Popovic / Miller | Protest! | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Reihe: Fischer Paperback

Popovic / Miller Protest!

Wie man die Mächtigen das Fürchten lehrt
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-10-403328-0
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wie man die Mächtigen das Fürchten lehrt

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Reihe: Fischer Paperback

ISBN: 978-3-10-403328-0
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



DIE KONKRETE ANLEITUNG ZUM EFFEKTIVEN, GEWALTFREIEN WIDERSTAND von dem international bekannten »Widerstandsguru« (Tagesspiegel) und Politaktivisten Srdja Popovic Nichts ist wirksamer als gewaltfreier Widerstand. Und niemand weiß das besser als der international bekannte Aktivist Srdja Popovic. Als Student gelang es ihm und seinen Freunden den Diktator Milo?evic zu stürzen, seitdem berät er seit Jahren weltweit Bürgerrechts- und Demokratiebewegungen und andere Aktivistengruppen. Hier versammelt er seine konkreten Tipps und Tricks zur Organisation des gewaltfreien Protests, z.B. welche Strategien am effektivsten sind, wie man die Presse gewinnt, die richtigen Verbündeten findet oder warum Humor die beste Waffe ist, und belegt sie mit zahlreichen beeindruckenden und kreativen Fallbeispielen. FÜR ALLE, DIE IHR VIERTEL VERSCHÖNERN, ETWAS IN DER GESELLSCHAFT BEWEGEN ODER GAR DIE WELT VERÄNDERN MÖCHTEN => DIE ANLEITUNG ZUM GEWALTFREIEN WIDERSTAND! »Srdja Popovic hat mit Phantasie, Gerissenheit und einer guten Portion Humor eine Bewegung hervorgebracht, die es nicht nur schaffte, den brutalen Diktator Slobodan Milo?evic zu stürzen, sondern die zu einer Art Blaupause für gewaltfreien Widerstand weltweit wurde.« Peter Gabriel

SRDJA POPOVIC (geb. 1973 in Belgrad) ist ein international bekannter Politaktivist. Mit der von ihm mitbegründeten Bewegung Otpor! ist es ihm 2000 gelungen, Slobodan Milosevic zu stürzen. Seitdem berät er mit seiner unabhängigen Organisation CANVAS (Centre for Applied Nonviolent Action and Strategies) in der ganzen Welt Widerstandskämpfer, u.a. in Ägypten, Syrien, Tunesien, Georgien und auf den Malediven. Der »Tagesspiegel« bezeichnete Popovic als »Widerstandsguru«. In der Zeitschrift »Foreign Policy« wurde Popovic im November 2011 als einer der wichtigsten 100 globalen Vordenker bezeichnet, »Wired« zählte ihn zu den 50 Menschen, die die Welt verändern werden und das World Economic Forum wählte ihn zu einem der Young Global Leaders 2013.
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Kapitel 2

Große Träume, kleiner Anfang


Ich persönlich finde Hüttenkäse ja eklig. Verzeihen Sie mir, aber ich bin Serbe, und wir leben für einen Frischkäse namens Kajmak. Ich sage zwar Frischkäse, aber Kajmak hat nichts mit dem abgepackten Zeug zu tun, das Sie aus dem Supermarkt kennen. Mit seiner weichen, sahnigen Textur erinnert er entfernt an Joghurt, aber kommt nicht aus der Fabrik. Wie die meisten serbischen Lebensmittel hat er eine lange Geschichte und ordentlich Cholesterin. Angeblich haben Länder mit einer turbulenten Vergangenheit die beste Küche, und das könnte eine Erklärung dafür sein, warum Sie heute trotz aller verlorenen Kriege und Eroberungen auf der Speisekarte eines guten Belgrader Cafés türkische Baklava neben österreichischer Sachertorte finden. Aber so blutig unsere Geschichte auch gewesen sein mag, mit dem Nahen Osten kann sie vermutlich nicht mithalten. Dort entwickeln die Menschen übrigens auch eine große Leidenschaft für ihr Essen. Die Israelis, Gott behüte sie, lieben Hüttenkäse. Ich finde das Zeug widerlich und klumpig, aber sie können nicht ohne ihn leben. Zum Frühstück essen sie ihn mit Rührei, zum Mittagessen mischen sie ihn unter den Salat. Aber um das Jahr 2011 herum wurde er ziemlich teuer.

Das war nicht das Einzige, was die Israelis feststellten. Seit zwei Jahrzehnten hatte der einst so großzügige Staat eine schmerzhafte Privatisierungswelle erlebt und viele Sozialleistungen gestrichen. Zehntausende arme Israelis waren auf der Suche nach günstigen Wohnungen auf einem zunehmend leergefegten Wohnungsmarkt. Dieser wurde inzwischen von einer Handvoll mächtiger Bauunternehmer beherrscht, die alte Gebäude abbrachen und an deren Stelle glitzernde Hochhäuser errichteten.

Wie jeder weiß, der sich einmal mit einem Vermieter herumschlagen musste, haben Sie kaum eine Möglichkeit, Ihr Recht auf bezahlbare Mieten durchzusetzen. Wenn Sie Ihren Vermieter darauf ansprechen, verweist der Sie vermutlich einfach an die Anzeigenseiten Ihrer Tageszeitung und legt Ihnen nahe, sich etwas anderes zu suchen. Außerdem finden sich in jeder Stadt und in jedem Land viele Leute, die Gentrifizierung für eine gute Sache halten und Neubauten begrüßen. Während sich also die weniger betuchten Israelis um den letzten bezahlbaren Wohnraum stritten, zuckten viele andere nur mit den Schultern und bewunderten die eleganten neuen Gebäude, die überall aus dem Boden schossen. Die ärmeren Israelis entwickelten zwar immer größere Ressentiments gegen die neue Klasse der Superreichen mit ihren Privatjets und vornehmen Clubs, doch die meisten Bürger waren der Ansicht, dass das Leben in Israel verglichen mit dem Rest der Welt noch sehr angenehm war. Sie konnten es sich leisten, am Wochenende zu Ikea zu fahren, neue Fernseher zu kaufen und ins Ausland zu reisen.

Einige wenige Wichtigtuer – humorlose Leute, die man höflich abwimmelt, wenn man ihnen zufällig auf einer Party begegnet – ärgerten sich über die neuen Gebäude und den Geltungskonsum der israelischen Gesellschaft und forderten einen Systemwechsel oder zumindest einen Sturz der Regierung. Aber niemand hörte ihnen zu. Wie bei uns in Serbien hatten diese Spielverderber eine klare Zukunftsvision: Sie wollten in einem Land mit einem funktionierenden sozialen Netz leben, das die Schwachen auffing. Sie waren gar nicht gegen die Marktwirtschaft und waren stolz auf die erfolgreiche Industrie, vor allem die Hightech-Industrie, ihres Landes. Was sie dagegen ablehnten, war der »Schweinekapitalismus« – ein Schlagwort, das um das Jahr 2010 aufkam und bald in aller Munde war. Sie hatten allerdings keine Ahnung, was sie dagegen tun konnten.

An diesem Punkt kommt Itzik Alrov ins Spiel. Wenn Israelis an ihre Helden denken, dann denken sie an braungebrannte, muskelgestählte Krieger oder an hübsche Models wie Bar Rafaeli, nicht an dürre, ultraorthodoxe Versicherungsvertreter, die sich als Sänger in der Synagoge ein paar Schekel dazuverdienen. Doch dieser Alrov war ein nachdenklicher und leidenschaftlicher Mann. Wie so viele seiner Mitbürger hatte er etwas gegen den »Schweinekapitalismus«,[5] doch er wusste, wenn er etwas bewegen wollte, dann musste er den Kampf zur Sache aller Bürger machen, auch der relativ wohlhabenden. Er wusste, dass sich die meisten Menschen abwenden würden, wenn man etwas Bedrohliches wie den Rücktritt des Premierministers oder die Einführung eines neuen Wirtschaftssystems verlangte. Instinktiv war ihm klar, dass man den Kampf für eine bessere Gesellschaft nicht mit einem großen Showdown beginnen kann. Am Anfang sind alle Nobodys. Und Nobodys müssen sich diejenigen Auseinandersetzungen suchen, die sie gewinnen können. Deshalb kämpft ein Kinoheld wie Batman in den ersten Szenen immer gegen gewöhnliche Gauner. Er sucht sich einfache Auseinandersetzungen und macht sich einen Namen. Erst dann legt er sich mit Joker an. Egal wie wichtig Ihnen die großen Fragen sein mögen, Sie müssen mit etwas Machbarem anfangen. Alrov wusste, dass er es nicht gleich mit dem ganzen Wirtschaftssystem aufnehmen konnte. Aber er konnte beim Hüttenkäse anfangen.

Wie alle Israelis liebte er Hüttenkäse und wusste, wie viel er seinen Landsleuten bedeutete. Weil der Hüttenkäse auf dem Speiseplan vieler Bürger stand, hatte die Regierung ihn lange Zeit subventioniert und einen Höchstpreis festgelegt. Damit blieb er bezahlbar. Doch im Jahr 2006 überlegte es sich die Regierung anders.[6] Wie in so vielen anderen Bereichen beschloss sie, dem Markt die Kontrolle zu überlassen, und strich die Subventionen. Als der Finanzminister, ein bärtiger Herr mit roten Bäckchen, der entfernt an den Nikolaus erinnerte, in einem Interview dazu gefragt wurde, lachte er fröhlich. Die Israelis hätten gar keinen Grund, sich Sorgen zu machen, erklärte er. Dank der Konkurrenz könnten die Kunden nach der Öffnung des Hüttenkäsemarktes bessere Produkte erwarten. In gewisser Hinsicht behielt er recht: In den kommenden vier Jahren kamen Dutzende neuer Hüttenkäse-Produkte in die Supermarktregale, von hausgemachten Hüttenkäsen bis zu Käsen, die mit Joghurt und anderen Zutaten verfeinert wurden. Der Minister verschwieg jedoch geflissentlich, dass die Streichung der Subvention ihren Preis haben würde. Im Jahr 2006 kostete die Packung Hüttenkäse noch vier Schekel oder umgerechnet 75 Cent, doch als Alrov über einen Protest gegen den Anstieg der Lebenshaltungskosten nachdachte, kostete er bereits doppelt so viel. Alrov erkannte schnell, dass der Protest gegen die Preissteigerungen beim Hüttenkäse ein perfektes Instrument für den Wandel war.

Alrov richtete eine Facebook-Seite ein und garnierte sie mit dem Foto eines Käsekleckses. Dieser neuen Gruppe in seinem Netzwerk gab er den etwas umständlichen Namen »Hüttenkäse ist ein Grundnahrungsmittel und kostet inzwischen acht Schekel. Wir werden ihn einen Monat lang nicht kaufen!!!« Er verlangte, den Käse in den Regalen so lange vergammeln zu lassen, bis die Hersteller ihre Preise senkten. Und da er ein religiöser Mensch war, hüllte er seinen Protest in apokalyptische Worte: »Wenn wir unser Verlangen nach Hüttenkäse nicht überwinden, wird es uns nie mehr gelingen, ihn bezahlbar zu machen.«[7]

Zunächst schlossen sich nur 32 Menschen, allesamt Freunde von Alrov, seiner Forderung an. Doch Israel ist ein kleines Land, und ein Blogger, der sich über den Hüttenkäseboykott wunderte, interviewte Alrov. Am Tag nach der Veröffentlichung des Interviews hatte Alrov schon 9000 Anhänger. Für die Medien war dieser verschrobene Held der Arbeiterklasse ein gefundenes Fressen, und sie griffen das Thema begierig auf. Es dauerte nicht lange, und Alrovs Seite hatte 100000 Anhänger,[8] was in einem Land mit sieben Millionen Einwohnern eine ganze Menge ist. Alrov hatte ein gutes Thema gefunden, und da Erfolg anziehend macht, wuchs seine Gefolgschaft.

Die drei oder vier Molkereibetriebe, die den israelischen Markt beherrschen, taten das, was die Großen und Mächtigen – Konzerne, Regierungen oder Diktatoren – immer tun. Zunächst ignorierten sie Alrov und seine Anhänger ganz einfach. Just als der Hüttenkäseprotest an Fahrt aufnahm, kündigte der größte Anbieter Tnuva ein neues Produkt namens »Hüttenkäsehäppchen« an – kleine Portionen mit Beigaben wie Obststückchen oder Schokokrümeln. Mit dem neuen Produkt werde sich Tnuva »weiter von den Konkurrenten absetzen, dank der höheren Preise, die seine Kunden dafür bezahlen«, so der Tnuva-Sprecher. Das war eine reichlich dumme Aussage, doch im Jahr 2011 fühlte man sich bei Tnuva der eigenen Marktführerschaft so sicher, dass man sich darüber keine Gedanken machte.

Das war ein Fehler. Alvor erkannte, dass der Hüttenkäse seinen Landsleuten eine Möglichkeit gab, über die Wirtschaft, soziale Ungerechtigkeit und die nationalen Prioritäten ganz allgemein zu sprechen. Die meisten Menschen haben keine Ahnung, wie die Wirtschaft funktioniert – meine Frau und der Sachbearbeiter bei meiner Bank werden Ihnen bestätigen, dass das auch auf mich zutrifft. Aber jeder versteht, wie wütend es machen kann, wenn ein lebensnotwendiges Produkt immer teurer wird und der einzige Grund dafür die Gier einiger weniger Hersteller ist. Die meisten Israelis wollten keine neuen Produkte, sie wollten bezahlbaren Hüttenkäse. Angestachelt durch Alrovs Aufruf wagten sie den Schritt und verzichteten auf ihren geliebten Hüttenkäse. Tnuvas...


Miller, Matthew
MATTHEW MILLER hat bereits zahlreiche Bücher als Co-Autor mitverfasst.

Neubauer, Jürgen
Dr. Jürgen Neubauer studierte Anglistik und Germanistik und war als Lektor für das Sachbuchprogramm des Campus Verlags verantwortlich. Heute ist er als freiberuflicher Übersetzer und Buchautor tätig und hat u.a. Yuval Noah Harari, Anne Applebaum, den Dalai Lama und Malcolm Gladwell übersetzt.

Popovic, Srdja
SRDJA POPOVIC (geb. 1973 in Belgrad) ist ein international bekannter Politaktivist. Mit der von ihm mitbegründeten Bewegung Otpor! ist es ihm 2000 gelungen, Slobodan Milosevic zu stürzen. Seitdem berät er mit seiner unabhängigen Organisation CANVAS (Centre for Applied Nonviolent Action and Strategies) in der ganzen Welt Widerstandskämpfer, u.a. in Ägypten, Syrien, Tunesien, Georgien und auf den Malediven. Der 'Tagesspiegel' bezeichnete Popovic als 'Widerstandsguru'. In der Zeitschrift 'Foreign Policy' wurde Popovic im November 2011 als einer der wichtigsten 100 globalen Vordenker bezeichnet, 'Wired' zählte ihn zu den 50 Menschen, die die Welt verändern werden und das World Economic Forum wählte ihn zu einem der Young Global Leaders 2013.

Srdja PopovicSRDJA POPOVIC (geb. 1973 in Belgrad) ist ein international bekannter Politaktivist. Mit der von ihm mitbegründeten Bewegung Otpor! ist es ihm 2000 gelungen, Slobodan Milosevic zu stürzen. Seitdem berät er mit seiner unabhängigen Organisation CANVAS (Centre for Applied Nonviolent Action and Strategies) in der ganzen Welt Widerstandskämpfer, u.a. in Ägypten, Syrien, Tunesien, Georgien und auf den Malediven. Der 'Tagesspiegel' bezeichnete Popovic als 'Widerstandsguru'. In der Zeitschrift 'Foreign Policy' wurde Popovic im November 2011 als einer der wichtigsten 100 globalen Vordenker bezeichnet, 'Wired' zählte ihn zu den 50 Menschen, die die Welt verändern werden und das World Economic Forum wählte ihn zu einem der Young Global Leaders 2013.
Matthew MillerMATTHEW MILLER hat bereits zahlreiche Bücher als Co-Autor mitverfasst.

SRDJA POPOVIC (geb. 1973 in Belgrad) ist ein international bekannter Politaktivist. Mit der von ihm mitbegründeten Bewegung Otpor! ist es ihm 2000 gelungen, Slobodan Milosevic zu stürzen. Seitdem berät er mit seiner unabhängigen Organisation CANVAS (Centre for Applied Nonviolent Action and Strategies) in der ganzen Welt Widerstandskämpfer, u.a. in Ägypten, Syrien, Tunesien, Georgien und auf den Malediven. Der »Tagesspiegel« bezeichnete Popovic als »Widerstandsguru«. In der Zeitschrift »Foreign Policy« wurde Popovic im November 2011 als einer der wichtigsten 100 globalen Vordenker bezeichnet, »Wired« zählte ihn zu den 50 Menschen, die die Welt verändern werden und das World Economic Forum wählte ihn zu einem der Young Global Leaders 2013.
MATTHEW MILLER hat bereits zahlreiche Bücher als Co-Autor mitverfasst.  Dr. Jürgen Neubauer studierte Anglistik und Germanistik und war als Lektor für das Sachbuchprogramm des Campus Verlags verantwortlich. Heute ist er als freiberuflicher Übersetzer und Buchautor tätig und hat u.a. Yuval Noah Harari, Anne Applebaum, den Dalai Lama und Malcolm Gladwell übersetzt.



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