Pechmann | Im Jahr des schwarzen Regens | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Pechmann Im Jahr des schwarzen Regens

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

ISBN: 978-3-95829-994-8
Verlag: Steidl Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Charles, jüngster Bruder von Jane Austen, fuhr Zeit seines Lebens zur See. Im Frühjahr 1816 erreicht Jane eine schreckliche Nachricht: Kapitän Austens Fregatte Phoenix hat Schiffbruch vor der anatolischen Küste erlitten. Austen reist weiter nach Smyrna, um die Heimreise zu organisieren. Doch die reiche Hafenstadt, in der viele Nationen friedlich zusammenleben, wird von dem zwielichtigen osmanischen Gouverneur Katipzade Mehmed Bey regiert, der sich seit Jahren für die Interessen der britischen Handelsfamilien einsetzt und den Hass des Sultans auf sich zieht.
Austen gerät immer tiefer in einen mit allen Mitteln geführten Machtkampf, als ihn die junge Witwe Rachel Löwenthal bittet, ihr dabei zu helfen, das Schicksal ihrer Familie aufzuklären, für das Katipzade verantwortlich sein soll. Die Suche nach Antworten führt Austen und seine neuen Freunde bis in die geheimsten Winkel der Jahrtausende alten Stadt, zu dem melancholischen Orientalisten Otto Friedrich von Richter und der taubstummen Anthoula, zu der geheimnisvollen Sängerin Arevhat, zu griechischen Freiheitskämpfern, Sufi-Meistern und chassidischen Mystikern.
Pechmann Im Jahr des schwarzen Regens jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


BERICHT
EINIGER DENKWÜRDIGER BEGEBENHEITEN AN LAND UND AUF SEE, AUFGEZEICHNET VON KAPITÄN CHARLES AUSTEN Von Konstantinopel nach Tschesme 14. bis 20. Februar 1816 Für mich war es ein Segen, Konstantinopel endlich verlassen zu können, diese verwirrende Metropole zwischen Abend- und Morgenland und ihr erstickendes, grellbuntes Getümmel aus bitterem Elend und orientalischer Pracht. Die Reynard, eine wendige kleine Briggschaluppe der Cherokeeklasse mit zehn Geschützen, hatte mir am 14. Februar neben ein paar Briefen aus der Heimat eine Order der Admiralität mitgebracht, ich solle unverzüglich nach Malta zurückkehren, wo man die Phoenix für eine Expedition nach Nordafrika ausrüsten werde. Noch am selben Tag, nachdem die letzten Landgänger zurückgekehrt waren, nahm ich einen türkischen und einen griechischen Lotsen an Bord und gab Befehl, die Anker zu lichten. Unsere Segel wölbten sich in einer günstigen Brise, und die langen, schwarzgrünen Wogen des Bosporus trugen Kämme aus weißer Gischt, als wir, dichtauf gefolgt von der Reynard, den geschäftigen Hafen verließen. Ich warf einen letzten Blick auf das alte Stambul, den gewaltigen Moloch aus dunkelroten Gebäuden, engen, unübersichtlichen Gassen, zahllosen Moscheen mit säulenartigen Minaretten und Kuppeln samt goldener Kugel und Halbmond. Die schwarzen Kaike der türkischen Händler, die alle einlaufenden Schiffe umringten und lautstark ihre Waren, Geflügel in Weidenkörben, frisches Fladenbrot, Obst und Gemüse oder Transportmöglichkeiten anpriesen, fielen ab, um sich neue, willigere Opfer zu suchen. Wir segelten am wuchtigen Leanderturm vorbei, den die Türken »Mädchenturm« nennen, weil irgendein Sultan dort seine Tochter einsperrte, um sie vor Unheil zu schützen – was unweigerlich zu neuem Unheil führen musste. Zur Linken lagen nun Galata und Pera, die wir bald hinter uns ließen, zur Rechten kam die Festung der Sieben Türme in Sicht, dann die weit verstreuten Zypressenhaine des muslimischen Friedhofs. Die Strömung führte uns geradewegs zu den Prinzeninseln mit ihren uralten Klöstern und baufälligen Palästen, und wir hielten Kurs auf die Dardanellen, um das Thrakische Meer zu erreichen. Das Wetter hatte in den vergangenen Wochen merkwürdige Kapriolen geschlagen, über die auch die ältesten und erfahrensten unter meinen Matrosen stirnrunzelnd den Kopf schüttelten. Im Hafen hatten wir einige kurze, heftige Gewitter und plötzliche Hagelschauer miterlebt, die für diese Region und diese Jahreszeit ungewöhnlich waren. Der Wind drehte häufiger, als ich es je in diesen Breiten erlebt hatte, und unser etwas übergebildeter Schiffsarzt Dr. Keenan, ein junger Oxford-Mann mit irischen Wurzeln, der seine Kammer für naturwissenschaftliche Experimente und Untersuchungen nutzte, meinte, der Regen, der unsere Decks nicht sauber wusch, sondern mit einer rußigen Substanz beschmutzte, enthalte außergewöhnlich viele Aschepartikel, die von einem größeren Vulkanausbruch zeugen mochten. »Der Vesuv?«, fragte ich und dachte an Pompeji, die verschüttete Stadt, die wir gemeinsam besucht hatten, als die Phoenix in Neapel vor Anker lag. »Womöglich«, antwortete der kleine, korpulente Doktor ausweichend und blinzelte nervös hinter seinen Augengläsern, als wollte er eine schlechte Nachricht für sich behalten. Für einen Iren war er ungewöhnlich einsilbig und zurückhaltend. Ich nahm es auf die leichte Schulter und bedrängte ihn nicht länger. Ein Schiff auf hoher See schien mir ein sicherer Aufenthaltsort während eines Vulkanausbruchs zu sein, und ich genoss es viel zu sehr, das rhythmische Schlagen der Wellen gegen den Bug zu vernehmen und die hochfliegende Gischt auf den Wangen zu spüren, während über mir die Takelage in der stärker werdenden Brise ächzte und stöhnte. Die gemeinen Matrosen, sogar jene, die den Dienst in der Royal Navy nicht ganz freiwillig angetreten hatten, schienen dieselbe Erleichterung zu empfinden wie ich, folgten ohne zu murren den Befehlen meiner Offiziere und packten tüchtig an, wenn es galt, die Rahen zu brassen oder die Schoten zu kürzen. Die Bewegungen dieser Männer, die in Gruppen von zehn oder zwölf an den Tauen zogen, wirkten so kraftvoll und zuversichtlich, dass sie den mächtigen Zweidecker mit seinem Herz aus Eichenholz und seinen Schwingen aus weißer Leinwand regelrecht zum Leben erweckten und in ein atmendes Wesen zwischen Himmel und Meer verwandelten. Ich dachte zurück an die Jahre, die ich mit Fanny und den Kindern auf der Namur verbracht hatte, einer zum Wachschiff degradierten Fregatte dritter Klasse mit 74 Geschützen, die an der Mündung der Themse, vor einer schäbigen kleinen Ortschaft namens Sheerness, vor Anker lag. Meine nicht sonderlich heldische Aufgabe bestand allein darin, frisch angeheuerte oder auch in den Dienst gepresste Seeleute zu registrieren und auf die Linienschiffe der Navy zu verteilen. Im Winter war es so klamm und feucht an Bord, dass ich meine Familie in dem tristen Städtchen unterbringen musste, doch in den Sommermonaten durften meine Frau und die Kleinen bei mir bleiben, und ich genoss einige glückliche Tage, in denen ich fast vergaß, dass wir im Krieg waren und mein Bruder Frank irgendwo dort draußen unermüdlich Ruhm, Ehre und Prisengelder einstrich, während ich ein schlecht bezahlter Beamter auf einem morschen alten Pott war, der nur noch in seinen Träumen unter Vollzeug in die Ferne segelte. »Du liebst das Meer, Charles«, sagte Fanny einmal, als ich abends an der Reling lehnte, meine Pfeife rauchte und wehmütig das Spiel der Wellen beobachtete. »Du liebst es mehr als mich, mehr als die Kinder, mehr als deine Brüder und Schwestern. Wenn du die Wahl hättest zwischen einer Liebesnacht mit der schönsten Frau auf Erden und einer einsamen Hundswache unter dem Sternbild Orion auf hoher See, fernab vom Land, mit zähem Pökelfleisch und wurmstichigem Zwieback als Verpflegung und brackigem Wasser, um den scheußlichen Fraß runterzuspülen … Wofür würdest du dich entscheiden?« »Oh, das ist eine schwierige Frage!«, antwortete ich scherzhaft, doch sie überhörte den ironischen Unterton. »Schwierig? Herrgott, du bist ein unverbesserlicher alter Griesgram!« Sie wandte sich ab und verschränkte die Arme. Als ich nicht darauf reagierte, kam sie wieder näher, schmiegte sich an mich und legte ihren Kopf mit den duftenden schwarzen Locken auf meine Schulter. »Sag mir, was du siehst«, drängte sie. »Was ist dort draußen, das deine Blicke so magisch anzieht?« »Sag du es mir.« »Nun, ich sehe Wasser. Jede Menge Wasser. Verflixt, bei all dem stinkenden Unrat, den die Themse ins Meer spült, ist es wahrscheinlich eine äußerst schmutzige Brühe.« Kurz hatte ich das Gefühl, ich könnte ihr die richtige Antwort geben. Eine, die mich zufriedenstellte und sie glücklich machte und darüber hinaus so viel Wahrheit enthielt, wie es ein menschliches Wesen ertragen konnte. Es lag mir auf der Zunge, hatte sich aber im Nu zu einer schmerzhaften Wortlosigkeit aufgelöst. So versuchte ich es erneut mit einem Scherz: »Ich liebe den Anblick barbusiger Meerjungfrauen am frühen Abend.« Darüber musste sie lächeln. »Und ich hätte nichts dagegen, wenn du mich ebenso sehnsüchtig ansehen würdest. Obwohl … bringt es nicht Unglück, eine Frau an Bord zu haben?« »Ich habe mich immer schon über diesen seltsamen Aberglauben gewundert. Es gibt jedoch einen anderen, der mir weitaus besser gefällt und nach dem eine Frau den aufgewühlten Ozean beruhigen kann, indem sie ihre Brust entblößt. Das ist auch der Grund, warum weibliche Galeonsfiguren meist einen nackten Oberkörper zeigen. Sie lindern den Sturm und sorgen für gute Fahrt.« »Ich hätte eher vermutet, dass sie den Sturm entfesseln«, erwiderte Fanny mit vergnügt blitzenden Augen. So, genau so hätte ich sie gern in Erinnerung behalten: das lebenslustige, lebenshungrige Mädchen, in dessen glockenhelles Lachen ich mich auf Bermuda Hals über Kopf verliebt hatte. Doch als sie rund vierzehn Monate nach unserem Gespräch auf der Namur hoffnungslos und fiebrig zu mir aufblickte, während ich ihre Hand hielt und keinerlei tröstende Worte für sie fand, stellte sie mir dieselbe Frage: »Du hast immer nur das Meer geliebt, Charles, nicht wahr?« »Nein«, sagte ich zu der Sterbenden, die mit jedem Wort, das sie flüsterte, ein Stück ihrer Seele verlor. »Nein, gewiss nicht, Liebste.« Dabei fragte ich mich unwillkürlich, ob das wirklich der Wahrheit entsprach oder ob ich Fanny und mich selbst belog. Am 19. Februar befanden wir uns einige Meilen vor der Bucht von Smyrna, und man sah durch den Schleier des Nieselregens in der Ferne die dunklen Gipfel dreier Berge aufragen, von denen einer der berühmte Pagos sein musste – ein legendärer Ort der Dichter und Propheten, wo in grauer Vorzeit Amazonen ihre Stadt gegründet und ein Feldherr Alexanders des Großen eine Festung gebaut hatte. Das Wetter war seit unserer Abfahrt wechselhaft und stürmisch geblieben, der Wind wehte stetig aus Südwest, so dass wir lavieren mussten, um weiter nach Süden voranzukommen. Sinnvoller wäre es wohl gewesen, die Bucht anzusteuern und auf besseres Wetter zu warten. Dies war zumindest der Vorschlag des griechischen Lotsen, während der türkische es für angebracht hielt, die Strömung zu nutzen, um in die Straße von Chios zu gelangen, wo der geräumige und weniger überlaufene Hafen...


Pechmann, Alexander
Alexander Pechmann, geboren 1968 in Wien, Autor und Herausgeber, übersetzte und edierte zahlreiche Werke der englischen und amerikanischen Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts: u. a. von Herman Melville, Mary Shelley, Sheridan Le Fanu, Mark Twain, Robert Louis Stevenson, Henry David Thoreau, Lafcadio Hearn, Rudyard Kipling, F. Scott und Zelda Fitzgerald. Bei Steidl erschienen seine Schauerromane Sieben Lichter (2017), Die Nebelkrähe (2019) und Die zehnte Muse (2020).


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.