E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Powner Das Leuchten der Berge
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-96122-696-2
Verlag: Gerth Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-96122-696-2
Verlag: Gerth Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Katie Powner ist eine junge aufstrebende Autorin, die mit ihrer bunt zusammengewürfelten Familie (mit leiblichen und adoptierten Kindern sowie Pflegekindern) in der weiten Landschaft Montanas lebt. Sie schreibt bevorzugt zeitgenössische Romane, in denen das Thema Heilung von Beziehungen und die Kraft des christlichen Glaubens eine große Rolle spielen.
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3
Der Himmel erstreckt sich so weit und breit wie die offenen Arme von Jesus«, das hat seine Mutter immer gesagt. Mitch Jensen ließ einen Arm aus dem Fenster seines Trucks hängen und genoss die Sonne, die jedoch leider nicht von Dauer sein würde, denn es konnte morgen schon schneien. Trotzdem konnte er sich nicht an einen schöneren Herbstanfang erinnern.
Er bog in eine lange Kieseinfahrt ein und verlangsamte das Tempo. Diesmal verursachte der vertraute Anblick seines Elternhauses etwas in seiner Brust, das er nicht gewohnt war. War das eine Vorahnung oder bereits Erschöpfung, obwohl es erst Montag war?
Als er den Motor des Wagens abstellte, umgab ihn Stille – Stille von genau der richtigen Art. Nicht unnatürlich und gezwungen, als würde die Natur angesichts einer potenziellen Gefahr verstummen, sondern lebendige Stille. Moose Creek war eine kleine Stadt mit nicht viel mehr als einer Straßenkreuzung, zwei Kneipen, einem schlichten Restaurant und einem Postamt, aber im Vergleich hierzu war es geradezu chaotisch. Er war dankbar, dass seine Eltern, die geradezu unbeugsamen Randolf und Juniper Jensen, den größten Teil der umliegenden Ländereien hatten verkaufen können, sodass sie auch jetzt noch hier leben konnten, nachdem sein Vater vor ein paar Jahren die Viehzucht aufgegeben hatte.
Mitch wappnete sich innerlich, als die Verandastufen unter seinem Gewicht ächzten. Sein Vater hatte ihn alle paar Tage angerufen und ihn gebeten, vorbeizukommen. Dabei hatte er Andeutungen gemacht, dass etwas mit seiner Mutter nicht stimmte, und wollte wissen, ob Mitch in letzter Zeit mit ihr gesprochen hatte. Deshalb war Mitch sich nicht ganz sicher, was ihn bei diesem Besuch erwartete.
Er hatte seinen Vater gefragt, ob seine Mutter krank sei, und der hatte geantwortet: »Is möglich.« Aber das sagte er immer. Zu allem. Is möglich.
Seine Mutter hatte auf keinen seiner Anrufe reagiert und er hatte sie und seinen Vater seit einigen Wochen nicht mehr gesehen. Und soweit er wusste, hatten sie das Haus nicht mehr verlassen, noch nicht einmal, um in die Kirche zu gehen, was ein sicheres Zeichen für eine ernstere Krankheit war, denn sie verpassten nie einen Gottesdienst.
Die schwere Eichentür war nur angelehnt, aber er klopfte dennoch mit der Hand an den Türrahmen, bevor er eintrat. »Mom? Dad?«
June steckte den Kopf aus der Küchentür und meinte: »Mitch? Ich wusste nicht, dass du vorbeikommen würdest.«
Er trat die Schuhe auf dem Läufer ab und ging zu ihr in die Küche, wo er sie beim Ausrollen eines Kuchenteigs antraf. »Ich habe dir ein paar Nachrichten aufs Band gesprochen.«
»Ach, das.« Sie winkte seine Worte weg wie eine lästige Fliege. »Ich war beschäftigt.«
»Das kann ich sehen.« Drei Kuchen standen bereits auf dem Tresen. Er schnupperte daran. »Hast du schon Äpfel gepflückt?«
»Weg da.« Sie schob ihn zur Seite, damit sie die Ofentür öffnen und einen vierten Kuchen herausholen konnte.
Er spähte aus dem Küchenfenster. »Wo ist Dad?«
»Äpfel pflücken. Ich nehme an, er hat deinen Truck gesehen. Müsste jeden Moment da sein.«
Mitch nahm sich ein Glas Wasser und beobachtete sie unauffällig, während er darauf wartete, dass sein Vater auftauchte. Sie sah gesund aus und wirtschaftete in der Küche herum wie immer. Ihre Wangen hatten eine gute Farbe und ihre Bewegungen wirkten mit dreiundsechzig noch genauso geschmeidig und sicher wie mit vierzig. Es sei denn, es stimmte etwas in ihrem Inneren nicht.
Oh nein. Krebs. War es das, worum es hier ging? Nein, das konnte er nicht noch einmal durchmachen. Er konnte es nicht ertragen. Ihm wurde eng um die Brust.
Die Fliegengittertür öffnete sich knarrend und schlug zu. »Mitch?«
»Hier drin, Dad.«
Sein Herz schlug schneller, als die Schritte seines Vaters näherkamen. Vielleicht war das der Grund, warum er eine Vorahnung verspürt hatte, als er angekommen war. Seine Eltern verbargen eine schreckliche Diagnose vor ihm. Er hätte sich früher auf den Weg zu ihnen machen sollen.
Randolf trug einen Eimer voller Äpfel zum Küchentisch und stellte ihn dort ab. »Hallo.«
»Hey.« Mitch trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich habe früher Feierabend gemacht und dachte, ich komme mal vorbei.«
June schnaubte. »Hier im Weg rumstehen, das tut er.«
Sein Vater nahm die Baseballmütze ab und kratzte sich am Kopf. »Nun, schön, dich zu sehen.«
»Steht nicht einfach da und starrt euch an.« June schlug ein Handtuch in seine und Randolfs Richtung. »Geht noch ein paar Äpfel pflücken.«
Mitch folgte seinem Vater, als dieser zur Tür hinausging. Es war ohnehin einfacher, dieses Gespräch irgendwo zu führen, wo seine Mutter nicht dabei war.
Er beobachtete, wie sein Vater vorsichtig jede Stufe der Veranda nahm, sein linkes Bein fest auf die nächste Stufe setzte und dann das rechte mit einem Schnaufen nach unten wuchtete. Mitch konnte sich nicht erinnern, dass er sich jemals so langsam bewegt hatte. Hatte er in letzter Zeit derart abgebaut oder war es schon eine Weile so schlimm, und Mitch hatte es nicht bemerkt?
Er nahm sich einen leeren Eimer, der am Fuß der Treppe stand. »Warum sagst du mir nicht, was los ist, Dad?«
Randolf blickte geradeaus und stapfte auf die drei Apfelbäume an der Nordseite des Hauses zu. Mitch ging schweigend neben ihm her, er wusste, dass sein Vater sich nicht drängen lassen würde. Randolf trug trotz des Sonnenscheins sein übliches langärmeliges kariertes Flanellhemd und verblichene Jeans, die sich allerdings nur mithilfe eines abgenutzten Ledergürtels, auf dem sein Name eingestanzt war, an seiner drahtigen Statur halten konnte.
Als sie die Bäume erreichten, pflückte Mitch einen tief hängenden Apfel und biss hinein. »Bisschen säuerlich.«
»Mm-mmh.« Randolf griff sich auch einen Apfel und legte ihn in den Eimer. »Ich hätte noch ein oder zwei Wochen gewartet, aber deine Mutter hat darauf bestanden.«
Mitch runzelte die Stirn. Sie hatte schon immer ein Händchen dafür gehabt, genau zu wissen, wann die Äpfel reif waren. »Wofür sind all die Kuchen? Ist in der Gemeinde was los?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Wofür sind sie denn dann?«
Randolf stieß einen langen Seufzer aus und zuckte mit den Schultern. »Deine Mutter ist in letzter Zeit nicht mehr sie selbst, Junge.«
Mitch wurde flau im Magen. Jetzt kam es. Die schlechte Nachricht. »War sie schon beim Arzt? Ist es schlimm?«
»Nein, nein. Kein Arzt. Sie wird da nicht hingehen. Sie wuselt nur im Haus herum.«
Mitch legte die Stirn in Falten. »Macht sie das nicht immer?«
»Tja.« Randolf hielt mit einem Apfel in jeder Hand inne. »Vermutlich.«
Was war hier los? Seine Mutter war wie immer sehr beschäftigt, und wenn sie nicht beim Arzt gewesen waren, gab es auch keine Diagnose. Mitch sah, wie sein Vater zusammenzuckte, als er nach einem Apfel über seinem Kopf griff, und fragte sich, um wen von seinen Eltern er sich eigentlich gerade Sorgen machen sollte.
»Warum machst du nicht eine Pause, Dad?« Er wies zum Haus. »Ich mache das hier fertig.«
Mitch nahm zwei Kuchen mit nach Hause, einen für sich selbst – als ob er einen ganzen Kuchen essen könnte – und einen für »deine nette kleine Nachbarin«, wie seine Mutter es ausdrückte. Als ob es nicht das Allerletzte wäre, Marge, die ein Hauch von Persönchen war, einen kompletten Kuchen zu bringen. Er stellte sie auf den Tisch und fragte sich, was in aller Welt er mit zwei ganzen Kuchen anfangen sollte.
Selbst ohne die beiden, die er ihnen abgenommen hatte, würden seine Eltern den Rest der Woche Apfelkuchen essen – zum Frühstück, Mittag- und zum Abendessen. Aber dass seine Mutter das Kuchenbacken stark übertrieb, war nichts, worüber man sich Sorgen machen musste, wie er seinem Vater vor seiner Abfahrt zu erklären versucht hatte. Die geschäftige Juniper Jensen brauchte nur ein neues Hobby oder eine neue Freundin oder so etwas. Das war alles.
Er stellte ein paar Reste eines Hackbratens in die Mikrowelle und blätterte seine Post durch. Abends vermisste er Caroline am meisten. Zwanzig Jahre lang war sie da gewesen und hatte neben ihm gesessen. Er hatte mit ihr geredet, Essen und Leben mit ihr geteilt, und jetzt hatte er nichts als einen leeren Tisch und einen kleinen Teller mit aufgewärmtem Hackbraten vor sich.
Der Text von »Sweet Caroline« ging ihm durch den Kopf. Obwohl er ein eingefleischter Countryfan war, hatte das alte Lied von Neil Diamond einen besonderen Platz in seinem Herzen. Er hatte es immer aus voller Kehle gesungen, wenn er nach der Arbeit durch die Tür gestürmt war, sehr zu Carolines Verdruss. Was würde er dafür geben, noch einmal sehen zu können, wie sie ihre Augen verdrehte? Wie sie seinen Arm tätschelte und sagte: »Ich freue mich auch, dich zu sehen, Schatz.«
Der Brunftschrei eines Hirschs ertönte. Er schüttelte die Erinnerungen ab und ließ den Blick durch die Küche schweifen. Wo hatte er sein Handy hingelegt? Er sah auf den Tresen, in seine Hosentaschen und zu den Kuchen. Wer würde ihn um diese Zeit anrufen?
Der Hirsch wiederholte seinen hohen Ruf, und Mitch folgte dem Klang mit den Ohren.
»Oh.« Er eilte zu seiner Jacke, die er über eine Stuhllehne gehängt hatte, und schob seine Hand in die Tasche. Da war es.
»Hallo?« In seiner Eile zu antworten schaute er nicht einmal auf das Display.
»Dad?«
Das war eine Überraschung. Ein Lächeln ließ sein Gesicht erstrahlen. »Bibi, hey. Wie geht es...




