E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Pfeifer Endstation Waldviertel
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96041-734-7
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-96041-734-7
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Skurril, charmant und unglaublich witzig.
Die Fahrt mit der Waldviertler Schmalspurbahn ist ein äußerst romantisches Erlebnis. Doch als ein Mensch von der Dampflok überrollt wird, ist es vorbei mit der Gemütlichkeit. Der Tod des beliebten Mannes ist ein Rätsel, weswegen Hans "G'schaftl" Huber, umtriebiger Hansdampf in allen Gassen, eine Privatinvestigation startet, sehr zum Missfallen des unpopulären Dorfsheriffs. Aber an den wortkargen Waldviertlern beißt sich selbst Huber die Zähne aus – bis eine alte Sage aus der Region Wirklichkeit zu werden scheint.
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Endstation Mexiko Als er zu sich kam, herrschte ringsum absolute Finsternis. Es war laut, unglaublich laut. Als ob ein Sturm brausen würde, dazu kam ein gewaltiges Stampfen und Rattern und Zischen. Alles um ihn herum vibrierte, schwankte, hüpfte, schlingerte. Und er mit, als wäre er mit dem Boden verwachsen. Der Lärm nahm zu. Dann kamen die Schreie. *** Mit einem Mal verlangsamte sich die Fahrt extrem, die Bremsen kreischten, und bald darauf kam der Zug mit einem mächtigen Ruck zum Stehen. Die Kinder reckten die Hälse aus den Fenstern, und einige beugten sich über die schwarzen Geländer der Plattformen zwischen den Waggons, um zu sehen, was passiert war. Vorne stampfte die Lok verhalten am Stand weiter, ließ zischend Dampf ab und stieß kleine Rauchwölkchen aus. Unter den jugendlichen Spähern, den immer besorgten Eltern und den sonstigen Eisenbahnfreunden begann sogleich die ebenso eifrige wie lautstarke Ursachenforschung. »Was ist los?« »Ich weiß nicht – ich seh nix.« »Ist da eine Station?« »Ich seh nix!« »Wieso sind wir stehen geblieben?« »Ich weiß nicht!« »Vielleicht ist was passiert! Vielleicht ist uns ein Reh reingelaufen!« Wie auf Kommando zückten alle ab dem Alter von sechs Jahren aufwärts die Handys und stürmten in Richtung der Ausgänge. Die Profis, die statt der handlichen Telefone ihre Spiegelreflexmonstren in Anschlag gebracht hatten, begannen fluchend die 300er Teles abzunehmen und wühlten in ihren Fototaschen nach 18-55ern für den Nahbereich. Bei einem vom Zug fein filetierten Reh ist ein 300er völlig fehl am Platz. Dabei war die Reh-Hypothese mehr als gewagt. Die Dampflok 298.207, von Bedienpersonal und Schmalspurbahnfreunden gerne salopp als Zweinullsiebener bezeichnet, kam unter Volldampf auf eine Höchstgeschwindigkeit von fünfunddreißig Kilometern pro Stunde. Mit fast vollem Wassertank, gut gefülltem Tender und den fünf Waggons schaffte sie die Steigung im Langegger Wald mit gerade einmal zwanzig Kilometern pro Stunde. Dieses Tempo entspricht dem eines Durchschnittsradfahrers, wenn er ein wenig engagierter in die Pedale tritt. Ein von solch einem Zug erwischtes Reh hätte also überaus langsam, ja geradezu gebrechlich sein müssen und außerdem schwerhörig, da die Zweinullsiebener bergauf einen Höllenlärm machte und kilometerweit zu vernehmen war. Aber möglicherweise war das Tier ja auch depressiv und hatte Suizidabsichten gehegt. »Nicht aussteigen, da gibt’s keine Haltestelle!« »Aber da steigt einer aus!« »Das ist der Heizer, der sieht nach, was los ist.« »Wo ist das Reh?« »Ich weiß nicht, ich seh nichts.« »Der geht in den Wald.« »Mama, geht der Mann Lulu?« »Vielleicht ist das Reh nur verletzt und in den Wald gelaufen …« »So ein Blödsinn, wenn der Zug drüber ist, dann ist das nur mehr Rehgulasch, und zwar unter dem dritten oder vierten Waggon.« »Er kommt wieder!« »Mit einem Reh?« »Nein, mit einem Schwammerl! Der hat ein Superschwammerl gefunden!« »Haha, ein Wahnsinn, wir sind wegen einem Schwammerl stehen geblieben. Dabei hängt doch auf der Plattform ein Schild: ›Aussteigen und Schwammerl brocken während der Fahrt verboten‹1.« »Er ist eh nicht während der Fahrt ausgestiegen, wir sind eh stehen geblieben.« »Haha, diese Waldviertler!« »Papa, darf ich auch Schwammerl suchen gehen?« »Nein, setz dich jetzt wieder nieder, wir fahren sicher gleich.« Als schließlich alle Kinder eingesammelt, alle Fotos geschossen und alle Sprüche losgelassen worden waren, pfiff der Schaffner in seiner schmucken Uniform durchdringend, rief: »Bitte alle einsteigen, Zug fährt ab.« Der Heizer stieg auf die Lok, hielt triumphierend nochmals den Pilz in die Höhe, dann pfiff die Lok und setzte sich unter größten Anstrengungen wieder in Bewegung. Planmäßig gab Paschinger gleich am Anfang Volldampf, und die Räder der Lok drehten durch. Der Zug kam nicht von der Stelle. Die Videomacher hätten wer weiß was dafür gegeben, die durchdrehenden Räder von der Seite zu filmen. Schließlich schob der Zug unter dem Gejohle der Kinder fast zwei Kilometer zurück, bis die Steigung moderater wurde, nahm Anlauf und donnerte schließlich erfolgreich durch den Langegger Wald hinauf. Die Leute lachten, und etliche begaben sich in das »Waldviertler Jausenwagerl«, um die Sondereinlage gebührend zu feiern. Auf dem Führerstand der Lok grinsten sich der Heizer und sein Chef an. »Wo hat er denn das Prachtexemplar her?«, schrie Paschinger, der Lokführer, um sich gegen den Lärm der jetzt unter Volldampf stehenden Lok durchzusetzen. »Keine Ahnung! Sicher wieder aus irgendeinem Supermarkt, und die kriegen sie wahrscheinlich aus Serbien«, gab der Huber Hans zurück und begann Kohle in das hungrige Maul der Feuerbüchse zu schaufeln. Mittlerweile hatte der Zug schon wieder auf fast zwanzig Kilometer in der Stunde beschleunigt. »Irgendwann einmal kriegt er auch im Supermarkt keine, und dann kann er eines aus Plastik aufstellen«, prophezeite Paschinger und kontrollierte routiniert den Kesseldruck. Diese Befürchtung kam nicht von ungefähr. Seit vor vielen Jahren einmal ein riesenhafter Steinpilz neben der Strecke förmlich darum gebettelt hatte, mitgenommen zu werden, war das »zufällige« Erblicken eines Schwammerls und die gekonnt inszenierte Bergung desselben ein sorgfältig gepflegtes Highlight jeder Ausfahrt. Leider war nicht jedes Jahr ein Schwammerljahr, und in den schon seit Jahren viel zu heißen und zu trockenen Ferienmonaten Juli und August war auch im sonst so schwammerlreichen Waldviertel nicht einmal die Chance auf verkümmerte Eierschwammerl, von Steinpilzen ganz zu schweigen. Um dennoch nicht auf die Einlage verzichten zu müssen, hatte man vereinsintern beschlossen, dass bei jeder Fahrt ein Schwammerl zu verstecken sei. Zunächst war jedes Vereinsmitglied einmal drangekommen, in letzter Zeit war es fast nur Hannes Dangl, dem der Arzt Bewegung und viel frische Luft verordnet hatte, der die »Zufallsfunde« aus irgendeinem Supermarkt besorgte und vor jeder Fahrt versteckte. »Plastikschwammerl sind stillos«, brüllte der Huber Hans über das Fauchen der Lok dem Lokführer zu. »Wenn uns da wer draufkommt, ist das ein Imageschaden, das können wir nicht brauchen.« Wie immer wusste der G’schaftlhuber etwas zum Thema zu sagen, wie er eigentlich zu jedem Thema etwas zu sagen wusste. Er kümmerte sich zwar um vieles, wovor sich andere drückten, aber manchmal konnte er einem mit seiner Art doch ziemlich auf die Nerven gehen. Der Lokführer kam nicht mehr dazu, zu antworten. Und die Fahrgäste, die sich im Speisewagerl darüber unterhielten, dass der Zug laut Fahrplan bald nach »Mexiko« käme, hatten ein gemeinsames Déjà-vu2-Erlebnis: Mit einem Mal verlangsamte sich die Fahrt extrem, die Bremsen kreischten, und bald darauf kam der Zug mit einem mächtigen Ruck zum Stehen. Die Kinder reckten die Hälse aus den Fenstern, und einige beugten sich über die schwarzen Geländer der Plattformen zwischen den Waggons, um zu sehen, was passiert war. Vorne stampfte die Lok verhalten am Stand weiter, ließ zischend Dampf ab und stieß kleine Rauchwölkchen aus. Unter den jugendlichen Spähern, den sofort besorgten Eltern und den sonstigen Eisenbahnfreunden begann sogleich die ebenso eifrige wie lautstarke Ursachenforschung. »Was is jetzt los?« »Is was passiert, Luise?« »Glaub ich nicht.« »Vielleicht jetzt ein Reh?« »Geh, sicher nicht!« »Na, hat er wieder ein Schwammerl entdeckt, der Heizer?« »Oder is es doch ein Reh?« »Kannst du was sehen, Peter?« »Schau einmal vor, Valerie!« »Verdammt, jetzt hab ich gerade das 28-55er wieder eingepackt!« »Komm schnell da weg, Lotte!« »Geh, wieso, sie soll doch auch –« »Und wenn es doch ein Reh ist?« »Moritz, siehst du was?« Aber Moritz sah nichts, und es war auch kein Reh gewesen. Leider auch kein Schwammerl. Vorne auf der Lok starrten sich Paschinger und Huber leichenblass an. Die Notbremsung war das eine gewesen, aber jetzt abzusteigen und nachzusehen, ob das, was man vor sich gesehen hatte und das sich jetzt unter dem vierten Waggon befinden musste, tatsächlich das war, was man befürchtete – das war noch mal eine andere Sache. Und natürlich dachten sie an die Leute hinten im Zug! »Die Leut, die Leut müssen drinnenbleiben«, krächzte Paschinger. Huber Hans nickte. »Am besten, sie schauen auch nicht aus dem Fenster oder von der Plattform, da sind ja Kinder dabei!« Huber Hans nickte nochmals, aber dann sagte er: »Das kannst ihnen schlecht verbieten, umso neugieriger sind sie, und dann steigen sie vielleicht erst recht aus.« »Was ist los?« Auf der Leiter, die zum Lokführerstand hinaufging, tauchte Ableidinger auf, der heute Schaffner war. »Ich glaub, da ist einer gelegen.« »Was? Auf den Schienen?« »Ja. Nach der Kurve. Keine Chance zum Stehenbleiben. Ich hab eh gleich gebremst, aber –« »Scheiße!« »Ja.« »Wieso liegt da wer?« »Keine Ahnung, wir haben den ja nur drei, vier Sekunden gesehen. Vielleicht … vielleicht war’s ja eh nix.« »Nix?« »Na«, übte Huber sich in Zweckoptimismus, »vielleicht war das nur eine Puppe, verstehst du, ein Lausbubenstreich oder so …« »Nein.« Paschinger murmelte vor sich hin, durch das Zischen der Lok war er kaum zu verstehen, »das war schon das, wonach es ausgesehen hat. Ein Mensch. Das hab ich … bei so was...