass sie selbst observiert wird: eine seltene, hochentwickelte Drohne folgt ihr überallhin.
Denn das Geheimnis, dem sie auf der Spur ist, hat das Potenzial, die Welt in ihren Grundfesten zu erschüttern. Eine Gruppe von Kopfgeldjägern macht gnadenlos Jagd auf Kali, und sie sind nicht die einzigen: Mike Carmody und sein Eliteteam der CIA sind ihr ebenfalls auf den Fersen.
Jerome Preisler ist der Autor von Tom Clancys New York Times-Bestsellerreihe 'Power Play'. Er hat bisher mehr als dreißig Bücher veröffentlicht und als Experte für Militärgeschichte zahlreiche Vorträge an Schulen, in Museen und Militärstützpunkten gehalten. Preisler lebt in New York.
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I
München, Deutschland
Mai 2023
Kali Alcazar blickte kurz zum Himmel, als sie zu ihrem Motorrad zurückging, wobei sie sorgfältig darauf achtete, nicht zu erkennen zu geben, dass sie das Objekt bemerkt hatte, das sich am Himmel bewegte. Ein schwarzer, stecknadelkopfgroßer Punkt, der sich kaum sichtbar vor dem blauen Himmel abzeichnete. Er war ihr von ihrem Airbnb-Apartment in der Ruppertstraße gefolgt und hatte sie auch noch weiter begleitet, nachdem sie ihr Bike am Sendlinger Tor geparkt hatte, dem südlichen Stadttor der historischen Münchener Altstadt.
Sie hatte das Objekt vor drei Tagen zum ersten Mal bemerkt.
Kali senkte sofort wieder den Blick und überquerte den Platz, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Ihr dunkles Haar mit den violetten Strähnen war lose über dem Nacken zusammengebunden. Sie trug eng anliegende schwarze Biker-Lederbekleidung, einen roten Biker-Schlauchschal, einen gerippten Pullover unter der Lederjacke und Leder-Schnürstiefeletten. Ein Bluetooth-Helm hing an ihrem Ultraleicht-Nylonrucksack, den sie über eine Schulter gehängt hatte. In ihrer Einkaufstasche lag ein frisch gebackenes, noch warmes Krustenbrot aus einer Bäckerei am Platz.
Im Rucksack befanden sich ihr Laptop, ihr Tablet und zwei Postpakete – ein sehr kleines und ein mittelgroßes; ferner ragte eine dreißig Zentimeter lange rohrförmige Versandhülse aus dem Rucksack hervor. Mit einer Alias-Kreditkarte und einem Käuferkonto auf denselben Namen hatte sie die Käufe online getätigt, die Pakete durch einen Postweiterleitungsdienst im Fürstentum Liechtenstein über Nacht liefern lassen und sie kurz zuvor vom Postamt am Bahnhofsplatz abgeholt.
Es war kurz nach acht Uhr an einem frischen, sonnigen Frühlingsmorgen. Nur wenige Frühaufsteher schlenderten an diesem Samstagmorgen über das Kopfsteinpflaster des breiten Platzes. Auch auf den am Platz vorbeiführenden Straßen herrschte um diese Zeit nur geringer Verkehr. In der leichten Brise konnte Kali den Duft der Bäckerei riechen, in der sie das Holzofenbrot gekauft hatte.
Sie genoss den Duft, als sie unter dem verwitterten Backsteintor hindurchging.
Ihr Bike stand in einer Reihe von ansonst leeren, markierten Parkflächen, eine schlanke Ducati Diavel Carbon mit rotem Chassis, schwarzer Gabel, schwarzem Sitz, schwarzen Kotflügeln und rotem Glasfibertank – die in der Welt der Motorradfans heißgeliebte Version Baujahr 2014, die einfach nur Teufel genannt wurde, hier allerdings in der Zusatz-Ausstattung mit dem Ducati Quick Shift, der das Einlegen der Gänge ohne Betätigung der Kupplung und somit eine schnellere Beschleunigung ermöglichte. Als Kali bei ihrem Bike ankam, zog sie ihr Smartphone aus der Tasche am Oberarm, die mit kaum sichtbarem Reißverschluss versehen und innen mit einer mikrodünnen Aluminiumlegierung ausgekleidet war, um GPS-Tracker zu blocken. Eine einfache, von ihr selbst entwickelte App nutzte die Near-Field-Antenne und den Magnetometer des Mobiltelefons, um aktive Wanzen aufzuspüren, die während ihrer Abwesenheit möglicherweise am Chassis des Bikes angebracht worden waren.
Sie blieb fast eine Minute lang neben dem Bike stehen, als wollte sie nur kurz ihre E-Mails auf dem Telefon abrufen. Als die elektromagnetischen Emissionen nichts Ungewöhnliches anzeigten, schob sie das Phone wieder in die Oberarmtasche, verstaute die Einkaufstüte und das Brot in der Satteltasche, setzte den Helm auf und stieg auf das Bike. Sie stand aufrecht, das Bike zwischen den Schenkeln, und drückte auf den Schalter an der rechten Lenkerseite, um die LED-Anzeigen und anderen Bordsysteme zu aktivieren. Dann kickte sie den Seitenständer zurück, drückte den Schalter herab, um den Startknopf freizulegen, und hielt diesen für zwei oder drei Sekunden gedrückt.
Die Dukati schüttelte sich wie eine Wildkatze, die aus dem Schlaf erwacht. Auf der Lindwurmstraße waren keine Autos zu sehen; Kali gab ein wenig mehr Gas als nötig, jagte in westlicher Richtung auf die breite Alleenstraße hinaus und ließ das Sendlinger Tor und die Altstadt hinter sich zurück.
Sie glitt schnell am Südeingang des Nussbaumparks vorbei, einem öffentlichen grünen Park, der teilweise noch immer im langen Schatten der St. Matthäuskirche lag. Auf den großen Rasenflächen wurden gerade Stände, Buden, Zelte und überdachte Tische für eine Wochenendausstellung aufgebaut. Ein großes, handgemaltes Banner, das quer über den Eingang gespannt war, verkündete:
Mini-Selbermacher-Messe München
6.-7. Mai
Kali warf einen Blick über die Schulter zurück auf die Ecke der Ziemssenstraße, einer Querstraße, die an der Westseite des Parks vorbeiführte. Dort waren die Aussteller dabei, ihre auf den Stellplätzen geparkten Vans und Transporter zu entladen.
In den Jahren zuvor war sie meist frühzeitig zur Messe gekommen, um mit den Tüftlern und Erfindern zu reden, in den vielen Retro Games und selbstgemachten Videospielen zu stöbern, die auf den Tischen hoch aufgestapelt waren, und vielleicht auch den einen oder anderen alten Freund wieder mal zu treffen. Doch jetzt war sie aus anderen Gründen in München. Zu diesen Gründen zählte auch der Tod ihres alten Freunds Eric Bergmann und – kurz danach – das spurlose Verschwinden seiner Stieftochter Munsey.
Sie gab Gas, um noch vor Rot über eine Kreuzung zu kommen.
Ein kurzes Stück weiter unten in der Ziemssenstraße erbebte ein auf einer Parkfläche schräg geparkter weißer Lieferwagen, als die Ducati vorbeiröhrte. Er stand unter einer Reihe schattiger Bäume direkt neben den Transportern der Aussteller, aber seine Türen und die Heckklappe waren geschlossen. Es war ein völlig neutraler Kastenwagen, ohne Fenster im Laderaum und ohne Firmenaufschrift.
Drei Männer saßen darin, zwei im hinteren Teil, hinter einer dünnen Metalltrennwand mit offenem Durchgang zur Fahrerkabine. Dort saß der dritte Mann; er hielt einen Becher mit schwarzem Kaffee in der Hand und schmatzte genießerisch. Gerade hatte er sein zweites Schokocroissant an diesem Morgen verzehrt.
»Noch nie bessere gegessen«, erklärte er den beiden anderen, während er sich nach dem Motorenlärm umschaute und gerade noch einen Blick auf die Ducati erhaschte. »Wie der Kuss eines Engels.«
Seine beiden Kollegen im Laderaum waren zu sehr beschäftigt, um auf sein Geplauder einzugehen. Mike Carmody war ein großer, muskulöser Mann mit breitem Brustkorb, kurzem blondem Bürstenhaarschnitt und unauffälligen Gesichtszügen. Er trug ein langärmeliges olivgrünes T-Shirt, eine schwarze Chinohose und eine SIG Sauer P226-Pistole Kaliber 9mm in einem Holster. Rechts und links neben dem Schlüsselbein ragten die oberen Ränder von Tätowierungen hervor, die man, wären sie vollständig sichtbar gewesen, als äußerst präzise ausgeführte Längen- und Breitengrad-Koordinaten erkannt hätte. Die Daten auf der rechten Seite gaben die Koordinaten der Chephren- und der Menkaure-Pyramiden an, die auf der linken Seite die der Cheops-Pyramide, die sich in der Nähe der Großen Sphinx von Gizeh befand. Die Tätowierungen gehörten zu einem Körper-Gesamtkunstwerk, das vermutlich eine Geschichte erzählte, welche Carmody allerdings noch niemandem in voller Länge erzählt hatte.
Der andere Mann hinten im Transporter hieß Dixon, war dunkelhaarig und sogar noch etwas muskulöser als Carmody, aber ähnlich gut durchtrainiert. Er trug ein weißes T-Shirt und Levis und hatte eine Virtual-Reality-Brille aufgesetzt. An einer Halskette hing ein großes goldenes Medaillon, auf dem das Special-Warfare-Logo der U.S. Navy SEALs, ein Adler mit einem Dreizack in den Klauen, eingraviert war.
Beide Männer saßen vor einer Workstation, die sich über die gesamte Seitenwand erstreckte. An der Wand über ihren Computerkonsolen waren mehrere Flachbild-Monitore installiert. Einer der Screens zeigte die Videoaufnahmen, die von der Drohne zunächst zu einem Satelliten in der Erdumlaufbahn gesendet wurden, der sie zu einer haifischflossenförmigen Antenne auf dem Dach des Transporters zurückwarf.
Die VR-kompatible Kamera der Drohne folgte der Frau, die auf ihrer Ducati die Lindwurmstraße entlangröhrte.
»Was meinst du, hat sie unseren Vogel bemerkt?«, fragte Dixon, der sie durch seine VR-Brille beobachtete.
Carmody studierte dasselbe Bild auf seinem Monitor, das er allerdings zweidimensional eingestellt hatte. Er hatte heterochromatische Augen – ein Auge war dunkelbraun, das andere ein helles Haselnussbraun mit feinen gelbbraunen Linien, die von der Pupille ausstrahlten. Das hellbraune Auge ermüdete recht schnell.
»Möglich«, meinte er nach kurzem Zögern.
»Bauchgefühl?«
»Unser Mädchen hat jedenfalls einen guten Brotgeschmack.«
»Sie sollte mal die Croissants probieren«, warf der Mann in der Fahrerkabine ein, der Schultz hieß.
»Und warum ist es wichtig, welches Brot sie mag?«, erkundigte sich Dixon.
»Das ist jetzt vielleicht nicht wichtig«, antwortete Carmody, »könnte aber irgendwann wichtig werden.«
Dixon ließ sich das durch den Kopf gehen. Sein Teamleader war nicht dafür bekannt, dass er unnützes Zeug redete.
»Ich glaube, sie hat etwas bemerkt«, sagte er, womit er wieder zu seiner ersten Frage zurückkehrte. »Kurz bevor sie auf das Bike stieg.«
Carmody erwiderte nichts darauf. Der Hexacopter war ihnen für diese Mission vom Bundesamt für Verfassungsschutz zur Verfügung gestellt...