Pfaller | Kurze Sätze über gutes Leben | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Pfaller Kurze Sätze über gutes Leben


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-10-402112-6
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-10-402112-6
Verlag: S.Fischer
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Das Vademecum der Lebenskunst Nach dem großen Erfolg von Robert Pfallers Studie ?Wofür es sich zu leben lohnt? sind in dem vorliegenden Band alle Interviews in Originalfassung versammelt, die rund um die Themen dieses philosophischen Bestsellers kreisen: Genuss und Verbot, Rauchen und Neoliberalismus, Glück, Neid und - natürlich - die Liebe. Eine Vertiefung und Weiterentwicklung seiner Ideen, aber auch eine Einführung in Robert Pfallers Gedankenwelt.

Robert Pfaller, geboren 1962, studierte Philosophie in Wien und Berlin und ist nach Gastprofessuren in Chicago, Berlin, Zürich und Straßburg Professor für Philosophie an der Kunstuniversität Linz. Von 2009 bis 2014 war er Professor für Philosophie an der Universität für angewandte Kunst Wien. In den Fischer Verlagen ist von ihm »Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft. Symptome der Gegenwartskultur« (2008) erschienen, die vielbeachtete Studie »Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie« (2011), »Zweite Welten. Und andere Lebenselixiere« (2012) sowie im Fischer Taschenbuch »Kurze Sätze über gutes Leben« (2015). Mit Beate Hofstadtler hat er außerdem den Band »After you get what you want, you don't want it. Wunscherfüllung, Begehren und Genießen« (2016) herausgegeben. Nach »Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur« (2017) erschien 2020 »Die blitzenden Waffen. Über die Macht der Form«. 2020 wurde ihm der Paul-Watzlawick-Ehrenring verliehen.
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1. Über »Wofür es sich zu leben lohnt«


Robert Pfaller: Die Antworten kennt jeder: mit Freunden ein Bier trinken, in einem zärtlichen Moment eine Aussicht genießen, beim Kaffee eine Zigarette rauchen, Ballspielen an einem Maiabend. Für verschwindend kleine Dinge.

Die Sinnfrage stelle ich bewusst nicht. Unsere vornehmste Aufgabe ist es, zu leben, wie der Philosoph Montaigne gesagt hat. Nicht für bestimmte Aufgaben, Abenteuer, Projekte. Sondern einfach zu leben. Wenn Menschen nicht gelernt haben, wofür es sich zu leben lohnt, wenn sie immer nur auf die Frage geschaut haben, wozu es sich zu leben lohnt, also das Leben einem Projekt untergeordnet haben, dann fallen sie nach dem Ende dieses Projekts in jene Depressionen, wie es sie zur Zeit so verbreitet gibt. Glücklich sind wir, wenn wir mit Freunden trinken, rauchen, tanzen bis zum Umfallen.

Es wäre unvernünftig, immer vernünftig zu sein. Die Vernunft würde zu etwas Irrationalem, das die Unvernunft unerbittlich verfolgt und auslöschen will – wie es zurzeit bei extremen Rauchgegnern zu beobachten ist. Sie wollen keine erträgliche Regelung für alle, sie wollen totale Reinheit.

Statt zu fragen, wofür wir leben, fragen wir uns nur noch, wie wir möglichst lange leben. Wir mäßigen uns maßlos. Das ist das Merkmal unserer Epoche, ihr Krankheitssymptom. Die Leute werden dazu angehalten, ihr Leben als Sparguthaben zu betrachten und eifersüchtig darauf zu achten, dass ihnen niemand etwas abknapst. Das ist eine Vorsicht gegenüber dem Leben, die das Leben selber tötet. Sie führt zu einer vorzeitigen Leichenstarre.

Jedenfalls nicht, weil wir schlauer sind als frühere Generationen. Dass das Rauchen schädlich ist, wussten sie auch. Mehr noch: Wenn sie das nicht gewusst hätten, hätten sie niemals geraucht – weil es nämlich gerade ihre Schädlichkeit ist, die die Zigaretten erhaben macht. Heute hingegen ziehen wir den meisten Genüssen den Stachel: Bars ohne Tabakkultur, Bier ohne Alkohol, Kaffee ohne Koffein, Schlagsahne ohne Fett, virtueller Sex ohne Körperkontakt.

Absolut. Dinge, die uns Genuss verschaffen, sind immer mit einem Problem behaftet. Sie sind teuer wie Champagner, fett wie Sahnetorte, giftig wie Zigaretten. Das problematisch Lustvolle bricht die ökonomische Logik des Haushaltens – die Vernunft, mit unseren Kräften heute so umzugehen, dass wir morgen noch welche haben. Die unvernünftige Verausgabung beschert uns einen Triumph.

Ja, aber ein besseres Leben. Wir sollten nicht den Tod fürchten, sondern das schlechte Leben.

Zum einen die Politik. Im Ziel der maßlosen Mäßigung treffen sich Neoliberale und Linke. Sie machen gemeinsame Sache, aus unterschiedlichen Motiven: Der Neoliberalismus zerstört bürgerliche Räume und die Solidarität in den Sozialversicherungen, er macht Menschen für ihre Krankheiten selbst verantwortlich. Die Linke steckt fest in einer Nach-68er-Emanzipationserzählung: Sie empfindet den Menschen als frei, wenn er nicht fremdbestimmt ist, wenn er ganz er selbst sein darf, wenn er möglichst wenig vom Anderen mitbekommt. Keinen Rauch zum Beispiel.

Ja, weil bei ihnen etwas anderes an die Stelle der Lust tritt: Selbstachtung. Menschen, die asketisch sind, empfinden sich fast immer als höherwertig. Sie denken, sie seien klüger als andere und ihnen moralisch überlegen. In unserer Gesellschaft, in der die Klassendifferenzen härter werden, in der viele von Abstiegsängsten erfasst sind, ist das extrem attraktiv. Soziale Distinktion wird wichtiger. Nehmen Sie die Vegetarier, die zur Zeit so im Trend liegen: Die einen machen es, um gesünder zu sein; die anderen machen es, weil sie sich so besser fühlen als andere: Denn sie schauen, so meinen sie, nicht nur auf ihr Schnitzel, sie haben den Klimawandel und das Fortbestehen der Menschheit im Blick.

Es geht um die Verantwortung gegenüber dem guten Leben. Die Klimapanik passt zu unserer Todesfurcht, die größer ist als die Furcht vor dem schlechten Leben. Es wird ständig so getan, als wenn es entsetzlich wäre, wenn die Menschheit als Gattung ausstirbt. Mein Vorgänger hier am Lehrstuhl, der Philosoph Rudolf Burger, hat einmal sehr klug festgestellt: Es ist nicht trauriger, wenn wir alle zugleich sterben, als wenn wir alle nacheinander sterben.

Triumphale Freude empfinden wir nur, wenn wir ein zwiespältiges Kulturelement in ein großartiges verwandeln. Wenn wir uns das versagen, sind wir im profanen Leben gefangen. Dann können wir nicht mehr feiern. Feiern können wir nur mit Dingen, die eine ungute, nicht auf Dauer verträgliche Eigenschaft haben.

Genau, der Alkohol bei einem Fest schlägt eine Kerbe in die Zeitlinie. Mit Mineralwasser kann man den Tag nicht markieren, an dem das eigene Fußballteam den historischen Sieg gegen den Stadtrivalen errungen hat. Und den Geburtstag eines Erwachsenen kann man nicht mit Multivitaminsaft feiern. Es wäre unhöflich, nicht mit ihm anzustoßen, wenn gefeiert wird. Es wäre unanständig, anständig zu bleiben. Unsere Kultur zwingt uns in solchen Situationen zur Verausgabung – zu der wir von alleine nicht fähig wären.

Was aber auch bedeutet, dass man sie sonst eben nicht feiern darf. Nur ein feierndes Kollektiv kann ein Gebot an die Individuen richten, keine Spielverderber zu sein. Deshalb erscheint der Einzelne, der einem auf der Straße rauchend entgegenkommt, auch so verwahrlost. Er raucht in seinem Alltag, nicht als Unterbrechung des Alltags. Er raucht ohne Kulturgebot. Das ist trist.

Es gibt den schönen Satz des Philosophen Max Scheler, der schreibt, wir sind umgeben von lauter lustigen Dingen, die angeschaut werden von lauter traurigen Menschen, die nichts damit anzufangen wissen. Also: Es sind nicht die Genussmittel, die knapp geworden sind, sondern die Ressourcen, die Menschen brauchen, um die Genussmittel als lustvoll zu empfinden.

Im Spielfilm wird er uns kaum noch angeboten, er ist in Talkshows und andere Reality-Formate abgewandert. Dort wird der Sex vorgeführt, aber nicht glamourös, sondern mit einer abstoßenden Note, mit einem mahnenden Fingerzeig. Die Drohung heißt: Wenn ihr euch nicht zusammennehmt, sitzt ihr morgen selber bei den Unterschichtlern im Rudelbums-Container. Es ist heute für breite Mittelschichten immer mit der Gefahr der Deklassierung verbunden, sich freizügig zu zeigen.

Es gibt so etwas wie die Klasse italienischer Ministerpräsidenten, die Flavio-Briatore-Klasse auch, in der es zumindest zum guten Ton gehört, so zu tun, als habe man permanente Exzesse.

Charlie Sheen ist kein Typ wie Steve McQueen oder Paul Newman. Er ist zu extrem, ein Freak, ein Zerrbild. Wir haben heute generell keine Stars mehr, die als erotische Vorbilder taugen, die Sex so glamourös verkörpern, dass wir sagen können: Jetzt hatten wir einen tollen Moment, es war wie bei Michel Piccoli und Romy Schneider.

Mit den Kochbüchern ist ähnliches passiert wie mit den Sextoys. Das waren früher Dinge, die man im Verborgenen gehalten hat, hinter der Bühne. Die Effekte hat man den Auserwählten geboten, die auf die Bühne kamen: den Gästen, die zum Essen eingeladen waren, oder den Sexpartnern, die wir überraschen wollten. Heute zeigen wir alles exhibitionistisch her, aber Sex haben wir eher selten, und die Küche bleibt auch kalt. Dazu passt, dass heutige Kochbücher graphisch aufwendig gestaltet und stilisiert sind, sie haben eine ganz andere Funktion als früher die nüchternen Kochbücher vom Typ »Man nehme«. Sie sind Vermittler eines Lebensgefühls, nicht so sehr Werkzeuge einer Praxis. Zumal die meisten auf Spitzenleistungen verweisen, so wie die Kochshows mit ihren Starköchen. Früher hatte man ein Repertoire an einfachen, wiederholbaren Gerichten, an denen man Freude haben...


Pfaller, Robert
Robert Pfaller, geboren 1962, studierte Philosophie in Wien und Berlin und ist nach Gastprofessuren in Chicago, Berlin, Zürich und Straßburg Professor für Philosophie an der Kunstuniversität Linz. Von 2009 bis 2014 war er Professor für Philosophie an der Universität für angewandte Kunst Wien. In den Fischer Verlagen ist von ihm 'Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft. Symptome der Gegenwartskultur' erschienen, die vielbeachtete Studie 'Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie', 'Zweite Welten. Und andere Lebenselixiere' sowie im Fischer Taschenbuch 'Kurze Sätze über gutes Leben'. Mit Beate Hofstadtler hat er außerdem den Band 'After you get what you want, you don't want it. Wunscherfüllung, Begehren und Genießen' herausgegeben. Zuletzt erschien von ihm 'Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur' (2017). 2020 wurde ihm der Paul-Watzlawick-Ehrenring verliehen.

Robert PfallerRobert Pfaller, geboren 1962, studierte Philosophie in Wien und Berlin und ist nach Gastprofessuren in Chicago, Berlin, Zürich und Straßburg Professor für Philosophie an der Kunstuniversität Linz. Von 2009 bis 2014 war er Professor für Philosophie an der Universität für angewandte Kunst Wien. In den Fischer Verlagen ist von ihm 'Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft. Symptome der Gegenwartskultur' erschienen, die vielbeachtete Studie 'Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie', 'Zweite Welten. Und andere Lebenselixiere' sowie im Fischer Taschenbuch 'Kurze Sätze über gutes Leben'. Mit Beate Hofstadtler hat er außerdem den Band 'After you get what you want, you don't want it. Wunscherfüllung, Begehren und Genießen' herausgegeben. Zuletzt erschien von ihm 'Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur' (2017). 2020 wurde ihm der Paul-Watzlawick-Ehrenring verliehen.



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