E-Book, Deutsch, 170 Seiten
Popovic / Popovic Der Pudel des Staatsführers
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-86391-451-6
Verlag: Verlag Voland & Quist
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 170 Seiten
ISBN: 978-3-86391-451-6
Verlag: Verlag Voland & Quist
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Edo Popovi?, geb. 1957, lebt in Zagreb. Er war Mitbegründer einer der einflussreichsten Underground-Literaturzeitschriften des ehemaligen Jugoslawiens, sein erster Roman 'Pono?ni boogie' ('Mitternachtsboogie' 1987) wurde zum Kultbuch seiner Generation. 1991-1995 war Edo Popovi? einer der bekanntesten Kriegsberichterstatter Kroatiens, anschließend veröffentlichte er mehrere Romane und Erzählbände. Edo Popovi? gilt als Kroatiens Stimme der gesellschaftlichen Transformation nach der Wende.
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1.
Der Tote lag im Park der psychiatrischen Klinik, unter einem Japanischen Ahorn mit scharlachroten Blättern, wenige Meter entfernt vom Loch im Drahtzaun. Gefunden hatte ihn der Gärtner, während er damit beschäftigt war, das Laub mit einem Rechen zusammenzukehren, woraufhin er sofort zum Direktor gerannt war, dieser wiederum hatte die Polizei gerufen. Am Tatort trafen die Polizisten aufgeregte Klinikpatienten vor, etwa zwanzig bis dreißig von ihnen drängten sich um den toten Körper. Einer von ihnen, mit einem birnenförmigen Kopf, zeigte mit dem Finger auf den Leichnam und rief mit aufgeregter Stimme: Die Serben kommen! Ein langgliedriger, hagerer Mann lief aufgeregt hin und schrie: Verrat! Ein anderer, abgetaucht im wabernden Körperhaufen, rief alle Umstehenden auf: Zieht eure Schwerter aus der Scheide, ihr kroatischen Ritter!
Als es den Polizisten schließlich mit Hilfe der Krankenpfleger und viel Hickhack, Geschrei und Kraftausdrücken gelang, die Klinikpatienten zu vertreiben, hatte sich rund um den leblosen Körper eine mehrere Meter breite Zone aus zertrampeltem Gras gebildet. Eine ordentliche Bestandsaufnahme, Spurensicherung oder Beweismittelsammlung konnte man sich somit abschminken.
Hat es überhaupt Sinn, hier noch etwas abzusichern?, fragte einer der Uniformierten. Wir sollten lieber Absperrband sparen, damit könnten wir ein Plus im Arbeitszeugnis ergattern.
Red keinen Scheiß, sagte ein anderer Uniformierte. Riegeln wir den Tatort ab.
Etwas später kam das Team für die Tatbestandsaufnahme an, Staatsanwalt Mato Tomasovic, die Diensthabende von der Gerichtsmedizin Frau Dr. Lidija Puškaric, die kriminalistischen Forensiker und kurz nach ihnen auch Branko Rakitic und Marko Ancic, Inspektoren der Kriminalpolizei, zuständig für Kapitaldelikte.
Ein Forensiker stand mit einer Kamera recht verloren neben dem polizeilichen Absperrband herum.
Verdammt, stöhnte Tomasovic und drehte sich zu Rakitic, einem stämmigen, gedrungenen Mann in seinen Dreißigern. Schau dir das an.
Hallo Tomasovic, entgegnete er, gab es hier eine Schlacht, oder was?
Die Typen hier haben eine Massenpanik veranstaltet, antwortete Tomasovic und zeigte auf die Klinikpatienten. Und du, warum hast du noch keine Aufnahmen gemacht?, fragte er den Forensiker genervt, woraufhin der sich augenblicklich ans Fotografieren machte.
Lidija, wie geht es dir?, fragte Rakitic die Ärztin Puškaric, nachdem er ihr seine Hand entgegengestreckt hatte. Lang nicht mehr gesehen.
Comme ci, comme ça. Dir?
Es geht. Die haben den Tatort ordentlich durcheinandergewirbelt. Rakitic machte eine Handbewegung zum abgesperrten Areal.
Ich hoffe, sie haben den Leichnam nicht angefasst, sagte sie. Der Tote war ein junger Mann mit kurzen Haaren. Er lag auf dem Rücken, die Arme weit auseinander, als wollte er sich entschuldigen für das, was ihm zugestoßen war. Er trug stonewashed Jeans und weiße Lederturnschuhe, an der Tasche seiner Sportjacke war ein Stück Papier mit einer Stecknadel befestigt. Die Forensiker machten Aufnahmen, skizzierten den Tatort und packten alles, was sie rund um den toten Körper finden konnten, in kleine Tüten, sie nahmen Proben von der Kleidung des Ermordeten, und schließlich machte sich die Ärztin Puškaric daran, den Körper zu untersuchen. Sie nahm den Zettel von der Jacke des Toten und legte ihn in eine kleine Plastiktüte.
Das könnte dich interessieren, sagte sie, während sie sich zu Rakitic umdrehte.
Rakitic bückte sich und schlüpfte unter dem Band durch, nahm die Plastiktüte und ging wieder zurück.
Hmm, kyrillisch, brummte er und betrachtete den Zettel. Hat einer von euch hier noch im Kommunismus die Schule besucht?, fragte er laut in die Runde.
Ich, sagte ein Uniformierter.
Dort habt ihr die kyrillische Schrift gelernt, stimmt’s?
Der Uniformierte nickte.
Kannst du das hier lesen?, fragte Rakitic und reichte ihm den Zettel.
Ach so, deshalb hat der eine Durchgeknallte irgendwas von Serben herumschwadroniert, sagte der Uniformierte.
Was?
Als wir ankamen, schrie einer von denen, Die Serben kommen!, und solche Sachen.
Ah ja. Aber kannst du das hier jetzt lesen oder nicht?
Ja, kann ich, sagte der Uniformierte.
Und, was steht da?
Da steht: Ich hab dich in die Hintertasche gesteckt.
In was?
In die Hintertasche.
Hintertasche? Was ist eine Hintertasche?
Der Uniformierte zuckte mit den Schultern.
Bist du sicher, dass hier Hintertasche steht?
Ganz sicher, ich hatte eine Eins in Kroatisch.
In Kroatisch?
Ja.
Kyrillisch habt ihr im Kroatisch-Unterricht gelernt?
Ja.
Interessant, sagte Inspektor Rakitic.
Im selben Moment erblickte er das Loch im Zaun.
Was ist das?
Ein Loch im Zaun, sagte der Uniformierte.
Rakitic schaute ihn an.
Habt ihr das etwa auch im Kroatisch-Unterricht gelernt? Und wo kommt das Loch her?
Durch dieses Loch gehen sie zum Supermarkt, sagte der Uniformierte. Wer geht durch dieses Loch zum Supermarkt?
Die Verrückten und die Alkoholiker aus der Klinik, antwortete der Uniformierte ruhig. Sie sind gute Kunden, lassen viel Kohle im Laden und in der Kneipe liegen.
Und warum gehen sie nicht durchs Tor?
Weil es ihnen verboten ist, das Klinikgelände zu verlassen.
Aber es ist ihnen nicht verboten, das Klinikgelände durch ein Loch im Zaun zu verlassen?
Der Uniformierte zuckte wieder mit den Schultern.
Ich nehme an, der Ladenbesitzer schmiert jemanden in der Klinik, dann drücken die hier ein Auge zu und tun so, als würden sie das Loch nicht sehen.
Ein Auge zudrücken?, fragte Rakitic. Und woher weißt du das alles?
Ich wohne in dem Haus da drüben, antwortete der Uniformierte.
Und hast du diese korrupten Machenschaften bei uns angezeigt?, wollte Rakitic wissen.
Der Uniformierte schüttelte den Kopf.
Ich bin doch nicht blöd. Der Supermarkt gehört Perkovic, und man weiß doch, dass ihm keiner was anhaben kann. Sollte ich in seinen Angelegenheiten herumstochern, würde ich bloß auf die Schnauze fliegen.
Er sagte die Wahrheit. Über dem Parlament steht nur Gott allein, und über Gott stehen Perkovic und vierzig Tycoons – so lautete das Prinzip, auf dem dieses Stückchen Erde, behelfsmäßig Republik Kroatien genannt, beruhte. Rakitic ging zum Loch im Zaun, von wo aus die grün-blaue Farbe der Handelskette Tepex auf einer Fassade zu sehen war, Teil des Unternehmens Agroland, im Besitz von Teodor Perkovic, einer Firma, die sich mit allem beschäftigte, was schnell Cash einbrachte, nicht nur mit Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie, wie der Firmenname nahelegte. Rakitic ging wieder zurück zu den Forensikern, die ihre Arbeit erledigt hatten.
Irgendwas Nützliches gefunden?, fragte er einen von ihnen.
Ich weiß es noch nicht. Es gab recht viel Müll, zwei zerdrückte Bierdosen, eine leere Cognacflasche im Busch, Bierdeckel. Die Schuhabdrücke und andere Spuren sind vernichtet. Erwarte nicht zu viel.
Frau Dr. Puškaric meint, er könnte mit einem Messer erstochen worden sein, sagte Ancic, der auf Rakitic zukam.
Messer, Pistole, Steinaxt, Keule, was macht es für einen Unterschied, entgegnete Rakitic. Wer ist er überhaupt?
Er hatte ein Portemonnaie in der Hose, sagte Frau Dr. Puškaric. Laut Personalausweis heißt er Stjepan Starman, geboren 1990 in Zagreb, wo er auch wohnhaft ist.
Wurde noch etwas in den Hosentaschen gefunden?
Ein Autoschlüssel und ein Wohnungsschlüssel.
Ist Geld im Portemonnaie?
Etwas mehr als dreihundert Kuna, sagte sie, warum fragst du?
Damit ich weiß, wo wir heute zu Mittag essen. Was denkst du, fragte Rakitic und drehte sich zu Ancic um, welche Abteilung besuchte er hier, und was fehlte ihm, außer dass er tot ist, natürlich?
Ancic zuckte mit den Schultern.
Ein Mann mittleren Alters kam auf sie zu, sein Teint war vollkommen weiß. Er sieht aus, als wäre er mit Puder überzogen, dachte Rakitic und maß ihn mit seinem Blick ab.
Ich bin Doktor Kuzmanovic, stellte der Mann sich vor und streckte Rakitic seine Hand entgegen, der Klinikdirektor.
Ich habe mich schon gefragt, wo Sie stecken, sagte Rakitic. Ich bin Inspektor Rakitic, das ist mein Kollege Inspektor Ancic.
Wenn ich Sie bitten darf, bat Kuzmanovic, bringen Sie die Leiche so schnell wie möglich hier weg, unsere Patienten sind furchtbar aufgeregt, ich denke, sie werden sich beruhigen, sobald …
War er auch ein Patient bei Ihnen?
Nein, war er nicht, aber er kam häufig zu Besuch, sein Freund ist bei uns untergebracht.
Mit dem Freund unterhalten wir uns später …
Ich fürchte, das wird nicht gehen … Der Freund befindet sich in intensiver Behandlung und er ist, hm, nicht immer ansprechbar.
Was hat er denn?
Wenn es Ihren Ermittlungen dienlich ist …
Ja, ist es.
Doktor Kuzmanovic seufzte.
Ein sehr schwerer Fall von Schizophrenie, sagte er leise, fast flüsternd. Wenn er einen Anfall hat, glaubt er, er sei ein Pudel.
Ein Pudel?
Ja, der Pudel des Staatsführers Ante Pavelic. Er glaubt dann, er werde...




