E-Book, Deutsch, Band 2, 206 Seiten
Reihe: Die blaue Reihe
Pöllnitz Der weite Weg zum Ararat
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8192-3568-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 2, 206 Seiten
Reihe: Die blaue Reihe
ISBN: 978-3-8192-3568-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roland Pöllnitz, ein Dichter mit der Seele eines Wanderers und der Stimme eines Rebellen, hat sein Leben der Kunst gewidmet, die Herzen öffnet und die Welt hinterfragt. Geboren in einem Land, das die Geschichte verschluckte und hineingeworfen in eine Zeit des Wandels, fand er inmitten von Lärm und Hektik der modernen Welt Zuflucht in der Stille der Natur, ein Ort, der seine Poesie und seine Prosa mit der Magie von Wäldern und dem Flüstern der Seele erfüllt. Seine Reise begann nicht mit Ruhm, sondern mit der Suche nach dem Sinn des Lebens. Ein Poet, der Traktorenlärm in Gedichte über Frieden verwandelt, der die Härte der Industrie mit der Weichheit der Selbstliebe kontrastiert. Inspiriert von der Liebe und seinen Reise, nach außen in die Welt, nach innen zu Harmonie und Wahrheit, schuf er über 50 Meisterwerke. Pöllnitz ist ein außergewöhnlicher Dichter; er ist ein Chronist der Seele, ein Künstler, der aus Schmerz Schönheit webt und aus Stille Revolution entfacht. Sein neuestes Werk, Der weite Weg zum Ararat, ist ein Versprechen, dich mitzunehmen auf eine Reise, die dich verändert.
Autoren/Hrsg.
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Fit wie ein Turnschuh
Am Fuße des Bärensteins liegt, von dichten Wäldern des mittleren Erzgebirges umgeben, das gleichnamige kleine Städtchen unweit der tschechischen Grenze. Das Ferienlager am Stadtrand bestand aus wenigen zweistöckigen Baracken und einem dreigeschossigem Neubau, einer Essensbaracke und einem kleinen Freizeitpark mit Sportplatz. Für Robert war es das letzte Mal, dass er in ein Ferienlager fahren durfte, denn einen Monat später würde er seinen 15. Geburtstag feiern.
So genoss er die Zeit mit seinen neun gewonnen Freunden und den Betreuerinnen Lara, Renate und Babsi, allesamt Lehrerstudentinnen und gefühlt kaum älter als er selbst. Während seines Aufenthaltes hatten sie schon so einiges unternommen. Sie waren ins kleine Erzgebirge nach Annaberg-Buchholz gefahren, um in der Adam Ries Stadt eine Miniaturwelt zu bestaunen. In Frohnau hatten sie das historische Schmiede Hammerwerk mit seinen kolossalen Hämmern besucht. Die Nachtwanderung mit den jungen Betreuerinnen war sensationell.
Im Ferienlager waren jedoch auch jede Menge Mädchen, und Robert neigte dazu, sich instant in mindestens eines zu verlieben. Wäre Margit nicht gewesen, hätte er auch Lara genommen, obwohl sie schon achtzehn war. Die Betreuerinnen waren meistens junge Studentinnen, die ziemlich cool waren und Musik hörten, die Robert auch mochte: The Sweet, Alice Cooper, Gary Glitter, Elton John.
Robert und Max waren die Ältesten Feriengäste, deshalb verbrachten die beiden Jungs einen der letzten Abende gemeinsam mit den Betreuerinnen auf deren Zimmer. Sie saßen zusammen, tranken Gin-Fizz und sprachen über so wichtige Themen wie Mädchen und Küssen. Die Jungen wollten nun in Erfahrung bringen, wie sie es wohl am besten anstellen sollten, ein Mädchen zu küssen. Niemand kann genau sagen, wie es passierte, dennoch kam urplötzlich jemand auf die Idee, das Küssen praktisch zu üben. Lara und Gabi testeten bei den zwei Jungs die Kussfähigkeiten und gaben praktische Hinweise bei der Vervollkommnung der Zungenspiele. Robert und Max fühlten sich im siebenten Himmel. Am liebsten hätten sie die ganze Nacht mit den dreien weitergeknutscht.
Jedoch hatten sie weitaus zarteres Gemüse in ihren Nüstern. Lara schlich mit ihnen die Treppe hinunter und lenkte den wachhabenden Betreuer ab. Lautlos wie die Katzen schlichen die beiden Jungen nun im Dunkel zum Haus der Mädchen, fanden einen Weg am Wächter vorbei, bis sie letztendlich im Zimmer ihrer Süßen ankamen.
Äußerst verhalten öffneten sie die Zimmertür der Mädchen. Robert schlich zu seiner Flamme Margit. Sie hatte langes, dunkelblondes Haar, meerblaue Augen und einen sinnliche Kussmund und war hellwach, als er auftauchte. Es war einfach magisch, wundervoll verboten und herzrasend gefährlich. Doch er musste sie ansehen, ihr Haar streicheln und liebe Worte flüstern.
Zum ersten Kuss gehörte viel Mut. Wie unsicher war er damals mit 15 und was für eine Überwindung hat es ihn gekostet, dem Mädchen, das vor ihm im Bett lag, immer näherzukommen. Vorerst kam dieser Moment des Zögerns. Sie hielten kurz inne, weil sie sich nicht sicher waren: War jetzt wirklich schon der richtige Zeitpunkt? Schließlich berührten sich ihre Lippen. Das Umfeld wurde plötzlich unscharf, und für einen kurzen Moment gab es nur noch sie beide.
Dieser Kuss gab ihnen einen Vorgeschmack auf alles, was in ihren Leben folgen sollte, und Antworten auf so viele Fragen, die sie niemals laut stellen würden. Und so rochen und schmeckten sie einander, fühlten nur den Moment dieses überspringenden Funkens eines jungen, keimenden Liebesgefühls. Dieser Augenblick war einmalig und unwiderruflich. Und genau das war das Magische daran. Es war der schönste Augenblick seinen bisherigen Lebens und er war sich sicher, dass er ihn niemals vergessen würde.
Ein Jahr ging ins Land. Regelmäßig reisten Briefe von Magdeburg nach Rostock und von Rostock nach Magdeburg mit Berichten über den Alltag zweier Jugendlicher. Nichtsdestotrotz landete im Sommer eine Einladung nach Rostock im Briefkasten, die Robert gern annahm.
In dieser Zeit war Robert fit wie ein Turnschuh. Jeden Tag fuhr er eine Stunde mit dem Rad und joggte zusätzlich mit seinem Freund eine Stunde. Damit stand fest, dass er die Strecke nach Rostock mit dem Rad zurücklegen würde. Selbstredend war es kein Elektrofahrrad. Es hatte noch nicht einmal eine Gangschaltung. Es war ein ganz normales 24" Rad in einem leuchtenden Blau.
Es war eine wunderbarere Sommernacht, in der er startete. Kurz nach Mitternacht war er aufgestanden, vollzog die Morgentoilette, frühstückte, packte seine Gepäck auf das Rad und fuhr um Zwei Uhr los.
Die Fahrt fing herrlich an. Alles war stockdunkel zu dieser Uhrzeit, über ihm leuchteten die Sterne, vor ihm der Lichtkegel des Dynamo betriebenen Scheinwerfers. In Heyrothsberge bog er nach Norden ab. Nebelschwaden krochen über die Straße, machten die Welt um ihn gespenstisch. Flüssig strampelte er sich vorwärts und erreicht nach einer Stunde bereits die Kleinstadt Burg.
In der Dunkelheit der Nacht konnte Robert den Weg nicht gleich finden. Ein nächtliche Spaziergängerin half ihm, die richtige Richtung einzuschlagen. Zügig ging es auf der Fernverkehrsstraße voran, auf der ihm um diese Uhrzeit äußerst selten jemand begegnete. Die Muskeln waren frisch und alles verlief in äußerster Leichtigkeit, als schwebte er wie ein Vogel über den Asphalt.
Der kleine Ort Güsen zog sich ein paar Hundert Meter am Elbe-Havel-Kanal entlang, an dessen Ende eine Brücke den Kanal überquerte. Felder und Wälder wechselten sich ab, während im Westen die Elbe gemütlich gen Hamburg strömte. Die laue Sommernacht wirkte wie ein Triebfeder auf den jungen Radler, der bisher ohne Pause durch die Sternennacht strampelte, so dass er bereits nach gut drei Stunden die Kleinstadt Jerichow durchfuhr. Noch hatte die Dämmerung nicht eingesetzt.
Fischbeck lag hinter ihm. Von der nahen Elbe her schwebte weiße Nebelschwaden über die Straße, während der Himmel im Nordosten nach und nach in einem leuchtenden Purpur erstrahlte. Wenig später erlebte Robert in Schönhausen an der Elbe einen fantastischen Sonnenaufgang. Weiter kurbelte er die Pedalen, als wäre er grad gestartet, über Orte mit Namen wie Hohengöhren, Klietz, Scharlibbe, Schönfeld, Sandau, bis er um halb acht in Havelberg an der Elbe anlangte. Zeit für ein Frühstück.
In Havelberg ging plötzlich gar nichts mehr, jeder Tritt wurde zur Qual und der Weg nach Rostock erschien Robert noch unendlich weit. Solch einen Zustand beschreibt man im Radsport als Hungerast. Die Kohlenhydratspeicher waren fast leer und mussten aufgefüllt werden. Bäcker gab es genügend, doch diese hatten keine Getränke im Angebot. Zumindest konnte Robert ein paar Streuselschnecken verputzen,
Der Durst trieb ihn geradewegs nach Norden. Die Sonne lachte ihn von der Seite an. Nach sechs Stunden Fahrt legte Robert an einer einladenden Raststätte kurz vor Pritzwalk eine Pause ein, um seinen Elektrolythaushalt zu korrigieren. Er saß im Garten, genoss seine Cola und träumte ein wenig vor sich hin. Seit Havelberg hatte er das Elbtal verlassen und bewegte sich nun über Ebenen des Prignitzer Lands. Die Sommergerste war bereits geerntet und auch die Roggenernte ging ihrem Ende entgegen. Mähdrescher schleuderten auf den Feldern riesige Staubwolken auf. Zahlreiche Trabants und Wartburgs knatterten in Richtung Norden zur Seenplatte oder weiter zur Ostsee. Die nächtliche Stille war längst vorüber. Robert schloss die Augen. Selbstversunken, weggetreten, in einer anderen Welt, konzentrierte er sich auf die Stille des Sonnenspiels. Glitzerndes Glück huschte über sein Gesicht mit einem Anflug von Ekstase.
Bald schmetterte das Sonnenfeuer vom Zenit seine feierliche Hitze auf die Erde. In der Mittagsstunde radelte Robert gemütlich am Plauer See entlang. Das leicht hügelige Umland mit seinen farbenprächtigen Wiesen, bunten Feldern, ruhigen Wäldern und vielen kleinen und größeren Seen entpuppte sich als ein echtes Naturparadies. Kühlend wirkte der Stadtwald kurz vor Plau, der auch Heimat von Plaulina, der Hexe vom Kalüschenberg, war. Sie schien jedoch ausgeflogen zu sein.
Die abwechslungsreiche Landschaft mit sattgrünen Wiesen, bewaldeten Hügeln, Baumgruppen, Wäldern und idyllisch gelegenen Seen bot vielfältige Möglichkeiten zu schauen und zu genießen. Max Raabe sang später: »Manchmal ist das Leben ganz schön leicht, zwei Räder, und ein Lenker und das reicht.« Wie dieser Künstler empfand auch Robert das Rad als ein sehr angenehmes Fortbewegungsmittel. Er fuhr fast täglich auf seinem Rad ohne Gangschaltung und liebte es, sich zu bewegen, das eigene Tempo durch Muskelkraft zu bestimmen und seine Umgebung bewusst wahrzunehmen. Fahrradfahren war eine Art der Meditation, ein Weg tief in sein Inneres, und es machte ihn glücklich.
Inzwischen war es richtig heiß geworden. Robert ließ die Räder rotieren. Millionen Gedanken schossen durch seinen Kopf, und er erwischte sich, wie er mit offenen Augen meditierte. Die Mecklenburger Seenlandschaft flog an ihm vorüber, als wäre die...