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Pietsch / Rose | Über Psalmen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 324 Seiten

Pietsch / Rose Über Psalmen

Interdisziplinäre Studien zum Psalter und seiner Rezeption
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-17-046278-6
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Interdisziplinäre Studien zum Psalter und seiner Rezeption

E-Book, Deutsch, 324 Seiten

ISBN: 978-3-17-046278-6
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Stefan Seiler, der 2025 seinen 65. Geburtstag feiert, hat sich in seinem wissenschaftlichen Werk immer wieder mit dem Buch der Psalmen beschäftigt, sowohl in seiner hebräischen als auch in seiner griechischen Textform. Dies nehmen die hier versammelten Beiträge zum Anlass, um aus verschiedenen Blickwinkeln die Frage nach der Geschichte und Bedeutung der Psalmen von der Antike bis in die Gegenwart zu stellen. Neben Sprache, Komposition und Theologie der Psalmen bildet die Rezeption des Psalters in verschiedenen Epochen der Geistes- und Kulturgeschichte einen Schwerpunkt, von der Übersetzungs- und Auslegungsgeschichte der Psalmen über frömmigkeitsgeschichtliche Aspekte des Psalmengebrauchs bis hin zu kultur- und religionsvergleichenden Studien.

Prof. Dr. Michael Pietsch lehrt Altes Testament an der Augustana Hochschule Neuendettelsau, PD Dr. Christian Rose ist dort Privatdozent für Altes Testament.
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I.  Psalmenstudien


Psalm 121 – Jahwe als Wächter des Lebens.
Ein Dokument später Psalmenfrömmigkeit


Michael Emmendörffer

Neben vielen anderen Psalmen verdankt sich der hier zu behandelnde Psalm 121 in der gegenwärtigen Praxis von Kirche und gelebter Frömmigkeit vielfältiger Verwendung. Aus der Seelsorge oder der Begleitung von Sterbenden bis hin zur vollziehenden Trauerfeier ist er nicht wegzudenken. Es ist ein Text, der mit seiner existenziellen Frage nach Hilfe und Lebenskraft eine heilsame Antwort gibt und den Blick auf Raum und Zeit weitet. Es ist also ein Text für eine »Pilgerreise« im übertragenen Sinn.1

Da sich der Jubilar im Laufe seiner wissenschaftlichen Arbeit und Forschung des Öfteren auch dem Psalter als Gesamtwerk gewidmet hat, können wir hier mit den unten dargebotenen Ausführungen anknüpfen und unsere Glückwünsche zum Geburtstag überbringen und in exegetischer Manier somit einen kleinen Beitrag zur Erhellung dieses »Wächter-Psalms« leisten.

1.  Annäherung durch die Stimmenvielfalt der Kommentare


Friedrich Baethgen (1904) ordnet den Tenor des Psalms als Vertrauenspsalm ein und sieht in den redenden Personen eine einzige, nämlich die Gemeinde. Quasi in Rede und Antwort ergibt sich das Gespräch von selbst.

»Die Behauptung, dass die einzelnen Verse der ersten Hälfte von wechselnden Stimmen vorgetragen wären, lässt sich nicht erweisen; die wechselnden Stimmungen erklären sich sehr wohl, auch wenn der Redende überall ein und derselbe ist. Dass dies die Gemeinde ist, zeigt das Verhältnis von v.5 zu v.4, wo Israel mit dem angeredeten Subjekt des Psalms wechselt. Während die Gemeinde v.1 und v.2 selbst redet, scheint sie von v.3 an angeredet zu werden. Doch ist dies vermutlich nur die dichterische Form der Selbstanrede.«2

Der Psalm wird von ihm in die Teile V. 1–3 (»Doppeldreier«) und V. 4–8 (»Sechser«) aufgeteilt. Die Gemeinde ist in Israel anzusiedeln, eine Rückkehr aus dem Exil ist nicht die Gegenwartssituation des Psalms. »Für ein Lied der Pilger, die nach Jerusalem wallfahrten«3, so Baethgen, scheint der Psalm angemessen zu sein. Sonne und Mond in V. 6 werden bei Baethgen nicht auf den religionsgeschichtlichen Hintergrund abgeklopft. »Gefährliche Einwirkungen des Mondes kannte das Altertum […] und kennt der heutige Volksglaube; wenn der Mond einem Schlafenden direct in das Gesicht scheint, so wird er mondsüchtig.«4

Mit dieser Erkenntnis gehen wir weiter zum nächsten Kommentar von Artur Weiser (ATD 15, 1959):

»Bis in die Gegenwart wirkt dieser Psalm tief eindrücklich durch die Schlichtheit seiner Sprache und Frömmigkeit. Er zeigt uns nicht den kühnen Aufstieg des Glaubens zu den Höhen, wo die Stürme brausen, er redet nicht vom Ringen und innerer Spannung, sondern er geht einen friedvollen, geraden Weg mit ruhiger und beruhigender Sicherheit eines unerschütterten Vertrauens.«5

Dieser friedvollen Kommentierung folgend ergibt sich für Weiser, dass Ps 121, nachdem dieser in ein »Pilgerliederbuch (Ps. 120–134)« aufgenommen sei, seine Verwendung als Pilgerlied für die Wallfahrten nach Jerusalem hatte.6 Es handelt sich nach Weiser nicht um das Selbstgespräch einer einzelnen Person oder des Dichters mit seiner Seele, wobei er sich selber quasi als Priester die Antwort gäbe, sondern die »Annahme zweier verschiedener Sprecher bleibt ohne Zweifel die näherliegende und natürliche Erklärung«7. Weiser untergliedert den Psalm in V. 1 als »Frage des Ausziehenden« und V. 2–8 »als Geleitwort des Zurückbleibenden« und begründet somit auch seine Konjektur in V. 2, indem er das Suffix der 1. Pers. Sg. (»meine Hilfe«) als aberratio oculi wegstreicht.8

Die Zusammenhänge und Anspielungen von Schöpfungsglaube, Schöpfergott (V. 2) und »Heilsgeschichte« (V. 4), die Grundlage für das Vertrauen des Beters sind, werden von Weiser erkannt, die religionsgeschichtlichen Hintergründe jedoch verkannt. So kann er mit Leichtigkeit kommentieren:

»Unter Gottes Schutz braucht der Wanderer daher weder die Gefahr des Sonnenstichs noch die des Mondes zu fürchten, dem man im Altertum wie noch im heutigen Volksglauben Palästinas die Verursachung von Erkrankungen zuschrieb.«9

Ein Blick in den NEB-Kommentar von Hossfeld/Zenger hilft da eventuell weiter. Zu Recht betont Erich Zenger, dass die Interpretation des Psalms von der jeweiligen Deutung der Bilderwelt abhängt. »Das Gesamtverständnis des Psalms hängt stark davon ab, wie die den Psalm eröffnende Bildwelt interpretiert wird.«10 Er entscheidet sich in Ablehnung einer metaphorischen Lesart der

»Berge, die darin eventuelle Ängste und Hilflosigkeit des Beters erkennt, für die Deutung der Berge als ›Zion‹. Die ›Berge‹ könnten aber auch ›die Berge Zions‹ bezeichnen, sodass 2 als emphatisches Bekenntnis zu JHWH als dem auf dem ›Gottesberg‹ Zion in Jerusalem gegenwärtigen Gott zu deuten wäre.«

Unterteilt wird der Psalm in vier Abschnitte V. 1–2, V. 3–4, V. 5–6 und V. 7–8.

1.1  Übersetzung und Anmerkungen

1 (Ein Stufenlied) Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von wo wird meine Hilfe kommen?11

2 Meine Hilfe ist von JHWH, der Himmel und Erde macht.

3 Er wird es nicht zulassen, dass dein Fuß wankt. Es schlummert nicht ein dein Hüter.

4 Siehe, nicht schlummert noch schläft der Hüter Israels.

5 JHWH ist dein Hüter, JHWH ist dein Schatten über deiner rechten Hand.

6 Am Tage wird dich die Sonne nicht stechen, noch der Mond des Nachts.

7 JHWH wird dich vor allem Übel behüten, er wird deine Lebenskraft behüten.

8 JHWH wird deinen Ausgang und Eingang behüten von nun an bis in Ewigkeit.

Die unten dargebotene Exegese setzt den masoretischen Text als Grundlage voraus. Ein Blick in den textkritischen Apparat offenbart hier und da kleinere Varianten, die aber eher irrelevant sind und die Entscheidung in Richtung MT ausfallen lassen, und auch eine literarkritische Zergliederung des Psalms kommt nicht in Betracht.12

Abb. 1:  Textskizze.

2.  Auslegung und exegetische Beobachtungen


Ein erster Blick auf das Textgefüge lässt eine Zweiteilung des Psalms erkennen. Danach stellen V. 1–2 die erste Einheit dar, ein sogenannter Introitus. Die Verse 3–8 bilden eine solenne Entsprechung zum Introitus und geben die Antwort auf die im ersten Teil erhobene Frage. Der Wechsel von der ersten Person des Beters zur zweiten Person, quasi ein Responsorium, ist eine alte Erkenntnis und von den Kommentatoren verschieden gedeutet worden.

Teil 1: Verse 1–2

Wie viele andere Texte, ist auch der ursprüngliche Textbestand von Psalm 121 unter Bezug auf 120 und 122 in die Gruppe der »Wallfahrtslieder« (oder besser »Stufenlieder«) von der Psalmenredaktion nachträglich eingestellt worden.13 Die Überschrift ist also nicht ursprünglich.

Ohne Konjektion oder Partikel setzt V. 1a mit dem »Ich« des Beters ein. »Ich hebe meine Augen«, ein fragender Blick, eine Vergewisserung. Der Grundzug der »Körperlichkeit« des Psalms (Augen, Fuß, Hand, Lebenskraft)14 wird hier schon deutlich. Meine Augen15, das Organ des Sehens, des Wahrnehmens, um eine Entscheidung zu treffen oder eben die gesuchte »Hilfe« (‘zr, vgl. Ps 20) zu finden.16 Die Richtung des Beters und seiner Augen geht zu den Bergen, die nicht weiter bestimmt werden. Götterberge, die Berge des judäischen Berglandes mit dem Berg Zion, die näheren Angaben bleiben aus. Es muss sich aber um einen Ort des Heils für den Beter handeln, denn von dort erwartet er die Hilfe und Rettung für seine Situation.17 Das Suffix der 1. Person (»meine Augen«) macht die starke Beziehung und Bindung zum Beter klar. Das Ich am Anfang des Verses wird hier wieder aufgenommen. Es ist eine deutliche Ich-Perspektive, die den Psalm bestimmt. Nicht die Invocatio oder Anrufung JHWHs wie in anderen Psalmen steht am Anfang. Das Ich des Beters bestimmt den Duktus. Die Hilfe wirkt personalisiert, sie kommt dem Beter entgegen. Parallelen zu dem Vertrauenslied Psalm 23 tun sich auf, wenn dort »Gutes« und »Huld« dem Beter ein Leben lang folgen (Ps 23,6).

Vers 2 nimmt chiastisch den letzten Teil aus Vers 1 in Form einer Anadiplosis auf.18 Der Nominalsatz zu V. 2a verdeutlicht, dass die Hilfe von JHWH ist bzw. kommt. Die Berge aus Vers 1 sind somit positiv konnotiert. Dort wo JHWH wohnt, vornehmlich auf dem Zion, dort ist auch die Hilfe. Psalm 121 depotenziert und entmythologisiert die Annahme, dass es Götter auf den Bergen oder im Gebirge gäbe. JHWH ist der einzige Gott, der persönliche Gott dieses Beters, von dem Rettung zu erwarten ist. Die nachexilische Zeit und die späte Frömmigkeit geben den Ton vor. Kein Götterkampf, keine Auseinandersetzung mehr mit Polytheismus ist vorzufinden, es ist entschieden. JHWH ist der einzige Gott und (vgl. V. 4) der Volksgott Israels (5x JHWH: V. 2.5.7.8). Vers 2b unterstreicht JHWHs Macht und Wirksamkeit mit dem Schöpfungsprädikat. JHWH ist der Schöpfer (‘sh, vgl. Jes 41,4.20; 43,7.19; 45,7.9 u.?a.) von Himmel und Erde, der diese im Sinne der creatio continuata erhält und schützt.19 Eine Anspielung auf den Schöpfungsbericht aus Gen 1 mag man hier vermuten. Für den Verfasser und Beter von Psalm 121 steht das nur im Hintergrund. Um dieses Bekenntnis zu dem einen Schöpfergott muss nicht mehr gerungen werden. Himmel und Erde...


Prof. Dr. Michael Pietsch lehrt Altes Testament an der Augustana Hochschule Neuendettelsau, PD Dr. Christian Rose ist dort Privatdozent für Altes Testament.



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