E-Book, Deutsch, 280 Seiten
Pittler Bronstein
2019
ISBN: 978-3-8392-6030-2
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Sein vergessener Fall
E-Book, Deutsch, 280 Seiten
Reihe: Zeitgeschichtliche Kriminalromane im GMEINER-Verlag
ISBN: 978-3-8392-6030-2
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Während Oberst Bronstein den Mord an einem Arbeiter aufklären will, wird er auf Weisung von oben als vermeintliches „Publikum“ zum Politprozess gegen führende Oppositionelle abkommandiert. Gegenüber dem Ausland will das herrschende Regime einen Zustand der Normalität vortäuschen. Das mutige Verhalten der Oppositionellen veranlasst Bronstein, mit anderen Augen auf seinen Fall zu blicken. Er setzt alles daran, die Mordsache, anders als von der Diktatur gewünscht, wahrheitsgemäß zu lösen. Die Spur führt direkt zu den im Untergrund tätigen Nazis.
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Donnerstag, 12. März 1936 Beinahe ungeduldig wartete Bronstein am nächsten Morgen auf Cernys Erscheinen. Er ließ diesem kaum Zeit, sich seines Mantels zu entledigen, als er ihn auch schon mit den Gedanken konfrontierte, die ihm am Abend zuvor durch den Kopf gegangen waren. »Da passt also irgendwie gar nichts zusammen, wie du siehst«, schloss er seine Ausführungen mit einem resignierten Seufzer ab, »wir müssen irgendwie ganz von vorne anfangen, fürchte ich.« Cerny setzte sich endlich. »Vielleicht sollten wir noch einmal mit dieser einen Nachbarin reden, die uns den Hinweis mit dem Wewerka Josef gab. Die scheint ja recht oft zu Hause zu sein, vielleicht hat die etwas bemerkt.« Bronstein pflichtete seinem Assistenten zu. »Vor allem scheint es im Lichte der mutmaßlichen Tatzeit doch nötig, sich einen Überblick über alle Hausbewohner zu verschaffen. Wer weiß, vielleicht war das ja gar keine politische, sondern vielmehr eine höchst private Angelegenheit, und der Täter wohnt praktisch Tür an Tür mit dem Binder.« »Richtig. Und wir sollten auch in Erfahrung bringen, wer aller über einen Haustorschlüssel verfügt«, ergänzte Cerny. »Nur um sicherzugehen, dass sich nicht doch jemand von außerhalb um diese Zeit Zutritt zum Gebäude verschafft hat.« Bronstein sah ihn irritiert an. »Wozu soll das gut sein?« Cerny zuckte mit den Schultern. »Na ja, vielleicht gibt es ja jemanden, der einen Schlüssel hat, aber nicht dort wohnt. Der Hausherr vielleicht, oder ein ehemaliger Mieter, der möglicherweise noch eine alte Rechnung mit dem Binder offen hatte.« Cerny erhob sich wieder. »Oder irgendjemandem wurde sein Schlüssel jüngst entwendet, wer weiß. Jedenfalls müssen wir klären, wie viele Schlüssel es überhaupt gibt.« Bronstein stöhnte. »Das sind sicher unzählige, da brauchen wir ewig und drei Tage.« Sein Mitarbeiter legte Widerspruch ein. »Das glaube ich gar nicht. In diesen Gegenden haben eigentlich die wenigsten Mieter einen eigenen Haustorschlüssel. Das kalkulieren die Hausherren immer gleich in den Lohn der Hausmeister ein, dass sie sich diesen durch das Sperrsechserl aufbessern können. Ich würde also meinen, viel mehr als fünf bis zehn wird’s nicht geben.« »Na ja, finden wir es raus«, sagte Bronstein und stand nun ebenfalls auf. Während er der Fahrbereitschaft per Telefon signalisierte, dass sie einen Wagen brauchten, schnippte er mit dem Finger nach Cerny, sodass dieser sich zu ihm umdrehte. »Weißt, was mich wundert«, äußerte der Oberst, nachdem er den Hörer wieder auf die Gabel gelegt hatte, »dass uns der Skubl noch gar nicht auf die Zehen gestiegen ist. Normalerweise kann es ihm ja gar nicht schnell genug gehen.« Cerny schmunzelte. »Simma froh. Der wird uns noch früh genug auf die Nerven gehen.« Auch Bronstein musste nun grinsen. »Recht hast.« Die Informantin vom Vortag hieß, wie sich die beiden Beamten nun überzeugen konnten, Glasner. Und wie erwartet war sie auch zu Hause. »Wissen S’, ich bin eigentlich immer z’Haus«, erklärte sie sich, »wo sollt’ ich auch hin, ned wahr. Bitte, ja, einmal in der Woche geh’ ich auf den Friedhof zu meinem Verewigten. Kinder hab’ ich keine, also gibt’s ned viel zum Tun für mich. Und brauchen tu ich ja auch nicht groß was, also geh’ ich in der Früh zur Milchfrau und dann in die Trafik für meine Rätselheftln, und das war’s dann auch schon. Wollen S’ einen Kaffee?« Die beiden bejahten. »Eichel oder Malz?« Sie entschieden sich für zweiteres. »Zurzeit ist es ja ziemlich ruhig in dem Haus da«, erläuterte sie auf die entsprechende Anfrage Bronsteins, »aber das war nicht immer so, müssen S’ wissen. Vor fünf, sechs Jahr’, da haben wir da noch 26 Parteien g’habt. Und dazu noch die Hausmeisterin unten im Parterre. Da haben mehr als 100 Leut’ da g’lebt. Aber seit es so mit uns bergab geht, hat sich das Haus mehr und mehr geleert.« »Wegen politischer Verwicklungen?«, wollte Cerny wissen. »Ned nur, aber auch. Das hat ja schon vor ein paar Jahren ang’fangen. Wegen der Wirtschaftskrise, wissen S’. Da haben sich etliche den Zins nimmer leisten können. Und so sind’s halt auszogen. Oder der Hausherr hat sie delogieren lassen. Das geht ja jetzt auch wieder leichter, seit die Sozis nimmer im Rathaus sitzen, ned.« Die Glasner stellte den Kaffee auf den Tisch. »Na, und nach dem Feber dann, haben s’ ja das halbe Haus verhaftet. Da war ich dann praktisch mit der Hausmeisterin und der alten Gattinger allein in der Hütten da.« Sie nippte von ihrer Tasse. »Ich war damals nur froh, dass mein Seliger das nicht mehr hat erleben müssen. Der hat ja zu seinem Glück schon im 32er Jahr die Patschen g’streckt. Staublunge, wissen S’.« Bronstein und Cerny nickten mitfühlend. »Jedenfalls haben s’ bei uns am Stock gleich den Binder abg’holt, und den Kovac, der was gleich daneben wohnt. Den haben s’ gleich samt seiner Frau eing’sperrt, weil die ja Obfrau vom Frauenkomitee g’wesen ist. Und zwischen dem Binder und mir hat der Quirina g’wohnt, der hat aber gleich danach ausziehen müssen, weil er seine Arbeit beim Gaswerk verloren hat und völlig blank war. Und in den anderen Stockwerken war’s nicht viel anders.« »Wie viele Personen leben also derzeit im Haus?«, hakte Bronstein nach. Die Glasner lehnte sich zurück. »Lassen S’ mich nachdenken. Da ist die Hausmeisterin unten im Parterre. Dann die Gattinger und der Stepanek mit seiner Frau im ersten Stock, ich hier im zweiten, die Richters, die Feingolds und die Pilonkas im dritten. Das sind jeweils ein Ehepaar mit ein oder zwei Kindern. Und im vierten dann die Wewerka, die sind zu dritt, die Zadrazil, das ist so ein junges Madel, der was sie den Mann auch eing’sperrt haben, die alte Kapfinger und der Halbwidl, der wohnt ganz hinten in der Mansard’. Ein komischer Kauz, wenn S’ mich fragen. Ist aus dem Weinviertel daher zogen vor drei, vier Jahr. Wegen der Arbeit, hat’s g’heißen. Aber was ich weiß, hat der gar nie einen Posten bekommen. Hat sich den Katholischen andient. Was ich weiß, macht er den Mesner in der Kirchen drüben am Enkplatz. Na, das passt zu einem, der Firmian heißt.« Dabei lachte die Glasner glucksend. »Das heißt, alles in allem, wenn ich richtig mitgezählt habe, 22 Personen.« Die Glasner ging kurz in sich: »Ja, das dürfte hinkommen.« »Die Namen hätten wir also. Aber was können Sie uns über die Leute konkret sagen? Wie stehen die finanziell da, wo sind die politisch einzuordnen, gibt es irgendwelche Rivalitäten unter den Hausbewohnern? Solche Sachen halt.« Die Glasner sah Bronstein mit angewiderter Miene an. »Na hören S’ einmal, fragen S’ das doch die Hausmeisterin. Bin ich da die Dorftratschen, oder was?« »Ist schon recht, Frau Glasner. Wir sind die Polizei, mit uns zu reden ist so wie die Beichte in der Kirche.« »Nur, dass Sie mir dann nicht die Absolution erteilen. Und ich mich erst durch das Reden mit Ihnen versündig’.« »Na, na, na, Frau Glasner. Das dürfen S’ jetzt nicht so eng sehen. Wir müssen immerhin einen Mord aufklären. Und so gesehen tun Sie ja was Gutes. Sie teilen uns Ihre Wahrnehmungen mit. Und wenn die Leute nix zu verbergen haben, dann kann ihnen ja auch gar nichts geschehen.« Die Glasner zögerte eine gute Weile, gab sich dann aber sichtlich einen Ruck. »Schauen S’, über die finanziellen Verhältnisse der anderen Parteien weiß ich natürlich nichts. Ich geh’ aber davon aus, dass es niemandem gut geht. Ich mein’, es sind harte Zeiten, kaum jemand hat noch eine echte Arbeit.« Sie nahm wieder einen Schluck von ihrem Kaffee. »Früher, ja früher, da war alles besser. Da hätten sich auch die Pilonkas und die Richters was Besseres leisten können. Der Binder sowieso.« Und nach einer kurzen Pause. »Ich hab’ das sowieso nie verstanden, warum der Binder ned auszogen ist. Der hätt’ doch bei seine Verbindungen sofort eine schöne, große Gemeindewohnung kriegt. Aber das war wahrscheinlich so ein sozialdemokratischer Arbeiterethos, dass der da blieben ist. Damit’s nicht heißt, die Sozis bereichern sich oder so.« »Das heißt, die Richter und die Pilonka sind keine Roten?« »Rot sind mehr oder weniger alle hier. Außerm Halbwidl halt. Und was ich so weiß, hat sich der Richter auch arrangiert mit den neuen Verhältnissen. Der hat sich sogar unlängst erst neue Möbel ang’schafft. Der Stepanek und der Pilonka, die gfretten sich so durch. Der eine ist Koch drüben in der Gastwirtschaft vom Zverina, und der andere, der Stepanek, der arbeitet für die Tramway. Immer noch, obwohl er ein Batzen-Sozi ist. Aber so Triebwagenführer, die kriegen s’ halt nicht so schnell, drum haben s’ den nicht rausschmeißen können.« »Und die Feingold?« Die Glasner schmunzelte. »Das sind unsere Haus- und Hofjuden da. Der alte Feingold ist ein feiner Mensch. Hat das Tuchg’schäft drüben in der Lorystraßen. Die Sozis kaufen immer noch bei ihm ein. Justament.« Auf Cernys und Bronsteins Gesichtern malten sich Fragezeichen. »Na, dem haben die Nazis schon zweimal die Scheiben eing’schlagen. Und verprügelt haben s’ ihn auch einmal. Im Sommer vor zwei Jahren. Da war der Arme fast einen Monat im Spital. Na, der junge Feingold, der ist ein bisserl ein Heißläufer. Ist, was ich weiß, bei diesen Polen Zions.« »Bei wem?«, fragte Bronstein nach. »Poale Zion«, klärte ihn Cerny auf, »eine sozialdemokratisch orientierte Organisation, die Palästina wieder zur Heimstätte aller Juden machen möchte. Die sind …« Bronstein gab unwillig zu verstehen, dass er begriffen...