E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: Scheibenwelt
Pratchett Strata
12001. Auflage 2012
ISBN: 978-3-492-95980-3
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: Scheibenwelt
ISBN: 978-3-492-95980-3
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Weitere Infos & Material
Es war natürlich ein herrlicher Tag – ein Tag wie aus dem Werbeprospekt der Company. Derzeit bot Kins Büro Ausblick auf eine palmengesäumte Lagune. Am äußeren Riff gischtete das Wasser, und auf dem Strand aus zermahlenen weißen Korallen lagen seltsam geformte Muscheln.
Kein Werbeprospekt hätte die ungeheuerliche Masse der auf Pontons ruhenden Stratamaschine gezeigt – es handelte sich um das kleine Modell für Inseln und Atolle unter fünfzehn Kilometer Durchmesser. Kin beobachtete, wie sich ein weiterer Meter Strand aus dem großen schwarzen Trichter schob.
Sie überlegte, wer die Maschine wohl steuerte. Die Struktur des Strandes verriet gestalterisches Genie. Jemand, der einen solchen Küstenstreifen schaffen konnte, mit Muscheln an genau den richtigen Stellen, verdiente Besseres. Aber vielleicht war er ein Thoreau-Typ, der Inseln mochte. Kin bekam es manchmal mit ihnen zu tun: in sich gekehrte Männer und Frauen, die nach den Vulkanspezialisten übers Meer streiften, verträumt komplexe Archipele anlegten und dabei geradezu ungebührliches Geschick offenbarten. Sie beschloß, nach dem Namen des Piloten zu fragen.
Kin beugte sich über den Schreibtisch und rief den Bereichstechniker an.
»Joel? Wer hat Dienst in der BCF3?«
»Tag, Kin. Mal sehen. Aha! Gut, nicht wahr? Gefällt's dir?«
»Nicht schlecht.«
»Hendry sitzt an den Kontrollen. Auf deinem Schreibtisch liegen einige scheußliche Beschwerden über ihn. Du weißt schon: Er hat das Dino-Fossil …«
»Ich habe davon gelesen.«
Joel bemerkte den scharfen Unterton in Kins Stimme und seufzte.
»Nicol Plante ist seine Mixerin, und bestimmt hat sie ihm geholfen. Ich habe ihnen beiden Inseldienst gegeben, weil … Nun, bei einer Koralleninsel gerät man kaum in Versuchung.«
»Ich weiß.« Kin überlegte. »Schick Hendry zu mir. Und Nicol ebenfalls. Bestimmt erwartet uns ein anstrengender Tag. So ist es immer, wenn wir kurz vor der Fertigstellung stehen: Dann fangen die Leute an, mit gewissen Dingen herumzuspielen.«
»Es liegt am Übermut der Jugend. Jeder von uns hat sich den einen oder anderen Streich erlaubt. Bei mir waren es zwei Stiefel in einem Kohleflöz. Nicht sehr einfallsreich, wie ich zugeben muß.«
»Meinst du, ich sollte ein Auge zudrücken?«
Natürlich meinte er das. Schließlich erlaubte man jedem eine persönliche Improvisation, oder? Die Kontrolleure entdeckten sie immer, nicht wahr? Und selbst wenn man sie aus irgendeinem Grund übersah: Man konnte damit rechnen, daß zukünftige Paläontologen die Sache vertuschten, hm?
Allerdings neigten sie manchmal dazu, alles viel zu ernst zu nehmen …
»Hendry ist gut, und später könnte er großartige Arbeit leisten«, sagte Joel. »Dreh ihn nicht zu sehr durch die Mangel.«
Einige Minuten später hörte Kin, wie das Dröhnen der Maschine leise wurde und dann ganz verstummte. Kurz darauf kam ein Roboter aus dem Vorzimmer herein, und ihm folgten …
… ein untersetzter blonder junger Mann, die Haut von der Sonne hummerrot gebrannt, und ein dürres kahlköpfiges Mädchen, fast noch ein Kind. Sie blieben stehen und starrten Kin mit einer Mischung aus Furcht und Trotz an, während Korallenstaub auf den Teppich rieselte.
»Bitte nehmen Sie Platz. Etwas zu trinken? Sie scheinen halb verdurstet zu sein. Ich dachte, die Apparate verfügten über Klimaanlagen.«
Die beiden jungen Leute wechselten einen raschen Blick. Dann antwortete das Mädchen: »Frane legt Wert darauf, ein Gefühl für seine Arbeit zu bekommen.«
»Na schön. Der Kühlschrank schwebt direkt hinter Ihnen, das runde Ding dort. Bedienen Sie sich.«
Die Techniker wichen hastig beiseite, als ihnen die Kühleinheit an die Schultern stieß, lächelten nervös und setzten sich.
Sie begegneten Kin mit einer Ehrfurcht, die vages Unbehagen in ihr weckte. Nach den Akten stammten Hendry und Nicol von Kolonialplaneten, die so neu waren, daß ihr Grundgestein erst noch trocknen mußte, und Kin kam ganz offensichtlich von der Erde. Nicht von der Ganzen, Neuen, Alten, Wirklichen oder Besten Erde, sondern von der Erde, die man in den Geschichtsbüchern ›als Wiege der Menschheit‹ bezeichnete. Das Zwei-Jahrhunderte-Zeichen auf ihrer Stirn hatten sie vermutlich nie gesehen, bevor sie sich der John Company anschlossen. Außerdem: Kin war ihre Chefin und konnte sie entlassen.
Der Kühlschrank kehrte in seine Nische zurück, flog dabei in einem eleganten Bogen um ein Stück leere Luft im hinteren Bereich des Zimmers. Kin nahm sich vor, das Gerät überprüfen zu lassen.
Sie saßen in Schwebesesseln. So etwas gab es auf Kolonialwelten nicht, entsann sich Kin. Sie sah auf die Akte, bedachte die beiden Techniker mit einem einleitendstrengen Blick und schaltete den Recorder ein.
»Sie wissen, warum Sie hier sind«, begann sie. »Wenn Sie vernünftig waren, haben Sie die Vorschriften gelesen. Ich bin verpflichtet, Sie an folgendes zu erinnern: Sie können entweder mein Urteil als leitende Managerin dieses Sektors annehmen oder ein Verfahren vor dem Untersuchungsausschuß der Company-Zentrale beantragen. Wenn Sie sich für mich entscheiden, ist eine Revision ausgeschlossen. Nun?«
»Sie«, sagte das Mädchen.
»Hat Ihr Begleiter die Sprache verloren?«
»Wir wählen Sie als Richterin, Mizz«, verkündete der junge Mann mit ausgeprägtem Kredo-Akzent.
Kin schüttelte den Kopf. »Dies ist kein Prozeß. Wenn Ihnen meine Entscheidungen mißfallen, können Sie jederzeit kündigen – wenn ich Sie nicht vorher entlasse.« Sie gab den jungen Leuten Gelegenheit zum Nachdenken. Hinter jedem Angestellten der Company stand eine lichtjahrlange Schlange aus enttäuschten Bewerben – niemand kündigte.
»Nun gut, es ist registriert. Und nun für die Akte: Haben Sie am vergangenen 4. Julius die Stratamaschine BVN67 gesteuert, als Sie den Y-Kontinent erweiterten? Einzelheiten der Anklage finden Sie im schriftlichen Verweis, den Sie damals erhielten.«
»Ja, es stimmt alles«, bestätigte Hendry. Kin betätigte eine Taste.
Eine Wand des Büros verwandelte sich in einen Bildschirm, und sie blickten auf ein Luftbild, das grauen Fundamentfels zeigte. Die Struktur endete ganz plötzlich an einer tausend Meter hohen Schicht, die wie ein kolossales göttliches Sandwich wirkte. Die Stratamaschine war von der Klippe gelöst und zur Seite gelenkt worden. Beim nächsten Einsatz mußte sie von einem Jockey auf den richtigen Kurs zurückgesteuert werden – andernfalls würden die Geologen dieser Welt später eine unerklärliche Verwerfung finden.
Die Kamera zoomte eine bestimmte Stelle der Klippe heran:
In halber Höhe war ein Teil des Gesteins geschmolzen. Dort hatte man ein Gerüst errichtet, und mehrere Arbeiter mit gelben Helmen eilten aus dem Erfassungsbereich des Übertragungsmoduls. Bis auf einen. Er deutete mit einem Meßstab auf Beweisstück A und grinste: Hallo, ihr Leute in der Kontrollkommission der Company.
»Ein Plesiosaurier«, stellte Kin fest. »Völlig verkehrt für diese Schicht, aber was soll's?« Die Kamera glitt über das halb ausgegrabene Skelett hinweg und richtete ihre Linsen nun auf einige verzerrte Rechtecke neben dem künstlichen Fossil. Kin nickte, als man Einzelheiten erkennen konnte. Das Tier hatte ein Transparent getragen, und die Aufschrift lautete:
»Schluß mit den Atomtests«, sagte sie ruhig.
Sicher war viel Arbeit dafür notwendig gewesen, wahrscheinlich mehrere Wochen. Um so etwas zu bewerkstelligen, mußte man dem Hauptcomputer der Maschine ein äußerst kompliziertes Programm eingeben.
»Wie haben Sie es herausgefunden?« fragte das Mädchen.
Jede Stratamaschine enthielt einen elektronischen Petzer – doch das war ein Firmengeheimnis. Die verräterische Vorrichtung befand sich in dem zehn Kilometer großen Ausgabeschlitz des Apparats, und ihre Aufgabe bestand darin, die Realisierung inoffizieller persönlicher Ideen zu entdecken. Sie blieb dort, bis sie etwas meldete. Früher oder später gab jeder der Versuchung nach. Jeder neue Planetendesigner mit nur einer Prise Talent fühlte sich wie ein König an den Kontrollen des Traumapparats, den man Stratamaschine nannte. Irgendwann konnte er nicht widerstehen und beschloß, sich einen Scherz mit zukünftigen Paläontologen zu erlauben und ihnen ein Rätsel aufzugeben, an dem sie verzweifelten. Manchmal wurden sie von der Company gefeuert – oder befördert.
»Magie«, behauptete Kin. »Geben Sie es zu?«
»Ja«, erwiderte Hendry. »Darf ich etwas zu unserer Verteidigung anführen?«
Er griff in eine Tasche und holte ein abgegriffenes Buch hervor. Einige Sekunden lang blätterte er und fand schließlich die gesuchte Seite.
»Äh, ich möchte einen der wichtigsten Planetendesigner zitieren«, sagte der junge Mann. »Wenn Sie gestatten …«
»Ich höre.«
»Nun, äh … ›Immerhin ist ein Planet keine Welt. Planeten sind nur Felsbrocken, aber Welten stellen ein vierdimensionales Wunder dar. Auf einer richtigen Welt muß es geheimnisvolle Berge geben, tiefe Seen mit uralten Ungeheuern, seltsame Fußspuren im Schnee an hohen Hängen, überwucherte Ruinen in endlosen Dschungeln, Glocken am Meeresgrund, Echotäler und Städte aus Gold. Das ist die Hefe in der planetaren Kruste; ohne sie wird sich nie die Phantasie der Menschen erheben.‹«
Eine kurze Pause.
»Habe ich in dem Buch auch von Dinosauriern geschrieben, die für nukleare Abrüstung eintreten, Mr. Hendry?« fragte Kin.
»Nein, aber …«
»Wir bauen Welten. Es geht uns nicht darum, Planeten...