E-Book, Deutsch, 128 Seiten
Reihe: Digital Edition
Pickart Ich brauche Streicheleinheiten
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7337-8662-5
Verlag: CORA Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Digital Edition
E-Book, Deutsch, 128 Seiten
Reihe: Digital Edition
ISBN: 978-3-7337-8662-5
Verlag: CORA Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autsch, das tut weh! Aber nicht mal der scharfe Schnabel von Pollys Papagei kann Joes Begeisterung stoppen. Schon vor dem ersten Biss hat er sich in die hübsche Tierarzthelferin verliebt. Dummerweise sind Liebe und feste Beziehungen in seinem Lebensplan nicht vorgesehen..
Joan Elliott Pickart ist eine berühmte amerikanische Schriftstellerin, die seit 1984 über 100 Liebesromane veröffentlicht hat. Sie schreibt auch unter dem Pseudonym Robin Elliott. Joan Elliott Pickart ist Mitbegründerin der Autorenvereinigung Prescott, einem Mitglied der Romance Writers of America (RWA).
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1. KAPITEL
„Polizei! Polizei!“
Polly Chapman rollte genervt die Augen, als sie die krächzende Stimme hörte.
„Pst, Jazzy“, zischte sie und trat vor der roten Ampel auf die Bremse. Im Stehen knatterte der Motor ihres alten Wagens. „Wir brauchen keinen Gesetzeshüter.“ Sie betrachtete die heruntergekommene Wohngegend. „Jedenfalls noch nicht.“
„Polizei!“, wiederholte Jazzy.
„Oh Mann“, murmelte Polly, als sie bei Grün weiterfuhr.
Sie warf einen Blick auf ihren geschwätzigen Beifahrer. Jazzy war ein bunter Papagei mit glänzenden Federn und ziemlich vorlaut. In seinem glockenförmigen Käfig saß er vornübergebeugt auf einer Schaukel, damit ihm auch ja nichts entging.
An der nächsten roten Ampel kontrollierte Polly, ob alle Türen verriegelt waren. Es hatte über eine Stunde gedauert, vom nördlichen Teil Tucsons in den südlichen zu kommen. Je weiter sie fuhr, umso ärmlicher sahen die Häuser und Straßen aus.
Auf den abgeblätterten Putz der Wände waren Graffitis gesprüht. Ladenfenster waren zum Teil verbarrikadiert oder einfach nur geweißt. In nur wenigen Fenstern hingen vergilbte Schilder, die zum Betreten des Geschäfts einluden.
Entsetzt musterte Polly die in den Hauseingängen herumlungernden Menschen, die entweder schliefen oder teilnahmslos vor sich hin starrten. Einige Leute schlurften ziellos über den schmutzigen Gehweg.
Natürlich hatte sie davon gehört, wie es hier aussah, aber sie war noch nie zuvor in den südlichen Bezirken der Stadt gewesen. Es hieß, dass die Kriminalitätsrate hier hoch sei und gewaltbereite Gangs die Straßen unsicher machten. Auf einmal wünschte sie sich, sie wäre nie hierhergekommen.
Sie warf noch einmal einen Blick auf die handgemalte Straßenskizze und versuchte sie mit den Namen auf den wenigen noch verbliebenen Straßenschildern zu vergleichen.
Endlich fand Polly die gesuchte Straße, und sie atmete erleichtert auf, als sie einbog. Sie musste nur noch ein paar Häuserblocks weitergehen, dann hatte sie ihr Ziel erreicht.
Der Himmel war bewölkt und tauchte die sowieso schon graue Stadtlandschaft in ein düsteres Licht. Die Häuser waren winzig. Einige sahen trotzdem gepflegt aus, aber die meisten hatte man dem Verfall preisgegeben.
Polly hatte an diesem unfreundlichen Novembertag nicht nur vor Kälte eine Gänsehaut. Auch die offensichtliche Armut in diesem Stadtteil berührte sie unangenehm.
„Polizei!“, krächzte Jazzy.
„Nein, nicht die Polizei ist hier vonnöten“, sagte Polly leise. „Sondern ein Trupp Sozialarbeiter mit übermenschlichen Fähigkeiten.“
„Dummes Ding“, sagte Jazzy. „Dummes Ding.“
„Danke“, gab Polly zurück und warf dem Vogel einen finsteren Blick zu. „Ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich überhaupt mit dir rede. Du bist so verdammt vorlaut.“
„Koch ein Süppchen“, plapperte Jazzy.
„Und ein Pascha bist du also auch noch“, fügte sie hinzu. „Koch dir deine Suppe selbst. Ich bin doch nicht deine Dienerin.“ Sie schüttelte den Kopf. „Warum unterhalte ich mich eigentlich mit dem Tier? Halt endlich den Mund, Polly Chapman.“
„Möchte Polly einen Keks?“, fragte Jazzy.
„Das finde ich nicht komisch“, seufzte sie. „Ich könnte Robert den Hals umdrehen dafür, dass er dir das beigebracht hat.“
„Möchte Polly einen Keks?“
„Nein!“
Polly fuhr langsamer, beugte sich vor und bremste, als sie gefunden hatte, was sie suchte.
„Abraham Lincoln Highschool“, verkündete sie. „Ganz schön trostlos.“
Das vierstöckige Gebäude war schon alt, der rote Backstein bröckelte ab, und die Fenster waren fast blind vor Schmutz. Rechts hinter dem Hauptgebäude befand sich ein neuerer Anbau, zu dem ein Bungalow gehörte, der offensichtlich als Mehrzweckhalle diente.
„Da müssen wir hin, Jazzy“, sagte Polly. „Jetzt brauchen wir nur noch einen Parkplatz.“
Zwei Blöcke weiter fand sie einen. Vor dem Aussteigen betrachtete sie sich noch einmal im Rückspiegel.
Besser geht’s eben nicht, dachte sie. Sie war zwar schon vierundzwanzig, musste aber immer noch ihren Ausweis vorzeigen, wenn sie abends in die Disco ging.
Sie hatte kurze, naturgewellte Locken, blaue Augen und Sommersprossen auf der Nase.
„Was soll’s“, sagte sie zu sich selbst. „Hauptsache, ich mach das Beste draus. Wenn ich vierzig bin, werden mich alle beneiden, weil ich aussehe wie dreißig. Stimmt’s Jazzy?“
„Stimmt“, erwiderte der Papagei.
„Endlich sind wir uns mal einig“, freute sich Polly. „Na schön, dann auf zur Abraham Lincoln Highschool. Die Pflicht ruft.“
„Showbusiness!“, krähte Jazzy. „Showbusiness!“
„Oder das“, murmelte Polly.
Joe Dillon stand am Ende der Mehrzweckhalle, einen Schreibblock in der Hand. Den Lärm der lachenden und redenden fünfhundert Schüler schien er gar nicht wahrzunehmen. Vor ihm stand ein uniformierter Polizist.
„Schön“, sagte Joe und machte ein Häkchen auf seiner Liste. „Wir freuen uns, dass Sie zu unserem Berufsberatungstag gekommen sind. Bitte nehmen Sie auf dem Podium Platz.“
Der Polizist nickte und ging weiter.
„Wie sieht’s aus, Joe?“
Joe drehte sich nach dem Schulleiter um. Mark Jackson war Mitte fünfzig, stark ergraut und wirkte müde. Er sah älter aus, als er war. Obwohl er kleiner war als Joe, wusste Joe aus Erfahrung, dass Mark kräftiger war, als man dachte. Die beiden Männer waren nicht nur Arbeitskollegen, sondern auch Freunde.
„Alle sind da, außer Dr. Robert Dogwood, der Tierarzt. Glaubst du, das ist sein richtiger Name?“
Mark grinste. „Wer weiß? Du kennst ihn also nicht?“
„Nein“, erwiderte Joe. „Als ich in den Gelben Seiten anfing zu suchen, war er der Erste im Alphabet, der zugesagt hat. Meistens sind die Leute nicht besonders erpicht darauf, in diesen Stadtteil zu kommen.“
„Stimmt“, sagte Mark. „Und ich nehme es ihnen auch nicht übel.“
„Na schön, wir warten noch fünf Minuten“, erklärte Joe. „Wenn er bis dahin nicht gekommen ist, fangen wir an. Die Kids werden langsam unruhig.“
Mark musterte die Zuschauer.
„Hoffentlich hören sie auch richtig zu“, murmelte er nachdenklich. „Sie sollen wissen, dass es Möglichkeiten gibt, von hier wegzukommen. Wenn sie nur mehr Ehrgeiz entwickeln würden, ein Berufsziel vor Augen hätten oder einen Traum, ein …“ Mark seufzte. „Na schön, wir machen zum ersten Mal einen Berufsberatungstag. Man wird sehen, ob die Schüler damit etwas anfangen können.“
„Na ja“, entgegnete Joe und lächelte. „Entweder es klappt, oder es klappt nicht. Eine zweite Chance gibt es hier nicht. Das ist ja auch einer der Gründe, warum das Unterrichten an der Lincoln High eine echte Herausforderung ist.“
Mark lachte. „Das ist sehr milde ausgedrückt. Und trotzdem unterschreiben wir beide jedes Jahr wieder den Vertrag. Entweder ist es Opferbereitschaft oder Dummheit.“ Er hörte auf zu lächeln. „Spaß beiseite. Wir gehören hierher, weil wir glauben, dass wir etwas bewegen können und einige dieser vom Leben enttäuschten Kinder erreichen können.“
„So ist es“, bekräftigte Joe und nickte. „Ich will gar nicht woandershin.“
„Und dafür bin ich dir auch dankbar“, sagte Mark. „Wenn du nicht zu meinen Kollegen gehören würdest, würde mir die Arbeit keine Freude machen.“
„Komm, jetzt übertreibst du aber“, entgegnete Joe und warf einen Blick zur Tür. „Wie es aussieht, hat uns Dr. Dogwood versetzt. Fangen wir an.“
„Na gut. Ich werde erst mal für Ruhe sorgen und dir dann das Mikrofon übergeben, weil du schließlich alles organisiert hast.“
Joe sah dem Schulleiter hinterher und dachte daran, wie gut Mark hierher passte. Er war in einer ähnlichen Gegend wie dieser hier in Detroit aufgewachsen und wusste aus eigener Erfahrung, was sich in den Köpfen dieser Jugendlichen abspielte. In Tucson lebte Mark mit seiner Familie in einem hübschen Haus im nordwestlichen Teil der Stadt. Aber er würde die Jugendlichen hier nie im Stich lassen und bis zur Rente an der Lincoln High bleiben.
Joe warf einen Blick auf die lärmende Menge. Und ich? fragte er sich. Er war ganz anders aufgewachsen. Seine Familie war sehr wohlhabend, und Reichtum war für ihn immer etwas Selbstverständliches gewesen. Es schauderte ihm bei dem Gedanken daran, wie er früher gewesen war. Immer wenn er etwas haben wollte, hatte er es sofort bekommen.
Es war jetzt zehn Jahre her, seit er sich für ein anderes Leben entschieden hatte. Er hatte die Welt der Reichen verlassen und kehrte nur zu besonderen Anlässen zurück, um seine Eltern nicht zu enttäuschen.
Er lebte und arbeitete im Getto. Nur so konnte er eine Beziehung zu den Kindern entwickeln und der Lehrer sein, der er sein wollte. Ihm fehlte zwar noch Marks Lebenserfahrung, aber er hatte einen Weg gefunden, das aufzuholen.
Und Opfer? Joe überlegte. Natürlich musste er Opfer bringen. Das größte war wohl, dass er niemals heiraten und eine eigene Familie haben würde. Keine Frau wäre bereit, freiwillig in diesem Getto ihre Kinder aufwachsen zu lassen. Aber er wollte hierbleiben. So war es nun einmal.
Je länger er hier lebte, umso mehr störte ihn die Lebenseinstellung der Reichen, die so taten, als würde es in derselben Stadt, in der sie sich amüsierten, keine Armut und Hoffnungslosigkeit geben.
Das reicht, Dillon, wies er...