Pfalzgraf / Burgard-Arp / Is | dahinter | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2, 104 Seiten

Reihe: Anthologie-Trilogie

Pfalzgraf / Burgard-Arp / Is dahinter


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7557-8943-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 2, 104 Seiten

Reihe: Anthologie-Trilogie

ISBN: 978-3-7557-8943-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Was machst du gerade? Niemand macht was! Sieben Autor*innen spielen mit den Bedeutungen ihrer Geschichten. Was versteckt sich hinter den Figuren und Handlungen? Diese Anthologie ist ein herrliches Spiel mit der Symbolik! Dabei sind: Jennifer Pfalzgraf, Nora Burgard, June Is, Yvonne Tunnat, Liv Modes, Tino Falke, S. M. Gruber

Jennifer Pfalzgraf wurde 1987 in München geboren und zog 2010 fürs Literatur-Studium nach Berlin. 2017 schloss sie es mit einem M.A. in Vergleichender Literaturwissenschaft ab. Seit 2019 findet man sie regelmäßig bei den Treffen des Literaturnetzwerks #BerlinAuthors zwischen Stammtischen und Schreibgruppen. Ebenfalls 2019 gewann ihre Kurzgeschichte Einsamkeit im Hotelzimmer den 2. Platz bei der Lesebühne Konzept*Feuerpudel in Berlin. Sie hat mehrere Fantasyromane abgeschlossen und arbeitet aktuell an einer Dystopie, die im China der nahen Zukunft spielt. Im Dezember 2020 erschien ihre Kurzgeschichte Die Gabel in der Anthologie Großstadtklänge der #BerlinAuthors. Im November 2021 folgt eine weitere Kurzgeschichte in der Anthologie Großstadtgeheimnisse, ebenfalls herausgegeben von den #BerlinAuthors.

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JENNIFER PFALZGRAF
Die Frau, die vor dem Regen floh
Von außen sahen sie aus wie ein Gemälde von Edward Hopper: ein leeres Restaurant zu später Stunde, Glasfassade, billig, aber peinlich genau darauf bedacht, zumindest sauber und ordentlich auszusehen. Zwei Menschen saßen sich gegenüber, saßen an einem Tisch, und doch war jeder für sich allein. Die Frau war zu früh da gewesen und hatte sich vor dem Regen in das Café geflüchtet. Du willst mich nicht mehr, sagte die Frau leise. Ist es nicht so? Der Mann schwieg und starrte seinen Teller an. Dann nahm er einen Bissen und kaute langsam. Die Frau schluckte. Sie schob die Essensreste von sich. Der Teller scharrte über die Tischplatte aus falschem Marmor. Die Krümel auf dem Porzellan, der Kunststoff-Überzug des Tisches: Alles wirkte vergänglich. In vergänglich steckte das Wort gehen. Die Frau stand auf und zog sich an. Zögerlich lief sie los, bis sie vor der gläsernen Tür stehen blieb. Draußen regnete es. Das bedeutete, sie konnte jetzt nicht gehen. Sie hatte Angst vor dem Regen. Angst davor, von den Tropfen gefressen zu werden. Die Tropfen stellte sie sich wie Tausende kleine Piranhas vor, die in einem mit Luft gefüllten Becken schwammen. Regen war gefährlich heutzutage. Was sollte sie tun? Hierbleiben wollte sie nicht. Ihr Blick blieb am abgewetzten Plastiktürgriff hängen. Holzimitat. Sie wandte den Kopf und sah zur Theke hinüber. Kunststoff. Dahinter spülte die Kellnerin Gläser. Sie warf ihrer Kundin einen Blick zu, der suggerierte, dass sie bei ihrer Tätigkeit lieber nicht unterbrochen werden wollte. Die Frau, die hier Gast war, studierte das schwarzweiße Schachbrettmuster des Bodens. Aus dem Augenwinkel lugte sie zum Mann hinüber. Er hatte inzwischen aufgegessen. Nun starrte er ins Leere, mit Weißgottwas beschäftigt. Die Frau fragte die Kellnerin: Entschuldigung, darf ich hier sitzen bleiben? Draußen regnet es. Die Kellnerin zog eine Augenbraue hoch, zuckte mit den Schultern und scheuerte mit einem Lappen die Theke. Mir egal, sagte sie. Die Frau sah sich um. Der Mann saß nach wie vor wie eine bewegungslose Puppe an seinem Tisch, als sei er selbst ein Möbelstück geworden. Die Möbel: Senfgelbe Plastikstühle, nichts als Hartschalen auf einem Metallgestell, erinnerten sie entfernt an das Design aus den 50ern. Schwarzweiße Tischplatten in Marmor-Optik, deren dünne Folie sich abzupellen begann wie Haut, die sich schuppte. An den Wänden überbelichtete Fotos, deren grelle Hintergrundfarben die Körper der weiblichen Models noch geisterhafter erscheinen ließen, wie Skelette. Skelette. Piranhas. Die Frau richtete den Blick nach draußen. Hinter beschlagenen Scheiben klopfte der Regen sanft gegen die Fensterscheiben. Die Szene hatte etwas Übernatürliches, so wie Sonnenaufgänge am See. Doch die Welt hinter diesen Scheiben hatte nichts von einer Naturidylle. Der Regen zerfraß die Konturen, verwischte Spuren, die Menschen zuvor hinterlassen hatten. Weit und breit war niemand zu sehen: Keine grimmigen Gesichter unter Regenschirmen, keine Kinderfüße, die in Gummistiefeln steckten und durch Pfützen wateten, keine Fahrradreifen, die über Bordsteinkanten glitten. Nur der Regen umzingelte das Café. Mit einem Mal fühlte sich die Frau müde. Sie setzte sich auf einen der Stühle, damit sich zumindest dieser mit etwas Leben füllte. Die Theke neben ihr nahm die komplette Wandseite ein, bis auf einen schmalen Durchgang mit einer Tür, die vermutlich ins Lager oder die Küche führte. Leere Essensauslagen glänzten im kalten Neonlicht wie frisch desinfizierte Wunden. Die Frau stellte sich vor, wie das Café bei Tag aussehen könnte: Die senfgelben Stühle leuchteten im Licht der Nachmittagssonne. In den Fensterscheiben spiegelte sich der Trubel auf der Straße, vorbeitanzende Formen auf Glas. Menschen aßen hastig, Krümel und Soßenkleckser fielen auf die falschen Marmortischplatten. Schmutzspuren zogen sich über die einzelnen Bodenkacheln, Schwarzgrau auf Weiß und Beige-Grau auf Schwarz. Zwei Kellnerinnen anstatt einer standen hinter der Theke, eine kassierte, eine gab Essen und Getränke aus. Eine dritte tauchte in der Vorstellung der Frau auf, trug ein Haarnetz überm Dutt und beugte sich keuchend über einen Eimer, den Wischmopp in den Händen. Chemie gegen Keime, ein aussichtsloser Kampf. Im Café war es laut, die Stimmung eine Mischung aus Fröhlichkeit und Hektik. Hinter den schnell mahlenden Kiefern und wild gestikulierenden Händen schimmerte etwas durch, das mit den tanzenden Formen auf dem Fensterglas verbunden war. Zurück im nächtlichen, leeren Café, traf die Frau eine Entscheidung. Sie sah nochmals zum Mann hinüber. Zögerlich lösten sich seine Augen vom leeren Teller und wanderten zu der Frau. Ihre Blicke kreuzten sich. Etwas an seiner Miene bedeutete ihr, sitzen zu bleiben und Distanz zu bewahren. Also begann sie ein Spiel: Sie stellte ihm Fragen, aber nur im Kopf, und er antwortete darauf, ohne den Mund zu öffnen. Es war ihr egal, ob es wirklich war oder nicht. Denn in ihrem Kopf war es real. Die Verbindung zwischen den beiden war schwach wie ein halb durchgetrenntes Glasfaserkabel. Die Frau begann, dem Mann Fragen zu stellen. - Stimmt es, dass du mich nicht mehr willst? - Ich weiß es nicht. - Spürst du es denn nicht? - Nein. - Wieso bin ich dir nicht mehr gut genug? - Das habe ich niemals gesagt. - Stimmt. Warum hast du nichts gesagt? - Was hätte ich denn sagen sollen? - Dass du mich nicht mehr willst. - Hast du das nicht bemerkt? - Ich habe bemerkt, dass du abweisend bist. Aber woher soll ich wissen, was in dir vorgeht, wenn du nicht mit mir redest? - Ich möchte es dir nicht sagen. - Warum nicht? - Weil es meine Sache ist. - Ist es nicht. Wir waren über ein Jahr zusammen. Sag mir, was habe ich falsch gemacht? - Du hast nichts falsch gemacht. - Aber was ist dann der Grund? - Es gibt keinen. - Es muss einen geben. Warum sagst du ihn mir nicht? - Also gut. Du interessierst mich nicht mehr. Bist du jetzt zufrieden? - Nein. Du hast nur die Worte nachgeplappert, die ich dir in den Mund gelegt habe. In diesem Moment löste der Mann seinen Blick von der Glasfassade und sah der Frau endlich in die Augen. Er atmete schwer. Sie flehte innerlich: Bitte sag es mir. Sag es mir und ich gehe. Hinaus in den feindlichen Regen. Er sank in sich zusammen. Sein Rückgrat krümmte sich wie ein Schutzschild gegen das Wortgeprassel der Frau, das eigentlich gar nicht real gewesen war. In seinen Pupillen spiegelten sich die blank gescheuerten Kacheln, spiegelte sich zweimal der leere Teller vor ihm, spiegelte sich diese Nacht. Die Frau stand auf. Sie wollte ihm sagen, was sie von seinem Verhalten dachte. An der Kellnerin vorbei, die erstaunt den Blick hob, an den mageren Gespensterfrauen auf den Wandfotos vorbei, bis sie direkt vor dem Mann zum Stehen kam. Er saß noch immer auf dem senfgelben Stuhl und hob den Blick wie ein geprügelter Hund. Sie sagte: Ich habe verstanden, dass du mich nicht mehr willst. Aber weißt du, was ich niemals akzeptieren könnte, wenn wir noch zusammen wären? Die Lippen des Mannes zitterten leicht. Dann brachte er eine Frage zustande: Was? Dass du feige bist, sagte die Frau. Nein, nicht du, sondern dein Verhalten. Das bist nicht mehr du. Er senkte den Blick und nickte. Die Frau atmete tief durch. Zum zweiten Mal durchquerte sie den Raum, das Hopper-Gemälde. Vor der Glastür blieb sie stehen, die Hand bereits am Holzimitatgriff. Sie warf der Kellnerin einen Blick zu. Der Putzschwamm hing wie ein Damoklesschwert in der Luft. Töte unerwünschtes Leben, schien er seiner Herrin zuzuflüstern. Trenne Gut von Böse. Der Regen hatte sich in den vergangenen Minuten stetig verstärkt. Gut, dann würde es umso schneller gehen. Die Frau wollte die Klinke herunterdrücken, da spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Es war nicht die der Kellnerin, sondern die des Mannes. Er sah die Frau an und sagte: Nicht. Nur dieses eine Wort. Dann schob er sich an ihr vorbei, öffnete die Tür, schlüpfte hindurch und schloss sie wieder hinter sich. Er trug weder einen Schutzanzug noch eine Atemmaske. Inzwischen prasselte der Regen wie eine Sintflut herunter. Der Mann war jetzt draußen. Die Frau und die Kellnerin wechselten einen beunruhigten Blick miteinander. Noch immer lag der keimtötende Schwamm in der Hand der Kellnerin. Hinter den beschlagenen Glasscheiben verschwammen die Konturen des Mannes schon nach wenigen Metern. Der Starkregen verschluckte das Geräusch seiner Schritte. Die Frau wollte ihm etwas zurufen. Aber in ihrer Kehle steckte ein Kloß, als müsste sie das Essen wieder hochwürgen. Der Mann kam nicht weit. Im Glasscheibennebel begann schon das grausige Schauspiel: Der Regen, die kleinen Piranhas, zerfraßen zunächst seine Lederjacke. Seine Haare wurden weggeätzt, die Jackenreste zerschmolzen mit einem so lauten Zischen, dass es hinter der Glastür noch hörbar war, trotz der schützenden Gummiabdichtung. Der Mann brach zusammen. Die Beine der...



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