Plievier | Der Kaiser ging, die Generäle blieben | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 384 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 185 mm

Plievier Der Kaiser ging, die Generäle blieben

Ein deutscher Roman
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-529-09257-2
Verlag: Wachholtz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein deutscher Roman

E-Book, Deutsch, 384 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 185 mm

ISBN: 978-3-529-09257-2
Verlag: Wachholtz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In Kiel begann 1918 die Revolution, die den Ersten Weltkrieg beendete und der Weimarer Republik den Weg ebnete. Theodor Plievier gehörte selbst zu den kriegsmüden Soldaten, die nicht mehr bereit waren, ihr Leben für einen bereits verlorenen Krieg zu opfern. Mit »Der Kaiser ging, die Generäle blieben« verfasste Plievier einen dokumentarischen Roman, der die Ereignisse von Kiel bis Berlin erfasst und so ein »lebendiges Gesamtbild« (Plievier) der Zeit schuf. Es ist ein Roman voller Lokalkolorit zwischen Kiel und Berlin über eine entscheidende Zeit der deutschen Geschichte und ein wichtiger Teil der deutschen Literatur aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dessen Wiederentdeckung sich unbedingt lohnt.

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DIE MACHT
Es kommt näher. Er wagt seinen Kopf nicht über den Trichterrand zu heben, aber er fühlt es kommen. Er hört es in die Erdlöcher hineingurgeln, wieder aufschaufeln und sich über die Stücke ebenen Geländes vorwärtsschieben. Schnellfeuergeschütze! Maschinengewehre! Und dazwischen deutlich diese schwerfällig holpernde Bewegung und die dumpf aufdröhnende Erde – – Tanks. Ein Geschwader anfahrender Tanks, einer muss ganz nahe sein. Wird er sich vorbeischieben, und wenn er sich vorbeischiebt … Was dann, was kommt dann? Vorgehen, Angreifen, Zurückgehen – das wird in Gruppen, in Zügen, in Kompanien ausgeführt. Sterben muss jeder für sich allein. Da liegt der Schütze »Zwei« der Maschinengewehrbedienung. Der Uniformrock aufgerissen, das Hemd darunter ist grau und vertragen. Nacken und Hinterkopf sind in die Erde hineingewühlt. Und der Mund ist offen, die Zähne sind freigelegt. Die Bartstoppeln werden weiterwachsen, auch die Fingernägel, eine Weile noch. Der Mund – wo hat er solchen Mund und so von den Lippen bloßgelegte Zähne schon einmal gesehen? Ja, das ist es, bei Trude, damals, als sie einen Sohn … wie bei einer gebärenden Frau! Doch der aufgerissene Soldatenmund zittert nicht mehr. Die auseinandergespreizten Beine sind ohne Bewegung. Schütze »Zwei« ist tot, auch Nummer »Drei« ist tot – Karl und der Hamburger. Karl war fest davon überzeugt, dass jetzt der Friede kommt: »Das habe ich in den Knochen stecken, der Dreck geht zu Ende! Mensch, Max – – wenn wir erst mal wieder in Berlin sind!« Und der Hamburger schöpfte Wasser zum Kühlen des heißgeschossenen Maschinengewehrmantels. Jetzt liegt er mit dem Kopf in der Wasserlache, die Konservenbüchse hält er noch in der Hand. Das Maschinengewehr steht verlassen am Trichterrand. Das Grasbüschel daneben sieht unwahrscheinlich groß aus. Wenn er den Tank sehen könnte, wenn er nur einmal, wenn er ganz vorsichtig … bei Gott, da sind fünf, acht in einer Reihe, und anschließend ein zweites, ein drittes Geschwader – mehr Tanks als Köpfe im Trichtergelände verstreut liegen. Und am Horizont heben sich Staffeln dunkler Flugzeuge über die Erde und steigen drohend in den Himmel. Die Menge anrollenden Materials ist zu viel. Der Mann sackt auf die Knie nieder. In irrsinniger Hast reißt er zwei Spaten voll Erde aus der Trichterwand heraus und steckt seinen Kopf in das Loch hinein. Ein an die Wand geklebter Haufen, so wartet er. 300 000 Mann frischer Truppen landen die Amerikaner monatlich an der französischen Küste, täglich 10 000 ausgeruhte Soldaten. Und Tanks, Flugzeuge, Kriegsmaterial. Die Deutschen liegen schon vier Jahre in den Stellungen, die sechs Millionen, die hinausgeschickt wurden, sind auf zweiundeinehalbe zusammengeschrumpft. Die Verlustliste registriert den Toten 1 600 081. Schütze Max Müller, jawohl, Herr Hauptmann! Maschinenschlosser, Berlin, Boxhagener Straße 46. Verheiratet, jawohl! Kinder – – nur eins. Poltern! Dröhnen! Die Erde zittert! Der Soldat kann nicht anders. Er zieht seinen Kopf aus dem Loch heraus, er blickt nach oben und sieht den Tank. Er sieht ihn über sich, über seinem Kopf. Am Kreisrund des Himmelsausschnittes macht der Tank eine schwere wiegende Bewegung, schwebt einen Moment lang mit seinem Vorderteil in der Luft. Schütze Müller hebt seine Hand leicht in Abwehr. Der auf ihn niederwiegende Bauch – der fahl angestrichene Stahlpanzer, die Doppelreihen der Nieten, die von Erde triefenden Raupenbänder – ätzen sich in die Netzhaut seiner Augen wie in fotografische Platten. Drei bis vier tons ist der Tank schwer, sechzig bis achtzig Zentner. Der menschliche Körper hält sechs Zentner Druck aus, bei sieben bleibt ihm die Luft weg, bei acht krachen die Knochen, bei achtzig … Die Lippen legen sich zurück. Die Zähne blecken in die Luft. Max Müller hat denselben Gesichtsausdruck wie die tote Nummer »Zwei«; er hat denselben gequälten Mund wie das gebärende Weib. Der Tank gleitet weich in den Trichter hinunter. Zwei tote und eine lebende Nummer plättet er breit. Dann hebt er sich wieder auf ebenes Gelände hinauf und rollt in der Reihe seines Geschwaders, ratternd und schießend, weiter gegen die zurückweichende deutsche Front. Ein Unterstand, Tragbalken, darüber ein paar Meter Erde. Unten sitzt ein Leutnant vor einem Feldtelefon. Ein Mann kommt herunter, schlägt die Hacken zusammen und meldet: »M.-G.-Gruppen zurückgegangen, mit Gruppe Müller keine Verbindung mehr.« Die Meldung trifft noch vor den Tanks und kurz vor den Bombenflugzeugen ein. Die telefonische Verbindung funktioniert noch. Der Leutnant nimmt den Hörer ab und gibt nach hinten an das Bataillon durch: »Vordere Stellung geräumt!« Das Bataillon, in dem die Meldungen von allen Abteilungen des Abschnittes zusammenlaufen, telefoniert weiter nach hinten, an die Division: »Einbruch auf dem ganzen Abschnitt – – jawohl, vier Kilometer! Tankangriff auf vier Kilometer Breite!« Der Leutnant im Unterstand hat ein graues Gesicht. Er ist dreckig, verlaust und ausgehungert wie seine Soldaten. Seit Wochen liegt er in vorderster Stellung ohne Ablösung. Der Offizier im Bataillon sieht frisch rasiert aus. Er hat noch genügend zu essen, kann regelmäßig schlafen und in seinem Privatquartier gelegentlich baden. Der Ordonnanzoffizier in der Division, der die Meldung nach hinten an die Armee weitergibt, bewohnt eine Villa mit allem Komfort – Wintergarten, Garage, Reitstall. Die Hindenburgstellung, an die das Volk geglaubt hat wie an ein neues Evangelium aus Beton, ist eingedrückt worden. Die in pausenloser titanischer Arbeit aufgebaute Hindenburgstellung, die Wotanstellung, die Siegfriedstellung, die Hermann- und Hunding-Brünhildstellung, sind überrannt worden und liegen hinter den vorrückenden alliierten Truppen. Von den überschwemmten Gebieten Flanderns bis in die Vogesen hinein befindet die deutsche Front sich in Auflösung. Die Deutschen lassen hinter sich: Täglich einige Kilometer Terrain. Täglich einige Tausend Tote. Hinter den Verteidigungslinien sammeln Führer und Unterführer immer wieder die Teile der aufgeriebenen Divisionen, stellen neue Formationen zusammen, füllen sie mit dem Nachschub aus der Heimat auf und werfen sie wieder nach vorn. Die Militärmaschinerie funktioniert noch. Nicht in der Etappe – an der Front, in den unteren Offiziersund Unteroffizierschargen findet das zusammenbrechende System einen letzten Halt. Noch lassen Feldwebel militärisches Grüßen üben, Griffe klopfen, exerzieren. Noch besorgen Feldwebel Quartiere, lassen antreten zum Essenempfang, überwachen das Ausheben von Massengräbern, verteilen Schnaps, einen halben Liter pro Kopf, an die nach vorn abrückenden Mannschaften. Und 120 Kilometer hinter der Front, hinter den Bataillons-, Divisions-, Armeestäben, im Gebäude der Obersten Heeresleitung, in dem alle Fäden zusammenlaufen, in einem Zimmer des Hotels Britannia in Spa, steht ein Mann über Karten und Berechnungen gebeugt: derselbe preußische Feldwebeltyp, dasselbe Feldwebelgesicht, nur gepflegter – glatt rasierte schwere Backen, ein kleiner Stutzbart, Uniform mit den roten Streifen des Generalstäblers, Ordenssterne an der Brust. Er überfliegt noch einmal die Linien, Schraffierungen und Punkte, die Armeen, Stellungen, Reserven bedeuten, packt eine Anzahl schnell hingeworfener Skizzen und Notizblätter zusammen und übergibt sie einem Obersten. Ein Soldat hilft ihm in den Mantel, er nimmt seine Mütze entgegen und verlässt mit dem Obersten das Zimmer. Vor dem Hotel hält ein Automobil. Auf der Station wartet ein Extrazug. Die beiden Generalstäbler steigen ein. Die schwere Maschine setzt sich in Bewegung. Nach kurzer Anfahrt reißt sie die angehängten zwei Wagen – einen Telegrafen- und einen Salonwagen – in rasendem Tempo über die Landschaft. Von entgegengesetzter Richtung kommen Züge – keuchende Maschinen, endlos scheinende Wagenkolonnen. Die Züge sind beladen mit Zement, Grubenholz, Munition, mit einem immer noch nach Westen ziehenden Strom von Truppen. Auf verstopften Stationen ist die Durchfahrt frei gemacht worden. Auf Nebengleisen liegen Truppen- und Gütertransporte, warten nach der Heimat bestimmte Lazarettzüge. Auf den Bahnsteigen stehen Soldaten um Brunnen, um fliegende Küchen des Bahnhofsdienstes. Auf allen Stationen dasselbe Bild. Die Soldaten auf den Bahnsteigen stapfen mit den Füßen am Boden auf oder sitzen auf Tornistern und...



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