Pietsch | »Ich besaß einen Garten in Schöneiche bei Berlin« | Buch | 978-3-593-38027-8 | sack.de

Buch, Deutsch, 280 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 355 g

Pietsch

»Ich besaß einen Garten in Schöneiche bei Berlin«

Das verwaltete Verschwinden jüdischer Nachbarn und ihre schwierige Rückkehr
1. Auflage 2006
ISBN: 978-3-593-38027-8
Verlag: Campus

Das verwaltete Verschwinden jüdischer Nachbarn und ihre schwierige Rückkehr

Buch, Deutsch, 280 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 355 g

ISBN: 978-3-593-38027-8
Verlag: Campus


Schöneiche ist ein ruhiger, grüner Ort im Speckgürtel von Berlin. 1933 waren 170 der 5000 Einwohner jüdisch – ein paar Jahre später waren die jüdischen Nachbarn verschwunden, in ihren Häusern wohnten andere. Geschah das wirklich unbemerkt? Wer organisierte das Verschwinden der Menschen und wohin kamen ihre Möbel, ihre Fahrräder und ihr Hausrat?

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


I. Inmitten der Peripherie – Eine Einführung

II. Geflüchtet
Daten und Fakten zur Emigration

Wir vier sind G’tt sei Dank gesund

Briefe in die Emigration

Betty und Hermann Baranski, Edith und

Bruno Neumann, Ruth Neumann
Keine Kunst in Großbritannien

Max und Margarete Levy
Friedhof Shanghai

Eugen Wolffheim
Mit Lenin und Stalin nach Prag, Paris und London

Ilse Kroner

III. Deportiert
Daten zu Deportationen und Mord

Nach Osten

Lilly und Ernst Baum
Wir müssen verreisen

Bertha und Samuel Breslauer
Der Tod vor der Deportation

Fritz Soberski

IV. Untergetaucht
Daten zur Flucht in die Illegalität

Mit 67 Jahren in den Untergrund

Cecilie Rudnik
Beim Maurermeister

Sally Simoni
Zivilcourage in Uniform

Max Dittrich

V. Geschützt?
Daten zu jüdisch-nichtjüdischen Familien

Karriere geht vor

Susanne Ritscher
Zu Juden gemacht

Wolfgang Kolsen
Ein Glück

Hermann Doeblin
Katholische Witwe mit sieben Kindern

Martha Fleischer

VI. Verwaltet und entschädigt
Daten zur Entschädigung in Ost und West

Stadtschularzt will seinen Arbeitsplatz zurück

Julius Goldstein
Anerkennung als rassisch Verfolgter verweigert

Rudolf Osten
Haus gegen Leben

Kurt Louis und Martha Ellon, Heinz Ellon
Chronologie eines Gartens

Sophie und David Engländer

VII. Die Namen der jüdischen Schöneicher

VIII. Anhang
1. Anmerkungen

2. Archive

3. Nicht veröffentlichte Quellen

4. Interviews

5. Veröffentlichte Quellen

6. Literatur

7. Abbildungsnachweis

8. Abkürzungen

Dank


Beim Maurermeister
Sally Simoni und Franz Künkel sind seit Ende der 30er Jahre beruflich miteinander bekannt.1 Franz Künkel ist Maurerpolier und lebt seit 1920 in einem Ortsteil von Schöneiche, der Villenkolonie genannt wird. Künkels Haus ist jedoch keine Villa. Franz und seine Frau Emma haben selbst gebaut, Verwandte haben mitgeholfen. Wie ein Spielzeugwürfel mit angebauter Veranda liegt ihr graues Steinhäuschen in der Lindenstraße.
Der am 10. Mai 1905 geborene Sally Simoni ist Schneider und könnte vom Alter her fast der Sohn von Künkels sein. Der Junggeselle wohnt mit den Eltern in einer winzigen Schneiderwerkstatt in der Landsberger Allee 10 am Berliner Friedrichshain. Im vorderen Raum wird zugeschnitten, genäht und gebügelt, in den hinteren Zimmern wohnt die Familie. Im Jahr 1939 ist ihre Schneiderei einer von 5.800 jüdischen Handwerksbetrieben im Deutschen Reich, die unter Zwang geschlossen werden.2 Irgendwann in dieser Zeit sagt Franz zu Sally, 'Wenn mal was ist, kannst du dich melden.' Sally Simoni ist Jude. Franz Künkel nicht. 'Wir helfen dir, soweit möglich.' Als Sozialdemokrat hat er in etwa eine Vorstellung davon, was Verfolgung heißt.
Im Frühjahr 1943 ist es soweit. Am 27. Februar wird Sally Simoni an seiner Arbeitsstelle, den Märkischen Kabelwerken in der Berliner Jungfernheide, verhaftet. Die Massenverhaftung der über 10.000 noch in Berlin verbliebenen Juden, die mit einem arischen Ehepartner verheiratet sind, einer solchen Ehe entstammen oder in einem kriegswichtigen Betrieb arbeiten, wird gefolgt von der Deportation von mehr als 6.000 Juden zwischen dem 1. und 4. März 1943.3 Hertha Bock, eine der beiden Schwestern von Sally, und ihr Mann Kurt gehören zu den Deportierten.4 Auch in Breslau, Dresden und in anderen Städten werden Juden verhaftet, die – wie Sally – in der Rüstungsproduktion Zwangsarbeit leisten.
Die mit Hilfe der Waffen-SS überfallartig durchgeführte Razzia der Gestapo steht unter dem Motto 'Berlin wird judenfrei'. Auf Lastwagen werden die jüdischen Zwangsarbeiter morgens um acht Uhr von ihren Arbeitsplätzen in den Hof der ehemaligen Synagoge in der Charlottenburger Levetzowstraße geschafft. Im ersten Durcheinander gelingt es Sally Simoni, sich unbemerkt unter einen der Lastwagen zu werfen. Stundenlang harrt er dort aus, ohne sich zu bewegen. Es ist bereits Nacht, als die Türen des Fahrerhauses aufgerissen werden und der Motor anspringt. Der 38-jährige Sally Simoni klammert sich an dem öligen Gestänge unter dem Lastwagen fest und schafft es, sich daran festzuhalten, während der LKW das Tor passiert und in die Straße einbiegt. An der nächsten Ecke lässt Sally los. Noch im Aufschlagen auf dem Pflaster sieht er die rot leuchtenden Schlusslichter, der Wagen rumpelt weiter. Sally Simoni verliert keine Zeit. Bereits im Gehen reißt er den Stern von der Jacke ab, dann erst klopft er den Straßenstaub von seinen Sachen. Auf direktem Weg läuft er den weiten Weg quer durch die Stadt bis zur Landsberger Allee. Er weiß, dass seine Eltern noch zu Hause und ebenfalls in Gefahr sind, deportiert zu werden. Er lässt ihnen kaum Zeit, eine Strickjacke oder Wäsche zum Wechseln in eine Tasche zu packen, bevor sie die vertraute Umgebung hinter sich lassen.


Jani Pietsch, Politikwissenschaftlerin und Historikerin, lebt als freie Autorin und Sachbuchlektorin in Schöneiche bei Berlin. Sie organisierte 2001 eine Ausstellung zum Thema, die im Brandenburgischen Landtag, der Staatskanzlei Potsdam und in der Kleinen Synagoge in Erfurt zu sehen war.



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