E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Reihe: Piper Schicksalsvoll
Peter Fortunas Rache
17001. Auflage 2017
ISBN: 978-3-492-98355-6
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Historischer Roman
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Reihe: Piper Schicksalsvoll
ISBN: 978-3-492-98355-6
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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KAPITEL I
Ab Urbe Condita 1012 (260 n. Chr.)
Alle einschlägigen Philosophen sind sich in dem Punkt einig, dass das Fatum, unser aller Schicksal, manche Menschen dazu auserkoren hat, meist auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen, während andere dazu bestimmt sind, immer wieder in wichtigen Dingen zu versagen.
Natürlich kann ich nicht nachweisen, ob diese Aussage tatsächlich auf alle Menschen zutrifft. Wenn ich mich jedoch selbst betrachte, könnte da durchaus was dran sein. Mein Fatum zumindest scheint sich gerade wieder bemüßigt zu fühlen, mich daran zu erinnern, unter welchem Stern ich gemeinhin stehe und dass ich meist selbst ganz kräftig an diesem zweifelhaften Glück geschmiedet habe.
Und bisweilen trifft mich diese Erkenntnis wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
»Dacht ich’s mir doch!«
Bevor ich die Bedeutung dieser Worte verstehen konnte, packte mich eine Hand am Arm und riss mich herum.
Die Zähne zusammenbeißend blickte ich in das bullige Gesicht des Aufsehers Celsus, das vor Freude oder Trunksucht gerötet war. Ich versuchte mich loszureißen, doch sein Griff hielt mich fest wie eine Eisenklammer.
»Elende kleine Diebin!« Sein Atem roch unangenehm, und seine wässrigen, geröteten Augen durchbohrten mich.
Verkrampft hielt ich den Atem an. Ein warnendes Ziehen kroch meine Wirbelsäule hinauf. Die große Bibliothek, fast bis zur Decke mit Regalen vollgestopft, in denen sich sorgfältig etikettierte Schriftrollen stapelten, wurde von der blassen Sonne durch?utet. Staubkörner tanzten im schräg hereinfallenden Licht. Ich hatte noch immer den Wischlappen in der Hand.
Mit seiner grobschlächtigen Pranke packte Celsus meinen anderen Arm und bog mein Handgelenk herum, bis die Knochen knackten und ich den Lappen fallen ließ.
Glaubte er etwa, der sei auch gestohlen?
»Au!« Schmerzhaft wand ich mich unter seinem Griff. »Lass mich los! Ich mache hier sauber. Siehst du das nicht?«
Sein herablassendes Grinsen traf mich wie ein Schlag. »Das könnte dir so passen. Ausgerechnet du!« Seine großporige Nase kam näher. »So, so? Also die Made im Speck!«
Ich weiß nicht, wie er es fertigbringt, gleichzeitig so selbstzufrieden und so bedrohlich zu klingen.
Wütend versuchte ich mich loszureißen, doch er hielt mich mit eisernem Griff fest. Am nächsten Tag würde ich überall, wo er mit seinen dicken Fingern zugedrückt hatte, blaue Flecken haben.
»Was hast du hier gesucht, eh?« Er packte mich an den Schultern und schüttelte mich, als sei ich selbst ein Putzlappen. »Du kannst mir nichts vormachen, ich hab’s genau gesehen!«
Mein Kopf schlug hart gegen das Regal. Eine Schriftrolle fiel aus meiner Tunica und landete direkt vor seinen Füßen.
»Aha!«, meinte er.
Leugnen war zwecklos, so viel zumindest war jetzt sicher.
Mit einem beinahe triumphierenden Gesichtsausdruck bückte er sich, hob das Corpus Delicti auf und hielt es mir direkt vor die Nase.
»Und was ist das?«
Wenn du lesen könntest, wüsstest du’s, schoss es mir durch den Kopf.
»Senecas Briefe!«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Sein Griff begann allmählich richtig wehzutun.
»Aha, und wer hat dir erlaubt, fremde Post zu lesen?« Hohlkopf! Trotz meiner bescheidenen Lage hätte ich beinahe gelacht und ihn darüber aufgeklärt, dass der alte Seneca keinesfalls der Brieffreund des Dominus sein konnte.
Ich schwieg. War wahrscheinlich besser so.
»Du hast also wirklich gar nichts dazugelernt? In all den Monaten!« Abfällig blies er mir seinen Atem ins Gesicht. Die ganze Situation wurde langsam ungemütlich. »Und weshalb? Ist das, was dieser Senoca deinem Herrn mitzuteilen hat, etwa zwanzig Rutenstreiche wert, he?«
»Seneca!«, brachte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Dumm wie Bohnenstroh, aber Aufseher!
»Was hast du dir dabei gedacht?« Sein Gesicht wurde noch eine Spur roter. Es musste ihn furchtbar beunruhigen, gewisse Dinge einfach nicht verstehen zu können.
»Na? Was denn?«
Gar nichts hatte ich dabei gedacht. Es hätte auch niemand einen Schaden davongetragen, wenn er nicht überall seine aufgequollene Nase reinstecken müsste.
»Dann komm mal mit!«
Wie ein wertloses Beutestück packte er mich an meiner Tunica und stieß mich vor sich her. Etwas in meinem Hinterkopf sagte mir, dass ich mich mal wieder selbst in diese Lage manövriert hatte. Zornig brachte ich diese Stimmen zum Schweigen, während ich versuchte, nicht die Kellertreppe hinunterzustürzen. Celsus’ Griff hielt mich fest. Vor einer schweren Eichentür blieb er stehen. Wichtigtuerisch klapperte er mit dem Schlüsselbund und sperrte schließlich auf.
Das Ergastulum! Oder wie auch immer man hierzulande die Bestrafungszelle für Sklaven nennen mochte. Die Luft war zum Schneiden. Ein allzu bekannter Geruch schlug mir entgegen. Unwillkürlich versteifte ich mich, und ein An?ug von Panik ?ackerte in mir auf.
Celsus stieß mich nach vorne. Unsanft landete ich auf dem Boden, verbiss mir aber den Schmerz. Ich presste auch noch meine Zähne zusammen, als er mit seinen Wurstfingern an den in die Wand eingelassenen Ketten herumfingerte und sie an meinen Handgelenken befestigte. Das war vollkommen über?üssig! Von hier konnte man nicht ?iehen. Das wusste ich aus Erfahrung.
»Hier kannst du dich schon einmal in Geduld üben und beten, dass der Vilicus nicht auch noch die zwanzig Hiebe für angemessen hält!«
Böse starrte ich ihn an, rührte mich aber nicht. Manchmal soll Schweigen ja Gold sein.
Er wirkte geradezu erfreut, als er sich aufrichtete und zur Tür ging. »Oh! Arma virumque cano …«
Von Waffen will ich singen und dem Mann … Das war wohl der einzige Vers, den dieser Holzkopf kannte.
Mit einem lauten Krachen fiel die Tür ins Schloss.
Er hätte sich nicht über Vergils Aeneis lustig machen dürfen, der Trottel.
Von mir aus über Catull oder Ovid mit ihren kitschigen Liebesgedichten, doch nicht über Vergil! Vergil ist ein Dichter, der sich nicht mit verlogenen Seichtigkeiten abgibt. In seiner Aeneis schreibt er über eine verlorene Heimat, die Suche nach Familie und Identität. Und das ist etwas, über das man nicht scherzen sollte.
Davon könnte ich selbst ein Lied singen, obwohl ich nicht einmal behaupten kann, dass ich nach Heimat oder Familie suchte. Ich besitze weder das eine noch das andere. Deshalb vermisse ich beides wohl mehr als jeder andere, für den dies alles eine Selbstverständlichkeit bedeutet.
Natürlich gehöre ich im rechtlichen Sinne zur Familia meines Herrn, des Legatus, wie der Statthalter hierzulande heißt. Seit etwa vier Monaten bin ich nun Teil seines Hauses, des Ersten Hauses der Stadt, wie es so stolz heißt. Aber offenbar weiß hier niemand so recht, wohin man mich stecken soll.
Sicher, ich kann lesen, schreiben und eigenständig denken. Neben Latein spreche ich natürlich ?ießend den belgisch-keltischen Dialekt der Gegend, wenn auch mit einem Akzent, dem meine in Divodurum Mediomatricorum verbrachte Kindheit deutlich anzuhören ist. Außerdem verstehe ich sogar ganz leidlich Griechisch und habe zudem eine Menge germanischer Schimpfwörter von ein paar Stallburschen aufgeschnappt.
Aufgrund meiner Bildung hätte ich es hier im Haus durchaus zu etwas bringen können. Doch mit meinem schlechten Ruf war das nicht möglich. Ich möchte gar nicht wissen, welche Charaktermängel man sich über mich bereits notiert hatte. »Vorlaut, unzuverlässig, verlogen« und, um all dem die Krone aufzusetzen, »musste öfter wegen Diebstahls bestraft werden«.
Dabei stehle ich nicht wirklich. Ich gehöre nicht zu den Sklaven, die es sich zur Gewohnheit gemacht haben, die besten Teile aus der Küche mitgehen zu lassen, um damit ihren persönlichen Speiseplan aufzustocken, auch auf die Gefahr hin, dass ein anderer den Verlust ausbaden muss. Auch habe ich noch nie irgendwelche Wertgegenstände wie Schmuck oder Tafelsilber eingesteckt.
Meine Schwäche sind nun einmal die alten Dichter und – was noch verführerischer ist – die großen Philosophen mit ihren Reden über Würde und Größe der Seele. Ich glaube, ohne diese Körnchen geistiger Nahrung wäre ich schon längst verrückt geworden. Und um an die philosophischen Werke ranzukommen, muss ich mir eben hin und wieder ein paar Schriftrollen ausborgen, mich in der geringen Freizeit dann in irgendeine Ecke verdrücken und sie in aller Ruhe studieren. ...




