E-Book, Deutsch, Band 3, 272 Seiten
Reihe: Armin Trost
Preis Die Geister von Graz
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-86358-616-4
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 3, 272 Seiten
Reihe: Armin Trost
ISBN: 978-3-86358-616-4
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Als in Graz Menschen spurlos verschwinden und Leichenteile auftauchen, wird Armin Trost aus seiner beruflichen Auszeit reaktiviert. Zusammen mit seinen Kollegen Schulmeiser und Lemberg macht er Jagd auf einen wahnsinnigen Serienkiller. Dabei wird der Druck der Medien von Tag zu Tag stärker, der öffentliche Hass auf Ausländer, die mit den Taten in Verbindung gebracht werden, steigt. Schließlich führen ihn seine Ermittlungen auf den Balkan doch bis zur Lösung des Falls hat Trost nicht nur einmal mit dem Leben abgeschlossen.
Autoren/Hrsg.
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1 Jänner 2014, Graz Hin und wieder scheint es fast so, als folge der Zufall einem großen unerschütterlichen Plan. Fast so, als wäre die Wirklichkeit nichts anderes als eine konstruierte, frei erfundene Geschichte. Da war zum Beispiel die von einem Treppensturz verletzte Schulter, welche die Frau hinaus in die Kälte trieb, da das Spazierengehen ihre Schmerzen linderte. Seite an Seite mit ihrem Ehemann – den gesunden Arm in seinen untergehakt, den Kopf wegen einer Platzwunde weiß verbunden – schlenderte sie die Baiernstraße entlang, jenen mäanderförmigen Asphaltkanal am Fuße des Bergrückens, der den Westen der Stadt Graz umschloss. Hier waren die Gehsteige zuweilen so schmal, dass entgegenkommende Fußgänger auf die Straße ausweichen mussten, die ihrerseits stellenweise nur einspurig war. Die Gartenzäune der Häuser, durchweg Villen aus dem 19. Jahrhundert, standen oft direkt neben dem Asphalt. Der Nebel, der in Graz vor allem während der dunklen Jännerwochen oft gezwungen war, bis in die Mittagsstunden zu verweilen, verlieh der Luft einen feuchten Geschmack, die Straßen schimmerten spiegelglatt. Die Menschen, die sich an diesem Ort zu dieser Zeit ins Freie wagten, gingen meist geduckt, ihr Atem stieg in kleinen Wölkchen von den Gesichtern empor. Die Umstände ließen den gemeinen Grazer auf das Zu-Fuß-Gehen verzichten. Stattdessen fuhr er auch kürzeste Distanzen mit dem Auto oder schimpfte auf die öffentlichen Verkehrsbetriebe, »die eine grottenschlechte Verbindung« boten. Zudem schimpfte er natürlich auf die Politik, die nichts gegen die in verlässlicher Regelmäßigkeit überschrittenen Feinstaubgrenzwerte in der Stadt unternahm. Dennoch war in den Medien nie von »Smog« die Rede. »Smog« war woanders – und noch eine Spur schlimmer. Ganz sicher nicht in Graz. Doch durch die diesige Baiernstraße irrten nicht nur die lädierte Frau und ihr Ehemann, sondern noch eine weitere Person, die plötzlich aus den Nebelschwaden auftauchte. Direkt hinter dem Schloss Eggenberg – UNESCO-Weltkulturerbe und Anziehungspunkt für in Bussen herangekarrte Touristen – schälte sich die in ein weißes Nachthemd gehüllte Gestalt in gebückter Haltung aus der milchigen Dunstglocke wie ein Bühneneffekt. Über das Nachthemd hatte sie sich einen Umhang geworfen, das lange feuchte Haar verdeckte ihr Gesicht. Zudem waren ihre Füße bloß, was deshalb ganz deutlich zu erkennen war, weil diese eine merkwürdige Laune der Natur darstellten und man gar nicht anders konnte, als sie zu bemerken: Sie waren vollkommen verdreht, sodass die Zehen nach hinten zeigten. Bei raschem Hinsehen hätte der Eindruck entstehen können, als würde sich die Gestalt verkehrt herum bewegen, wenngleich dem natürlich ganz und gar nicht so war. Das Areal des Schlosses Eggenberg war an dieser Stelle durch eine etwa vier Meter hohe Mauer abgeschottet und ließ keinen Blick auf den prächtigen Park mit seinem englischen Garten zu, der sogar als Gartendenkmal bezeichnet wurde. Jeder Grazer wusste, was sich hinter der Mauer verbarg: die selige Ruhe vermeintlich stehen gebliebener Zeit, schreiende Pfaue und das Prunkanwesen der ehemaligen Adelsfamilie, die zu gewaltigem Ruhm gelangt war, als einst der Kaiser in Graz residiert hatte. Und wie es sich für den Adel ziemte, hatten auch die Eggenberger einen gewaltigen Spleen. Kein Fenster, keine Tür, kein Raum war gedankenlos angelegt worden. Nichts war beim Bau des Schlosses dem Zufall überlassen worden, alles war dem strengen Diktat höherer Mächte gefolgt. Doch vor den Mauern, im Schatten des Bergkammes, der früher Grafenberg und heute Plabutsch genannt wurde, war alles das genaue Gegenteil: zufällig. Auch die so seltsam gekleidete Gestalt schien nur zufällig aufgetaucht zu sein. Eben noch hier und plötzlich einfach weg. Eben noch hatte sie auf dem schmalen Gehsteig kurze trippelnde Schritte gemacht, und plötzlich war sie fort gewesen. Wie vom Erdboden verschluckt. Und mit ihr der Ehemann an der Seite der Frau. Zusammen mit der Verwunderung kroch Gänsehaut über ihren Körper. Aus ihren ungläubigen Rufen – »Ich habe doch eben noch seine Hand in meiner gespürt!« – wurden bald hysterische Schreie. Sie rannte die Schlossmauer auf und ab und brüllte den Namen ihres Mannes in den immer dichter werdenden Nebel hinein. Ein Kerl von Mitte vierzig, ein durchaus kräftiger Mensch mit breiten Hüften und dicken Knien, der konnte sich vor ihren Augen doch nicht in Luft auflösen, Herrgott noch mal! Aber dann hielt sie inne und erinnerte sich daran, wie sich ihr Mann wortlos von ihr gelöst hatte und auf die fremde Gestalt mit den verdrehten Füßen zugeeilt war, als zöge ihn ein unsichtbares Band zu ihr. Sekunden später waren beide spurlos verschwunden. Sie schüttelte ungläubig den Kopf, aber ihr Unterbewusstsein ließ sie sich das Trugbild einprägen. Jede Einzelheit musste fest in ihrem Gehirn verankert, nichts durfte vergessen werden. Dann brüllte sie den Namen ihres Mannes wieder in die Nebelwand. Ein paar Minuten später wurde die Frau bereits von den Insassen eines vorbeifahrenden Rettungswagens betreut, die in Leberkäse- und Wurstsemmelgeruch gehüllt aus dem Wagen gesprungen waren, um der Frau, die in der Kälte auf der Straße auf und ab lief, zu helfen. Sie waren auf dem Weg zu einem der sich in der Nähe befindenden Krankenhäuser gewesen. Das Rettungsteam bestand aus zwei Sanitätern. Zunächst suchten sie mit ihr die Gegend nach dem Verschwundenen ab, doch bald war ihnen klar, dass die Frau verwirrt war. Sie wollte sich nicht beruhigen, schrie immerzu und zitterte am ganzen Leib. Einer der Sanitäter verdrehte die Augen und stellte eine Schnelldiagnose, die er dem Kollegen mittels Zeichensprache mitteilte: eine kreisende Bewegung des Zeigefingers vor seiner Stirn. Auch die herbeigerufene Polizei war bald vor Ort, und sogar einige Passanten – wahrscheinlich von den Schreien angelockte Bewohner der nahen Wohnanlage – trotzten der klirrenden Kälte und näherten sich gaffend. Der Nebel schloss sich um ihre Beine und ließ nur ihren Oberkörper frei, was sie wie unheimliche Geister erscheinen ließ. Unter gewaltigen Schluchzern erzählte die Frau den Beamten schließlich eine Geschichte, die davon handelte, dass das saubere Nachthemd und der verdrehte Körper der plötzlich aufgetauchten fremden Gestalt ganz unzweifelhaft auf die Torfrau hindeuteten, einen unerbittlichen, grausamen Dämon, der in manchen Gegenden des Landes schlicht Törin genannt wurde. Die Legende der schweigsamen Törin besagte, dass sie des Nachts meist an Bächen in tiefen Wäldern anzutreffen sei. Dort wasche sie Wäsche, und wer sie dabei störe, den bestrafe sie grausam mit Würgen und Schlägen. »Hör auf, hör auf!«, brülle sie dann wie von Sinnen und ersticke ihre Opfer gnadenlos. Mit unendlicher Kraft und Brutalität. Irgendwann begannen sich alle Anwesenden wieder zu zerstreuen. Die Gaffer. Die Polizisten. Und die nach ihrem Mann schreiende Frau mit den Rettungssanitätern. Nur der Nebel setzte sich immer hartnäckiger zwischen Burgmauern und Bergrücken fest und machte keine Anstalten, sich zu verziehen. Es waren Fotos gemacht worden, Beamte waren ausgeschwärmt, um den Mann zu suchen, obwohl mittlerweile jeder die Vermutung hegte, dass niemand verschwunden war. Gut möglich, dass die Frau, die seltsames Zeug über Sagengestalten stammelte, nach ihrem Treppensturz, von dem sie ihnen ebenfalls erzählt hatte, nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. Im Davonfahren warf einer der Polizisten noch einmal einen Blick durch die Rückscheibe und fühlte sich unwohl bei dem Anblick. Wie gesagt, der Nebel wollte an diesem Tag nicht und nicht weichen. 2 Hinter den fast raumhohen Fenstern breitete sich die Stadt aus, doch auf das Panorama konnte man gut und gerne verzichten. Der Himmel ähnelte mit seinem konturlosen Hellgrau einer Betonwand, die Äste der Bäume ragten wie Mahnmale in die schmutzige Luft, aus Autos und Menschenmündern dampfte es weiß. Der Tag hätte kaum unansehnlicher sein können. In dem Raum selbst, einem recht geräumigen Zwei-Bett-Zimmer des Unfallkrankenhauses, das sich im Besitz einer Versicherungsgesellschaft befand, war es viel zu warm und stickig. Der erste Beamte, ein bei jeder Bewegung ächzender Kerl mit Schweißflecken unter den Achseln und ebensolchen Perlen auf der hohen Stirn, hatte seine Jacke gleich nach dem Eintreten ausgezogen. Obwohl er sich nicht schnell, sondern eher bedächtig bewegte, schien er sich dennoch über Gebühr anzustrengen. Nach der Jacke warf er auch sein Sakko über eine Stuhllehne und wickelte sich seinen Schal umständlich vom Hals, ehe er der im Bett liegenden Frau die Hand reichte, ohne ihr dabei in die Augen zu sehen. Sein Händedruck war kräftig, trotzdem bekam man seine Hand nicht richtig zu fassen, sodass er insgesamt den Eindruck einer zwar massigen, aber nicht greifbaren Erscheinung vermittelte. Er bot keine Anhaltspunkte, an denen man gerne verweilen würde. Die Begleiterin des Mannes hatte sich allem Anschein nach mit ihrem Kollegen abgefunden. Mit einem nur angedeuteten, aber durchaus als freundlich zu wertenden Lächeln wartete sie den Begrüßungshändedruck ab, ehe auch sie sich ihrer Jacke, ein Wintermantel mit einem Besatz aus falschem Pelz an der Kapuze, entledigte und sie über die Lehne eines weiteren Stuhls neben dem Bett legte. Es kam ihr befremdlich vor, überhaupt hier zu sein, wenngleich ihr der Besuch schon nach wenigen Minuten Kraft gab. So kränklich sie sich nämlich selbst fühlte, ging es ihr bei dem Anblick der Frau gleich wieder besser. Fast hätte sie sich ob dieses Gedankens bei der Frau...