E-Book, Deutsch, 156 Seiten
Pfeiffer Halte dich dicht an mich und eile!
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-99200-115-6
Verlag: Braumüller Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Untergang der Baron Gautsch
E-Book, Deutsch, 156 Seiten
ISBN: 978-3-99200-115-6
Verlag: Braumüller Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Familiengeschichte, in der sich die Weltgeschichte spiegelt: niedergeschrieben vom Grazer Arzt Hermann Pfeiffer für seinen Sohn im September 1914, kurz nach Beginn des Ersten Weltkrieges. Diese persönlichen Erinnerungen - ergänzt durch zahlreiche Originaldokumente - zeichnen ein berührendes Bild vom Untergang des Passagierdampfers Baron Gautsch, aber auch vom Lebenswillen und von der unerschütterlichen Liebe eines Vaters zu seiner Familie.
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16. 9. 1914 Mein lieber Bub! Da ich nicht weiß, ob es mir einmal möglich sein wird, mit Dir, als einem Erwachsenen, über alles zu sprechen, was mir am Herzen liegt, da ferner täglich meine Einberufung bevorsteht, die uns für lange Zeit, vielleicht für immer auseinanderreissen kann, so möchte ich heute und in den folgenden Tagen Dir von dem Lebensschicksal Deiner Eltern erzählen, um Dich wissen zu lassen, wie sehr sie sich geliebt und wie grausam unsere Ehe zerrissen wurde. Ich beginne mit dem schrecklichen Ende, dem 13. August 1914, weil das zu wissen für Dich besonders wichtig ist. Das andere werde ich, soweit mir Zeit bleibt, nachholen. Wie im Vorjahre, so hatten wir auch heuer beschlossen, da Du etwas schwächlich warst, den Sommer am Meer, teils auf der Insel San Sego, teils in Lussin grande zuzubringen. Bei diesem Entschluss spielte wohl auch der Umstand eine Rolle, dass wir Beide, Grete und ich, das südliche Meer liebten wie nichts anderes. Da ich durch Arbeiten in Graz noch festgehalten wurde, reiste Grete mit ihrem lieben Buben und dem Kindermädchen Fritzi Schallar (von Dir „Vila“ auch „Vidiwitt“ genannt) am Montag den 15. Juni hier ab. Mit Tante Else Eichmann und ihren Kindern Inge und Fritzel verbrachtet ihr 3 Wochen auf Sansego. Von diesem Aufenthalt sind einige gute Bilder Deiner Mutter und von Dir gemacht worden, doch sind die Filme u. Kopien untergegangen. Nachdem ich noch meine Arbeiten über Zellfermente bei den Eiweißzerfallstoxikosen beendet hatte, traf ich am 8. Juli in Lussin piccolo mit einem Dampfer der Ungaro-Kroata ein. Deine liebe Mutter stand, Dich an der Hand, am Molo und ich fühlte in diesem Augenblick, wo die beiden braun Gebrannten mir über den schmalen Wasserstreifen, der das Schiff v. der Steinmauer trennte, wieder einmal so voll, wie lieb ich Euch Beide habe und wie glücklich wir seien! Wir hatten in der Casa Antoncic in Lussin grande eine kl. Wohnung gemietet, aßen in der Pension Mathilde, wo wir mit lieben Freunden des Vorjahres täglich zusammentrafen, um mit Bad u. Segelpartien auf dem kl. Kutter „Vigilante“ die Sommerwochen zu vertreiben. Deine Mutter und Du, Ihr waret schon prächtig erholt, voll Freude über das schöne Stück Erde, das Meer und die glühende Sonne, die uns allen so gut tat. Ich war überanstrengt zuerst und noch verstimmt über wissenschaftliche Angriffe, denen ich in den letzten Tagen in Graz ausgesetzt gewesen war, aber doch beglückt zugleich, wieder in Euerer Nähe sein und, ohne die Hast und die strenge Zeiteinteilung des übrigen Jahres, namentlich Dir mich widmen zu können. So kam uns allen unerwartet in toller Ferialstimmung das Erlebnis des 25. Juli heran. Wir ahnten da unten nicht, dass die Ermordung des Thronfolgers in Sarajewo endlich unser altes, zerrissenes Österreich aus seinen inneren Kämpfen mit einem Schlage reißen sollte, dass es endlich – vielleicht zu spät! – gegen die Feinde die es umringten mit den Waffen sich stellen wolle. Am Morgen eilte ich nichtsahnend in die Pension! Jubelnd wurde dort das Ultimatum verlesen, jenes befreiende, starke Dokument, das Serbien mit jenem Tone, der ihm allein gebührte, unannehmbare Forderungen diktierte! Das ist der Krieg, jubelten wir alle! In jauchzender Begeisterung, aber manchmal auch mit ernsten Untertönen machten wir an diesem Vormittage noch eine Segelpartie nach Palazuol und beschlossen im Scherze, unseren Kutter zu armieren, uns selbständig zu erklären und gegen Montenegro eine Seeschlacht zu schlagen. Wir alle glaubten, dass die Mächte der Tripelentente Serbien werden fallen lassen u. nichts anderes als eine Strafexpedition gegen diese Mörderbande bevorstehe. – Am nächsten Tage, einem Sonntag (26. Juli) eilten wir, da die Frist des Ultimatums abgelaufen war, nach L. piccolo, wo uns schon die gelben Mobilisierungszettel begrüßten. Neue Stürme der Begeisterung! Auch mein Korps, das III., wo ich als Oberarzt im Landsturm stand war mobilisiert. Da ich glaubte, eine Kriegsbestimmung zu haben, hieß es, am nächsten Morgen, einem Montag heimreisen. Es war unmöglich, Euch so innerhalb von 16 Stunden mitzunehmen, da Einpacken etc. viel mehr Zeit in Anspruch genommen hätte. Auch war in Lussin selbst nichts für Euch zu fürchten und es stand zu erwarten, dass in mehreren Tagen der Ansturm auf Dampfer u. Eisenbahn ein geringerer werde und ihr bequemer heimkehren könnet. Der letzte Nachmittag wurde zu einem wehmütigen Bad, zu einem vom Wind nicht begünstigten letzten Segelversuch verwendet, am Abend braute Grete, wie sie es so gut verstand, eine gigantische Pfirsichbowle, die auf den äußersten Zipfel des Molo von Rovenska hinausgetragen und dort bis gegen Mitternacht im halben Mondlicht geleert wurde. Alle männlichen Genossen waren entweder abberufen oder erwarteten stündlich Marschordre. Du kannst Dir denken, wie uns da so allgemach eine wehmütige Abschiedsstimmung überkam u. die altgewohnte Fröhlichkeit nicht durchbrechen wollte. Um Mitternacht giengs in’s Kafé am Hafen. Wer die Frage aufwarf, weiß ich nicht mehr. Es wurde aber discutiert, wer von uns allen die größten Chancen habe, heute in einem Jahr wieder hier zu sitzen. Alles schien peinlich abgewogen, die Infanteristen rangierten zuletzt, ich als Oberarzt und Landstürmer an erster Stelle –! An die liebe, junge Frau, die Seele unserer fidelen Kumpanei, den Liebling von ganz Lussin, an die dachte niemand. Und – sie war das erste Opfer dieses furchtbaren Krieges. Lag 3 Wochen später als entstellte Leiche im Hafen zu Pola! So kurzsichtig sind wir Menschen – zu unserem „Glück“ ist’s ja notwendig. Wenn man aber solches erlebt hat, so scheut man sich fürderhin Pläne zu machen, Hoffnungen groß zu ziehen mit Bestimmtheit ein „ich werde“ auszusprechen. Voll traurigem Bangen, voll Unsicherheit und Verzagtheit sieht man in die Zukunft ! ––– Als Deine Mutter und ich heimkehrten gab’s leider, leider noch eine kl. Auseinandersetzung zwischen uns, das zweite Mal in einer fünfjährigen Ehe, einen kleinen Misston, der, wäre das Leben weitergegangen, in meinem Erinnern nicht gehaftet hätte, heute aber mich doch bedrückt, wenn ich auch nicht die Veranlassung dazu gegeben habe! Am Morgen hieß es um 6 h aus den Federn. Du schliefst noch als ich mit einem Kuss auf Dein Händchen von Dir Abschied nahm. Doch spürtest Du den Kuss, erkanntest mich, wendetest Dich, wie es sonst nie Deine Art war, zur Mauer und murmeltest schlaftrunken: „Papa geh’ weg!“ So gieng ich denn! ––– Mit meiner lieben Grete und ihrem Bruder Hermann giengen wir dann über den Strandweg nach L. piccolo zum Dampfer. Es war der „Hohenlohe“ der uns aufnahm, dicht gefüllt mit begeisterten Soldaten u. Reservisten, am Lande eine enthusiasmierte Menschenmenge. Ich werde den Moment nie vergessen, als das mächtige Schiff vom Eviva vieler Tausender umbraust das Ufer verliert. Seit langen Jahren geschah da etwas, was mir bald so gewohnt werden sollte in stillen Momenten des Alleinseins: Ich sah nochmals zu Grete hinüber und musste mich abwenden, denn ich hatte die Augen voll Wasser und die Kehle zugeschnürt vor Abschiedsweh und Begeisterung für die herrliche Sache! Ich hielt’s für einen Abschied auf lange, in’s Ungewisse und hoffte, selbst mit meinem Körper u. Können dem Vaterlande helfen zu können. Die Reise nach Graz war selbst vom Gefühlsmomente abgesehen, mehr als unangenehm, der Zug zum Platzen überfüllt, sodass wir die ganze Strecke stehen mussten. Aber die Stimmung in ganz Istrien, sogar in Laibach und im Unterland war lodernde Begeisterung. Wir glaubten fest an ein Wiedererwachen des alten Österreich und fühlten vielleicht zum erstenmal so ganz in uns den heiligen Willen erstehen, bis zum letzten Können unsere Persönlichkeit in den Dienst dieses Staatengebildes zu stellen, welches im Falle des Sieges einer neuen, leuchtenden, auf deutschem Sockel erbauten Zukunft entgegengieng. In Graz begann die Ernüchterung! Man brauchte mich nicht, noch nicht! Denn ich bin ja „nur“ Theoretiker. Ich richtete ein Gesuch an das Landesverteidigungsministerium, mich wenigstens meinem Fache entsprechend verwenden zu wollen. Da die Antwort, wie ich beim Sanitätschef erfuhr, noch wochenlang auf sich warten lassen konnte, meine Sehnsucht nach Euch sehr groß war und ich hoffte, Euch sicherer u. besser durch die Fährlichkeiten und Unannehmlichkeiten einer solchen Reise in solcher Zeit heimzubringen, bat ich um die Erlaubnis dazu und erhielt sie auch. Noch immer glaubte ich, es war Freitag den 31. Juli, als ich mittags wieder abfuhr, mit allen, dass Russland ruhig bleiben werde. Dass Frankreich, England, ja die halbe Welt gegen das Deutschtum auftreten werde, hätte mir absurd geklungen. Aber im Zuge schon, es war in Laibach, erreichte mich die Nachricht von der allgemeinen Mobilisierung! Also waren internationale Verwicklungen doch nicht abzuwenden. Ich überlegte, was zu tun sei? Umkehren? Dann wäre der Zweck meiner Reise unerfüllt geblieben. Euch telegr....