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Politycki | Mann gegen Mann | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Politycki Mann gegen Mann

Von alten und neuen Tugenden

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-455-01967-4
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Angesichts der Bedrohung durch Kriege und Gewalt geraten unsere Überzeugungen und gesellschaftliche Werte zunehmend ins Wanken. Die Frage: Wer verteidigt im Ernstfall unser Land, unsere Freiheit?, lässt bestehende Männerbilder plötzlich in anderem Licht erscheinen. Brauchen wir jetzt vielleicht Männer, die sich klassischer Rollenmuster erinnern, ohne neue Interpretationen ihrer Rolle preiszugeben?

Matthias Politycki macht sich auf die Suche nach einer NEUEN ALTEN Männlichkeit. Bei der Lektüre von Borges und Hemingway fördert er überraschende Erkenntnisse zutage, und durch Verknüpfung von Literatur, Gegenwartsdebatte und persönlich Erlebtem gelingt ihm ein bestechend kluger Essay zu einer der drängenden Fragen unserer Zeit.


»Eine gelehrte Auseinandersetzung mit den Männlichkeitskonzepten der Schriftsteller Jorge Luis Borges und Ernest Hemingway.« DER SPIEGEL
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Cover
Titelseite
Zeitenwende, Männlichkeit
Kühn
Barockes Erzählen, direktes Erzählen
»Das kraftvolle Mischblut«
Töten wollen, sterben wollen
Das Messer
Ehrenkodex
Macho sein, Macho spielen
Mutter, Schwester, Bordellbesuch
Minne
Sex
Mehr Fluch als Segen
Pflicht, glücklich zu werden
Die andere Mannwerdung
»Nur dich spüre ich, harte rosa Straße«
Was bei Feigheit hilft
Kalt werden
Männliches Erzählen
Das edle Duell
Magischer Realismus?
Der Tanz der gleichen Messer
Mythos, Muttersöhnchen, Gott
Barde
Barbaren
Ernst und nur ernst
Die Schublade
Die Vitrine
Hauptsache, es wirkt
Die Liste
Das Schwert und die Schlacht
Mehr Barbaren, noch mehr Barbaren
»Immer die Tapferkeit, immer der Sieg«
Verschiedene Formen des Muts
Episches Schicksal
Geschichte machen …
… oder Fußnägel schneiden
Gram
Glück
Tiger
Selbstmord
»Ich ist ein anderer«
Falschspieler
Scharlatan
Das ehrliche Spiel spielen
Gelingendes Leben, gelungnes Leben
Wagenheber
Staublunge
Dank und Bitte
Zum Autor
Endnoten
Über Matthias Politycki
Impressum


Zeitenwende, Männlichkeit
Wieder einmal sind wir in einer Zeit der Kriege angekommen, und obwohl wir noch nicht unmittelbar betroffen sind, hat die konkrete Bedrohung schon vieles ins Wanken gebracht, was wir uns im Lauf der letzten Jahrzehnte an Überzeugungen und an gesellschaftlichen Werten erarbeitet hatten. Dazu gehören auch Lebenskonzepte und Rollenerwartungen, maßgeblich geprägt von einer ganzen Reihe an Generationen, die sich in Sicherheit wähnten. Selten geht es in bewaffneten Konflikten nur um ökonomische Interessen und territorialen Gewinn, meist geht es auch um ideologische und kulturelle Hegemonie, nicht zuletzt zur Legitimation der Gewalt. Selbst ein offensichtlicher Aggressor wie Rußland begründet seinen Angriff auf die Ukraine unter anderem als »Verteidigung« gegen das Vordringen westlicher Werte. Ein maßgeblicher Teil der islamischen Welt tut dies nicht minder, auch wenn es ihm in erster Linie um Auslöschung Israels geht. Das Massaker der Hamas vom 7.10.2023 wurde bis Malaysia und Indonesien gefeiert und, als ob das nicht genug wäre, als Aufstand gegen einen angeblichen israelischen Kolonialismus gerechtfertigt. Was bedeutet das Näherrücken des Krieges für eine Bevölkerung, deren unterschiedlichen Fraktionen und Interessensgruppen vielleicht als letzter gemeinsamer Nenner die Parole »Nie wieder Krieg!« geblieben ist? Für eine Bevölkerung, die ernsthaft glaubte, sich nie wieder verteidigen zu müssen, und die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht als Beitrag zum ewigen Frieden verstand? Eine Bevölkerung, die sich jetzt vermutlich nicht mal darauf einigen könnte, was überhaupt verteidigt werden sollte – etwa unser Land? Freiheit und Demokratie und die damit verbundenen Lebensformen? Oder doch nur unser Wohlstand? Und schließlich: Wann müßten wir mit dem Verteidigen denn beginnen – wenn Rußland im Baltikum »bedrohten russischen Minderheiten zu Hilfe eilen« würde? Oder schon in künftigen Silvesternächten, wenn wir nicht nur Frauen schützen wollten, sondern damit auch unsre Vorstellung vom Zusammenleben der Geschlechter? Gewalt ist Gewalt, in welcher Dimension auch immer, und wir sollten sie zumindest abwehren wollen. Aber wären wir dazu noch in der Lage? Ja wären wir dazu überhaupt bereit, notfalls sogar in der direkten Auseinandersetzung, Mann gegen Mann? Plötzlich gibt es Fragen, auf die wir rasch Antworten finden müssen. Mir wird schon mulmig, indem ich sie mir stelle. Es geht ja nun nicht mehr nur um Marathonläufe, Hochgebirgstouren oder sonstige sportliche Herausforderungen, in denen man sich bewähren muß. Es geht um den Ernstfall, um das Finden einer Haltung für Tag X. Jeder einzelne, welchen Geschlechts auch immer, muß mit diesen Fragen für sich ins Reine kommen. Ich kann es nur als Mann, fühle mich dazu als Mann auch besonders in der Pflicht. Das mag altmodisch sein, aber vielleicht bin ich mit dieser Haltung weniger allein, als es scheint. Immerhin können Frauen – Gleichberechtigung hin oder her – bei uns nicht zum Kriegsdienst eingezogen werden. Und das sogenannte »Selbstbestimmungsgesetz« regelt, daß im Falle einer Einberufung auch Männer mit geändertem Geschlechtseintrag dem Dienst an der Waffe nicht entgehen. Mann bleibt Mann. Ich werde mich also bei meiner Suche nach Antworten auf eine männliche Perspektive und überhaupt auf Männer begrenzen und wie wir uns plötzlich wieder neu in Frage stellen müssen. Oder dürfen? Mehr oder weniger offen wendet man sich in der panrussischen wie der panislamischen Welt, aber auch in einer ganzen Reihe von Staaten des globalen Südens gegen den Westen und seinen immer kleinteiliger ausdifferenzierten Freiheitsbegriff, nicht zuletzt im Umgang mit Geschlecht und Geschlechterrollen. In den Debatten des Westens fördert man seit Jahren alles, was vom bisherigen Konsens der Mehrheitsgesellschaft abweicht. Ja, man stellt den Begriff des »Normalen« selbst in Frage und versteht ihn als ein Instrument kultureller Hegemonie und Ausgrenzung all derer, die davon (angeblich) abweichen. In Rußland und in Ländern, die vom Islam geprägt sind, verachtet man uns gerade deshalb – so hat man’s mich auf meinen Reisen seit Jahren immer wieder wissen lassen. Da wie dort inszeniert man sich als moralisch überlegen, als Beschützer der Familie und Bewahrer traditioneller Geschlechterrollen. Man »verteidigt« die eigenen Vorstellungen von Normalität. Abweichungen von den Überzeugungen des Mainstreams werden nicht etwa gefördert, sondern geahndet – vom Verprügeln bis zur Verbannung in Todeslager oder öffentlichen Hinrichtung. Wer sich mit Zukunftshoffnungen und -ängsten von Gesellschaften beschäftigt, muß sich zwangsläufig auch mit den divergierenden Erwartungen an Geschlechterrollen auseinandersetzen. Insbesondere Männer und »Männlichkeit« werden in Kriegszeiten fast zwangsläufig anders beurteilt als in Friedenszeiten, da unsere Vorstellung davon mit Ausübung und Verhinderung von Gewalt verbunden ist. Und Kriegszeiten haben ja gerade wieder begonnen – auch für uns. Brauchen wir jetzt vielleicht Männer, die sich klassischer Rollenmuster erinnern und dennoch die neuen Interpretationen ihrer Geschlechterrolle nicht preisgeben? Die Konfrontation der Werte, die in den verschiedensten Regionen der Welt zunehmend mit Gewalt ausgetragen wird, läßt sich seit Jahren auch in Europa verfolgen: als »Kampf der Kulturen«. Schon den Begriff hat man oft als maßlose Übertreibung zurückgewiesen, dabei ist dieser Kampf in seiner hybriden Form längst auch bei uns im Gange. Auf unseren Straßen spielen sich mitunter Szenen ab, die uns einen Vorgeschmack davon geben, wie »Pariser Verhältnisse« auch hierzulande anbrechen könnten, etwa wenn arabischstämmige Jugendliche Böller auf Polizisten abfeuern, um sie zu einem Kräftemessen herauszufordern. Oder wenn propalästinensische Demonstranten den Polizeibeamten »Wir hauen euch Kartoffeln« zurufen, »Wir schlachten euch ab wie die Zionisten«.[1] Nein, das ist gewiß nicht repräsentativ für die Mehrheit in den verschiedenen migrantischen Milieus. Aber Ausdruck relevanter Minderheiten ist es schon. Was wir auf unseren Straßen dann sehen, sind randalierende oder skandierende Machos, die sich hemmungslos austoben – alte Männer in des Wortes übertragener Bedeutung, auch wenn sie erschreckend jung sind. Sie wollen es drauf ankommen lassen, sie wollen kämpfen, und sie fordern uns sogar expressis verbis dazu auf. Wir können es nicht länger verdrängen: Überkommene Geschlechterstereotype sind in unsre Gesellschaft eingewandert und bedrohen sie ganz konkret. Sie treffen auf eine verunsicherte Gesellschaft, die selbst noch im Findungsprozeß ist, was etwa Männlichkeit im 21. Jahrhundert bedeuten könnte. In ebenjenem Prozeß entdecken wir immer weitere Abweichungen von der »Norm«, entstanden ist auf diese Weise eine Gesellschaft von Singularitäten und identitären Minderheiten. Eine Ausweitung des persönlichen Freiheitsspielraums ist natürlich immer zu begrüßen. Doch der Fortschritt hat eine Kehrseite: Im postmodernen Diversitätsstrudel gelten Männer, an denen die aktuellen Debatten vorbeigegangen sind, als »sehr bösartig, gefährlich, schädlich, zermürbend« – so die aktuelle Definition des Wortes »toxisch« durch den Duden. Der »alte weiße Mann« ist zur Inkarnation von Rassismus, Sexismus und Gewalt erklärt worden. Übriggeblieben ist der gebändigte Mann, ein in alle Richtungen empathisches Männchen, das immer auch die bessere Feministin sein will. Dem herrschenden Zeitgeist zum Trotz finden sich zunehmend Männer auf den Straßen zusammen, die sich in aufwendigen Abklatschritualen ihrer Virilität versichern und auch in ihrem sonstigen Gebaren vor allem das eine darstellen wollen: daß sie ganze Kerle sind. Deutlich subtiler, in seinem Sendungsbewußtsein jedoch nicht weniger entschieden war der Mann, dem ich unlängst auf der Straße begegnete: Er trug ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift »Homme«. Man muß erst einmal begreifen, daß das keine Selbstverständlichkeit mehr ist, daß es sich hier um ein »Outing« mit Botschaft handelt. Wann ist ein Mann ein Mann? Die einen tragen der Gesinnungswärme wegen auch im Sommer Mütze und würden am liebsten sogar Haushaltsgegenstände gendern, die andern machen Krafttraining oder lassen sich zumindest beim Friseur ein Image als böser Bube verpassen. Die einen wollen um jeden Preis geliebt werden, die andern respektiert oder gar gefürchtet. Die einen halten nicht mal mehr biologische Tatsachen für verbindlich, die andern setzen ein bewußt inszeniertes Macho- und Proletentum dagegen. Karikaturen von Männlichkeit da wie dort. Dreißig, vierzig Jahre lang hatten die Befürworter einer neuen, differenzierten, emanzipierten – man möchte fast sagen: einer feministisch verstandenen – Männlichkeit alle guten Argumente auf ihrer Seite. Männer, die sich nicht als »neue«, sondern als herkömmliche Männer begreifen wollten, hatten es »noch immer nicht begriffen«, man unterstellte ihnen, daß sie »abgehängt« waren und sich deshalb »in patriarchale Ersatzklischees flüchten« mußten. Selbstredend galten sie als misogyn, sprich, als erledigt. Und wer es anders sah, war gut beraten, den Mund zu halten – habe den Mut, dich deiner eigenen Feigheit zu besinnen. So hat sich die Diskussion über Männlichkeit im Lauf der Jahre auf »toxische« Männlichkeit fokussiert; die Beschäftigung mit »herkömmlicher« Männlichkeit (in all ihrer Ambivalenz) ist hingegen fast ganz aus dem öffentlichen Gespräch verschwunden. »Man darf...


Politycki, Matthias
Matthias Politycki gilt als großer Stilist und ist einer der klügsten Schriftsteller der deutschen Gegenwartsliteratur. Er schreibt Romane, Erzählungen und Gedichte; als Essayist äußert er sich seit Jahrzehnten mit vieldiskutierten Debattenbeiträgen zu den Fragen der Gegenwart. Zuletzt erschienen der Roman Alles wird gut – Chronik eines vermeidbaren Todes sowie das Debattenbuch Mann gegen Mann.

Matthias Politycki gilt als großer Stilist und ist einer der klügsten Schriftsteller der deutschen Gegenwartsliteratur. Er schreibt Romane, Erzählungen und Gedichte; als Essayist äußert er sich seit Jahrzehnten mit vieldiskutierten Debattenbeiträgen zu den Fragen der Gegenwart. Zuletzt erschienen der Roman Alles wird gut – Chronik eines vermeidbaren Todes sowie das Debattenbuch Mann gegen Mann.


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