Pörksen / Narr | Schöne digitale Welt | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 18, 218 Seiten

Reihe: edition medienpraxis

Pörksen / Narr Schöne digitale Welt

Analysen und Einsprüche von Richard Gutjahr, Sascha Lobo, Georg Mascolo, Miriam Meckel, Ranga Yogeshwar und Juli Zeh
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-86962-479-2
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Analysen und Einsprüche von Richard Gutjahr, Sascha Lobo, Georg Mascolo, Miriam Meckel, Ranga Yogeshwar und Juli Zeh

E-Book, Deutsch, Band 18, 218 Seiten

Reihe: edition medienpraxis

ISBN: 978-3-86962-479-2
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das Zeitalter der Netzutopien ist zu Ende. Gerüchte und Falschnachrichten diffundieren durch die digitale Welt. Social Bots simulieren Meinungsströme. Troll-Armeen sind in sozialen Netzwerken unterwegs. Profi-Fälscher erstellen mit Hilfe von KI-Programmen realistisch erscheinende Videos, sogenannte Deep Fakes. Und Polit-Propagandisten nutzen Datenanalysen, um einzelne Zielgruppen mit speziellen Propaganda-Postings zu bombardieren.

Die Hoffnungen, die das neue Medium einst auslöste, haben sich in die Dystopie der totalen Manipulation verwandelt. Aus Euphorie ist Ernüchterung geworden. Aber was ist beim Austausch der Zeichen eigentlich passiert? Und wie lässt sich der lähmende Aufklärungs- und Netzpessimismus überwinden? Was kann der Einzelne tun? Welche Aufgaben hat der Journalismus? Und wie könnte man Plattformen auf effektive Weise regulieren?

Erhellende, streitbare und überraschende Antworten geben Richard Gutjahr, Sascha Lobo, Georg Mascolo, Miriam Meckel, Ranga Yogeshwar und Juli Zeh. Sie erklären den Medienwandel, analysieren die Neuerfindung unserer Informationswirklichkeit und machen deutlich, warum wir eine digitale Aufklärung brauchen, die sich von Horrorszenarien und Heilserwartungen gleichermaßen fern hält.

Pörksen / Narr Schöne digitale Welt jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Richard Gutjahr Die Hass-Spirale:
Im Visier von Verschwörungstheoretikern. Ein Erfahrungsbericht
Es gibt eine großartige Karikatur im New Yorker. Da sitzt ein Hund am Computer. Er erklärt dem anderen Hund neben ihm: »On the Internet nobody knows you are a dog«. Dieser Cartoon ist wie ich finde deshalb so bezeichnend, weil er sehr gut unsere ambivalente Haltung gegenüber dem Internet beschreibt. Zuerst dachten wir, das Internet sei eine Demokratie-Maschine. Es hilft, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, Wissen zu teilen und zu vermehren. Heute merken wir, dass das Netz auch negative Effekte hat und wir lernen das auf ganz unterschiedliche Arten. Ich für meinen Teil habe es auf die harte Tour gelernt. Und ich möchte deshalb heute über ein wichtiges Thema reden, nämlich über den Hass im Netz. Hass hat viele Gesichter, in meinem Fall waren es Verschwörungstheorien, die meiner Familie und mir zum Verhängnis werden sollten, ein Genre, das ich bislang immer mochte. Ich habe ein Faible für Stories, in denen nichts so ist, wie es anfangs scheint. Geschichten über fremde Mächte, die uns manipulieren, die Ermordung von John F. Kennedy etwa oder – der Klassiker – die Mondlandung, die nichts weiter war als ein inszenierter Fake aus Hollywood. Doch mit dem Internet haben die ›guten alten‹ Verschwörungsgeschichten von einst ihre Unschuld verloren. Sie sind zu einer mächtigen Waffe geworden und sie können Existenzen zerstören. Wir alle erinnern uns an die Twin Towers und die Gerüchte, die sehr schnell die Runde machten, wonach das World Trade Center von US-Geheimdiensten kontrolliert gesprengt worden sei. Man muss sich vergegenwärtigen, dass 9/11 seinerzeit noch ohne Facebook, ohne Twitter, ohne Smartphones und YouTube stattgefunden hat. Nicht auszudenken, was los wäre, würde sich eine Tragödie dieser Dimension heute ereignen. Sie wäre medial nicht mehr in den Griff zu bekommen. Es ist bizarr. Im Jahr 2019 glauben offenbar mehr Menschen, dass die Erde flach ist, als noch vor 30 Jahren, vor dem World Wide Web. Allein die Homepage der Flat Earth Society verzeichnet 300.000 Abrufe täglich. Und das in einem Zeitalter, indem wir das Wissen der Welt in unserer Hosentasche tragen. Enzyklopädien, wissenschaftliche Studien und Archive, auf die früher allenfalls Könige und Kaiser, Gelehrte oder Geheimdienste Zugriff hatten, sind heute für jeden zugänglich. Doch statt Wissen zu vermehren, sind heute Desinformation und Propaganda auf dem Vormarsch. Woran liegt das? Verschwörungstheorien benötigen stets einen Bösewicht. Das sind – soweit hat sich seit James Bond und dem kalten Krieg nicht viel verändert – die Russen. Doch jüngst haben sich die Rollen vertauscht. Russische Quellen, wie etwa Russia Today oder die sagenumwobene Internet Research Agency, besser bekannt als Troll-Fabrik aus St. Petersburg, gehören unter Verschwörungstheoretikern heutzutage zu den Aufklärern, im Kampf gegen ein allgegenwärtiges weltumspannendes Verschwörer-Regime. Hinter der sogenannten ›New World Order‹, jener geheimen Supermacht, die im Hintergrund sämtliche Strippen zieht, stecken wahlweise Illuminaten, Freimaurer, Zionisten, Rothschilds, Bilderberger. Wie seit jeher gibt es da immer auch starke Bezüge zu antisemitischen Verschwörungstheorien über ein Welt- oder Finanzjudentum. Diese geheimen Herrscher malen also die Chemtrails an den Himmel und verseuchen unsere Luft und auch das Trinkwasser. Und natürlich, da erzähle ich Ihnen nichts Neues, steht an der Spitze der Pyramide eine Geheimregierung aus Katzen, die letzten Endes die Menschheit mit ihren niedlichen YouTube-Videos unterjochen und versklaven möchte. Sie sehen, Verschwörungstheorien haben auch immer etwas faszinierendes, etwas spielerisches, etwas fantasievolles und so gesehen könnte man sagen: harmlos. Bis plötzlich etwas passiert, das sie selbst und ihre Familie über Nacht ins Zentrum einer Verschwörungstheorie rückt. Anfangs konnte ich es nicht glauben, aber so etwas geht schneller als man denkt. Und es passiert nicht nur Menschen wie mir, weil ich beim Fernsehen arbeite, weil ich Journalist oder viel auf Social Media unterwegs bin. Nein, es kann jedem einzelnen hier im Raum passieren, jedem von Ihnen. Ich kenne Opfer von Verschwörungstheorien, die nicht berühmt sind, die nicht im Fernsehen sind, die nicht für den Spiegel oder die Süddeutsche schreiben, die nichts davon machen, sondern einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Dazu später mehr. Ich bin Journalist und wenn etwas passiert, wie seinerzeit der LKW in Nizza, der vor meinen Augen in die Menge steuerte, oder der Amoklauf von München, als ein Mann zehn Menschen am Rande eines Einkaufszentrums tötete, dann ist es meine Aufgabe, genauso wie bei einem Arzt, der zufällig an einem Unglücksort ist, dass er seinen Job macht. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber nicht in Zeiten, in denen wir leben. Denn heute steckt hinter allem immer eine zweite, eine dritte, eine vierte Wahrheit, eine fünfte Deutung, denn grundsätzlich kann ja eigentlich alles nicht so stimmen wie das in den ›MSM‹, den Mainstream-Medien berichtet wird. So dauert es keine zwei, drei Tage bis auf einmal neue Begriffe auftauchen, wenn man meinen Namen googelt. Da erscheinen dann in der Suchmaske schon Assoziationen wie »Mossad«, »Hoax« oder »False Flag«. Noch härter wird es, wenn man nicht über Google sucht, sondern Videos auf YouTube anschaut. Heutzutage muss ja alles bebildert und multimedial ausgeleuchtet werden (Internet-Meme: »Pictures, or it didn’t happen!«). Zu Spitzenzeiten haben sich, ich musste die Zahl im Laufe des letzten Jahres nochmal nach oben korrigieren, 1.200 Videos mit mir, meiner Tochter und meiner Frau beschäftigt. Man muss dazu sagen, meine Frau ist Israelin, das reicht schon, um in Wirklichkeit Mossad-Agentin zu sein. Wenn Sie mal zuviel Zeit haben, schauen Sie sich eines dieser Videos mal in Ruhe an. Entgegen der Beteuerungen vom YouTube-Mutterkonzern Google von vor drei Jahren, man arbeite an Lösungen, muss man festhalten: Die Hass-Videos über meine Familie und mich sind bis zum heutigen Tag online. Spinner und Populisten hat es schon immer gegeben. Doch noch nie hatten sie die Möglichkeit, mit wenig Aufwand ein Millionenpublikum zu erreichen. Vor allem YouTube sollte zu ihrer Bühne werden. Kein Ort im Netz ist ein größerer Nährboden für Volksverhetzung und Verschwörungstheorien – eine Petrischale des Hasses. Wie ein Inkubator werden die Hasskulturen durch die Autoplay-Funktion der Videoschleuder systematisch vermehrt und verbreitet. Der User muss nichts weiter tun, als zu warten. Nach zwei bis drei Video-Empfehlungen landet er bei Produktionen aus der sogenannten ›Truther‹-Szene. Und auf einmal ist man mitten drin, in einem Moloch aus volksverhetzenden und menschenverachtenden Verschwörungstheorien. Es hat sich etwas verschoben in unserer Gesellschaft, und ich habe mich gefragt: »Was?«. Denn all die Jahre, die ich jetzt schon gegen diesen Shit-Tsunami ankämpfe, haben mir gezeigt, dass es sich um etwas Großes handeln muss, mit dem wir es hier zu tun haben. Irgendetwas hat sich in unserer Gesellschaft verschoben. Für mich lautet die Frage: »Was ist da wirklich passiert und warum?« Deshalb möchte ich in Anlehnung an Elisabeth Noelle-Neumann und ihre Schweigespirale aus den 1980er-Jahren heute eine Weiterschreibung dieser Theorie anbieten - und zwar die ›Schreispirale‹. Nach der Theorie, dass die Stummen noch weiter verstummen und die Lauten nur noch lauter werden (das war in den 1980er-Jahren, also im noch analogen Zeitalter), haben wir heute eine neue Kommunikationssituation, technisch, aber eben auch kulturell. Daher, glaube ich, muss die klassische Lehre erweitert werden. Was ist passiert? Wie ist dieser Hass entstanden und was hat das Internet damit zu tun? Aus Ermangelung an besseren Beispielen vergleiche ich den gesellschaftlichen Prozess der letzten Jahre gerne mit einer Sonnenfinsternis. Bei der Digitalisierung und der weltweiten Vernetzung haben wir es mit einer bestimmten Aneinanderreihung von Faktoren zu tun, die so nur alle paar hundert Jahre zusammenkommen, ähnlich, wie das bei manchen Sternkonstellationen passiert. In Bezug auf die Kommunikation sprechen wir hier über etwas, was es mit dieser Wirkungsmacht vielleicht das letzte Mal vor 500 Jahren gegeben hat. Wir alle erinnern uns an den ersten Blogger der Weltgeschichte – Martin Luther. Der wäre mit seinen Thesen bestimmt nicht so bekannt geworden, hätte er diese einfach nur an eine Tür der Schlosskirche zu Wittenberg genagelt. Niemand hier im Saal wüsste heute, wer dieser Typ überhaupt war. Nun gab es aber zufälligerweise nur wenige Jahrzehnte vor Luthers Thesenanschlag einen bemerkenswerten technologischen Sprung. Es handelte sich um das Facebook des Mittelalters, nämlich die Druckerpresse. Wann immer unterschiedliche Faktoren in der Geschichte zusammenkommen, biologische oder auch technologische Koinzidenzen, passieren krasse Dinge. Das läuft dann ähnlich ab wie bei einer chemischen Reaktion. In diesem Fall hat die Erfindung des...


Bernhard Pörksen, Jg. 1969, war sechs Jahre lang als Professor für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg tätig und ist heute Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Er studierte Germanistik, Journalistik und Biologie in Hamburg und den USA (Pennsylvania State University), volontierte beim Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt und arbeitet seit über zehn Jahren als Journalist und Buchautor. Essays und Kommentare, Reportagen und Interviews erschienen in vielen Tages- und Wochenzeitungen.

Andreas Narr, Dr., Jg. 1956, ist Leiter des SWR Studios in Tübingen und einer maßgeblichen Begründer der "Tübinger Mediendozentur". Er studierte in Freiburg und Tübingen Sprachwissenschaften, Rhetorik und Geschichte und promovierte zum Thema Verständlichkeit im Magazinjournalismus an der Universität Tübingen. Nach einem Volontariat beim damaligen SWF und Aufenthalten im ARD-Studio Rom sowie dem SWR Hauptstadtstudio arbeitete er in verschiedenen Redaktionen des SWR und bei ARD-Aktuell in Mainz als Redakteur und Reporter. Später wurde er Leiter der Fernseh-Nachrichtenredaktion in Stuttgart und ist seit 1998 an der Spitze des SWR-Studios in Tübingen.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.