E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Pillau Es wird schon heller!
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-95988-128-9
Verlag: PIDAX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Meine meist optimistischen Geschichten
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-95988-128-9
Verlag: PIDAX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Dieses Buch enthält den Versuch, in einer Welt voller Brandherde und in einem Umfeld ständig wachsender Aggressivität, Feindseligkeiten, Egoismus und Gewalt doch auch überraschend Komisches und Heiteres zu entdecken - vielleicht sogar auch ein paar zarte kleine Wunder. Das Buch ist geschrieben in einer Zeit, in der man trotz aller Besorgnisse um die Zukunft der Welt doch auch Optimist sein kann oder sogar sein sollte. Es enthält kurze Romane, autobiografische Geschichten, Wahres wie Erfundenes, Schlüsselerlebnisse und Skizzen, Momentaufnahmen von Begegnungen. Und auf jeden Fall die Hoffnung: ES WIRD SCHON HELLER!
Angaben zur Person: Horst Pillau, Jahrgang 1932, ist seit 1948 freier Autor in Berlin und ist seit Jahrzehnten einer der erfolgreichsten Theater-, Fernseh-, Hörfunk- und Buchautoren Deutschlands. Zu seinen erfolgreichen Theaterstücken zählen »Der Kaiser vom Alexanderplatz«, »Zille«, »Leute von Welt«, »Frauen sind stark«, »Hansen gegen Hansen«, »Jessica kommt zurück«, »Auf der anderen Seite der Straße«, »Kohlenpaul«, »Jennys Rezept«, »Ein praktischer Arzt«, »Was strahlt denn da« und viele andere. Horst Pillau schrieb zahlreiche Fernseh-Drehbücher, darunter »Salto Mortale«, »Die Wilsheimer«, »Es muß nicht immer Kaviar sein« und »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« sowie kurze Theaterstücke mit eingebauten Fehlern für »Dalli Dalli«, die Quizshow seines langjährigen Freundes Hans Rosenthal. Bekannt wurde Horst Pillau auch durch seine Romane wie zum Beispiel »Die Geisterbehörde«, »Der Märchenpilot«, »Auf immer und ewig«, »Guten Tag, Herr Liebhaber« oder »Familienbande«. Ehrungen: Bundesfilmprämie, Filmförderungsprämie, Goldener Aeskulapstab (Film- und Fernsehpreis des Hartmannbundes), Goldene Nadel der Dramatikerunion, Goldener Ifflandtaler des Berliner Theaterclubs, Bundesverdienstkreuz am Bande. Verheiratet ist er seit 1960 mit Susanne Pillau, geb. Ryll.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kinder, sprach er, ihr seid Kinder
Hunger quälte, Durst tat weh und ein einzig Lot Kaffee kam auf sechzehn Pfennige. Kinder, sprach er, ihr seid Kinder, unschuldsvoll und keine Sünder. Ich zieh‘ vorn Prokop euch hin, der wird nicht so grausam sin, euch zu massakrieren. Das war, als die Hussiten vor Naumburg zogen, über Jena her und Camburg, auf der ganzen Vogelwies sah man nichts als Schwert und Spieß, an die hunderttausend. Das sagte ein zitternder Schullehrer, als er die Kinder von Naumburg vor den Anhängern des tschechischen Reformers Johannes Hus retten wollte, in den Hussitenkriegen von 1419 bis 1436. Dieses Lied kann ich auswendig, wirklich, seit dem Herbst 1944, als wir es in der Schule von Spremberg/Niederlausitz lernten, kurz vor der nächtlichen Flucht vor den Russen, mit Handgepäck in einem offenen Lastwagen. Und ein weiteres Lied hieß: Horch, Kind, horch, wie der Sturmwind weht und rüttelt am Erker. Wenn der Braunschweiger draußen steht, dann rüttelts noch stärker. Lerne beten Kind und falten fromm die Händ’, damit Gott den tollen Christian von uns wend … Der Musiklehrer war unser Lieblingslehrer. Und ich weiß noch, dass eines Tages zwei Männer im Ledermantel in die Klasse kamen und ob wir sagen könnten, zugeben, dass der Lehrer Witze über den Führer mache. Aber wir wussten nichts, kein einziger Schüler denunzierte seinen Lehrer, und die Ledermäntel von der Gestapo mit ihren Trägern zogen frustriert wieder ab. Landknechtslieder lehrten uns, wie gefährdet Kinder von jeher waren. Kinder erinnern einen immer an die eigene Kriegsjugend mit Luftschutzkeller, Ausbombung und brennendem Haus, an die mehrfache Flucht zwischen 1943 und 1945, und ab 1946, die Zeit, in der man Angst hatte, selbst entführt zu werden. Kinder sind wichtig für uns: durch drei eigene und durch bisher fünf Enkelsöhne. Für den Autor auch deshalb, weil Kinder so sprachschöpferisch sind! Weil sie um für sie neue Worte ringen. Weil sie sich ihre eigenen Ausdrücke zurechtbasteln. Weil sie Worte so plastisch verändern. Der Älteste, aus Angst vor Hubschraubern über den Köpfen: Rauber! Rauber! Blauwarm statt lauwarm. Geleidigt statt beleidigt. Ich bin nicht mude. Karlfreitag statt Karfreitag. Und unzählige andere. Kinder, weil sie geschützt werden müssen, statt zu Kindersoldaten erzogen zu werden und zu töten und getötet zu werden. Berühmte Fotos des Jahres mit dem nackten kleinen Mädchen, das weinend auf der Flucht eine Straße entlang rennt. Oder die angetriebene Kinderleiche am türkischen Meeresstrand. Hungernde, verhungernde oder verhungerte Kinder in Elendsländern und Kriegsgebieten. Und, immer wieder, das Foto des vierjährigen Mohamed, Flüchtlingskind in Berlin, an der Hand seines Mörders, der ihn aus der Menge herausgelöst hat. Ein kleines Kind, bange, aber widerstandslos: Wie sollte es sich denn auch wehren können. Eine überall zu verstehende Angst um die Kinder. Angst vor Krankheit, Unfall oder Entführung. Fernsehproduzenten und Redakteure sind begeistert von diesem Motiv, sie bringen es in allerlei Variationen mehrfach im Monat, wahrscheinlich, weil es kaum noch neue Motive gibt und die alten immer wieder herhalten müssen. Bei fünfzig Krimis monatlich allein bei den Öffentlich-Rechtlichen muss das wohl so sein. Hoffentlich regt es nie zur Nachahmung an, denn die jeweiligen Mörder bei den diversen SOKOS werden kurz vor der Heute-Sendung im ZDF um 19 Uhr immer gestellt und in das Polizeifahrzeug gestoßen. Macht sich da kein Redakteur Gedanken? Höchstens um die Einschaltquote. Die Vergangenheit gibt niemals Ruhe. Drängt sich immer wieder unaufgefordert in die Gegenwart hinein. Meldet sich nachts oder auch tagsüber, wenn bestimmte Anblicke oder auch Assoziationen dazu auffordern. Also. Das war 1946. Meinen Vater hatten, fünf Monate nach Kriegsende, die Russen mitgenommen und nie wiedergebracht. Ich war, mit vierzehn, sozusagen, Familienoberhaupt für meine Mutter und meinen jüngeren Bruder. Hamsterfahrt
Ich bin als Dreizehnjähriger, also fast noch als Kind, allein hamstern gefahren, habe Streichhölzer und Scheuertücher mitgebracht und bei mürrischen Bauern im Umland gegen Lebensmittel eingetauscht. Kam nach langer Bahnfahrt in Nauen an – eingleisig, denn die Sowjets hatten das zweite Gleis demontiert, um es in russischen Weiten verrosten zu lassen – und hatte unterwegs den Telegraf gelesen, eine sozialdemokratische Berliner Tageszeitung neben Tagesspiegel und der Neuen Zeitung, die von den Amerikanern herausgegeben wurde. Die Schlagzeile lautete: 400 Berliner Kinder in die Sowjetunion entführt. Ob wahr oder erfunden, ich glaubte es und hatte Angst, an diesem Tag auch entführt zu werden, um nie wiederzukommen. Hatte Angst, meiner Mutter auch den zweiten Verlust zu bescheren: mich. Dann hätte mein Bruder die Verantwortung für meine Mutter: Er war neun. Ich ging mit den anderen Reisenden zum Ausgang hinunter. Wir hatten ja, noch jahrelang, kein Telefon, und es gab noch Jahrzehnte keine Handys. Unten stand die Reihe der kontrollierenden Polizei, deutsche Polizisten mit Holzknüppeln und bewaffnete Russen, und sie verlangten die Ausweise. Aber ich war erst dreizehn, und man ließ mich unbeachtet passieren. Manchmal träume ich heute noch davon. Nun sind wir, einfach verrückt ist das, schon zwei Generationen weiter. Die Jungen: wenig Geschichte, kaum Kenntnis der Vergangenheit. iPad-Generation. Sie sitzen mit Eltern und Großeltern zusammen beim Essen, haben aber fast nur Kontakt mit ihren Tablets, Computern und Smartphones. Doch manche haben Sprachgefühl, man spürt, dass ihnen auch vorgelesen wird. Jim und seine Bienen
Enkelsohn Jim, zehn Jahre alt, hat einen Hausaufsatz mit einem Wunschthema zu schreiben. Er schreibt über Bienen. Ich bin auf Bienen gekommen, weil sie wichtig für die Natur und für die Menschen sind und ich mehr über Bienen wissen wollte. Jim macht sich tagelang kundig über Bienen und schreibt am Ende seines dreiseitigen Aufsatzes: Jetzt weiß ich viel mehr über die Bienen. Honig mag ich aber immer noch nicht. Seine Lehrerin schreibt darunter: Lieber Jim, großes Lob für diesen tollen Aufsatz! Du hast gut formuliert, obwohl du viel Mühe/Schwierigkeiten hattest, eine Auswahl aus der Fülle zu treffen … und so weiter. Es ist also ein toller Aufsatz, aber herzlich. Bravo für beide: den Bienenspezialisten und für die verständnisvolle Lehrerin! Was für ein Fortschritt in der Pädagogik! Allein der kühne Schlusssatz hätte reaktionäre und autoritäre Lehrer veranlasst, den Aufsatz mit der Anmerkung Thema verfehlt schlecht zu benoten. Nein, auch und gerade heute gibt es immer noch wenig verständnisvolle Lehrer, da müssen Quereinsteiger und pensionierte Hilfskräfte ohne Lehrbefugnis ran – aber vielleicht gibt es viele unter ihnen, die Persönlichkeit genug haben, um den Kindern Gesprächspartner oder Vorbild zu sein. Jim und Die Zauberflöte
Die Musikgruppe der Schule übt zum ersten Mal Die Zauberflöte, Oper in zwei Aufzügen von Wolfgang Amadeus Mozart, uraufgeführt 1791 in Wien. Libretto: Emanuel Schikaneder. Wochenlange Proben. Das Bühnenbild entsteht. Die Opernaufführung wächst langsam zusammen. Viel Enthusiasmus. Ungewöhnliches Engagement. Nächste Woche ist Premiere. Enkelsohn Jim (10) ist mit seiner Blockflöte dabei. Ich: Und? Wie findest du sie? Jim: Wen? Ich: Die Zauberflöte. Jim: Die Zauberflöte ist blöd. Es geht ja nur darum, Frauen anzubaggern! Enkelsohn Len, acht Jahre alt, cool zur Schulärztin, die ihn impfen will: Nimm die Flossen weg! Oder: Über mich bestimme ich selbst! Übrigens nennt er seine Lehrerin Täubchen! Unser Ältester: Entbindung bei klassischer Musik
Chefs in Kliniken sind vielfach hochmusikalisch. Sie spielen fast immer Streichinstrumente. Als unser Ältester geboren wurde, spielte der Chefarzt natürlich gerade wieder im Ärzteorchester, ich glaube, Händel. Ein junger Assistenzarzt war nun für die Entbindung zuständig, aber er wurde ohnmächtig und sank neben der Hebamme zu Boden, die das Kommando übernahm. Und die junge Mutter, meine Frau, erschöpft, aber nebenbei glücklich über ihr erstes Kind, wandte sich dem jungen Mediziner zu und tröstete ihn. Oder: Angst um die Jüngste, die als Kleinkind mit Pseudokrupp im Krankenhaus lag und bei schwerer Atemnot zu ersticken drohte. Da standen wir vor der Tür ihres Zimmers und konnten nicht hinein, damals durften Eltern noch nicht bei ihren Kindern übernachten und Wache halten. Wir sprachen mit dem Stationsarzt und hörten, dass unsere Tochter uns hörte. Sie krächzte fast unhörbar: Mama … Papa. Baby im Chaos
Dezember 2016, Terror-Attentat auf dem Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche. Gerade hat der polnische Sattelschlepper mit dem toten Fahrer und dem Attentäter am Steuer Verkaufsstände niedergewalzt, zwölf Menschen umgebracht, viele andere verletzt, teilweise lebensgefährlich schwer. Schreie, Tränen, Chaos, Polizei, Sanitäter, Feuerwehr, Ärzte und fliehende Weihnachtsmarktbesucher. Im Vordergrund der Reporter, der sich stockend bemüht, den entsetzten Fernsehzuschauern Informationen zu vermitteln, die er noch nicht haben kann. Es sind zehn Sekunden, die haften bleiben: im Hintergrund, nur...




