E-Book, Deutsch, 224 Seiten, Gewicht: 380 g
Pecorelli Das Mädchen, das die Welt veränderte
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-9524640-8-3
Verlag: Riverfield Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, 224 Seiten, Gewicht: 380 g
ISBN: 978-3-9524640-8-3
Verlag: Riverfield Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Die kleine Marie ist acht Jahre alt. Von Hunger und Krankheit geschwächt, stirbt sie in den Armen ihres Großvaters. An einem wundersamen Ort wacht sie jedoch wieder auf und trifft einen alten Mann. Dieser erklärt ihr, dass die Menschen ihn zutiefst enttäuscht haben und deshalb dem Untergang geweiht seien.
Marie fleht um eine letzte Chance für die Menschheit. Der alte Mann willigt ein und schickt Marie auf eine fantastische Reise, um jemand zu finden, der die Antwort auf die Frage aller Fragen kennt – nur dann sei die Welt noch zu retten.
Doch gibt es überhaupt einen Menschen, der die Antwort kennt oder ist es längst zu spät?
Eine magische Geschichte die Leben verändern kann, weil sie Hoffnung gibt, ohne je die Abgründe des menschlichen Seins zu leugnen.
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2
Zuerst war Dunkelheit. Lautlose Dunkelheit, kein Geräusch. Weder Wärme noch Kälte. Marie wusste nicht, ob sie wachte oder schlief, ob dies Traum war oder das bodenlose Nichts, von dem die alten Menschen erzählt hatten, wenn sie die Kinder im Dorf mit Geistergeschichten erschrecken wollten. Marie kicherte. Sie spürte keinen Hunger, nicht einmal nach warmem Brot mit den blauen Beeren, die ihr Matimba einst gesammelt und an die sie seither sehnsuchtsvoll gedacht hatte. Und obschon alles um sie herum pechschwarz war und nicht der kleinste Lichtschimmer zu sehen, hatte sie keine Angst. Kein bisschen. Sie versuchte, sich an den Geschmack der Beeren zu erinnern, aber sie schmeckte nichts. ›So ist es also, wenn man tot ist‹, dachte sie nur. Doch fühlte sie sich leicht wie eine Feder. Ja genau, wie eine Feder in einer unendlich großen, sanften, dunklen Wolke glaubte sie zu schweben – und sie fühlte sich wohl, gesättigt und schmerzfrei. Dann plötzlich sah sie etwas – ganz weit weg, wie es schien. Sie hätte nicht zu sagen vermocht, wie viel Zeit inzwischen vergangen war und wie weit weg dieses Etwas war, doch sie konnte es nun ganz deutlich sehen: ein kleiner Punkt. Ganz hell und winzig war der Punkt, so wie wenn man nachts in den Himmel schaut und einen einzigen Stern sieht. Marie kniff die Augen zusammen, um besser zu sehen: Der weiße Punkt – er wurde größer! Marie fühlte eine angenehme Wärme, die sich wie eine weiche, große Decke um ihren schlanken Körper legte. Der Punkt war nun kein Punkt mehr, nein, eher wie eine kleine Sonne sah er jetzt aus. Ja, auf einmal war der Punkt eine richtige kleine Sonne, die rasend schnell größer wurde! Dabei: Marie konnte gar nicht sagen, ob der Punkt größer wurde oder ob sie selbst sich darauf zubewegte. Gerade, als sie dies überlegte, spürte sie etwas unter ihren kleinen Füßen. Sie war barfuß, und es fühlte sich warm und weich an. Wie feiner warmer Sand im Sommer. Sie schaute nach unten und sah, dass ihre Füße tatsächlich von Sand umgeben waren. Und noch etwas bemerkte Marie im zunächst fahlen Schein des immer größer werdenden Punktes: Ihre Arme und ihre Beine waren wieder so, wie sie früher gewesen! Keine beißenden Wunden mehr, keine blutenden, juckenden und eiternden Pusteln! Die Haut war glatt und samtig und hatte wieder die Farbe von dunkler Schokolade. Der Sand schien jetzt rötlich und wurde immer heller. Nein, alles um sie herum begann heller zu werden. Die Sonne flutete mit jeder Sekunde neues Licht um Marie, die von ihren Füßen aufschaute, und – es war Tag! Sie drehte sich langsam um sich selbst, sah sich um. Da war der Himmel nicht mehr schwarz, sondern plötzlich blau. Das schönste Blau, das Marie je gesehen hatte. Die Luft warm und rein, und Marie atmete tief ein und aus. ›So frisch und gut ist die Luft!‹ Ein leises Summen erklang. Dann deutlicher. Marie hielt einen Augenblick den Atem an. Ja, jetzt konnte sie es ganz klar hören! ›Das Summen klingt merkwürdig.‹ Sie begann zu gehen. Ihre Füße waren so leicht, sie schien immer noch halb zu schweben. Und es machte Spaß – denn jeder Schritt erschien ihr ein kleiner Sprung, der sie ganz schnell vorwärtskommen ließ. Sie sah an sich hinunter, aber zu ihrer Beruhigung waren da nur ihre Füße, und der Sand unter ihren Füßen wirbelte bei jedwedem Schritt und Tritt auf. Sie musste lachen. Aber dann am Horizont: Der Himmel am Horizont – immer noch ganz weit weg –, er färbte sich rot! So wie bei einem Sonnenuntergang. ›Das kann nicht sein!‹, dachte Marie, denn als sie ihren Blick wieder nach oben in den blauen Himmel richtete, schien die Sonne hell und weiß wie zuvor. Sie begann zu laufen. Das Summen wurde lauter, der Himmel am Horizont erschien fast dunkelrot und – dann sah sie ihn: einen feuerroten Berg! Ganz einsam stand der rote Berg mitten in der unermesslichen Weite. Zuerst noch ganz klein, doch ganz schnell immer größer, Marie glaubte auf den roten Berg zuzufliegen! Ja, sie schien gar nicht mehr zu laufen, sondern zu fliegen, so schnell, so leichtfüßig. Der Berg war, als sie ihn erreichte, dunkelrot wie die Bohnen des Kalabarstrauches und sah aus wie ein gigantischer Fladenkuchen – so wie Großvater sie manchmal aus Mais gemacht hatte. Das Brummen war überall, wie wenn ein riesiger Bienenschwarm ein Lied summen würde. Marie stand am Fuß des Berges und schaute mit offenem Mund die steilen, roten Wände hoch. So weit das Auge reichte, war außer Sand – und dann und wann ein paar flachen Büschen – nichts zu sehen. Marie ging etwas zurück, um den Berg nochmals in seiner ganzen Größe zu betrachten – und erblickte eine Blume. Eine gelbe Blume. Sie musste sie zuvor tatsächlich übersehen haben. Es war eine wunderschöne gelbe Blume mit großen, leuchtenden Blättern. Marie ging in die Hocke und betrachtete die Blume genauer. Dann war es auf einmal ganz still. Das Summen war verstummt. Kein Laut war zu hören. »Gefällt dir die Blume?«, fragte eine Stimme hinter ihr. Marie zuckte vor Schreck zusammen und ihr Körper erstarrte einen Augenblick, doch die Stimme sagte: »Du brauchst keine Angst zu haben, Marie.« Sie drehte langsam den Kopf, um zu schauen, wer sie angesprochen hatte. Es war ein alter Mann, faltig und dunkelhäutig, noch dunkler als Maries Haut war die Seine. Er trug einen Lendenschurz und seine mächtige Brust war mit kringeligen, grauweißen Haaren übersät. Das struppige Haar auf seinem Kopf hingegen war pechschwarz und grellrot durchmischt, sein borstiger Bart grau und rot und schwarz. Er saß am Boden, auf seinen Schenkel hatte er ein langes, dickes Holzstück abgelegt. Marie sah den merkwürdigen alten Mann mit großen Augen an. Da nahm dieser das Holzstück an seinen Mund und das Summen, das Marie gehört hatte, erfüllte erneut die Luft. ›Das Summen kommt also aus dem Holzstück!‹, dachte Marie. Und wieder – genau wie vorhin – war alles von dem eigenartigen Klang erfüllt: Der ganze Himmel, die Luft und der Berg schienen zu summen und zu singen, zu quaken und zu sirren, die Luft, der Berg, die Büsche, alles war erfüllt von diesem absonderlichen Ton. ›Wie wenn unzählige Bienenflügel vereint mit einer ganzen Armee von riesigen unsichtbaren Fröschen und Kröten ein himmlisches Konzert anstimmen würden. Es klingt sehr schön; merkwürdig klingt es, aber dennoch sehr schön‹, fand Marie. Dann war es wieder still. Der alte Mann legte das Holzstück neben sich auf den Boden und schaute Marie schweigend und scheinbar neugierig an. »Wer bist du?«, fragte Marie leise und schüchtern. »Ich bin alles«, antwortet er. Marie machte große Augen. »Du bist alles?« »Ja, alles, mein Kind, das Erste und das Letzte.« »Hast du denn keinen Namen?« Er musste lachen. »Haha … Ich habe viele Namen und keinen Namen!« Dann schaute er Marie an, wie sie so dastand, mit ihren dünnen Ärmchen und Beinchen, die aus dem blauen Kleid herausschauten, und sprach lächelnd: »Aber nenn’ mich einfach Elvis.« »Das ist aber ein merkwürdiger Name.« Sie kicherte und trat, noch etwas zögernd, einen kleinen Schritt auf den alten Mann zu. Plötzlich lachte dieser so laut, dass es sich wie das ferne Donnergrollen eines Gewitters anhörte. »Hahaha! Da magst du recht haben, meine Kleine. Haha, ganz gewiss hast du recht! Doch was sind schon Namen?« Geschmeidig und kraftvoll wie ein Löwe erhob sich Elvis und stand nun riesengroß vor Marie. Sie schaute zu ihm hoch und fragte leise: »Wo bin ich hier?« »Hier ist überall!« »Welcher Tag ist heute?« »Hier ist jederzeit!« Sie schwiegen beide. Kein Laut war zu hören. Marie trat verlegen von einem Fuß auf den anderen, zupfte an ihrem blauen Kleidchen, sah an Elvis hoch. »Darf ich dich Onkel Elvis nennen?«, flüsterte sie. Erneut ein donnerndes Lachen, diesmal noch lauter als zuvor, sodass Marie wieder vor Schreck zusammenzuckte und dachte, er sei wütend geworden wegen ihrer Frage. Doch bevor sie sich entschuldigen konnte, sagte er immer noch lachend: »Haha, aber sicher darfst du mich Onkel Elvis nennen … Aber ganz gewiss!« Dann runzelte Elvis die Stirn und schien nachzudenken, seine gemurmelten Worte konnte Marie jedoch sehr gut hören: »Mhmhm, merkwürdig, mhhhm, nach all den Zeiten bist du also der erste aller Menschen, der die Antwort wusste … Mhmm, merkwürdig, in der Tat.« Er ging ein paar Schritte auf und ab, kratzte sich am Bart: »Und dich also haben die Menschen sterben lassen? Mhmm … Dann ist es wohl nicht zu vermeiden. So sei es dann!« Marie hatte seine letzten Worte sehr wohl gehört, doch wagte sie nicht zu fragen, was diese bedeuteten. Elvis drehte sich um, ging vor Marie in die Hocke. »Ich will dir eine Geschichte erzählen. Es ist die älteste Geschichte der Menschen, doch die meisten scheinen sie vergessen zu haben.« Er seufzte, klopfte mit der Hand auf den Sandboden und fuhr fort: »Setz dich hier neben mich hin.« Marie tat, wie ihr geheißen, und im selben Augenblick, als sie sich neben Elvis hingesetzt hatte, wurde der Himmel dunkel. Tausende leuchtender Sterne funkelten auf, und wie von Zauberhand brannte ein knisterndes Feuer vor ihnen am Boden. Elvis begann zu erzählen. »Während der Traumzeit schlummerte die ganze Erde. Doch eines Tages erwachte Kunukban, die große...