Pfänder | Im Schatten der Bräutigamseiche | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Pfänder Im Schatten der Bräutigamseiche


1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95649-559-5
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-95649-559-5
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
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Nach dem Tod ihrer Großmutter kehrt Johanna Petersen in ihre Heimatstadt Eutin zurück. Obwohl sie sehr an dem alten Haus ihrer Familie hängt, sieht sie keine andere Möglichkeit, als es zu verkaufen. Kurz vor dem entscheidenden Termin will sie ein letztes Mal Abschied nehmen. Von ihrer Großmutter. Von ihrer Kindheit. Aber auch von ihrer Vergangenheit. Als sie aus dem Astloch der uralten Bräutigamseiche einen geheimnisvollen Brief zieht, scheint es, als würde sich ein Kreis schließen. Plötzlich ist sie einem tragischen Geheimnis auf der Spur, das das Schicksal ihrer Familie damals wie heute bestimmen soll.



Petra Pfänder studierte Film-, Fernseh- und Theaterwissenschaften sowie Alt- und Neugermanistik und arbeitete einige Jahre als freie Journalistin für Print, TV und Hörfunk, bevor sie als Übersetzerin und selbstständige Autorin durchstartete. Sie hat zwei Krimis veröffentlicht und schreibt seit vielen Jahren unter Pseudonym Liebesromane. Ihr erster Love & Landscape Roman 'Unter dem Vanillemond' ist bei mtb im Januar 2016 erschienen.

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1. KAPITEL


Mai 2015, Eutin

Asche zu Asche, Staub zu Staub.“

Johannas Augen füllten sich mit Tränen, als sie die Worte des Priesters hörte. Hinter ihrer Sonnenbrille verborgen, starrte sie auf die Unmengen weißer Rosen und Lilien hinter dem ausgehobenen Grab.

Sie wollte sich auf den Pfarrer stürzen, ihn packen und schütteln, damit er endlich schwieg. Kein weiteres Wort konnte sie mehr ertragen. Ein ganz ungewohntes Gefühl für sie. Seit Jahren hatte sie nichts erschüttert.

Aber er sprach von ihrer Großmutter!

Nonna. Ihre geliebte Nonna. Johanna wollte nicht glauben, dass ihr Körper nur wenige Meter entfernt im Sarg lag. Mit achtundsiebzig war sie zwar nicht mehr jung gewesen, aber Johanna hatte ihren Tod noch lange nicht erwartet. Hatte ihn niemals erwartet. Sie darf nicht tot sein, flehte Johanna still.

Abgesehen von Henning, war Nonna der einzige Mensch auf der Welt, der zu ihr gehörte. Ihre Familie, ihre Vertraute, der Mensch, der mehr an sie glaubte als sie selbst. Sie durfte keine Asche sein, kein Staub. Sie bedeutete Johanna alles. Bei diesem Gedanken konnte sie ihre Tränen nicht länger zurückhalten.

Mehr als zwölf Jahre war es her, dass sie das letzte Mal geweint hatte. Seitdem hatte sie nie wieder zugelassen, so verzweifelt zu sein. Sie spürte, wie die Tränen hinter den großen dunklen Gläsern über ihre Wangen liefen und von ihrem hoch erhobenen Kinn in den Ausschnitt ihrer Bluse tropften, doch sie wischte sie nicht ab.

Sie würde niemanden sehen lassen, dass sie weinte. Selbst jetzt spürte sie die Blicke der Umstehenden. Offenbar hatte sich halb Eutin hier im typischen norddeutschen Nieselregen versammelt. Kein Wunder. Früher einmal waren die Petersens eine der bedeutendsten Familien im Landkreis gewesen. Allerdings waren diese Zeiten schon vor Johannas Geburt vorbei gewesen.

Manche musterten sie neugierig und abschätzend, wie ihre früheren Mitschülerinnen. Sie sahen sie nicht offen an, ließen sie dabei aber nicht aus den Augen. Wahrscheinlich verglichen sie Johannas teuren Kurzhaarschnitt mit den wilden dunklen Locken, die ihr früher bis zur Taille gefallen waren, ihr maßgeschneidertes schwarzes Kostüm mit den zerrissenen Jeans und den alten T-Shirts. Andere blickten vorwurfsvoll oder feindselig, bestimmt, weil sie ihre Großmutter in den Jahren seit ihrer Abreise nie besucht hatte. Vielleicht bildete sie sich das aber auch nur ein, weil sie sich selbst Vorwürfe machte.

Wie konnte Nonna sterben, ohne dass ich auch nur das Geringste geahnt habe? dachte sie zum tausendsten Mal.

Johanna schaffte es, aufrecht zum Grab zu gehen und eine weiße Rose auf den Sarg zu werfen, dann war es endlich vorbei. Am liebsten hätte sie sich umgedreht und wäre weggelaufen. Stattdessen stand sie neben dem Pfarrer und schüttelte Hände von Leuten, die schon früher kein freundliches Wort für sie übrig gehabt hatten.

Die Trauergäste strömten an ihr vorbei. Ernst und unbeholfen drückte einer nach dem anderen ihre Hand und murmelte seine Beileidsbekundung. Frau Bertram, die alte Geschichtslehrerin, Herr Schulte, der Englischlehrer. Sie betrachteten Johanna so missbilligend wie früher, wenn sie wieder einmal keine Hausaufgaben vorzeigen konnte. Die Hinrichsens, denen der benachbarte Hof gehörte, waren zusammen mit einem jungen Mädchen gekommen, vermutlich ihre Tochter. Damals war sie noch ein Baby gewesen. Herr Benzlau, der Anwalt.

Aber die meisten Leute konnte Johanna nicht einordnen. Viele weißlockige Frauen in altmodischen Mänteln und flachen Schuhen. Nonnas Freundinnen? fragte sich Johanna. Sie stellte erschüttert fest, wie wenig sie vom Leben ihrer Großmutter wusste. Dabei hatten sie mindestens einmal in der Woche telefoniert, und alle paar Monate war Nonna für einige Tage zu Besuch nach Hamburg gekommen. Aber wenn Johanna jetzt darüber nachdachte, hatte sie vor allem von sich selbst erzählt.

„Mein herzliches Beileid, Johanna.“ Ein breitkrempiger Hut verdeckte das halbe Gesicht, aber die dunkle Stimme hätte Johanna überall wiedererkannt. Lisa von Starck.

Johanna war überrascht über die Heftigkeit der Wut, die in ihr aufflammte. Damals waren sie gerade achtzehn gewesen, sie hätte erwartet, dass die alten Feindseligkeiten längst vergangen waren. Am liebsten hätte sie die kühle, schmale Hand weggestoßen.

„Danke“, murmelte sie stattdessen.

„Es tut mir ja so leid, Johanna.“ Lisa hatte offenbar nicht vor, so schnell weiterzugehen.

Wie schon früher, wirkte sie auf den ersten Blick atemberaubend, aber das hatte sie vor allem Kleidung und Make-up zu verdanken. Auch heute war sie perfekt zurechtgemacht, bis zu den Spitzen ihrer perfekt manikürten und lackierten Fingernägel.

Ihr Mund war blutrot geschminkt, der schlichte schwarze Mantel und die hochhackigen Schuhe wirkten nicht wie Trauerkleidung, sondern als wäre sie auf dem Weg ins Theater. Ein großer Diamant glänzte über einem goldenen Ring an ihrem Finger. Unwillkürlich glitt Johannas Blick zu dem Mann an ihrer Seite. Ein Fremder. Nicht Jan. Eine Sekunde lang war sie erleichtert, und sie verfluchte sich dafür.

„Wir haben für deine Großmutter getan, was wir konnten“, sagte Lisa und umfasste mit beiden Händen Johannas Hand. Johanna straffte sich. Lisa ließ ihre Hand wieder los. „Aber wir konnten ihr natürlich nur begrenzt helfen, sie war immer so stolz, aber das muss ich dir ja nicht sagen. Du kennst sie schließlich am besten, nicht wahr? Ich bin sicher, du hast selbst alles versucht. Von Hamburg aus.“

Helfen? Wovon zum Teufel redete sie? Aber Johanna hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als sie zu fragen.

Der dunkelhaarige Mann neben Lisa reichte Johanna die Hand. „Mein herzliches Beileid“, sagte er, dann legte er Lisa den Arm um die Schulter und schob sie weiter.

Johanna warf dem Pfarrer einen fragenden Blick zu. „War meine Großmutter denn schon länger krank? Sie hat mir nie etwas erzählt, und der Arzt sagte mir, das Aneurysma wäre ganz überraschend gekommen.“

Pastor Neuberger räusperte sich. „Nein, sie war nicht krank.“

„Sind Sie sicher?“ Sie schüttelte abwesend eine Hand nach der anderen und nickte zu den Beileidsworten.

„Ja, ich habe sie oft besucht.“

„Aber warum … was hat Lisa damit gemeint, dass sie Hilfe gebraucht hätte?“

„Nun ja … Ihre Großmutter war eine stolze Frau, niemand, der sich gern helfen ließ.“

„Wieso denn Hilfe …?“ Johanna brach ab, als sie über die Köpfe der Trauergäste hinweg einen blonden Kopf sah.

Sie musste ein Geräusch ausgestoßen haben, denn der Pfarrer wandte sich ihr zu. Er betrachtete sie besorgt, dann umfasste er stützend ihren Ellbogen.

„Es geht schon, danke“, murmelte Johanna und machte sich los. Als sie wieder aufschaute, war der blonde Mann nicht mehr zu sehen. Aber sie war sicher, dass sie sich nicht geirrt hatte.

Jan. In der Kirche und während der Beisetzung hatte sie ihn nicht entdeckt. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie nach ihm Ausschau gehalten hatte.

Er war zur Beerdigung gekommen. Er hatte ihr kein Beileid bekundet.

Sie bemerkte, dass Pastor Neuberger sie wieder besorgt anschaute, und nickte ihm beruhigend zu. Endlich hatte sie auch dem letzten Trauergast die Hand gedrückt, und der Pfarrer reichte ihr zum Abschied die Hand. Die andere legte er auf Johannas Schulter. „Charlotte wird uns sehr fehlen.“

Das würde sie. Vor allem Johanna. Sie schluckte. „Ich danke Ihnen, Pastor Neuberger.“ Der Pfarrer und ihre Großmutter waren Freunde gewesen. Auch er würde sie vermissen.

„Wenn Sie mit jemandem reden möchten, über Ihre Großmutter … oder wenn Sie einfach nur Trost brauchen … rufen Sie mich an. Oder kommen Sie einfach vorbei. Und ich würde mich freuen, Sie in der Messe zu sehen.“

„Vielen Dank, aber ich werde nicht lange in Eutin bleiben, höchstens ein oder zwei Tage.“ Johanna lächelte noch einmal, dann zog sie ihre Hand zurück und wandte sich ab. Als sie den Parkplatz erreichte, waren die Trauergäste zu ihrer Erleichterung bereits gefahren. Erst jetzt kam ihr der Gedanke, ob die Großmutter sich vielleicht eine anschließende Trauerfeier gewünscht hätte. Aber Johanna hätte nicht einmal gewusst, wen sie einladen sollte.

Immer noch nieselte es, und der mit dunklen Wolken bedeckte Himmel erweckte den Eindruck, dass es schon spät am Abend wäre, dabei war es kaum zwei Uhr mittags. Als Johanna ihren BMW startete, schlug sie ohne nachzudenken den Weg vom evangelischen Friedhof zur Plöner Straße ein.

Viel zu vertraut, dachte sie und versuchte das unbehagliche Gefühl in ihrem Magen zu unterdrücken. Wahrscheinlich hatte sie einfach nur Hunger. Vor ihrer Abfahrt aus Hamburg heute Morgen hatte sie nur eine Tasse Kaffee herunterbekommen.

Leichter Nebel lag über den Wiesen und Feldern, als sie Eutin verließ. Johanna fuhr auf die B76 und wollte gerade das Gaspedal durchtreten, als vor ihr ein Trecker aus einem Feldweg auf die Straße bog und mit zwanzig Stundenkilometern vor ihr blieb.

Sie seufzte. Sie war nicht in der Stimmung, gemütlich über die Straße zu schleichen und die Gegend zu bewundern. Während sie die Landschaft betrachtete, stiegen seit Jahren vergessen geglaubte Gefühle in ihr auf. Aber sie wollte sich nicht erinnern, sie wollte das Ganze einfach nur hinter sich bringen und wieder nach Hamburg fahren, zurück zu ihrem schönen, geordneten Leben.

Sie sehnte sich nach Henning. Zu schade, dass er sie nicht hatte begleiten können. Seine Nähe hätte ihr Kraft gegeben.

Unsinn, ich brauche keinen, ich schaffe es auch allein, dachte sie, trat das Gaspedal durch...


Pfänder, Petra
Petra Pfänder studierte Film-, Fernseh- und Theaterwissenschaften sowie Alt- und Neugermanistik und arbeitete einige Jahre als freie Journalistin für Print, TV und Hörfunk, bevor sie als Übersetzerin und selbstständige Autorin durchstartete. Sie hat zwei Krimis veröffentlicht und schreibt seit vielen Jahren unter Pseudonym Liebesromane. Ihr erster Love & Landscape Roman "Unter dem Vanillemond" ist bei mtb im Januar 2016 erschienen.



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