E-Book, Deutsch, 227 Seiten
Reihe: Classics To Go
Pirandello Die Wandlungen des Mattia Pascal
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-98744-576-7
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 227 Seiten
Reihe: Classics To Go
ISBN: 978-3-98744-576-7
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Mattia Pascal lebt in Miragno, wo sein Vater ihm, seinem Bruder Roberto und seiner Mutter eine Schwefelmine vererbt hat. Batta Malagna, ein unehrlicher Verwalter, ist daran interessiert, das Vermögen zu übernehmen. Der Geschäftsmann heiratet Oliva, ein Mädchen, das Mattia seit Kindertagen kennt. Die Ehe bleibt kinderlos. Die Schuld dafür schiebt Malagna auf Oliva, ohne auch nur in Betracht zu ziehen, dass das ?Problem? bei ihm liegen könnte. Aus Trotz beginnt Oliva eine Affäre mit Mattia, von dem sie auch schwanger wird.
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3. Das Haus und der Maulwurf.
Ich habe im Anfang zu übereilt gesagt, daß ich meinen Vater gekannt habe. Ich habe ihn nicht gekannt. Ich war vier und einhalb Jahr alt, als er starb. Als er einmal mit einem seiner Trabakel nach Korsika gefahren war, wegen gewisser Handelsgeschäfte, die er dort machte, kehrte er nicht mehr zurück; er war in drei Tagen von einem bösartigen Wechselfieber dahingerafft worden, im Alter von achtunddreißig Jahren. Er hinterließ in ziemlichem Wohlstand seine Gattin und zwei Söhne: Mattia (der ich wäre und auch war) und Robert, der zwei Jahr älter war als ich. Mancher von den Alten meiner Heimat hat noch seine Freude daran zu glauben, daß meines Vaters Reichtum (der keinen Schatten mehr auf ihn werfen dürfte, da er schon seit geraumer Zeit in andere Hände übergegangen ist) – sagen wir – geheimnisvollen Ursprungs sei. Manche wollen, daß er ihn sich in Marseille durch das Kartenspiel erworben habe mit dem Kapitän eines englischen Handelsdampfers, der, nachdem er alles Geld verloren, das er bei sich führte, und das mußte nicht wenig gewesen sein, auch noch eine große Ladung Schwefel verspielt hatte, die er im fernen Sizilien für Rechnung eines Kaufmanns aus Liverpool eingenommen hatte. (Auch das wissen sie! Und der Name?) Eines Kaufmanns aus Liverpool, der den Dampfer gemietet hatte. Jener Kapitän hatte sich dann aus Verzweiflung, nachdem er die Anker gelichtet, auf hoher See ertränkt. So wurde der Dampfer, in Liverpool gelandet, erleichtert auch noch um das Gewicht des Kapitäns. Ein Glück nur, daß er wenigstens als Ballast die Bosheit meiner Landsleute hatte. Wir besaßen Länder und Häuser. Scharfsinnig und abenteuerlich wie mein Vater war, hatte er niemals für seine Handelsgeschäfte einen festen Sitz: immer war er mit seinem Trabakel unterwegs; wo er die verschiedensten Waren billiger und günstiger fand, kaufte er sie und verkaufte sie sofort wieder. Und deswegen fühlte er sich nicht zu allzu großen und riskanten Unternehmungen versucht; die Gewinne legte er nach und nach in Ländereien und Häusern an, hier in seinem eigenen Heimatsland, wo er vielleicht bald damit rechnete, sich in den mühsam erworbenen Bequemlichkeiten zur Ruhe zu setzen, zufrieden und im friedlichen Kreis von Gattin und Söhnen. So erwarb er zuerst das Land Due Riviere, reich an Oliven und Maulbeerbäumen, ferner das Gut Stia, auch dieses reich ausgestattet und mit einer schönen Quelle versehen, das daher für eine Mühle genommen wurde; dann die ganze Höhe von Sperone, welche der beste Weinberg unserer Gegend war und schließlich San Rocchino, wo er eine entzückende Villa baute. Außer dem Hause, in dem wir wohnten, erwarb er in unserer Heimat noch zwei Häuser, und jene Häusergruppe, die jetzt in ein Arsenal umgewandelt ist. Sein unvorhergesehener Tod wurde unser Ruin. Meine Mutter, ungeeignet für die Verwaltung der Erbschaft, mußte sie jemandem anvertrauen, von dem sie glaubte, da er von seiten meines Vaters so viel Wohltaten empfangen hatte, daß er zumindest die Verpflichtung zu etwas Dankbarkeit empfinden müsse, eine Dankbarkeit, die ihm außer Eifer und Ehrlichkeit weiter keine Opfer kosten würde, da sie überdies glänzend belohnt wurde. Aber unsere Mutter, o heilige Madonna! Von scheuer und sanftester Gemütsart hatte sie ja so spärliche Erfahrungen vom Leben und den Menschen! Wenn man sie sprechen hörte, schien sie wie ein Kind. Sie sprach mit nasalem Akzent und lachte auch mit der Nase, da sie jedesmal, gleich als schämte sie sich zu lachen, die Lippen zusammen preßte. Von zartestem Körperbau – war sie nach dem Tode meines Vaters immer von schwankender Gesundheit; aber nie beklagte sie sich über ihre Leiden, auch glaube ich nicht, daß sie selber Überdruß deswegen empfand; sie nahm sie hin, resigniert, als eine natürliche Folge ihres Unglücks. Vielleicht war sie auch darauf gefaßt, vor Kummer zu sterben und mußte so Gott bitten, daß er sie am Leben erhielte, wenn auch noch so elend und kummervoll, zum Wohl ihrer Söhne. Für uns hatte sie eine geradezu krankhafte Zärtlichkeit, voll Herzklopfen und Bestürzungen: sie wollte uns immer in ihrer Nähe haben, gleichsam als fürchte sie, uns zu verlieren, und oft schickte sie die Dienerinnen herum durch das geräumige Haus, sobald sich einer von uns ein wenig entfernt hatte. Wie eine Blinde hatte sie sich der Führung ihres Gatten überlassen; ohne ihn zurückgeblieben, fühlte sie sich in der Welt verloren. Und das Haus verließ sie nicht mehr, ausgenommen die Sonntage, zeitig in der Frühe, wo sie zur Messe in die nächste Kirche ging, begleitet von zwei alten Dienerinnen, die sie wie Verwandte behandelte. In diesem selben Haus beschränkte sie sich darauf, in nur drei Zimmern zu leben, indem sie die vielen anderen der spärlichen Sorgfalt der Dienerinnen und unseren ausgelassenen Streichen überließ. In jenen Zimmern ging von all den alten Möbeln, von den ausgeblaßten Vorhängen jener eigentümliche Geruch nach alten Sachen aus, gleichsam wie der Atem einer anderen Zeit; und ich erinnere mich, daß ich mich mehr als einmal mit einer seltsamen Bestürzung umblickte, die von der schweigsamen Unbeweglichkeit jener alten Gegenstände kam, die seit so vielen Jahren außer Gebrauch, ohne Leben waren. Unter denen, die unsere Mama am häufigsten besuchen kamen, war eine Schwester meines Vaters, eine wunderliche alte Jungfer, mit einem Paar Frettchenaugen, braun und stolz. Sie hieß Scolastica. Aber sie hielt sich jedesmal nur sehr wenig auf, weil sie plötzlich beim Reden in Wut geriet und, ohne jemand zu grüßen, davoneilte. Ich hatte als Knabe eine große Furcht vor ihr. Ich beobachtete sie scharf, besonders wenn ich sie in Wut auffahren sah und sie zu meiner Mutter gewandt schreien hörte, indem sie wütend mit dem Fuß auf den Boden stampfte: – Fühlst du das Leere? Der Maulwurf! Der Maulwurf! – Sie spielte auf Malagna an, auf den Verwalter, der uns heimlich unter unseren Füßen eine Grube grub. Tante Scolastica (ich habe es später erfahren) wollte auf jeden Fall, daß meine Mutter sich wieder verheiratete. Gewöhnlich haben Schwägerinnen nicht solche Gedanken und geben auch nicht solche Ratschläge. Sie aber hatte ein herbes und boshaftes Gefühl von Gerechtigkeit; und sicherlich mehr deshalb als aus Liebe zu uns, vermochte sie nicht zu ertragen, daß jener Mensch uns so ungestört bestahl. Jetzt, wo die absolute Untauglichkeit und Blindheit unserer Mutter eine Tatsache war, sah sie kein anderes Hilfsmittel mehr als einen zweiten Gatten. Und sie bestimmte ihn auch schon in der Person eines armen Mannes, der Gerolamo Pomino hieß. Jener war Witwer mit einem Sohne, der noch jetzt lebt und wie der Vater Gerolamo heißt: mein intimster Freund, vielleicht mehr als Freund, wie ich später erzählen werde. Schon als Knabe kam er mit seinem Vater in unser Haus und war meine und meines Bruders Roberto Verzweiflung. Der Vater hatte als junger Mann sich lange um die Hand der Tante Scolastica beworben, die jedoch nichts davon hatte wissen wollen, wie sie übrigens auch nichts von irgendeinem anderen hatte wissen wollen. Doch das nicht etwa, weil sie sich nicht für fähig hielt zu lieben, sondern weil der leiseste Verdacht, daß der von ihr geliebte Mann sie allein in Gedanken betrügen könnte, sie – wie sie sagte – ein Verbrechen hätte begehen lassen. Die Männer waren alle falsch in ihren Augen, alle waren Schufte und Betrüger. Pomino auch? Nein, das wars: Pomino nicht. Aber sie hatte es zu spät bemerkt. Bei allen Männern, die um ihre Hand angehalten und die sich dann verheiratet hatten, war es ihr gelungen, irgendeinen Betrug zu entdecken, und daran hatte sie eine wilde Freude gehabt. Nur bei Pomino nichts; dieser arme Mann war vielmehr der Märtyrer seiner Frau gewesen. Und warum heiratete sie ihn jetzt nicht? Du liebe Güte, weil er Witwer war! Er hatte einer anderen Frau gehört, an die er vielleicht dann und wann hätte denken können. Und dann, weil ... ja weiter! Man sah es ihm auf hundert Meilen Entfernung an trotz seiner Schüchternheit: er war verliebt, er war verliebt ... versteht sich, in wen ... dieser arme Herr Pomino! Man denke sich, wenn meine Mutter je darin eingewilligt hätte. Es wäre ihr wie ein wirkliches Sakrileg erschienen. Aber sie glaubte vielleicht auch gar nicht, die Arme, daß Tante Scolastica es ihr im Ernst gesagt hatte; und sie lachte in jener ihr eigentümlichen Art über die Wutausbrüche der Schwägerin, über die Ausrufe des armen Herrn Pomino, der bei jenen Diskussionen zugegen war und gegen den die alte Jungfer die übertriebensten Lobeserhebungen schleuderte. Ich stelle mir vor, wie er manches Mal ausgerufen haben wird, indem er auf seinem Stuhl wie auf einem Marterwerkzeug hin und her rutschte: – O heiliger Name des gebenedeiten Gottes! – Ein sauberes kleines Männchen, gepflegt, mit kleinen himmelblauen sanften Augen, puderte er sich, wie ich glaube, und hatte auch die Schwäche, sich ein wenig Rot auf die Wangen zu legen, kaum merklich, nur wie ein Hauch. Sicher war, daß er seine Freude daran hatte, bis in sein Alter noch das Haar konserviert zu haben, das er sich mit größter Sorgfalt kämmte und unaufhörlich mit den Händen ordnete. Ich weiß nicht, wie es uns allen ergangen wäre, wenn meine Mutter, sicher nicht ihretwegen, sondern in Anbetracht der Zukunft ihrer Söhne, dem Rat der Tante Scolastica gefolgt wäre und Pomino geheiratet hätte. Zweifellos ist, daß es uns nicht hätte schlechter ergehen können als so, wo wir dem Malagna (dem Maulwurf) anvertraut waren. Als Robert und ich erwachsen waren, war ein großer Teil unseres Vermögens,...




