E-Book, Deutsch, 389 Seiten
Pons Todesdichter - oder: Ich bin ein Mörder
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98952-080-6
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Thriller | Er spinnt ein Netz aus Lügen - wird sie in seiner Falle sterben?
E-Book, Deutsch, 389 Seiten
ISBN: 978-3-98952-080-6
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Brigitte Pons lebt und arbeitet in Hessen, in der Nähe von Frankfurt/Main. Sie ist Mitglied der »Mörderischen Schwestern«, schreibt Romane und Kurzgeschichten und ist immer auf der Suche nach dem perfekten Text. Ihre Geschichten variieren zwischen mörderisch und heiter, provokant bis tiefsinnig. Die Website der Autorin: brigittepons.de Die Autorin bei Facebook: facebook.com/brigitte.pons.autorin/ Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihren Thriller »Todesdichter« und ihre kulinarische Romanze »Liebe ist der beste Koch«.
Autoren/Hrsg.
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Samstag, 13. Oktober
»Ich bin ein Mörder. Das gebe ich offen zu. Sie sind schockiert. Weshalb? Weil ich ein Mörder bin oder weil ich darüber spreche? Sicher Letzteres. Es gibt viele Mörder auf dieser Welt. Sie verstecken sich. Sie morden heimlich. Aus Kalkül. Aus Leidenschaft. Aus Geldgier. Aus Not. Aus Angst. Ich nicht. Ich morde, um des Mordens willen. Das verstehen Sie nicht? Lassen Sie es mich erklären. Ich bin kein Psychopath, ich muss nichts kompensieren, ich höre keine Stimmen, die mich zwingen, einen höheren Auftrag zu erfüllen. Ich empfinde keine Lust oder Genugtuung, wenn ich es tue. Ich empfinde einfach nichts. Gar nichts. Niemals. Vielleicht ist das der Grund. Es ist nicht nur Gefühlskälte, es ist weit mehr. Die Abwesenheit jeder Gefühlsregung. Obwohl - das ist schon wieder unpräzise. Es gibt etwas, das ich fühle: Stolz. Wenn mein Plan funktioniert und niemand meine Schliche ahnt. Freude geht vermutlich tiefer. Der Stolz sitzt an der Oberfläche. Wäre ich nicht der, der ich bin, würde ich sagen, ich liebe die Präzision, Perfektion und die Macht, andere zu lenken und zu beeinflussen. Aber so weit kann ich nicht gehen. Ich liebe nichts. Nicht einmal mich selbst. Obgleich ich nahe an die Perfektion heranreiche, die ich als Ideal ansehe. Näher als alle anderen lebenden Menschen.
Sie finden das arrogant? Ja. Sie haben recht. Ich bin nicht nur der perfekteste Mensch und Mörder, ich bin auch der arroganteste Mensch und Mörder auf dieser erbärmlichen Erde. Doch eigentlich wollen Sie wissen, weshalb ich morde. Auch wenn Sie es nicht wissen wollen, will ich es Ihnen erzählen. Warum? Weil Sie als Nächster dran sind. Aber das ist Ihnen vermutlich klar, auch wenn es Ihnen ansonsten an Durchblick fehlt.
Der Gedanke, zu töten, lässt sich zurückverfolgen bis ins Jahr 1986. Damals stand ich kurz vor dem Abitur. Ich war ein sehr guter Schüler. Meiner Deutschlehrerin ist es zu verdanken, dass mein weiteres Leben so verlaufen ist, wie es nun einmal ist. Sie fände das sicher nicht witzig, wenn sie es wüsste. Wir befassten uns mit dem literarischen Schaffen Friedrich Dürrenmatts. Ein begnadeter Mann. Während die anderen mehr oder weniger bestürzt seine Gedankengänge verfolgten, verschlang ich ›Der Richter und sein Henker‹ mit einem Bissen.
Ein sinnloser Mord. Ein perfekter Mord. Der Gedanke ließ mich nicht mehr los. Von diesem Tag an plante ich. Las Tag und Nacht Kriminalromane und entschlüsselte ihre Schwachstellen. Die Geschichten sind meistens dünn und oberflächlich oder auffällig konstruiert, vollgestopft mit extremen Ereignissen und unvorhersehbaren Wendungen. Die Täter dumm, dass es ein Jammer ist. Die Detektive zu gut, um wahr zu sein, oder solche Idioten, dass es zum Himmel stinkt. Ich fand nichts Neues, nichts Bahnbrechendes. Es beleidigte meinen Intellekt. Die Suche nach der perfekten Mordgeschichte und die Banalität der angebotenen Bücher brachten mich selbst zum Schreiben. Mir war klar, dass ich es besser konnte als die anderen.
Arrogant, nicht wahr? Schon wieder. Aber es ist eben eine Tatsache. Genau wie die, dass ich ein Mörder bin. Wieso sollte ich es also verschweigen? Wahrhaftigkeit ist eine gern gesehene Tugend. Oder etwa doch nicht? Bevorzugt ein großer Anteil der Menschheit etwa die beschönigende Lüge? Ich bin mir sicher, dass es so ist.
Sie müssen meine Fragen nicht beantworten. Sie sind rein rhetorisch. Außerdem tragen Sie einen Knebel im Mund, das macht Ihre Worte schwer verständlich. Lassen Sie es also einfach. Ich höre sowieso lieber mich reden als andere.
Meine Bücher wurden zu Kassenschlagern. Erstaunlich, wenn man überlegt, welch hohen Anspruch ich an meine Leser habe. Doch die wenigsten merken das. Sie konsumieren, ohne zu verstehen. Was soll’s, meine Auflagen stiegen, ich erklomm schnell den Schriftstellerolymp. Keiner kann mir das Wasser reichen. Nun überlegen Sie: Was macht man, wenn man ganz oben ist?
Man beginnt sich zu langweilen. So beschloss ich, meinen Erkenntnissen Taten folgen zu lassen. In Anlehnung an meinen Initiationsroman und als Hommage an Dürrenmatt, beging ich meinen ersten Mord. Ich stieß einen jungen Mann von einer Brücke. Einfach so, im Vorbeigehen. Ohne Grund. Ohne ihn zu kennen. Ohne Zögern. In einer dunklen Winternacht. Niemand sah mich. Wieso saß er auch auf dem Geländer? Vielleicht habe ich ihm sogar einen Gefallen getan. Er könnte ein Selbstmörder gewesen sein, der sich nicht entschließen konnte zu springen. Das Wasser war eiskalt. Er tauchte unter und nicht mehr auf. Schade eigentlich, dachte ich. Es ging so schnell. Sein Gesicht habe ich nicht gesehen. Befremdlich der Gedanke, es könnte angenehm sein, wenn er mir vor seinem Tod in die Augen gesehen hätte? Eitel, der Wunsch, in seinen Augen die Frage zu lesen: Warum? Oder: Wer bist du? Mag sein. Dieser Mord war noch nicht perfekt - das kränkte mich. Auch, dass es so leicht gewesen war.
Diesen ersten und alle meine folgenden Morde habe ich in meinem letzten Roman beschrieben. Aus der Sicht des Mörders. Ich habe sie alle gestanden. Mein Gewissen ist rein. Niemand will die Wahrheit als Wahrheit erkennen. Man feiert mich für meine Morde. Der Roman ist ein Bestseller, wie Sie wissen. So wie alle meine Romane. Ja, Dürrenmatt hat mich inspiriert. Doch ist sein Mörder nicht mein Vorbild. Schließlich hat auch er sich am Ende dumm und einfältig in die Falle locken lassen. Das wird bei mir niemandem gelingen. Sie wissen das, nicht wahr? Wir beide sind das Pendant zu den Protagonisten in seinem Buch. Erzfeinde. Ein sympathisches Wort. Doch tauschen wir die Rollen und nicht ich werde untergehen.
Das Böse gewinnt. Es muss sein. Sie sterben und ich schenke Ihnen dafür die Unsterblichkeit! Doch Ihr Kapitel fehlt im Buch meiner Morde. Für Sie muss ich wohl ein Neues schreiben. Macht Sie das nicht auch ein bisschen stolz, Herr Kommissar?«
Alexandra hielt den Atem an und beobachtete, wie Tobias Stockmann das Buch beiseite legte. Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen. Die gespenstische Stille, die sie umgab, ließ Alexandra wohlig schaudern. Aus dem Halbdunkel blickte sie zu dem Mann auf, den ein Scheinwerfer in grelles Licht tauchte. Völlig gelassen ruhten seine Hände auf dem Stehpult. Seine linke Augenbraue zuckte leicht nach oben, als er einen Schritt zur Seite trat und sich verneigte.
Alexandra hielt es nicht mehr auf dem Stuhl. Standing Ovations. Die meisten Zuhörer folgten ihrem Beispiel. Alle Sitzplätze neben und hinter ihr waren belegt, und auch die angrenzenden Gänge zwischen den Verlagsständen der Frankfurter Buchmesse wurden von einer dicht gedrängten Menschenmenge ausgefüllt. Es gab nirgends ein Durchkommen, was aber augenscheinlich niemanden störte. Alle hatten wie gebannt der Stimme dieses Mannes gelauscht.
Der frenetische Applaus vertiefte das stolze Lächeln auf Tobias Stockmanns Gesicht.
»Der ist genauso arrogant, wie der Mörder, über den er schreibt.« Mischa blieb demonstrativ neben Alexandra sitzen und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Stimmt. Arrogant, aber brillant. Charismatisch.«
Alexandra pfiff laut auf den Fingern. Das Publikum tobte. Tobias Stockmann nahm an einem Tisch auf der rechten Seite des Podiums Platz und griff nach dem bereitstehenden Mikrofon.
»Danke. Ich danke Ihnen vielmals. Doch der Applaus gehört eigentlich Ihnen. Sie, meine Leser, sind es, die mich beflügeln und immer wieder aufs Neue zu meinen Morden anregen.«
»Haben Sie wirklich all diese Morde begangen?«
Alexandra rief die Frage quer über alle Köpfe hinweg, ohne zu überlegen.
»Wer will das wissen?«
»Ich!« Sie winkte mit beiden Armen. Jemand schaltete eine weitere Lampe ein und schwenkte den Lichtkegel, sodass sie plötzlich im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit stand.
»Und wer sind Sie, schöne Frau?«
Ihre Knie wurden weich beim sanften Klang seiner Stimme. Der intensive Blick, den er ihr schenkte, machte es nicht besser.
»Alexandra Müller, Polizistin der Stadt Frankfurt.«
»Oh! Muss ich etwa mit meiner Verhaftung rechnen?«
Aus dem Augenwinkel bemerkte Alexandra, dass Mischa ihr den Rücken zudrehte. Wahrscheinlich hätte er sich am liebsten unter dem Stuhl verkrochen. Jede Wette, dass die Boulevardpresse morgen über ihren Auftritt berichtete. Mit Foto. Die Blitzlichter zuckten.
»Das kommt ganz darauf an, ob man Ihnen etwas nachweisen kann.«
»Kann man nicht. Das garantiere ich Ihnen, Frau Kriminalkommissarin.«
Sein Lächeln war hinreißend. Die blonden Haare etwas zu lang, sodass einige Haarsträhnen ihm immer wieder ins Gesicht fielen. Jungenhafter Charme, gepaart mit einer ausgesprochen männlichen Portion Selbstvertrauen und gigantischem Erfolg. Beinahe unwiderstehlich.
»Herr Stockmann, stimmt es, dass Sie länger in Frankfurt bleiben? Werden Sie möglicherweise wieder in Ihre alte Heimat zurückkehren?«
Die Frage eines Pressevertreters, kam vom anderen Ende des Forums und Stockmanns Aufmerksamkeit richtete sich dorthin. Doch ehe er den Kopf drehte, zwinkerte er Alexandra kaum merklich zu. Etwas Verwegenes, Verheißungsvolles lag in diesem Blick.
»Aufgeblasener Blender.« Mischa atmete auf, als der Scheinwerfer die Richtung änderte.
»Wieso? Der ist doch klasse. Supercool.«
»Pschscht!«, zischte es von hinten.
»Du solltest dieses Buch mal lesen, das zieht dir die Schuhe aus.« Ungeachtet der missbilligenden Blicke, flüsterte sie weiter. »So was Gruseliges und hemmungslos Mordendes hast du noch nicht erlebt.«
»Danke, verzichte lieber.« Mischas Kommentar ging im erneuten Zischen unter. Leser und Journalisten stellten weitere Fragen, ohne jedoch eindeutige Antworten zu erhalten. Dann verabschiedete sich Tobias Stockmann...




