Platon Gorgias
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8463-4151-3
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Deutsche Übersetzung aus der von Ernst Heitsch, Carl Werner Müller und Kurt Sier herausgegebenen Werkausgabe
E-Book, Deutsch, 94 Seiten
ISBN: 978-3-8463-4151-3
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gorgias ist – nach Umfang und Gehalt – einer der großen Dialoge Platons. In den Gesprächen des Sokrates kommen die entscheidenden Themen zur Sprache, die Platon für den Rest seines Lebens beschäftigten: das Verhältnis von Rhetorik, Macht, Gerechtigkeit und Glück, die Beziehung zwischen der Lust und dem Guten und die Frage nach der richtigen Lebensführung.
Eine neue Übersetzung der platonischen Dialoge muss für den heutigen Leser ohne die Zuhilfenahme des griechischen Textes oder eines Kommentars verständlich sein. Zugleich sollte sie die Eleganz der platonischen Gespräche vermitteln. All das bietet die nun als eBook erschienene Übersetzung, die auf der renommierten Platon-Werkausgabe der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz basiert.
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GORGIAS Kallikles, Sokrates, Chairephon, Gorgias, Polos KA.: An Krieg und Kampf muss man auf diese Weise teilnehmen, sagen [447] die Leute, Sokrates. SO.: Wir kommen doch nicht etwa, wie man so sagt, erst nach dem Fest und sind zu spät dran? KA.: Und zwar nach einem ganz feinen Fest! Denn Gorgias hat uns kurz zuvor viele schöne Dinge vorgeführt. SO.: Daran ist dieser Chairephon da schuld, Kallikles, weil er uns gezwungen hat auf der Agora zu verweilen. CH.: Kein Problem, Sokrates. Ich werde es auch wieder gut machen. [b] Denn Gorgias ist mit mir befreundet und so wird er uns eine Vorstellung geben – wenn du willst, jetzt gleich, wenn es dir lieber ist, ein andermal. KA.: Was denn, Chairephon? Hat Sokrates den Wunsch Gorgias zu hören? CH.: Eben deshalb sind wir ja da. KA.: Also, wenn ihr zu mir ins Haus kommen wollt … Denn Gorgias ist bei mir abgestiegen und er wird euch eine Vorstellung geben. SO.: Gut, Kallikles. Aber ob er wohl auch bereit wäre mit uns ein Gespräch zu führen? Denn ich will von ihm erfahren, was die Fähigkeit und [c] die Wirkung der Kunst dieses Mannes ist und was das ist, was er ankündigt und lehrt. Die Vorstellung soll er, so wie du sagst, ein andermal geben. KA.: Das Beste ist ihn selbst zu fragen, Sokrates. Denn dies war auch ein Teil seiner Vorstellung. Er hat gerade eben aufgefordert zu fragen, was ein jeder von den Leuten drinnen wollte, und er sagte, er werde auf alles antworten. SO.: Schön sagst du das. – Frag ihn, Chairephon! CH.: Was soll ich fragen? SO.: Wer er ist. [d] CH.: Wie meinst du das? SO.: Wie wenn er ein Hersteller von Schuhen wäre. Dann würde er dir doch wohl antworten: ein Schuster. Oder verstehst du nicht, wie ich es meine? CH.: Ich verstehe und ich werde ihn fragen. Sag mir, Gorgias: ist es wahr, was Kallikles da sagt, dass du ankündigst auf alles zu antworten, was einer dich fragt? GO.: Es ist wahr, Chairephon, und gerade eben habe ich genau das angekündigt, [448] und ich behaupte, dass mich seit vielen Jahren noch keiner etwas Neues gefragt hat. CH.: Also ist es wohl so, dass du leicht antworten wirst, Gorgias? GO.: Es steht dir frei, Chairephon, dir eine Probe davon geben zu lassen. PO.: Beim Zeus, wenn du willst, Chairephon, von mir! Denn Gorgias scheint mir schon müde zu sein. Er hat eben über viele Dinge geredet. CH.: Was denn, Polos? Glaubst du, dass du besser als Gorgias antworten könntest? PO.: Was macht das aus, wenn es nur für dich gut genug ist? [b] CH.: Nichts. Da du also willst, antworte! PO.: Frage! CH.: Ich frage also. Wenn Gorgias ein Wissen hätte in der Kunst, in der sein Bruder Herodikos ein Wissen hat, wie würden wir ihn dann richtig bezeichnen? Nicht so wie jenen? PO.: Selbstverständlich. CH.: Wenn wir also sagten, er sei Arzt, würden wir es richtig sagen. PO.: Ja. CH.: Wenn er Erfahrung hätte in der Kunst, in der Aristophon, der Sohn des Aglaophon, oder sein Bruder sie hat, als wen würden wir ihn dann richtig bezeichnen? PO.: Klar: als Maler. [c] CH.: Nun aber, nachdem er das Wissen in welcher Kunst hat, als wen sollen wir ihn bezeichnen, damit wir ihn richtig bezeichnen? PO.: O Chairephon, viele Künste gibt es unter den Menschen, aus den Erfahrungen erfahrungsreich gefunden. Erfahrung nämlich lässt unser Leben seinen Weg nehmen in den Bahnen der Kunst, Unerfahrenheit in den Bahnen des Zufalls. Von all dem haben die einen dies, die anderen das, die einen so, die anderen anders, das Beste die Besten. Zu ihnen gehört unser Gorgias hier, und er hat teil an der schönsten der Künste. SO.: Polos ist offensichtlich gut aufs Wortemachen vorbereitet, Gorgias. [d] Aber was er dem Chairephon versprochen hat, das macht er nicht. GO.: Wieso denn, Sokrates? SO.: Die Frage scheint er mir nicht ganz zu beantworten. GO.: So frag doch du ihn, wenn du willst. SO.: Nein, sondern viel lieber dich, wenn du selbst antworten willst. Denn auch schon mit dem, was er gesagt hat, zeigt mir Polos, dass er die sogenannte Rhetorik mehr geübt hat als das Gespräch. PO.: Was soll das, Sokrates? [e] SO.: Weil du, Polos, auf die Frage des Chairephon, in welcher Kunst Gorgias ein Wissen besitzt, seine Kunst lobst, als ob sie jemand tadeln würde. Du hast aber nicht geantwortet, was für eine Kunst sie ist. PO.: Hab ich denn nicht geantwortet, dass sie die schönste ist? SO.: Und ob. Aber keiner fragt, wie die Kunst des Gorgias ist, sondern was sie ist und als wen man den Gorgias bezeichnen muss. Wie dir vorher Chairephon Beispiele vorgelegt hat und du ihm richtig und mit kurzen Worten geantwortet hast, so sag auch jetzt, was die Kunst ist und als wen [449] wir Gorgias bezeichnen müssen. Vielmehr sag du uns selbst, Gorgias, als wen man dich bezeichnen muss, weil du das Wissen in welcher Kunst hast? GO.: In der Rhetorik, Sokrates. SO.: Als Rhetor muss man dich also bezeichnen? GO.: Und zwar als einen guten, Sokrates, wenn du mich als das bezeichnen willst, was ich – wie Homer gesagt hat – mich zu sein rühme. SO.: Das will ich. GO.: Dann bezeichne mich so. SO.: Also: können wir sagen, dass du auch andere dazu machen [b] kannst? GO.: Das kündige ich ja an, nicht nur hier, sondern auch anderswo. SO.: Wärest du also bereit, Gorgias, so wie wir uns jetzt unterhalten, weiterzumachen, teils fragend, teils antwortend, diese Länge der Reden, wie auch Polos angefangen hat, auf ein andermal zu verschieben? Straf nicht das Lügen, was du versprichst, sondern sei bereit kurz auf die Frage zu antworten. GO.: Es gibt manche Antworten, Sokrates, die es verlangen, die Worte einen weiten Weg nehmen zu lassen. Trotzdem will ich wenigstens versuchen es auf dem kürzesten Weg zu tun. Denn auch das gehört zu dem, [c] was ich behaupte, dass keiner dasselbe kürzer als ich sagen könnte. SO.: Ja, darauf kommt es an, Gorgias. Und gib mir gerade davon eine Vorstellung, von der kurzen Rede, von der langen Rede ein andermal. GO.: Das werde ich tun, und du wirst sagen, dass du noch nie jemanden kürzer sprechen gehört hast. SO.: Also los! Du sagst doch, dass du ein Wissen von der rhetorischen Kunst hast und dass du auch einen anderen zum Rhetor machen könntest. Die Rhetorik: mit welchen von den Dingen, die es gibt, hat sie zu [d] tun? Wie zum Beispiel die Webkunst mit der Herstellung von Kleidung. Nicht wahr? GO.: Ja. SO.: Also auch die Musik mit der Herstellung von Melodien? GO.: Ja. SO.: Bei der Hera, Gorgias, ich bewundere deine Antworten. Du antwortest so kurz wie nur möglich. GO.: Ich glaube, Sokrates, ich mache es ganz ordentlich. SO.: Richtig. Mach weiter und antworte mir auf diese Weise auch über die Rhetorik: von welchen Dingen, die es gibt, ist sie ein Wissen? GO.: Von Worten. [e] SO.: Welchen, Gorgias? Etwa solchen, die erklären, mit welcher Lebensweise die Kranken gesund werden könnten? GO.: Nein. SO.: Also hat es die Rhetorik schon mal nicht mit allen Worten zu tun? GO.: Tatsächlich nicht. SO.: Aber sie macht ja doch fähig zum Reden? GO.: Ja. SO.: Also: worüber zu reden, darüber auch richtig zu urteilen? GO.: Natürlich. SO.: Macht also die Medizin, die wir gerade genannt haben, fähig [450] über die Kranken richtig zu urteilen und zu reden? GO.: Zwangsläufig. SO.: Auch die Medizin hat es also, wie es aussieht, mit Worten zu tun? GO.: Ja. SO.: Mit denen über die Krankheiten? GO.: Ja. SO.: Also hat es auch die Gymnastik mit Worten zu tun, mit denen über gute und schlechte Körperhaltung? GO.: Selbstverständlich. SO.: Und so steht es ja doch auch mit den anderen Künsten, Gorgias: jede von ihnen hat es mit den Worten zu tun, die sich auf die Sache beziehen, [b] zu der jede einzelne Kunst gehört. GO.: Es sieht so aus. SO.: Woran liegt es nun also, dass du die anderen Künste nicht rhetorisch nennst, obwohl sie es doch mit Worten zu tun haben, wenn du wirklich die Kunst Rhetorik nennst, die es mit Worten zu tun hat? GO.: Weil, Sokrates, das ganze Wissen der anderen Künste es sozusagen mit der Arbeit der Hände und mit derartigen Tätigkeiten zu tun hat. Von der Rhetorik aber gibt es kein derartiges Produkt einer Handarbeit, sondern ihre ganze Tätigkeit und ihre Ausführung geschieht durch Worte. Deshalb behaupte ich, dass die Rhetorik eine Kunst ist, die es mit Worten [c] zu tun hat, und es ist richtig, wie ich behaupte. SO.: Verstehe ich also, als was du sie bezeichnen willst? Vielleicht werde ich es genauer wissen. Aber antworte: es gibt für uns Künste, nicht wahr? GO.: Ja. SO.: Von allen Künsten, glaube ich, ist nun bei einigen die Tätigkeit mit den Händen die Hauptsache und sie brauchen das Wort nur in geringem Ausmaß, manche überhaupt nicht, sondern die Kunst könnte auch schweigend ausgeführt werden, wie Malerei und Bildhauerei und viele andere. Solche scheinst du mir zu meinen, mit denen nach deinen Worten [d] die Rhetorik nichts zu tun hat. Oder nicht? GO.: Du vermutest ganz richtig, Sokrates. SO.: Andere Künste aber gibt es doch, die alles mit dem Wort ausführen und die sozusagen entweder überhaupt kein Werk dazu brauchen oder nur in ganz geringem Ausmaß, wie z. B. die Zahlenlehre und...