Präauer | Das Glück ist eine Bohne | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 312 Seiten

Präauer Das Glück ist eine Bohne

und andere Geschichten
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8353-4673-4
Verlag: Wallstein
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

und andere Geschichten

E-Book, Deutsch, 312 Seiten

ISBN: 978-3-8353-4673-4
Verlag: Wallstein
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Diese Geschichten entwerfen ein Panorama der Gegenwart. Bunt schillernd, scharf konturiert und auf famose Weise ein kaleidoskopisches Ganzes ergebend. Es sind Liebesgeschichten, die hier erzählt werden, es sind aber auch Geschichten über die Liebe zu den Dingen, die uns täglich umgeben. Und es sind wahre und erfundene Memoirs, die vom Snowboard-Unterricht mit Phil Collins in den Salzburger Bergen berichten oder über einen Hausbesuch von Britney Spears, von der ersten Reise nach London auf den Spuren von Jimi Hendrix, deren Beschreibung nun Erinnerungen an die Kindheit und den Vater wachruft. Und immer wieder geht es hier auch um die Literatur, die Kunst und das Internet. Maler tauchen auf, Schriftstellerinnen, Gedichte, Fernsehsendungen, YouTube-Tutorials und fünf tragisch ineinander verknotete Eichhörnchen aus Wisconsin. Teresa Präauers brillant geschriebene Geschichten entwerfen ein Panorama der Gegenwart. Bunt schillernd, scharf konturiert und auf famose Weise ein kaleidoskopisches Ganzes ergebend. Wohin immer sie ihren Blick wendet, es entstehen Bilder, die so überraschend wie einleuchtend sind, so witzig wie tiefgründig. Mit Neugier und Kenntnis blickt sie in die Welt und lädt uns ein zum wilden Denken.

Teresa Präauer, geb. 1979, studierte Germanistik und bildende Kunst. Im Wallstein Verlag erschienen die Romane 'Für den Herrscher aus Übersee', 'Johnny und Jean' und 'Oh Schimmi' ' sowie der Großessay 'Tier werden'. Zahlreiche Auszeichnungen und Preise, unter anderem den aspekte-Preis 2012 und den Erich-Fried-Preis 2017. Sie lebt in Wien.
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Autoren/Hrsg.


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Der Lauf der Dinge


Der Lauf der Dinge im Leben zweier Menschen ist doch, verdammt nochmal, immer der gleiche: Sie treffen aufeinander, es kommt zur chemischen Reaktion, unmittelbar, und etwas dreht sich, etwas bewegt sich, etwas explodiert. Und wozu das Ganze? Ja, wozu das Ganze. Am Ende übrig bleiben Rauch und Nebel, als wäre eben der Teufel durchs Szenenbild spaziert, und wenn dann die Schwarzblende einsetzt, ist das beinah eine Erlösung. Die meisten Filme enden mit einer Schwarzblende, und das bedeutet schlicht, dass das letzte Bild mit einem harten Schnitt abtritt und mit dem darauffolgenden schwarzen Bild schon der Nachspann einsetzt. Es kann auch ein weicher Übergang sein, bei dem das Schlussbild erst allmählich abgeblendet wird und das Schwarz nur langsam in den Vordergrund tritt, doch auch dieser weiche Schnitt ist eine sogenannte Schwarzblende und bedeutet damit das Ende. Rauch, Nebel, Schwarz und Ende: Das klingt so pessimistisch wie der Satz, den man so oft zu hören bekommt: »Ihre Beziehung war von Anfang an zum Scheitern verurteilt.« Eine Phrase, so oft und oft wiederholt, bis endlich, endlich ihre Richtigkeit unter Beweis gestellt sein wird: Ihre Beziehung war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Dabei werden so viele Fragen nicht gestellt: Wo genau ist der Anfang eigentlich gewesen? Wer urteilt und verurteilt? Und was ist Scheitern?

Scheitern im Sinne von Fischli?/?Weiss bedeutet den Fortlauf der Dinge, das Weiterdrehen, Weiterbewegen, Explodieren. Geht ein Ding zu Bruch, setzt es erst dadurch das nächste in Gang. Das Scheitern, das Von-Anfang-an-zum-Scheitern-Verurteilte, sagt Petra, die erste Hauptfigur in dieser Geschichte, ist bei Fischli?/?Weiss paradoxerweise das Erfolgreiche, das den Stillstand nicht dulden will. Bei Fischli?/?Weiss, sagt Petra, heißt scheitern also gewinnen.

Ah, sagt David, unsere zweite Hauptfigur. Und mehr sagt er nicht, denn er denkt jetzt über die erfolgreichen Menschen aus dem Fernsehen nach, die stets beteuern, wie wichtig das Scheitern sei für den Erfolg. Und dann denkt David daran, dass dort im Fernsehen niemals ein sogenannter obdachloser Alkoholiker sitzt, um von der Wichtigkeit des Scheiterns für sein Leben zu berichten. Und dieser Gedanke löst, wie der vorangegangene, einen weiteren Gedanken in Davids Kopf aus, der zur Frage führt, ob das Bild des gescheiterten Menschen schlechthin denn unbedingt immer der obdachlose Alkoholiker sein müsse. Es ist eine selbstkritische Frage, die durch Davids Kopf segelt, fliegt, eine Gedankenkette auslöst, ein Strohfeuer entfacht: Wie denn überhaupt von einem gescheiterten Leben gesprochen werden könne, wo es seinen Anfang genommen hat und wie es enden wird. Es gurgelt in Davids Kopf, es blubbert und zischt: Ob es bis zum letzten Ende denn ein sogenanntes gescheitertes Leben sein würde und ob man so urteilen dürfe. Ob es nicht ungerecht sei in Anbetracht des Wertes eines jeden Menschen und ob er, David, nicht, wenn er von einem Scheitern hier auf Erden sprechen wollen würde, statt von obdachlosen Alkoholikern doch vielmehr von Mördern, Tyrannen und sogenannten menschenverachtenden Diktatoren sprechen müsse. Und weil das The Way Things go eine Bar in Deutschland ist, würde David gleich mit dem menschenverachtendsten Diktator beginnen, der ihm einfällt, wieder einmal einfällt, würde er, ja, würde er mit Petra, die nahe am Tresen vom The Way Things go steht, jetzt derart grundlegend über das Scheitern sprechen wollen. Oder, denkt David, wäre ein solches Gespräch an der Bar vom The Way Things go ein pseudo-radikales, ein pseudo-philosophisches, ein pseudo-menschheitsgeschichtliches? Unpassend für einen Anfang?

Können wir uns die Anfänge denn aussuchen? David hat Petra im The Way Things go kennengelernt, da hat er noch gar nicht an den menschenverachtenden Diktator gedacht, da wollte er sich bloß einen Drink an der Bar bestellen. Was heißt: einen Drink? Endlich einmal im The Way Things go, da muss David doch etwas Außergewöhnliches trinken! Und David hat, obwohl er lieber Bier getrunken hätte, einen Shooter bestellt, einen sogenannten Fireball. Er hat die Cocktailkarte beim Buchstaben F geöffnet gehabt und, diesmal ohne nachzudenken, auf den Fireball gezeigt. Immerhin ist Wodka drin, hat sich David gedacht, und ein Shooter macht einen nicht gleich zum obdachlosen Alkoholiker.

Der Barkeeper hat es sich nicht nehmen lassen, David die Zusammensetzung des Fireballs zu erläutern, laut Handlexikon der Getränke, dritte Auflage 1996, besteht der nämlich aus einem Viertelteil Wodka, einem Viertelteil Grenadine-Sirup und zwei Viertelteilen Zimtlikör, und die richtige Zubereitung geht folgendermaßen, nämlich werden die Zutaten im Shaker kurz gemixt, dann in das Shot-Glas geseiht, damit das eine explosive Mischung ergebe. Shot heißt Schuss, sagt der Barkeeper und lacht blöd, da steht Petra schon dicht hinter David, von der dieser wiederum noch nicht wissen konnte, dass sie Petra heißt. Und Petra hat sich angestellt mit dem Ziel, den Barkeeper nach dem Handlexikon der Getränke, dritte Auflage 1996, zu fragen.

David hat den fertig gemixten Shooter vom Barkeeper im Shot-Glas entgegengenommen, hat sich umgedreht, Petra ist weiter vor an den Tresen gegangen, David wollte noch einmal zurück, um die Serviette und das Glas mit den Nüsschen mit an seinen Stehtisch zu nehmen, in diesem Moment hat Petra sich wieder vom Tresen weg und ein wenig in Richtung Tanzfläche gedreht, um David Platz zu machen für seine Hand, die dann schon das Glas mit dem Fireball und das andere mit den Nüsschen gehalten hat, und da sind sie dann natürlich sowas von zusammengestoßen, nicht mit den Köpfen, Gott sei Dank, aber doch so unglücklich, dass der Fireball aus dem Shot-Glas auf Petras T-Shirt gelandet ist, sämtlich. Es sind nur 3 cl, aber 3 cl Grenadine-Sirup machen sich auf einem weißen T-Shirt doch sehr bemerkbar. Petra hat kurz gekreischt, der Barkeeper hat besorgt zu den beiden geguckt und dann den Kopf geschüttelt, und vielleicht hat er da gedacht: Das ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Oder er hat gedacht: Das wird noch was mit den beiden, aber der obdachlose Alkoholiker mit seinem Fireball hat es leider sowas von blöd angestellt.

Barkeeper sehen natürlich sehr viel, wenn der Tag lang, die Nacht dunkel und die Bar, wenn auch diskret, beleuchtet ist, und sie können sich ihren analytischen Reim auf das chemische Aufeinandertreffen zweier Menschen machen, aber alles sehen sie freilich auch nicht. Denn sie sind nicht zum Schauen im The Way Things go, sondern zum Arbeiten. Sollte es jemals nichts zu arbeiten geben, gibt es aber viel zu schauen, denn eigentlich passiert in so einer Bar immer etwas. Sie ist wie ein kleiner Brandherd, wie ein Schmelztiegel, wie ein Kessel über dem Feuer. Und gibt es einmal sehr viel zu schauen, dann liegt es an den Barkeepern, ihren Gästen vor dem Nachhausewanken noch Aspirin und Kondome zu verkaufen. Wegen des sogenannten Zusatzverdienstes. Und wegen der sogenannten Kettenreaktion: Kater, Alkoholvergiftung, Geschlechtskrankheit, Schwangerschaft et cetera. Et cetera? Welche Gefahr droht denn noch nach einem Abend im The Way Things go, außer Kater, Alkoholvergiftung, Geschlechtskrankheit, Schwangerschaft? Irgendein Scheitern droht immer, sagt der Barkeeper, und er sagt es radikal, philosophisch, menschheitsgeschichtlich.

Aber so weit sind wir nicht bei David und Petra. Noch sind wir an jenem Punkt, an dem David Petra den Fireball aufs weiße T-Shirt geschüttet, der Barkeeper den Kopf geschüttelt, David den Tag über noch nicht an den menschenverachtenden Diktator gedacht hat, Petra kurz aufgeschrien hat und David ihr entsetzt aufs beschmutzte T-Shirt starrt. Mehr als »Oh mein Gott« bringt David jetzt nicht zwischen den Lippen hervor, und denkt dann sofort daran, dass man erst »Oh mein Gott« sagt, seit es in den amerikanischen Serien, die deutsch synchronisiert werden, so häufig vorkommt. Im Deutschen, denkt David, hat man vielleicht »mein Gott« gesagt oder »meine Güte«, aber nie in dieser Abfolge von drei Wörtern Oh-mein-Gott, aber jetzt fasst er sich wieder und sagt: Entschuldige, oh mein Gott. Die rote Grenadine ist eine große Katastrophe für Petras zuvor noch weißes T-Shirt, aber bloß eine halb so große Katastrophe für Petra selbst, denn, denkt sie jetzt, David, von dem sie ja noch gar nicht wissen kann, dass er David heißt, sieht doch ganz gut aus, und er hat sich soeben für sein Missgeschick entschuldigt, und schuld sind sie ja beide, Gott am allerwenigsten. Also sagt Petra: Gott kann diesmal nichts dafür. Und David denkt, dass diese Frau ganz gut aussieht, auch mit dem roten Fleck auf dem weißen T-Shirt, und dass Gott vielleicht doch etwas dafür kann, denn er hat ihn jetzt in ein Gespräch mit Petra verwickelt, deren Namen er noch nicht weiß, und deshalb sagt er jetzt: Es tut mir so leid. Ich bin David.

Petra lacht und sagt: Ich bin Petra, und hättest du deinen Saft nicht auf mein T-Shirt geleert, könntest du das jetzt auch auf meinem T-Shirt lesen. Und David sieht genauer hin und sieht, dass unter der roten Grenadine rot der Name Petra geschrieben steht. Und dann guckt er schnell wieder in Petras Augen. Der Barkeeper, der die ganze Zeit zugesehen hat, grinst und füllt zwei neue Fireballs in zwei frische Gläser und stellt sie vor David und Petra auf den Tresen. Prost, ihr zwei!

Schöner Name, sagt David jetzt, obwohl er den Namen nicht schön findet, sondern Petras Augen. Petras Augen lachen, und sie sagt: Schönes T-Shirt!, und David sagt noch einmal Oh mein...


Präauer, Teresa
Teresa Präauer geb. 1979, studierte Germanistik und bildende Kunst. Im Wallstein Verlag erschienen die Romane »Für den Herrscher aus Übersee«, »Johnny und Jean« und »Oh Schimmi« sowie der Großessay »Tier werden«, das Geschichtenbuch »Das Glück ist eine Bohne« und der Erzählband »Mädchen«, dessen theoretischen Unterbau Präauers Ende 2021 gehaltenen Zürcher Poetikvorlesungen bilden. Sie wurde unter anderem mit dem aspekte-Literaturpreis (2012), dem Erich-Fried-Preis (2017), dem Ben-Witter-Preis (2022) und dem Bremer Literaturpreis (2024) ausgezeichnet. Teresa Präauer lebt in Wien.



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