E-Book, Deutsch, 500 Seiten
Prausnitz Wunschkinder
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-98865-401-4
Verlag: Wucht
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Tagebuch der Generation 89 - Band 1
E-Book, Deutsch, 500 Seiten
ISBN: 978-3-98865-401-4
Verlag: Wucht
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Vater, Ehemann, Freund und Filmemacher.Ein Schreibender, immerfort. Aufmüpfig und verzettelt.Geboren in Deutschland, lebt in Polen, ist in Europa zu Hause.
Autoren/Hrsg.
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04.09.19
Das Aufschreiben gestern hat wenig genutzt, auch heute habe ich mehr mit der Bettdecke gerungen, als geschlafen. Ein Bett voller Erbsen. Wie der Prinz von und zu . Auch sonst nur Müll im Kopf, wie, dass ich dieses Wochenende dran bin mit Treppenhaus putzen, dass das Tomatenmark alle ist, sich das dreckige Geschirr stapelt. Irgendwann bin ich aufgestanden, habe alles im Becken eingeweicht und mich wieder hingelegt.
Eine gefühlte Stunde später habe ich abgespült, mir danach die verschrumpelten Finger eingecremt, nur um dann auf dem Balkon die letzte Kippe aus der Schachtel zu rauchen, die ich seit Wochen am Wegschmeißen war. Ich wollte doch aufhören, verdammt. Selbst die Handcreme hat den trockenen Tabak nicht wieder genießbar werden lassen. Immerhin waren es diesmal was, drei Monate? Und jetzt stehen welche auf dem eingebildeten Einkaufszettel noch vor dem Tomatenmark. Weil zum Kiosk muss ich zuerst, wenn ich nicht bei oder einkaufen will. Das heißt, nur für die richtigen Kippen weiter laufen, bis zum Kiosk am Hansemannplatz. Ja gut, das Gemüse aus dem ist eh besser, aber gesünder wird der Spaziergang dadurch auch nicht. Auf dem Rückweg wäre der Kiosk dann schon wieder ein Umweg, selbst mit den vollen Taschen – nein, vorher ist besser. Logistik für Fortgeschrittene. Und Mutter meint immer, ich tauge nicht zum höheren Management. Aber wer von uns kann noch mal angeblich nicht die Einkäufe ohne Haushaltsleiter ins oberste Regal stellen? Und dann räume doch wieder ich alles ein.
So ging das die halbe Nacht, erst als es draußen hell wurde und mir die Vögel was von „Meisenknödel kaufen“ zwitscherten, schlief ich ein.
Entsprechend gerädert saß ich dann am Rechner, als Clara und Dennis sich über bei mir meldeten.
„Du musst weiter aufklappen, wir sehen nur deinen Bauch!“
„Was?“
„Den Bildschirm, wir sehen dein Gesicht nicht.“
„So besser?“
„Ihh, wie siehst du denn aus? Klapp wieder zu!“
Es ist so eine Freude mit den beiden. Ob es schon zu spät ist, seine Patenkinder zur „Patoption“ abzugeben? Gebraucht, aber so frisch, frech und unbekümmert wie am ersten Tag, als sie mich vom Wickeltisch aus angepinkelt haben. Übermorgen wollen sie wieder demonstrieren gehen und weder Nadja noch Daniel haben diesmal Zeit, sie zu begleiten. Deswegen sind sie sauer und lästern über ihre Eltern. Ich habe ein wenig halbherzig versucht sie zu verteidigen, war aber zu müde, um ihrem Nachwuchs wirklich etwas entgegensetzen zu können.
„Klima geht uns alle an, Smörre.“
„Ihr sollt mich doch nicht so nennen.“
„Sorry, Babo.“
„Okay, dann lieber doch das andere“, seufze ich. „Bei der großen sind wir dann auch alle dabei.“
„Versprochen?“
„Hm.“
„Haaallooo – bist du noch da?“
„Ja doch, ich bin nur nicht wach.“
„Du musst Fotos posten.“
Clara drängelt sich vor die Kamera. „Aber nicht wie beim letzten Mal, wo du uns welche vom vorletzten Mal geschickt hast.“
„Das war rein zufällig das gleiche Hemd, ich schwör’s!“
„Ihh!“
Dann war wieder Dennis zu sehen. „Beide Male genauso schief zugeknöpft, klar. Es war auch der gleiche Dreitagebart.“
„Jaja, ist ja gut. Soll ich diesmal auch gleich eine Tageszeitung mit ins Bild halten?“
„Damit du ’n grünes Blatt mitschleppst und dir dann was draufshopst? Komm schon.“
Die sind einfach zu schnell für mich. Die Idee ist aber gut. Mein Computer piept, sein Akku macht gleich schlapp, genau wie meiner.
„Hast du schon ein Plakat gemacht?“
„…“
„Willst du unseres sehen?“
„Ich lass mich lieber morgen überraschen.“
„Wir machen ’ne Insta Story. Und nicht im wie gewisse Leute.“
„Meine Augen sind aber immer noch nebenei…“
„So hält man aber kein Telefon! Du machst dich doch selber über alle lustig, die es vor den Mund halten, als würden sie in ihr Marmeladenbrot sprechen.“
„Ist ja gut, ihr Nervensägen.“
Claras Nase und Mund schieben sich vor die Kamera. „Ich hab dir einen Link geschickt. Damit du ausschlafen kannst.“
„Rick Astley? Ja, sehr witzig.“
„Nein, Ehrenwort. Für wie gemein hältst du uns?“
„Also mal kein Video? Ihr überrascht mich.“
„Doch.“
„Ein Video? Zum Einschlafen?“
„Du musst es ja gar nicht gucken!“
So ging es noch eine Weile weiter. Ich erklärte ihnen, ich wolle keine Filme gucken, sondern schlafen. Nein nein, das wären welche speziell zum Einschlafen und Entspannen, also mehr zum Hören. Videos zum Hören? Jetzt hör doch zu!
Dann haben sie mich noch ein bisschen geneckt, es ging hin und her, und das war’s. Meine Laune war deutlich besser als vorher. Also wie immer.
Ich liebe die beiden, sie lassen sich so wunderbar ärgern. Aber sie sind mir eindeutig zu visuell, alles muss Video oder mindestens Foto sein, besser Meme, oder wie das heißt. Was ist nur aus Bücher lesen geworden? Oh Mann, wenn man anfängt zu klingen wie die eigenen Eltern, dann ist man alt. „Smörre, Bücher lässt man sich heute vorlesen, als Audiobook oder Podcast“, würden sie mir wahrscheinlich entgegenschleudern. Haben sie wahrscheinlich schon. Dann bin ich halt altmodisch, ich lese meine Bücher immer noch lieber selber.
Schade, dass wir uns diesen Sommer nicht gesehen haben, da hat mir was gefehlt. Aber sie sind jetzt aus dem Alter raus, in dem sie noch mit ihren Eltern oder dem Patenonkel Urlaub machen. Wir sind ihnen peinlich. Und das sind wir ja immer öfter tatsächlich, stellen uns zu dumm an mit der neuen Technik, gewöhnen uns zu langsam dran, gehen plötzlich immer früher schlafen und all das. Deswegen hätte ich mir trotzdem nicht die Nachtschichten zumuten sollen, bin doch keine Mitte 20 mehr. Mir ist es ein Rätsel, wo Schwester Heide das hernimmt. Oder Schwester Anita. Welche ist jetzt eigentlich noch mal dran?
Bin trotzdem gespannt, was mir die Zwillinge da geschickt haben, ich guck nachher mal nach.
Bin vom Einkaufen zurück. Das macht ohne die beiden auch keinen Spaß. Kochen erst recht nicht. Trotzdem habe ich mich heute für eines unserer gemeinsamen Lieblingsgerichte entschieden: Ofengemüse, weil man damit nie was falsch machen kann. Ein Sellerie, zwei große Süßkartoffeln, einige festkochende Kartoffeln sowie Cashewkerne und ein paar Scheiben Gouda sind alles, was man braucht. Für mich allein ist das zu viel, aber dann muss ich morgen nix mehr machen. Den gewaschenen und abgetrockneten Sellerie schneide ich in schmale Pommes Streifen, ebenso die normalen Kartoffeln, aber die Süßkartoffeln mache ich etwa doppelt so dick. Anschließend alles auf ein tiefes Backblech, salzen und pfeffern, mit Olivenöl übergießen, vermischen und gleichmäßig verteilen. Bei 180º im Backofen auf mittlerer Schiene 25 Minuten backen, dann die Cashewkerne darüberstreuen, nach weiteren 10 Minuten ein paar Käsestreifen darüber werfen und warten, bis diese zerlaufen sind. Wenn man den Dreh raushat, brennt nichts an. Einfach an den Ecken und Kanten aufpassen, dass aus Braun nicht Schwarz wird, spätestens dann kommt das Blech raus. Das Ergebnis ist immer unverschämt lecker für so wenig Aufwand und die Kinder essen sogar den Sellerie mit Begeisterung. Sellerie. Echt jetzt! Nahezu jedes Wurzelgemüse lässt sich mit heißer Luft und Olivenöl in Pommes-Konkurrenz verwandeln.
Ich stelle fest, dass ich gerade ein Rezept aufgeschrieben habe, wie so ’ne Omma. Fehlt nur noch, dass ich es ausdrucke und mir vorne in mein Kochbuch klemme, bis ich genug zusammenhabe, um einen eigenen Hefter damit zu füllen. Uah, wie gruselig.
Ich sitze jetzt auf dem Balkon und rauche eine frische Kippe, während das Zeug vor sich hin backt. Warum auch kein Rezept aufschreiben, das ich so noch nirgendwo gelesen habe? Ich koche ja gerne, nur halt nicht für mich alleine. Das ist irgendwie traurig. Mit Clara und Dennis macht es immer Spaß.
Vielleicht mag ich dieses Gericht deswegen so sehr, weil ich ihnen ein Gemüse untergejubelt habe, von dem sie behaupteten, dass sie es nie, nie niemals essen würden. Genau wie ich, als ich in ihrem Alter war. Ich war der Ansicht, dass es sich bei Sellerie um ein Werk des Teufels handelte, nur dazu da, um Kinder zu quälen. Meine Mutter hat es bei mir aufgegeben, und ich damals triumphiert. Jetzt triumphierte ich merkwürdigerweise aus genau dem gegenteiligen Grund, weil ich Clara und Dennis dazu bekommen habe, ihn zu essen. Ja gut, mich selbst auch. Und natürlich nur die Knolle. Die grünen Stängel sind so ungenießbar wie eh und je. Das Backblech dampfte und duftete herrlich, unsere Augen waren groß, und der Appetit darauf noch größer. Seitdem machen wir das immer wieder. Ups, ich glaub mir brennt was an!
Okay, für mich ist es noch essbar. Gerade so. Wobei, ich weiß noch, als wir uns zum ersten Mal an Chili con Carne versucht haben. Allerdings hatten wir kein Hackfleisch. Also halt anstelle von Carne noch mal Chili. Chili con Chili mit deutlich zu viel von beidem. Das Ergebnis war viel zu scharf, aber zu meiner Verblüffung so lecker, dass wir trotzdem nicht aufhören konnten, bevor alles verputzt war. Für Clara und Dennis war es vielleicht auch eine Mutprobe, wenn er noch eine Portion aß, musste auch sie nachziehen und umgekehrt. Unsere Nasen liefen und uns brach der Schweiß aus. Irgendwann saß Dennis dann ohne Hemd da und Clara war so sauer, weil sie nicht im BH vor uns sitzen wollte, dass sie sich ihre Haare unter dem Wasserhahn nass machte, damit sie ihr...




