E-Book, Deutsch, Band 3, 336 Seiten
Reihe: Emil Glasmacher
Pelzer Cilli stirbt
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-95441-717-9
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 3, 336 Seiten
Reihe: Emil Glasmacher
ISBN: 978-3-95441-717-9
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein kleines Glück, zerstört von großen Geheimnissen
1975 - Wenige Tage vor seiner Pensionierung hofft Kommissar Emil Glasmacher von der Kripo Düren mit der Aufklärung einer Einbruchserie sorglos aus dem Amt scheiden zu können. Doch ein ruhiger Abgang ist ihm nicht vergönnt, denn ein Mordfall fordert unerwartet noch einmal seinen ganzen Einsatz: Auf der Hollywoodschaukel im Garten des Autoverkäufers Engelmann im Örtchen Nörvenich wird eine Leiche gefunden. Bei der toten jungen Frau handelt es sich um Cilli Hausmann, die im Friseursalon ihrer Mutter arbeitete und mit dem Installateur Wolfgang verheiratet war. Mit beidem war sie unzufrieden, und so hat sie versucht, sich eine Selbstständigkeit als Avon-Beraterin aufzubauen.
Auf der Suche nach ihrem Mörder sehen sich Glasmacher und sein Assistent Matzerath mit zahlreichen menschlichen Abgründen konfrontiert. Bei den Ermittlungen in der Voreifel, in Zülpich, Euskirchen und in den verrufenen Ecken Kölns begegnen sie üblen Aufschneidern, ewig Gestrigen und einfältigen Taugenichtsen. Einige verwirklichen ihre Träume mehr oder weniger skrupellos, andere wiederum haben einfach nur kein Glück.
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1. Kapitel
SALON HANKE
»Auf Wiederseh’n Frau Fuhs.« Alwina Hanke hatte ihr freundlichstes Kundenlächeln aufgesetzt. »Bis zum nächsten Mal. Kommen Sie gut nach Hause.« Sie hielt die Eingangstür weit geöffnet, bis die Alte die unterste Stufe der Treppe erreicht hatte, dann wandte sie sich ab, und das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. Die Fuhs gehörte zu einer Reihe Stammkundinnen, die sich regelmäßig im Salon Hanke frisieren ließen. »Wie immer?«, fragte Alwina jedes Mal, wenn Frau Fuhs auf dem immer gleichen Frisierstuhl Platz genommen hatte. »Wie immer«, antwortete die dann stets, und Alwina begann routiniert mit den Vorbereitungen für die zweite oder dritte und manches Mal sogar die vierte Dauerwelle an diesem Tag. Der Salon Hanke war so etwas wie eine Institution im Dorf. Freundliche Bedienung, gute Arbeit und moderate Preise, das schätzten die Kundinnen hier. Er lag mitten im Ort, am Marktplatz, um den herum sich vor langer Zeit auch eine Bäckerei, eine Gaststätte und der kleine Laden, in dem es Tabakwaren, Zeitschriften und, sehr beliebt, eine Lottoannahmestelle gab, angesiedelt hatten. 1949 war sie nach Nörvenich gekommen, in schmutzigen Kleidern und mit dem Schreiben eines ihr unbekannten Hauptmannes in der Tasche, in dem er ihr umständlich berichtet hatte, dass ihr Konrad auf der Krim für Führer und Vaterland gefallen sei. Da war Cäcilia, die alle nur Cilli nannten, schon acht Jahre alt gewesen, ihren Vater hatte das Kind bis dahin kaum gesehen. 1955 hatte Alwina Lothar geheiratet, der ihr eine materielle Sicherheit gab, aber zeugungsunfähig war. Gottlob, hatte Alwina gedacht, das erste Kind hatte ihr schon kein Glück gebracht. Fünf Jahre später war auch Lothar verstorben, ganz plötzlich, ohne jede Vorwarnung. Ein Aneurysma der Bauchschlagader hatte der Arzt post mortem festgestellt, jede Hilfe wäre zu spät gewesen. Alwina hatte einen Weizenkorn getrunken und eine Peer Export geraucht. Auf Lunge, was sie sehr selten tat. Die Heimat verloren, viel zu früh auch ihre Eltern, dann zwei Männer – Alwina war der Meinung, dass sie in ihrem Leben nun genug verloren hatte. Nun wollte sie endlich etwas haben. Etwas Bleibendes, nur für sich. Darum hatte sie ihrer Chefin in dem Salon am Kaiserplatz in Düren die Kündigung auf den Tresen geknallt und mit dem Geld, das Lothar ihr vermacht hatte, ihren eigenen Salon in Nörvenich eröffnet. Das Geschäft stand gerade zur Vermietung an, und Alwina hatte nur sehr kurz gezögert. Das war im August 1960 gewesen, in diesem Jahr würde sie das fünfzehnjährige Betriebsjubiläum feiern. Der Anfang war nicht leicht gewesen. Mit einem gebraucht gekauften Frisierstuhl, einem viel zu kleinen Waschbecken an der Wand und drei simplen Stühlen in der Ecke für die wartenden Kundinnen hatte sie begonnen. Doch die Frauen des Dorfes waren gekommen. Zuerst aus Neugierde, dann aus Überzeugung. »Haare machen ist Vertrauenssache«, war schon früh Alwinas Leitspruch gewesen, und die Kundinnen vertrauten ihr. Jetzt, im Februar 1975, hatte sich der Salon Hanke zu einem modernen, lichtdurchfluteten Tempel der Schönheit entwickelt. Drei Frisierplätze standen hinter den großen Schaufenstern bereit, vor jedem war ein ausladender Konsoltisch mit eingelassenem Waschbecken und mehreren Schubladen platziert. Über den großen Spiegeln war je eine Trockenhaube an der Wand montiert, die sich dank eines stabilen Gelenkarms bequem in jeder gewünschten Position über die Köpfe der Kundschaft herabsenken ließen. Die Frisierstühle waren höhenverstellbar, zwei, drei Tritte auf das Pedal, und die Hydraulik hob Frau Fuhs, die in ihrem langen Leben nicht nur eisgrau, sondern auch um etliche Zentimeter kleiner geworden war, hinauf auf eine für Alwina sehr rückenschonende Höhe. In dem Regal hinter der Theke, hinter die Alwina jedes Mal huschte, um die Kundinnen abzukassieren, standen Produkte von Wella und Brisk, Haarspray neben Modelliercreme und ein Werbeaufsteller für Schauma Shampoo von Schwarzkopf. »Schampong«, verlangte Frau Fuhs, »das grüne, mit den Apfelblüten.« An der Wand mit der rosa und weiß gestreiften Tapete hingen Werbefotografien mit sehr schönen Frauengesichtern, die aufwendige Frisuren trugen. Daneben lächelten Männer mit blütenweißen Zähnen und stramm gescheitelten Kurzhaarfrisuren die Kundschaft an. Dabei kamen jetzt sogar Männer in den Salon Hanke, die eine Dauerwelle verlangten. Minipli nannte man das, und Alwina erfüllte auch diese Wünsche zur Zufriedenheit. Umgeben von einer sich nie verflüchtigenden Duftwolke aus pinkfarbenen Haarspraydosen, Sprühgold von Goldwell für jede Kundin, routiniert hantierend mit Effilierschere, Onduliereisen und Modelliercreme für die Herren, führte Alwina hier das Regiment, wie sie sich ausdrückte. Sie war die Herrin über all das Waschen, Schneiden, Bürsten, Kämmen, Ondulieren, Toupieren, Sprühen und Nackenauspinseln im Salon Hanke am Marktplatz im Dorf Nörvenich. Immer freundlich, immer emphatisch und niemals zu aufdringlich. »Bitte gerne, selbstverständlich, das steht Ihnen aber ganz ausgezeichnet!« Immer trug sie dieses Lächeln im Gesicht. Von morgens bis abends lächelte sie, auch wenn ihr die Beine schmerzten oder das nervige Geschnatter von so mancher Kundin fast den gesamten Salon ausfüllte. Zwischendurch scherzte sie, stimmte zu, war bass erstaunt oder tief betroffen. Sie selbst beklagte sich nie vor der Kundschaft. Schimpfte nicht auf die Politiker, die doch tatsächlich gerade in diesen Tagen die Volljährigkeit in Deutschland auf achtzehn Jahre abgesenkt hatten. »Du meine Güte, das sind doch noch Kinder, und die sollen jetzt für sich selbst entscheiden können?«, ereiferte sich die Kundin unter der Progress-Trockenhaube, blätterte in der Illustrierten, und Alwina lächelte ihr zu. Nie klagte Alwina über Kanzler Schmidt, über Bundestrainer Schön oder die horrenden Spritpreise. Sie blieb freundlich und zurückhaltend. »Der Kunde ist König«, hatte sie Cilli eingeschärft, und daran hatte sich gefälligst jeder zu halten im Salon Hanke. Draußen hatte es zu schneien begonnen, schwere, nasse Flocken schmolzen, sobald sie zu Boden gesunken waren. Obwohl es erst zwanzig vor vier am Nachmittag war, hatte der Wagen, der gerade über den Marktplatz fuhr, bereits das Fahrlicht eingeschaltet. Alwina ließ die Ladentür hinter Frau Fuhs zufallen und wendete sich der nächsten Kundin zu. »Nur Waschen und Spitzen schneiden«, wünschte diese und beugte sich vor, über das Waschbecken, nachdem Alwina ihr den hellblauen Umhang umgebunden hatte. Während sie mit ihrem Handrücken die Temperatur des Wassers aus der kleinen Handbrause kontrollierte – »wir wollen hier ja niemanden verbrennen« –, erschien Cilli mit dem Besen in der Hand und fegte am Nachbarstuhl Frau Fuhs’ eisgraue Haare zusammen. Dann wischte sie das Sitzkissen ab, wendete es und brachte den Frisierstuhl in Position. Da keine weitere Kundin auf den Wartestühlen saß, rückte sie auch diese gerade, legte die Illustrierten zu einem sauberen Stapel zusammen und schaute dann einen Moment lang hinaus auf den Platz, wo die Autos auf der Straße schon tiefe Rillen in den Schneematsch gezogen hatten. Nachdem sie die Schule beendet hatte, war Cilli in die Fabrik gegangen. Bei Peill in Düren hatte sie in der Veredelung an der Schleifmaschine gearbeitet und filigrane Muster in schwere Bleikristallgläser geschliffen. Damit hatte sie gutes Geld verdient, doch eines Tages hatte ihre Mutter ihr beim Abendbrot völlig unvermittelt die Frage gestellt, vor der Cilli sich stets gefürchtet hatte. »Denkst du nicht auch, dass es allmählich mal an der Zeit wäre, zu mir in den Salon zu kommen?« Cilli konnte sich eine Arbeit als Friseuse durchaus vorstellen. Das lange Stehen, die vielen Chemikalien, mit denen sie hantieren musste, das alles störte sie nicht. Das Problem war Alwina. Die Zeit, die Mutter und Tochter in einer gemeinsamen Wohnung gelebt hatten, war keine gute gewesen. Ein bisschen wie Hund und Katze hatten sie sich verhalten, immer lag Spannung in der Luft, jederzeit stand eine von ihnen kurz vor der Eruption. Vor sechs Jahren hatte Alwina die Frage gestellt, und eigentlich war es gar keine Frage gewesen, sondern die deutliche Aufforderung Alwinas, die Arbeit in der Fabrik zu kündigen und bei ihr in die Lehre zu gehen. Jetzt war Cilli 34, verheiratet und ausgebildete Friseuse. Glücklich war sie mit beidem nicht geworden. Weder als Ehefrau von Wolfgang Hausmann noch als angestellte Friseuse im Salon Hanke. Wolfgang und sie hatten vor vier Jahren geheiratet. »Eine Frau, die mit dreißig noch nicht unter der Haube ist, läuft Gefahr, entweder als hässlich oder als Flittchen angesehen zu werden«, hatte Alwina gemeint. Und hässlich war Cilli nun wahrhaftig nicht. Ganz im Gegenteil, Cilli konnte getrost als Schönheit bezeichnet werden. Volles, blondes Haar, harmonische Gesichtszüge, ein klarer Blick aus blauen Augen, und wenn sie sprach, dann blitzten ihre strahlend weißen Zähne auf. »Wie eine Filmschauspielerin«, hatte Lothar gemeint, und Alwina hatte ganz genau beobachtet, wohin dabei seine Blicke gewandert waren. Nein, von hässlich konnte hier keine Rede sein, und dass ihre Tochter als Flittchen angesehen würde, dieser Gedanke wäre für Alwina unerträglich gewesen. Zum Glück hatte Cilli dem Drängen der Mutter schon bald nachgegeben, und kurze Zeit später hatte Wolfgang begonnen, um sie zu werben. »Ein gut aussehender Mann ist das, schau ihn dir doch mal an, ihr passt so wunderbar zusammen«, hatte Alwina geschwärmt. Wolfgang war...