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E-Book, Deutsch, 318 Seiten

Pilz Schotterpiste


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7568-0988-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 318 Seiten

ISBN: 978-3-7568-0988-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Paula steht kurz vor dem Zusammenbruch. Ihr Traumjob fordert. Tag und Nacht. Verschnaufpausen gibt es auf den modernen Großviehbetrieben nicht. Die Arbeit in den ehemaligen LPG-Ställen der DDR hat nichts mit der Landlust auf manchen Milchkartons gemein. In einem strengen Elternhaus zu Gehorsam und akademischen Höchstleistungen angetrieben kommt sie während ihrer Assistenzzeit körperlich und emotional an ihre Grenzen. Nach einem fatalen Behandlungsfehler muss Paula eine Entscheidung treffen, die alles infrage stellt ...

Die Autorin, geboren 1982 in Brandenburg, hat in Berlin Veterinärmedizin studiert und über das Verhalten von Kühen promoviert. Sie ist Fachtierärztin für Rinder und hat mehrere Jahre in einer Nutztierpraxis gearbeitet. Als freischaffende Autorin schreibt sie auch Reportagen, Portraits und Interviews für Zeitungsverlage. Das vorliegende Buch ist ihr erster Roman. Die Autorin lebt mit ihrer Familie und zwei Katzen in einem kleinen Garten nahe dem ehemaligen Berlin-Brandenburger Mauerstreifen.

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Eine winzige Spermazelle befruchtet das Ei. Zygote. Embryo. Fetus. Das Kalb wird geboren und aufgezogen. Als junge Kuh besamt. Trägt. Und wirft. Dann gibt sie Milch. Die Du trinkst. Da in Deinem Glas ist Leben. Reines Leben. 1. Mai 1989
Das Geräusch brannte sich in ihr Gedächtnis. Schmatzend schrappten die Gummischlappen über das glatte Linoleum. Eilten hastig von einem Ende des Flures zum anderen, bevor sie in einem der vielen Zimmer verschwanden. Einen Atemzug lang gab sie sich der trügerischen Stille hin. Schon hetzte wieder jemand durch die Winkel des Kreiskrankenhauses. Das Quietschen schwoll an, zog an ihrer Zimmertür vorbei und wurde wieder leiser. Ebbte aber nie ganz ab. So könnte sie ihren Schülern den Doppler-Effekt auch erklären. Wenn sie ihn durchgestanden hätte, diesen heutigen Tag, dessen Ereignisse ihre Schatten vorauswarfen und mit gierigen Fingern nach ihren hauchdünn gesponnenen Zukunftsplänen griffen. Wie festgenagelt lag sie auf der Pritsche unter dem Fenster. Der geflieste Raum erinnerte sie an das verlassene Schlachthaus, in dem sie sich getroffen hatten. Zwar fehlten die an rostigen Haken baumelnden Rinderhälften. Doch mit ihrem eigenen Blut würde sie schon bald dienen können. Verkrampft drehte sie den Kopf zur Seite. Zog das flache Kissen über die Ohren und drückte die Nase in den sterilen Stoff, der an den Spitzen kleine Löcher aufwies. Es war hoffnungslos. Sie war nie gut darin gewesen, fremde Geräusche bei Bedarf einfach auszublenden. Wie ein trockener Schwamm sog sie alle Eindrücke um sich herum auf. Wasser! Einen einzigen Schluck nur. Die Bitte blieb ihr am Gaumen kleben. Diese Unart, Schwäche zu zeigen, hatte man ihr schon früh ausgetrieben. Tapfer biss sie die Zähne zusammen. Und schwieg. „Entspannen Sie sich!“ Sie wollte laut loslachen. Vor Hohn über ihre jämmerliche Erscheinung. Ein zertretener Wurm, dem die Körpersäfte aus allen Öffnungen flossen. Erschöpft schloss sie die Augen. In ihrem Kopf jagten sich die Bilder. Zu lange, zu schnell und immer die gleichen. Euphorische junge Gesichter, die genauso rot leuchteten wie die Fahnen, die sie über ihren Köpfen schwenkten. Erwartungsvolle Blicke über stolz geschwellter Brust. Nur wer ganz genau hinschaute, entdeckte hier und da Resignation hinter den mühsam aufgebauten, nur langsam bröckelnden Fassaden. In den letzten Jahren hatten sie mehr und mehr Risse bekommen. Längere. Breitere. Und trotzdem. Sie sah die Hände vor sich. Mehr als eine halbe Million Hände, wie sie später aus der „Aktuellen Kamera“ erfuhr. Winkend flogen sie durch die Luft. Manche hielten Nelken, andere sorgfältig bemalte, um Holzstiele gewickelte Stofflaken. Bigotte Zeichen der ewigen Lebenskraft dieses Schweinesystems. Nun tötet mich endlich! Schrill hallte ihr Kreischen durch den Teil des Saales, in dem man auch Frischfleischkadaver hätte zerteilen können. Sie krallte die Hände in die harte Matratze. Ihre Fingernägel kratzten über das Metall der Pritsche, als der Schmerz ihren zierlichen Körper zerriss. Zwei Schwestern, die Kasaks so glattgebügelt wie die Haare unter ihren Hauben, blickten sie unverblümt an. Die Kleinere schaute immerzu auf die weiße Uhr, die an der Wand über dem Stuhl hing, auf dem ihre Kleider lagen. Sie tuschelten hinter vorgehaltener Hand. „So viel Fenoterol und trotzdem kommen die Wehen alle fünf Minuten.“ Die Längere schüttelte mitleidig den Kopf. „Störrisches Kind! Lässt sich selbst am Kampftag der Arbeiterklasse nicht aufhalten, wirste sehen.“ Ein lautes Räuspern ließ sie zusammenzucken. Der Vorwurf stand auf seinen Lippen und, deutlicher noch, in seinen Augen. Demütig senkten die Schwestern ihre Blicke. Eine Nelke ragte aus der Brusttasche des weißen Kittels, den er aufgeknöpft trug, um ihn lässig wirken zu lassen, obwohl er es nicht war, niemand hier war das. Auf der Krawattennadel blitzte das Emblem, jedes Mal, wenn sich sein Thorax bewegte. Die schlanken Finger passten zu der kantigen Statur. Mit hektischem Griff piekte er auf ihrem Bauch herum, um die Konturen des Kindes abzufahren. Rabiat schob er die schmale Handkante unter ihre letzte Rippe, drückte auf den Fundus, genau zwischen Leber und Milz. Da war doch noch so viel Platz! Sein Mitgefühl war geheuchelt. „Wir könn‘ nüscht mehr tun.“ Ein gezielter Tritt von innen ins Zwerchfell. Sie keuchte auf. Der Arzt zog überrascht seine Hand zurück. „Kräftig jenug scheint’s ja zu sein. Wenn jetzt nich bald Ruhe is‘, holen wir es!“ Wer war er, dass er das über ihren Kopf hinweg einfach entscheiden konnte? Er öffnete seinen Mund weiter als nötig beim Sprechen und es dauerte einen Augenblick, bis er ihn nach dem letzten Wort wieder schloss, als hätte er eine Kieferstarre. Die Zähne waren quadratisch und groß und gelb wie die eines Ackergauls. Er rauchte offenbar gern. Die Augen dagegen, winzig und schwarz, saßen wie kleine Fliegen in der Mitte seines Gesichtes und glotzten sie argwöhnisch an. Sein sauber gescheiteltes Haar, das glattrasierte Kinn, die Linien auf der blassen Haut, wie mit dem Lineal gezogen, von der linken Stirnseite zur rechten. Alles an ihm wirkte wie nach striktem Plan arrangiert. Sie drehte sich zur Seite. Sein Rasierwasser mischte sich mit dem kalten Gestank nach Filterzigaretten, Juwel oder so. Nur langsam glitt der lange Zeiger der Wanduhr über das Ziffernblatt. Doch ihre Zuversicht wuchs mit jeder sich davonstehlenden Minute. Steinchen für Steinchen türmte sich Hoffnung in ihr auf. Die Schwestern lächelten ihr verstohlen zu. Nach einer Viertelstunde kam der Tornado. Innerhalb von Sekunden fegte er über die Trümmer ihres jungen Lebens hinweg und hinterließ nichts als Schutt und Asche. Sie schlug die Hände vors Gesicht und stöhnte. „Nun lassen Se mal den Kopp nich‘ hängen, junge Frau, wird schon allet jut werden.“ Die Schwester legte ein braunes Handtuch bereit und streifte dabei flüchtig ihre Hand. „Rosa und blau sind leider aus.“ Schon wieder diese Pferdefresse! Durch die gekippten Fenster drangen die gedämpften Töne der Maifanfare herein. Sie sollte da draußen sein. An seiner Seite. Wenigstens im Geiste frei, hatten sie sich geschworen. So wollten sie zusammenbleiben, bis zuletzt, und nicht, weil irdische Umstände sie dazu zwangen. Sie wusste, wie sehr er die Demonstrationen verabscheute. Dieses verlogene Huldigen von Frieden und Sozialismus. In einem Staat, der seinen Bürgern so gnadenlos die Flügel stutzte und nicht davor zurückschreckte, sie jederzeit zum Abschuss freizugeben. In dessen Maschinerie sie beide aber doch und allen Widerständen zum Trotz so tief steckten, dass es ihnen den Atem nahm. Sie konnte kaum Luft holen. Die nächste Wehe fegte durch ihren Körper. Ob sie mit dem Kramer aus dem Ministerium verwandt sei? Sie schüttelte den Kopf. Log, ohne rot zu werden. Immerhin entsprach ihre Antwort der neuen Version der Wahrheit, seit sie in Ungehorsam gefallen war und mit diesem Provokateur angebändelt hatte. Ihre Familie würde die Frage ganz genauso beantworten. Scheinbar beiläufig schaute der Arzt auf ihre geballten Fäuste. Es steckte kein Ring am Finger. Sie wandte sich wieder ab. Diesmal folgte er ihr mit seinen Augen. Ihre Blicke trafen sich in der Fensterscheibe. Er gab sich keine Mühe, die Gehässigkeit in seiner Stimme zu kaschieren. „Der Mann marschiert wohl mit?“ Nur mit Mühe stieß sie die Worte zwischen den zusammengepressten Zähnen hervor. „Er ist ein sehr pflichtbewusster Mensch.“ Was durfte sie auch anderes sagen? Zwanzig Stunden später kam das Kind. Mickrige drei Pfund schwer. Mehr Haut und Knochen als Mensch. Wurde in das kackfarbene Tuch gewickelt, wie toter Fisch in altes Zeitungspapier, und aus dem Zimmer entfernt. Sie gaben ihr nicht einmal die Zeit, es anzusehen. „Sobald die Kleene über‘n Berg is‘, könn‘ Se zu ihr.“ Ob ihr Baby es schaffen würde, hörte sie sich mit vom Kreischen heiserer Stimme fragen. Sie unterdrückte die Hoffnung, die sie mit dieser Frage verband, und schämte sich dafür. Man würde sehen. Sie wagte nicht, ihrer Tochter den Namen zu geben, den sie schon länger im Kopf hatte. Paula. Als würde diese Halbherzigkeit helfen, die Furcht vor den nächsten Wochen, wahrscheinlich Monaten, vielleicht sogar Jahren zu verdrängen. Es fragte auch niemand danach. Vor den Fenstern wippten die dürren Äste einer gesprenkelten Birke im Rhythmus des Gemurmels aus den Lautsprechern, das von der nahen Karl-Marx-Allee in den Kreißsaal drang. Wie Spuren dunkler Tränen zogen sich die schwarzen Fetzen der Rinde am Stamm hinab. Würde Uwe ihr Kind jemals so wiegen können? Die Abneigung, die in seinen Augen gestanden hatte, unausgesprochen und doch so klar, als würde man durch den Boden eines leeren Glases schauen. Anke wusste, wie sehr er sich davor fürchtete,...



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