Pethes / Schicktanz | Sexualität als Experiment | Buch | 978-3-593-38608-9 | sack.de

Buch, Deutsch, 417 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 512 g

Pethes / Schicktanz

Sexualität als Experiment

Identität, Lust und Reproduktion zwischen Science und Fiction

Buch, Deutsch, 417 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 512 g

ISBN: 978-3-593-38608-9
Verlag: Campus


Seit knapp 100 Jahren gibt es Versuche, die geschlechtliche Identität operativ zu ändern. Embryos werden heute selbstverständlich künstlich erzeugt, oft auch außerhalb der Gebärmutter. Science-Fiction-Filme werden von androgynen Cyborgs bevölkert, die plötzlich eine geschlechtliche Identität entwickeln. Experimente um und mit Sexualität sind allgegenwärtig in Wissenschaft und populärer Kultur. In diesem Band wird untersucht, warum das so ist und was dies über unsere moderne Kultur und Gesellschaft verrät.
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Weitere Infos & Material


Zwischen Experiment und Imagination:
Sexualität als Schlüssel zum Verständnis von Politik, Ethik und Kultur der modernen Lebenswissenschaften
Nicolas Pethes/Silke Schicktanz

Identität und Differenz

Identität und Differenz:
Zur Diskursgeschichte der Sexualität zu Beginn des 21. Jahrhunderts
Heiko Stoff

Geschlecht als Option:
Selbstversuche und medizinische Experimente zur Geschlechtsumwandlung im frühen 20. Jahrhundert
Rainer Herrn

Die experimentelle Formierung von gender zwischen Erziehung und Biologie: Der John/Joan-Fall
Ulrike Klöppel

Politik der Befreiung, Kulturen der Anpassung:

Die Suche nach Authentizität in der amerikanischen Homosexuellenbewegung
Steven Seidman/Chet Meeks

Transsexualität in der Literatur:
Tomboys, Kröten, Kings und Queens zwischen 1880 und 2000
Annette Keck

Der Geschlechtercode der Science Fiction:
Identität und Transformation des Cyborg in Star Trek
Uta Scheer

Lust und Moral

Lust und Moral:
Zur Alltagsgeschichte der Sexualität seit der Frühen Neuzeit
Antje Flüchter

Experimentelle Therapie:
Die Halban-Narjani-Operation zur Behandlung der Frigidität
Marion A. Hulverscheidt

Soziale Regulierungen von Sexualität:
Legitimitätsstrategien und ihre gesellschaftlichen Kosten
Milton Diamond

Moralisierungsversuche:
Grenzen des ethischen Diskurses über Sexualität
Regina Ammicht Quinn

Körper, Ethik, Experiment:

Überlegungen zur ethischen Relevanz des Unverfügbaren imErleben von Lust und Schmerz
Julia Dietrich

Die Produktivität der Pornographie:
Visualisierung und Therapeutisierung der Sexualität nach 1968
Pascal Eitler

Entsexualisierung:
Der posthumane Körper in Kunst und Medien
Annette Jael Lehmann

III. Reproduktion und Genealogie

Reproduktion und Genealogie:
Zum Diskurs über die biologische Substanz
Caroline Arni

Labor-Reproduktion:
Die Identität des Embryos zwischen Natur, Technik und Politik
Barbara Orland

Fortpflanzungsmedizin ohne Sexualität als gesellschaftliche Irritation:
Diskurse über "Jungfrauen-Geburten"
Eva-Maria Knoll

Die Aufgabe des Sexus:
Sexualität als Ennui und Reproduktionsmedizin als Erlösung in Michel Houellebecqs Roman Elementarteilchen
Jörn Ahrens

Die Medialität pflanzlicher Reproduktion im Science Fiction-Film
Nicole C. Karafyllis

Wissenschaft als Spektakel:
Die Suche nach dem jüdischen Gen im Dokumentarfilm
Deborah L. Steinberg

Autorinnen und Autoren


Eine der bemerkenswerten, systematisch aber kaum aufgearbeiteten Auffälligkeiten der gegenwärtigen Wissenschaftslandschaft ist die Schlüsselrolle, die der Sexualität sowohl in den Lebens- als auch in den Kulturwissenschaften zukommt. Auf der Seite der Lebenswissenschaften steht die immer weiter wachsende Präzision medizinischer Untersuchungsmethoden und Eingriffsmöglichkeiten, die auf die organischen, genetischen und reproduktionsbiologischen Aspekte menschlicher Sexualität bezogen sind. Diese lassen für das 21. Jahrhundert eine fundamentale Modifikation ihrer Funktion und Rolle erwarten: die Ausweitung der Entkopplung der Sexualität von der Reproduktion bzw. der Entkopplung der Reproduktion von der Sexualität (Lenz/Mense/Ullrich 2004); die Infragestellung der Dominanz eines heterosexuellen Sexualitätsbegriffs (Jackson 1999); und die Entstehung von "Neosexualitäten" (Sigusch 2004). Auf Seite der Kulturwissenschaften ist Sexualität zunächst in Gestalt ihrer Aufwertung zur Schlüsselinstanz von Identitätsstrukturen in der Psychoanalyse (Bohleber 1998; Sigusch 2005), dann durch die diskurshistorische Identifizierung intimer Geständnisse als Ansatzpunkte moderner Kontrolltechniken des Subjekts (Foucault 1977) sowie schließlich und vor allem durch die Debatte über die soziale und diskursive Geformtheit von Geschlechterrollen in ihrem Verhältnis zur Materialität und Performativität des Körpers (Butler 1997) zur zentralen Referenz geworden.

Dieser simultane Bedeutungsgewinn der Sexualität in unterschiedlichen Wissenskulturen erlaubt es, bei ihrer Untersuchung lebens- und kulturwissenschaftliche Fragestellungen gemeinsam in den Blick zu nehmen. Dabei kann auf drei zentrale Forschungsfelder Bezug genommen werden, die auf einer entsprechenden interdisziplinären Verknüpfung beruhen: Analysen zu Biopolitik, Bioethik und Gender Studies. Die Analyse der modernen Biopolitik betrachtet die Erforschung der sexuellen Reproduktion seit dem 19. Jahrhundert im Dienste einer (gesamt-)gesellschaftlichen Kontrolle des Lebens. Indem politische Macht an der Produktion von Leben interessiert ist, gründet sie auf der Instrumentalisierung sexualwissenschaftlichen Wissens (Bergengrün/Lehmann/Thüring 2005). Bioethische Argumente stellen in diesem Zusammenhang die Frage nach Möglichkeiten und Grenzen der medizinischen Forschung, indem sie sie mit dem historisch gewachsenen Werte- und Normensystem der Gesellschaft konfrontieren. Schwangerschaftsabbruch und test tube babies waren dabei in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Pionierthemen für eine inzwischen internationalisierte und thematisch wie disziplinär ausdifferenzierte Debatte (z.B. Viescher 1973, Singer/Walter 1982): Bioethik ist zu einer interdisziplinären ›Disziplin‹ geworden (Engels 1999), die sich gleichermaßen systematischen Problembeschreibungen, der Analyse und Kohärenzprüfung normativer Theorien und Begriffe sowie der eigentlich ethischen Bewertung und Handlungsempfehlung widmet und sich in ihrer historischen Entwicklung zwischen wissenschaftlicher Disziplin und politisch-öffentlichem Diskurs verorten lässt (Schicktanz 2005).

In dieser Vermittlungsleistung stehen bioethische Debatten auch in Zusammenhang mit philosophischen und kulturhistorischen Fragestellungen nach der Konstruktion von Geschlechtern, Geschlechterrollen und Geschlechteridentitäten. Diese Gender Studies leiten sich aber weder aus empirischen Beobachtungen noch aus normativen Wertungen, sondern aus den historischen Diskursen über Sexualität her. Zu diesen Diskursen gehören maßgeblich auch diejenigen Erzählungen und Ikonisierungen, die in Literatur und Medien die gesellschaftlichen Vorstellungen von Sexualität nicht nur abbilden, sondern mitprägen. Die Attraktivität der Sexualität ist dabei vor allem in der Populärkultur festzustellen, die aber in den letzten Jahren zunehmend seltener von Sexidolen oder Pornographie und immer mehr von den vergleichsweise abstrakteren Fortschritten in der Humangenetik ausgeht (Nelkin/Lindee 1995; Bergermann/Breger/Nusser 2002). Umso mehr erweisen sich Literatur und Populärkultur aber mit biopolitischen Visionen und bioethischen Argumenten verbunden: Vergleicht man beispielsweise die Rhetorik revolutionärer Neuentdeckung in der Reproduktionsbiologie, Schemata wie das so genannte "slippery slope"- oder "Dammbruch"-Argument in bioethischen Technikfolgeabschätzungen (vgl. z.B. Guckes 1997) und apokalyptische Visionen einer posthumanen Erdbevölkerung in der Science Fiction-Literatur, so wird deutlich, dass Diskursen über Sexualität in allen angesprochenen Feldern ein Entwurfcharakter zukommt. Die jeweiligen Entwürfe werden in den Biowissenschaften, in der Bioethik sowie in fiktionalen Erzählungen oder medialen Ikonisierungen empirisch, argumentativ oder imaginär erprobt. Hieraus ergeben sich die vielfältigen Überschneidungen, die Sexualität als zentrale Referenz in biomedizinischer Praxis, sozial- und individualethischen Diskursen und kulturellen Deutungsmustern - und mithin im Schnittfeld von science, society und fiction - kenntlich machen.


Nicolas Pethes ist Professor für Europäische Literatur und Mediengeschichte an der FernUniversität Hagen. Silke Schicktanz ist Juniorprofessorin für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Universität Göttingen.


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