Penny | Der graue Wolf | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 19, 544 Seiten

Reihe: Ein Fall für Gamache

Penny Der graue Wolf

Der 19. Fall für Gamache
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-311-70578-9
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Der 19. Fall für Gamache

E-Book, Deutsch, Band 19, 544 Seiten

Reihe: Ein Fall für Gamache

ISBN: 978-3-311-70578-9
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das permanente Klingeln des Telefons stört die Ruhe des Augustmorgens, den Armand Gamache und seine Frau in ihrem Garten in Three Pines genießen wollen. Der Leiter der Mordkommission hat viel Schlimmes gesehen, zu viel. Zeit mit der Familie bedeutet ihm alles. Reine-Marie beobachtet mit wachsendem Unbehagen die Sorgenfalten auf Gamaches Stirn, der damit hadert, die Anrufe entgegenzunehmen. Und weitere besorgniserregende Zwischenfälle folgen: Die Alarmanlage ihres Hauses in Montréal geht los, ein anonymes Paket erreicht die Sûreté du Québec, ein Zettel mit der Aufschrift Das könnte Sie interessieren gibt Rätsel auf. Und dann ein Mord! Chief Inspector Gamache, Jean-Guy Beauvoir und Isabelle Lacoste begreifen: Hier droht etwas weitaus Unheilvolleres als ein einzelner Todesfall – Millionen von Menschen, ganz Montréal könnte in Gefahr schweben. Das Team ist fest entschlossen, den Plan ihrer Gegenspieler zu vereiteln. Doch mit wem haben sie es überhaupt zu tun? Mit Terroristen, mit politischen Akteuren – oder gar mit einem Feind aus den eigenen Reihen? Ihre Ermittlungen führen sie bis in den Vatikan und in eine ferne Abtei.

Penny Der graue Wolf jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


1


Das Handy klingelte. Schon wieder.

Es war das vierte Mal in acht Minuten.

Jedes Mal dieselbe Nummer. Jedes Mal vom Leiter der Mordkommission der Sûreté du Québec ignoriert. In der Hoffnung, dass es sich von selbst erledigte.

Aber wie meistens, wenn man etwas ignorierte, wurde es nur schlimmer.

Schon das erste Klingeln hatte den friedlichen Sonntagmorgen Mitte August im Garten der Gamaches in dem Québecer Dörfchen Three Pines nachhaltig gestört. Es unterbrach Gamaches Gedankengänge, als er auf der Natursteinterrasse saß, zerstreut die Croissantkrümel von seinem Hemd wischte und hin und wieder einen Schluck von dem starken Café au Lait trank.

Während Reine-Marie ihren Zeitungsteil las, lag sein zusammengefalteter Teil als Krümelfänger auf seinem Schoß und wurde langsam warm. Er hielt das Gesicht in die Sonne und atmete tief die spätsommerliche Luft ein. Dann betrachtete er die hin und her schaukelnden Schwarzäugigen Susannen, Prunkwinden, Wicken und die dunkellila Clematis Jackmanii Superba, die den Zaun entlangkletterten, der ihr Grundstück von dem der verrückten Dichterin abgrenzte.

Es war eine hübsche, aber nutzlose Barriere. Echten Schutz würde nur Stacheldraht bringen.

Die eigentliche Bedrohung war die Ente. Zum Glück schien Rosa vergessen zu haben, dass sie fliegen konnte. Oder hatte einfach keine Lust dazu, was wahrscheinlicher war.

Nachdem sie die Zeitung gelesen beziehungsweise nicht gelesen hatten, spazierten sie mit ihren Bechern in der Hand über den tauschimmernden Rasen, vorbei an dem riesigen Ahornbaum mit der Schaukel für die Enkel, und blieben hin und wieder stehen, um die Staudenbeete zu betrachten, bis sie an ihrer Grundstücksgrenze ankamen, wo der Rest der Welt anfing.

Das war das Sonntagsritual der Gamaches. In einem so unvorhersehbaren Leben gab es ihnen Sicherheit. Selbst wenn es nur für einen Moment war.

Schließlich bestand das Leben aus lauter kleinen Entscheidungen. Wie in einem pointillistischen Gemälde kam es nicht auf den einen Punkt, die eine Entscheidung an. Aber wenn man alle zusammen betrachtete, entstand ein Bild. Ein Leben.

Wo man lebte, wo man saß. Was man aß, trank, anzog. Ob man den Rasen mähte oder ihn zu einer Wiese wachsen ließ. Was man sagte und, vielleicht noch wichtiger, was man nicht sagte.

Welchen Beruf man ergriff. Welcher Berufung man folgte.

Welchem Ruf.

Armand Gamache kehrte zurück zu der Terrasse, deren Pflaster warm von der Sonne war, streckte die Beine aus, lehnte sich zurück, schloss die Augen und dachte an … nichts. Sein Kopf war herrlich leer.

Welch eine Ruhe. Wie leicht zu stören.

Als es das erste Mal geklingelt hatte, hatte Gamache nach dem Handy gegriffen, um den Anruf entgegenzunehmen. Schließlich ging er unter seiner Privatnummer ein. Die kannten nur Freunde und Familienangehörige.

Aber sein Finger hielt inne, bevor er über das Display wischte.

Dann legte er das Handy langsam zurück auf den Tisch, kniff die Augen zusammen, und als es weiterklingelte, sah er einfach geradeaus. Sah nicht mehr den Garten. Genauso wenig hörte er noch die Vögel und Grillen, die es schafften, sowohl penetrant als auch beruhigend zu klingen.

Alles ging in dem Klingeln unter. Außer diesem Klingeln nahm er nichts mehr wahr.

Reine-Marie ließ die Zeitung ein kleines Stück sinken. Gerade genug, um erst ihren Ehemann anzublicken, dann das Handy. Sie konnte die Nummer nicht erkennen, aber sie bemerkte die tiefen Falten um Armands Augen und seinen Mund.

Er war mittlerweile Ende fünfzig, und sein glatt rasiertes, wettergegerbtes Gesicht war zerknittert. Das rührte von den Jahrzehnten her, die er auf verschneiten Feldern, in Wäldern, an den felsigen Ufern winddurchfurchter Seen und auf sonnenheißem Asphalt gekniet hatte. Und auf eine Leiche geblickt hatte.

Als Leiter der Mordkommission der Sûreté du Québec hatte Armand Gamache mehr als genug Tote gesehen, die eines gewaltsamen, brutalen, grauenvollen Todes gestorben waren. Eines unnatürlichen Todes.

Und das war der Grund dafür, warum er als Ausgleich zu den Details einer Autopsie das Summen von Bienen und das Zirpen von Grillen genoss. Um den Bericht eines seiner Agents über einen Mord einen Moment lang beiseitezuschieben, lauschte er dem Rauschen des Windes im Wald und sog den intensiven Geruch des Herbstlaubs ein. Das war Balsam für seine Seele.

Deshalb bedeuteten ein Zuhause, eine Familie und ein friedlicher Sonntag im Garten so viel. Ihm. Ihnen.

Seine gewellten Haare waren fast vollständig ergraut. An den Ohren und am Kragen lockten sie sich. Er bräuchte mal wieder einen Haarschnitt, dachte Reine-Marie.

Er war groß, über ein Meter achtzig, und kräftig gebaut. Jemand, der ihn nicht kannte, würde ihn eher für einen Geschichtsprofessor halten als für einen Mann, der Mörder jagte.

Das Klingeln dauerte an. Und die Falten in seinem Gesicht wurden zu Furchen.

Er hätte den Anruf wegdrücken können, das wusste sie. Aber er tat es nicht. Er hätte das Handy ausstellen können. Aber er tat es nicht. Stattdessen ließ er es klingeln. Und klingeln. Und sah dabei in die Ferne.

Schließlich hörte es auf.

»Falsche Nummer?«, fragte sie.

Er sah sie an. »Nein. Falscher Anrufer.«

Der versehentlich angerufen hatte, dachte er. Passierte ja leicht. War ihm auch schon passiert.

Ja. Das musste es sein. Ein Versehen. Er war eigentlich gar nicht gemeint.

Reine-Marie hob eine Augenbraue, beließ es jedoch dabei.

Und dann lächelte er sie an. Was seine Falten noch tiefer machte und sie daran erinnerte, dass einige der Linien in seinem Gesicht zwar von Schmerz und Leid, von Anstrengung und Trauer herrührten, die tiefsten Falten aber einen anderen Ursprung hatten. Nämlich sein Lächeln. Wie die Linien auf einer Landkarte waren sie so etwas wie Längen- und Breitengrade, an denen man die Reise eines Mannes nachvollziehen konnte, der sein Glück gefunden hatte.

Wobei es auch eine tiefe Narbe an seiner Schläfe gab, die die anderen Linien durchschnitt.

Erneut senkte sich Stille über den Garten, etwas angespannt zuerst, doch dann hoben sie wieder ihre Zeitungsteile und lasen weiter.

Three Pines war auf keiner Landkarte verzeichnet und wurde nur von Menschen gefunden, die sich verirrt hatten. Sie erreichten einen Hügelkamm und blieben dort stehen, blickten verwundert über einen Wald zu den Green Mountains von Vermont, die hinter der Grenze zu Québec lagen. Sobald sie jedoch den Blick senkten, entdeckten sie etwas, womit sie noch viel weniger gerechnet hätten.

Dort, mitten im Niemandsland, lag ein Dorfanger, um den sich Häuser aus Naturstein und Schindeln und Läden aus rotem Backstein reihten. Leute führten ihre Hunde spazieren, arbeiteten in ihren Gärten oder saßen einfach auf der Bank auf dem Anger. Plauderten. In zumindest einem Fall mit sich selbst.

In der Mitte ragten drei riesige Kiefern in den Himmel. Wie ein Leuchtturm. Ein Signal.

Ein Zeichen.

Wer beschloss zu bleiben – und das waren nicht alle, auch wenn alle willkommen waren –, stellte bald fest, dass auch dieses Dorf nicht gefeit war gegen die Vergänglichkeit, gegen Tragödien.

Es war ein Hafen, aber kein Versteck.

Three Pines bot Trost in einer sich ständig verändernden Welt. Es bot einen Platz am Tisch, es bot Gesellschaft und Zugehörigkeit. Und Croissants.

Es bot eine Hand.

Three Pines war der Ort, an dem zu leben der Leiter der Mordkommission der Sûreté du Québec und seine Frau, die Bibliothekarin, beschlossen hatten. Nicht um den Schrecken der Welt zu entkommen, sondern um von ihnen zu heilen.

Aber an diesem Sonntagmorgen hatte die Welt sie gefunden. Während die Gamaches friedlich im Garten saßen. Unerbittlich hatte das Klingeln wieder eingesetzt. Und wieder ignorierte Armand es.

Jetzt vermischte sich das Klingeln mit dem Läuten der Kirchenglocken, ausgerechnet.

St. Thomas rief die Gläubigen.

Und etwas völlig anderes rief Armand Gamache.

»Geh endlich an das Scheißhandy!« Eine Handvoll Kompost oder Erde oder … flog über den Zaun.

Und immer noch klingelte es. Dann hörte es unvermittelt auf. Was die plötzlich eintretende Stille fast genauso beunruhigend machte.

Als es einige Minuten darauf zum dritten Mal klingelte, ließ Reine-Marie die Wochenendzeitung schlussendlich ganz sinken und sah zuerst auf das Handy, dann zu ihrem Mann.

»Um Himmels willen, Armand, wer ist das denn? Hat es mit deiner Arbeit zu tun?« Auch wenn sie wusste, dass das nicht sein konnte. Dann wäre er drangegangen.

Nach kurzem Zögern hob er das Handy hoch, sodass sie das Display sehen konnte. Es zeigte keinen Namen an, aber sie erkannte die ersten Ziffern. Sie gehörten zur Nummer einer Regierungsbehörde. Nicht einer Landes-, sondern einer Bundesbehörde. Nicht, dass sie deswegen eine Ahnung gehabt hätte, wer da ständig anrief, aber ihr Mann offenbar schon. Er wusste, wen er da ignorierte.

»Soll drangehen?«

»Nein.« Er drückte das Handy an die Brust, als wollte er es vor ihr schützen, spürte die Vibration und hielt es wieder weg.

Der Anrufer hatte es schon in seinen Kopf geschafft, das sollte ihm nicht auch mit seinem Herzen gelingen.

In dem Moment hörte das Handy auf zu klingeln, und er legte es zurück auf den Tisch.

Der friedliche Sonntag lag in Scherben. Selbst die Stille war nicht mehr beruhigend. In ihr klang jetzt eher eine unheilvolle Ankündigung an, die sie beide spürten.

Einige Minuten später war es so weit, erneut klingelte es, und Gamache...


Penny, Louise
Louise Penny, 1958 in Toronto geboren, arbeitete nach ihrem Studium der Angewandten Kunst achtzehn Jahre lang als Rundfunkjournalistin und Moderatorin in ganz Kanada. Mit dem Schreiben begann sie erst spät. Ihr erster Roman Das Dorf in den roten Wäldern wurde 2005 weltweit als Entdeckung des Jahres gefeiert, und auch die folgenden Gamache-Krimis wurden vielfach ausgezeichnet und eroberten die Bestsellerlisten in zahlreichen Ländern. Louise Penny lebt in Sutton bei Que´bec, einem kleinen Städtchen, das Three Pines zum Verwechseln ähnelt.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.