Eine starke Stimme gegen die Apartheid
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-8062-4801-2
Verlag: wbg Theiss
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dem Autor Jochen Petzold kommt das Verdienst zu, eine bedeutende Lücke zu schließen: Er stellt der Leserschaft von Nadine Gordimers zahlreichen Büchern endlich auch Hintergrundwissen zu ihrem Leben und Werk zur Verfügung. Der Kampf gegen Rassismus und die Apartheid in Südafrika war Nadine Gordimers wichtigstes Thema: Ihr politisches Engagement schlug sich in ihrer Literatur nieder. Diese Werke machen sie bis heute zu einer der berühmtesten Personen Südafrikas.
- Umfassende Biografie über die Literaturnobelpreisträgerin Nadine Gordimer
- Der Autor Jochen Petzold über die Entwicklung von Gordimers politischem Bewusstsein
- Booker Prize und Literaturnobelpreis: Wie die südafrikanische Schriftstellerin zu einer Autorin von Weltrang wurde
- Literatur und Politik in Südafrika: Einfühlsame Darstellung der Wechselwirkungen zwischen Leben und Werk der Schriftstellerin
- Mit zahlreichen detaillierten und sorgfältig recherchierten HintergrundinformationenWie die Rassentrennung in Südafrika sich in Leben und Werk Gordimers widerspiegelt
In ihrer Literatur behandelte die Autorin, was das rassistische System aus den Menschen gemacht hatte – auf beiden Seiten der gespaltenen Gesellschaft. Das Buch zeichnet die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Gordimers persönlichem Werdegang, ihrem literarischen Werk und den gesellschaftspolitischen Entwicklungen in Südafrika nach. Eine mit viel Empathie und Sachkenntnis geschriebene Biographie, die dazu einlädt, diese große Autorin wieder oder neu zu entdecken.
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Vorwort. 7 Kindheit und Jugend. 9 Die 1940er: Gordimer wird flügge. 29 Die 1950er: Familiengründungen und wachsender. 46 Die 1960er: Zunehmende politische Radikalisierung. 87 Die 1970er: Wachsender internationaler Erfolg. 110 Die 1980er: Leben und Schreiben im Ausnahmezustand. 153 Die 1990er: Politisches Wunder und literarische Krönung. 208 Das neue Jahrtausend: Der 'Regenbogen' verblasst. 262 Nachwort. 310 Anmerkungen. 314 Literaturverzeichnis. 317 Primärliteratur: Texte von Nadine Gordimer. 317 Sekundärliteratur. 319 Danksagung. 325 Register. 326
Kindheit und Jugend
Die am 20. November 1923 geborene Nadine Gordimer wuchs in der Kleinstadt Springs nahe Johannesburg auf. Ihre Eltern waren ein ungleiches Paar, das sich auch nicht sonderlich gut verstand. Bald entdeckte die junge Gordimer das Schreiben für sich, und früh erkannte sie auch die rassistische Ungerechtigkeit des südafrikanischen Gesellschaftssystems. Europäische Wurzeln
Nadine Gordimers Familiengeschichte ist eine Einwanderergeschichte. Das ist nicht verwunderlich, denn alle Familiengeschichten weißer Südafrikaner beginnen mit der Emigration nach Afrika. Da der koloniale Landraub an der Südspitze des Kontinents aber bereits Mitte des 17. Jahrhunderts begonnen hatte, gibt es weiße Familien – insbesondere unter den Afrikaans sprechenden Nachfahren niederländischer Einwanderer, den Afrikaanern –, die bereits seit vielen Generationen im heutigen Südafrika leben. Nicht so die Gordimers: Nadines Eltern lebten als Kinder noch in Europa. Doch obwohl beide Elternteile jüdischen Familien entstammten, waren ihre Wege nach Südafrika sehr unterschiedlich. Nadines Vater, Isidore Gordimer, wurde 1887 in Žagare geboren, einem litauischen Dorf unmittelbar an der Grenze zu Lettland. Der Ort lag im Ansiedlungsrayon, dem westlichen Teil des Russischen Kaiserreichs, in dem Juden eingeschränktes Wohn- und Arbeitsrecht hatten. Isidores Vater arbeitete im etwa 100 Kilometer entfernten Riga, wohl als Angestellter einer Reederei. Viel ist nicht bekannt über Nadine Gordimers Großeltern väterlicherseits, sie selbst hat sie nie gesehen und auch nicht oft mit ihrem Vater über seine Familie gesprochen. Es waren wohl eher einfache Verhältnisse in dem kleinen Dorf, in dem es für die jüdischen Kinder keine weiterführende Schule gab. Dort lernte Isidore das Uhrmacherhandwerk, oder begann zumindest mit einer Lehre, denn ob er diese formal abschließen konnte, ist nicht überliefert. Unstrittig ist, dass die jüdische Bevölkerung im zaristischen Russland und auch im Ansiedlungsrayon unterdrückt und schikaniert wurde. Insbesondere in den Wirren nach dem Attentat auf Zar Alexander II im Jahr 1881, für das fälschlich Juden verantwortlich gemacht wurden, kam es zu ausgedehnten Pogromen, die über die nächsten Jahrzehnte zahlreiche Juden in die Emigration trieben. Die ganze Familie wollte oder konnte nicht auswandern, und so wurde Isidore allein auf die weite Reise nach Südafrika geschickt. Aber war er da wirklich erst 13 Jahre alt, wie Nadine Gordimer in Interviews immer wieder sagte? Zweifel sind angebracht, nicht zuletzt aufgrund der politischen Situation: Seit 1899 herrschte im südlichen Afrika Krieg. Aus britischer Sicht war es der zweite Burenkrieg (einen ersten Krieg zwischen der britischen Kolonialmacht und einer Kolonie der Buren hatte es 1881 gegeben), aus Sicht der Afrikaaner der zweite Unabhängigkeitskrieg. Eine große Anzahl Afrikaans sprechender Buren (das Wort bedeutet Bauern) hatten die britische Kapkolonie in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Great Trek nach Norden und Osten verlassen, um außerhalb der britischen Einflusssphäre unabhängige Republiken zu gründen. Die so entstandene Republik Natal am Indischen Ozean war bereits 1843 von den Briten annektiert worden, doch der Oranje Freistaat und die Südafrikanische Republik (auch als Transvaal bekannt), nordöstlich der Kapkolonie im Landesinneren gelegen, blieben zunächst unabhängig. Als jedoch in den 1890er-Jahren im Witwatersrand, der Region um Johannesburg in der Südafrikanischen Republik, reiche Goldadern entdeckt wurden, befeuerte dies britische Begehrlichkeiten. Cecil Rhodes, der damalige Premierminister in der britischen Kapkolonie, träumte schon lange von einer Eisenbahnlinie vom Kap bis Kairo, die zur Gänze durch britische Kolonien führen sollte. Diese Pläne vor Augen unterstützte er einen Umsturzversuch im Transvaal, um die Kolonie unter britische Kontrolle zu bringen. Der sogenannte Jameson Raid scheiterte zwar, doch gegen Ende des Jahrhunderts spitzte sich die Lage weiter zu, und um einem Einmarsch britischer Soldaten zuvorzukommen, griffen die Truppen der Afrikaaner die Kapkolonie und Natal an. Nach anfänglichen Erfolgen wurden sie schließlich von der Macht des British Empire überrollt, und Paul Kruger, Präsident der Südafrikanischen Republik, floh ins Exil. Nach gut einem Kriegsjahr, im Dezember 1900, annektierte Großbritannien offiziell die beiden vormals unabhängigen Burenrepubliken Oranje-Freistaat und Südafrikanische Republik, doch der Krieg war damit noch lange nicht beendet. Die Afrikaaner verlegten sich auf eine Guerilla-Kriegsführung mit kleinen, hochgradig mobilen Kommandos, und die britische Seite reagierte mit einer brutalen Taktik der verbrannten Erde: In den annektierten Burenrepubliken wurden mehr als 30.000 Höfe von Afrikaanern und Schwarzen zerstört und die Felder verwüstet. Die auf den Farmen zurückgebliebenen Afrikaaner – zumeist Alte, Frauen und Kinder – wurden in Konzentrationslagern interniert, und fast 28.000 weiße Zivilisten starben in den Lagern, durch Mangelernährung geschwächt, an verschiedenen Krankheiten. Die Zahl der Opfer innerhalb der schwarzen Bevölkerung wurde nicht dokumentiert, Schätzungen gehen von bis zu 20.000 Toten aus. Erst am 31. Mai 1902 endete der Krieg, der insgesamt annähernd 100.000 Menschen das Leben gekostet hatte. Die Kriegsgräuel vergifteten noch über Jahrzehnte hinweg das Verhältnis der zwei weißen Bevölkerungsgruppen, den Afrikaanern und den englischsprachigen Südafrikanern. Es ist nicht unmöglich, dass ein dreizehnjähriger Junge in dieser Zeit in die Gegend von Johannesburg einwanderte, aber ist es wahrscheinlich? Isidore Gordimer selbst hat 1954 der Lokalzeitung Springs and Brakpan Advertiser ein Interview gegeben, von dem Gordimers Biograf Ronald Roberts berichtet. Demnach ist Isidore zwar allein gereist, aber erst im Alter von 18 Jahren, also um 1905, als sich die politische Situation beruhigt hatte. Zudem ist er einem älteren Bruder gefolgt, der sich bereits 1896 in der kleinen Bergarbeiterstadt Springs als Juwelier und Uhrmacher niedergelassen hatte. Wenn diese Variante stimmt, dann musste sich Isidore also nicht ganz allein durchschlagen, und wenn er in den ersten Jahren mit dem Fahrrad unterwegs war, um den Minenarbeitern in den Kohlegruben Uhren zu verkaufen, wie Gordimer berichtet, so tat er dies wohl im Auftrag seines Bruders. Dieser kehrte wenig später in die alte Heimat zurück und überließ Isidore die Geschäfte. Kurz darauf wurde in Springs Gold entdeckt, was den wirtschaftlichen Erfolg des jungen Einwanderers, der bei seiner Ankunft so gut wie kein Englisch und gar kein Afrikaans sprechen konnte, sicher maßgeblich unterstützte. Jedenfalls etablierte sich Isidore als Geschäftsmann und konnte das Fahrrad gegen eine Kutsche tauschen. Diesem äußeren Zeichen seines Erfolgs folgte schon bald die Aufnahme in die örtliche Freimaurerloge. Auch Nadine Gordimers Mutter, Hannah (genannt Nan) Myers, war nicht in Südafrika geboren worden. Sie musste sich allerdings nicht allein auf die Reise in das unbekannte, ferne Land machen, Hannah kam als neunjähriges Mädchen mit ihren Eltern nach Johannesburg. In Interviews stellt Gordimer ihren Großvater mütterlicherseits als echten Abenteurer dar. Tatsächlich war Mark Myers schon in den 1880er-Jahren, zur Zeit des Diamantenfiebers, zusammen mit zwei Brüdern von England in die Kapkolonie gekommen, um in der Region um das heutige Kimberley nach Diamanten zu graben. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits mit Nadines Großmutter Phoebe verheiratet, die jedoch zunächst in England zurückblieb. Phoebe hatte als junge Frau zusammen mit ihrer Schwester in London im Buckingham Palace gearbeitet. Dort war sie für das Kämmen der Federn zuständig gewesen – der erste symbolische Kontakt mit ihrer zukünftigen Heimat, denn Straußenfedern aus Südafrika waren in den 1880er-Jahren in England ausgesprochen beliebt und sicher Teil der königlichen Garderobe. Als Diamantengräber war Mark Myers wohl nicht sonderlich erfolgreich, und es ist unklar, was aus seinen Brüdern wurde. Mark verdiente schließlich sein Geld als Aktienhändler an der Börse in Johannesburg. Auch dieser Teil von Nadine Gordimers Familiengeschichte ist nicht wirklich gut dokumentiert, aber es ist klar, dass Mark Myers zumindest einmal, vielleicht auch mehrmals, zu seiner Ehefrau nach London zurückgekehrt sein muss, denn dort wurde Hannah 1897 geboren. Vielleicht hatte Mark Myers die Kriegsjahre ebenfalls nicht in Südafrika zugebracht, jedenfalls kamen seine Ehefrau und Tochter erst 1906 nach Johannesburg. Eine Ehe mit Gegensätzen
Nadine Gordimers Eltern kamen also aus sehr unterschiedlichen Familien und sehr unterschiedlichen Kulturkreisen. Auch wenn beide formal jüdischen Glaubens waren, lieferte das wohl keine gemeinsame Basis. Während Isidore orthodox erzogen worden war, spielte Religion für Hannahs Eltern keine große Rolle, und sie selbst war nach den Worten ihrer Tochter zwar nicht unbedingt eine Atheistin, ging aber nie in die Synagoge. Isidore entstammte eher einfachen Verhältnissen, Hannah dagegen war in einem Haushalt...