Pohl | penfields traum | Buch | 978-3-936826-38-8 | sack.de

Buch, Deutsch, Band 09, 96 Seiten, GEKL, Format (B × H): 130 mm x 186 mm, Gewicht: 175 g

Reihe: reihe staben

Pohl

penfields traum

Gedichte und Montagen

Buch, Deutsch, Band 09, 96 Seiten, GEKL, Format (B × H): 130 mm x 186 mm, Gewicht: 175 g

Reihe: reihe staben

ISBN: 978-3-936826-38-8
Verlag: gutleut verlag


Penfields Traum, der neue Band des Berliner Lyrikers Kai Pohl, umfasst Gedichte und Montagen der letzten drei Jahrzehnte. Dem Titel gemäß holt der Autor durch quasi literarisch-neurologische Reizverfahren die faulen Stellen, die Hohlheiten und Zurichtungen unserer Sprache an die Oberfläche des Bewusstseins. Bei dieser Methode kommen sowohl elektrisierende Wortspiele als auch Textmontagen Eisensteinschen Leinwandformats heraus – sicher nicht immer gewaltfrei in Produktion und Rezeption, aber das Ausgangsmaterial ist es ja auch nicht: »Auf ein Wort / hat sich die Mutter / festgefressen / an der besagten Schraube / im brachialen / Sprachvernutzungsapparat. / Die kommt da / niemals wieder locker runter«.

Kai Pohl, 1964 in Wittenburg geboren, lebt seit 1986 in Berlin. Er übte verschiedene Tätigkeiten, u.a. als Heizer, Kraftfahrer und Bühnenmaler, aus und studierte Kommunikationsdesign. Seit den späten 1980ern veröffentlicht er Gedichte. Als umtriebiger Geist am Prenzlauer Berg und Mitbegründer der Epidemie der Künste steht er in dem Ruf, einer der wenigen zeitgenössischen Verfasser politischer Lyrik zu sein, wenngleich er den Begriff selbst nicht favorisiert: »Wenn ich mir ›Politik‹ heute ansehe, dann möchte ich – als Dichter und als Mensch – damit nichts zu tun haben«. Präziser und schlagkräftiger wirkt da schon der Terminus der »renitenten Lyrik«, den er im literarischen Kampf gegen kapitalistische Vereinnahmungslogiken ins Feld führt. In diesem Sinne dient in Penfields Traum Sprache nicht nur dem Ausdruck kritischer Inhalte, sondern wird vor allem selbst hinsichtlich ihrer Verstrickungen in Machtgefüge unter die Lupe genommen.
In Texten wie »Manifest des Gerätekommunismus« wird Werbe- und Mediensprech gewissermaßen zur Kenntlichkeit entstellt. Das meiste scheint aufgefunden, die Absurdität wird allein durch gezielte Zusammenstellung und nuancierte Verfremdungen aus dem Sprachmaterial hervorgetrieben: »Eskimo Nuggets serbische Art für kosmischen Halt. Müllermilch vom dt. Jung- / bullen, Bratwurstkranz mit Kartoffelfrau, Fleischtomaten aus dem Schinken, / angereichert mit unwirksamen Mineralien, Würfel mit Stauraum für den Flug- / zeugsitz, tolle Effekte im Dunkeln mit 10.000 Perlen [...] / oder ›Lerne Sara (32) kennen! /‹ oder ›Tauche ein in die Wanne der Astronomie!‹ / oder ›Erkunde die Stadt mit einem digitalen Stift!‹ / oder ›Schließe dich 200 Followern an!‹ / oder ›Jetzt schnell zu Gulag-Reisen und Frühwucherbonus sichern!‹«. Soviel zum Totalitarismus der Ökonomie, der in und durch unseren Sprachgebrauch herrscht.
In manchen Montagen liegt die politische Relevanz bereits in der Historizität des bearbeiteten Materials. Wie konnte sich, so fragt man sich beim Lesen von »Kleine Anleitung zum Faulsein«, die Selbstzweckhaftigkeit von Arbeit in unserem Denken derart zementieren, dass sich eine kritische Position von 1848 beinahe nahtlos an ein Manifest von 1999 anschließen lässt.
Der Band besteht aus drei Teilen beginnend mit einer Reihe von Langgedichten neueren Datums. Das zweite mit restposten überschriebene Kapitel umfasst kürzere Gedichte, die teilweise bis in die 1980er Jahre zurückreichen, den umfangreichsten Teil jedoch bilden die drei Kapitel montagen, in dem diverse Spielarten des Cut-up versammelt sind. Seine dekonstruktivistischen Verfahren betreibt Kai Pohl auch jenseits sprachlicher Zeichenhaftigkeit. Das Kapitel »montagen zwei« umfasst Graphiken auf der Grundlage von Firmenlogos. Durch minimale Verfremdung wird »Burger King« zu »Bürgerkrieg«, »Tuk« zu »Cut« und das »Erste Deutsche Fernsehen« zum »Letzten«.
Das mit Plakatumschlag ausgestattete Buch wurde von Michael Wagener gesetzt und gestaltet (unter Verwendung graphischer Arbeiten von Kai Pohl und Fotografien aus der Serie Schnee von Michael Wagener).
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Weitere Infos & Material


Penfields Traum


Pflanzt mir die große schattenschwere Welt
direkt in meinen Mandelkern, mein geisterhaftes,
nicht kartiertes Klappern, Klicken, auf daß mein
Schaf, meine Schwalbe jauchzt, daß aufglüht
mein verwirrter Kopf. Elektrisch ist des Gottes
Kern, elektrisch bin ich müd gemacht. Glückselig
schwärt der Himmel über all dem Blech, und
Bomben liegen schwer auf Lichtreklamen. Mich
wiegt der Schlaf so schwer in kühles Kreisen,
bis daß ein Meer aus Blei den Morgen blickt;
wild, die Androidenschar, schaut blöde durch die
Luken. Und in den Gassen tanzt Vernichtung,
und schaukelt auf dem Markt ein dürres Wesen,
kickt übers Dach des Atlas hurtig ihre Flügelwinde
ins Photonenfleisch der Welt. Und Angstmaschinen
killen stille Diener, durch deren Schaltkreise
das Grauen schießt.

Diese Parodie, entstanden nach dem Gedicht sehet, ein mensch von Florian Voß (florianvoss.blogspot.de/2013/07/sehet-ein-mensch-implantiert-mir.html) läßt sich dem Genre der müden Pseudomystik zuordnen: »Seit etwa zwanzig Jahren beherrscht müde pseudo-mystische Lyrik à la Hilde Domin und harmlose Witzeldichterei in der Nachfolge von Robert Gernhardt das Geschehen, häufig auch beides zu einem amalgamiert wie bei Durs Grünbein« – nachzulesen in einer Rezension von Samuel Meister zum Jahrbuch der Lyrik 2013, veröffentlicht unter larmoyanz.blogspot.de am 1. September 2013.




(…)

eine Landschaft
die von dem lebt
was ihr fehlt



Schwärzer als sonst


Ziegen haben den Kaffee entdeckt,
der Zitteraal den Taser,
Lampyriden das künstliche Licht
und die Birke das Pech.

Der Tee schmeckt heute
schwärzer als sonst.
Falludscha brennt, gelöschte
Versprechen im Aschenbecher.

Regen? Rauch zieht ab
und auf beim Hinausgehen
in die verlorene Weite,
die endlich wieder sich selbst gehört.





Genieße dein Weltbild

I

Noch ist es dunkel. Es zieht. Mutmaßungen von Lichtpunkten, von Bahn-dämmen. Von Menschen, die man nicht kennt, nie kennen wird, wenn sie weinen … Und die Gewißheit im Anblick des ungemachten Bettes: Ein Weltbild – das ist bekannt. Mutmaßungen also. Die mit Blitzlicht geschossenen Bilder. Einigkeit, die es so nie gab. Alles ist Fälschung hinter dem Mechanismus, der manchmal Gesicht heißt. Vielleicht wie ein Kreislauf, der zunimmt. Man steht und die Trümmer entfernen sich in die Klarheit und mit der Klarheit wächst auch der Sinn. In den Details sehen wir uns wieder, in den seltsam deutlichen Gebilden bei Nacht. Der Tümpel im Park und es regnet. Du siehst die Kreise, wie sie wachsen, sich treffen und überschneiden … Hornochsen sind wir, sagtest du einmal, weil wir das mitmachen, was uns lange schon vorgespielt ist; mitmachen aus Pflicht und Treue gegenüber einem verhunzten Gesamtwerk – doch der Blick der Bäckersfrau ist stets freundlich und verspricht einen gewaltfreien Tag.


II

Die Informanten leben bescheiden. Mit der Nachtmütze holen sie Bier. Und wir rekrutieren in göttlichen Küchen Genossen für den brandneu entfachten Krieg der Geschlechter. Glück gibt es nicht, sagt der Stabschef und vermietet sein Landhaus, denn er lebt ständig in der Erwartung des Angriffs, ständig hat er den Finger am Abzug. Nahkampf bis Mittag und der Feldwebel rührt in der Suppe. Wer könnte schon sagen, er hätte gewußt, was bevorsteht. Man betritt eine Landschaft, um zu verschwinden. Helden werden auf Händen getragen und gekrönte Kinder werfen mit Puffreis. Und der Knabe vom Spätkauf, der auch nicht von hier ist, plant seine Zukunft: Ein Segelboot für die Frau, die ihm zusteht und sich ein Kind wünscht, geboren auf offener See … Nur manchmal früh so ein Streiflicht: Ist das die Liebe, über diesem Haufen aus Mist? Der Endzweck von dem, was Geschichte genannt wird? Du mußt wissen, daß man nicht dich meint, wenn man dir auf den Kopf haut. Der Tag ist nur die Umdrehung einer erbarmungslosen Materie.


III

Wie eine gültige Fläche ist das Leben ausgespannt. Ein fruchtbares Brachland in jedem. Ackerbau, Viehzucht, alles ist drin. Wir suchen den Sinn und der Sinn überfällt uns von hinten. Wir haben das Paradies in den Knochen, den Horror des Alltags, die Tatsache, daß wir berechenbar sind. Wir rütteln an den Fassaden. Das gleicht einem Heulkrampf, obwohl die Zukunft ein Bild ist, dem man sich gern überliefert, denn dieser Traum ist uns allen gegeben. Von außen betrachtet ist das genial. Von innen ist es Inferno. Die Folter der Herkunft. Die Folter der täglichen Ordnung. So spielt man Krieg mit den Worten und die Grammatik verliert ihr Gewicht, wie auch das Wissen, daß die Dinge nicht groß sind – sie sind gewaltig! Hinter Gesichtern glühende Kohlen. Der Leuchtstoff im Innern ist uns vertraut. »Laß es sein«, ruft der Zeitgeist, »hol dir ein Bier und genieße dein Weltbild.« Die Maschine läuft, um uns mit Erkenntnis zu betäuben. Es gibt kein Voran mehr, nur ein Dabei, solange die Fläche uns trägt.

Cut-up aus Fragmenten des Bandes Nach Her, eine Erklärung von Johannes Jansen (Klever Verlag, Wien 2012).


Pohl, Kai
Kai Pohl, geboren 1964 in Wittenburg, lebt seit 1986 in Berlin. Nach einer Berufsausbildung zum Zerspanungsfacharbeiter übte er verschiedene Tätig- keiten aus (u.a. als Heizer, Kraftfahrer, Bühnenmaler) und absolvierte ein Studium in Kommunikationsdesign. In den späten 1980er Jahren erschienen erste Ver- öffentlichungen, vorrangig Gedichte, seit 2001 diverse Einzel- und Gruppen- ausstellungen. Er ist zudem Mitbetreiber der literarischen Zeitschriften floppy myriapoda und Abwärts!, Herausgeber von Lyrikreihen (Schock Edition, Prenz- lauer Berg Collection) sowie Mitbegründer der Berliner Epidemie der Künste. Im umgekrempelten Prenzlauer Berg wirkt er als Initiator und Mitveranstalter von Lesereihen und Festivals, zum Teil in Kooperation mit Alexander Krohn, Ralph Gabriel, Bert Papenfuß, Rex Joswig, Stefan Döring u. v. a. Als Reaktion auf das Jahrbuch der Lyrik 2015 publizierte er gemeinsam mit Katja Horn, Clemens Schittko und Kristin Schulz das Schwarzbuch der Lyrik 2016 unter dem Titel Fünfzigtausend Anschläge.


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