Pécherot | Boulevard der Irren | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Pécherot Boulevard der Irren


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-96054-118-9
Verlag: Edition Nautilus GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-96054-118-9
Verlag: Edition Nautilus GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Juni 1940 in Paris: Die Menschen der Hauptstadt flüchten vor der deutschen Besatzung, auch die Irrenhäuser werden evakuiert und ihre Insassen wandern im allgemeinen Exodus nach Süden, während eine üble Fauna von Räubern, Nazis und Kollaborateuren in Paris Einzug hält. Nestor hat den Auftrag, einen depressiven Psychiater zu überwachen, doch dieser begeht Selbstmord. Besteht eine Verbindung zwischen ihm und einem geheimnisvollen Unbekannten, der Nestor um Hilfe bittet? Wer sind die falschen Polizisten, die ihn nicht aus dem Auge lassen? Und wer oder was versteckt sich wirklich hinter den hohen Mauern der Psychiatrie? Der dritte Band der Trilogie um Pipette alias Nestor Burma, anarchistischer Privatdetektiv in Hommage an Léo Malet, ist eine fulminante Schilderung des Paris unter deutscher Besatzung.

Patrick Pécherot, 1953 in Courbevoie geboren, Journalist. 2002 erhielt er den 'Grand Prix de Littérature Policière' für Nebel am Montmartre, den ersten Band einer Trilogie über das 'populäre' Paris zwischen den Weltkriegen. Außer Krimis schreibt er Jugendbücher und Comics zusammen mit dem Co-Autor Jeff Pourquié.

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III
»Untauglich. Ich habe Plattfüße, Inspektor.« »Für einen so aufgeblasenen Gockel eher ungewöhnlich.« Bailly stand auf dem Treppenabsatz und machte sich über mich lustig. Er machte sich über alles lustig. Er hatte sich nicht verändert. Außer, was das Viertel betraf. Vor sechs Monaten hatte er die Höhen von Belleville gegen den Quai des Orfèvres eingetauscht. Ein Abstieg, der ihm einen Aufstieg in der Polizeihierarchie beschert hatte. Dieser Flic war der Widerspruch in Person. »Sie sollten Ihre Witze schleunigst ins Deutsche übersetzen«, konterte ich und ließ ihn herein, »die lieben seichten Humor. Und in der Beziehung scheint die Polizei nicht mobilisierter zu sein als ich.« Sein Mundwinkel verzog sich in so etwas wie einer leichten Aufwärtsbewegung, die man für alles Mögliche hätte halten können, nur nicht für ein Lächeln. »Ist sie aber, Nestor, hier vor Ort. Krieg hin oder her, wir haben Anweisung, die Ordnung aufrechtzuerhalten.« »Bei allem Respekt, Inspektor, da dürften Sie bald ausschauen wie die Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt.« »Wohl kaum bekloppter als ein Privater mit Plattfüßen. Was ist jetzt mit der Leiche?« »In dem Zimmer ganz hinten. Sofern sie noch nicht verwest ist. Sie haben sich ja Zeit gelassen.« »Ach, wissen Sie, die Leichen heutzutage … Die haben auch nicht mehr denselben Reiz wie früher.« Er kam endlich rein, einen schwitzenden Untergebenen im Schlepptau. »Was sie nicht daran hindert, für ein voll besetztes Haus zu sorgen«, sagte ich, nachdem zwei Bullen in Pelerine, der Gerichtsmediziner und der diensthabende Fotograf über die Schwelle getreten waren. »Sind Sie sicher, dass bei euch in der guten Stube noch jemand übrig ist, um die Stellung zu halten?« Er begleitete den Dok ins Schlafzimmer, während die Schupos die Bahre aufklappten. »Nobel hier«, bemerkte der Dickere. »Außerdem ist die Treppe breit.« Durch die Mitesser im Gesicht hatte er was von einer Trüffelpastete. Sein Kumpel nahm mich zum Zeugen. »Es gibt in der Stadt Ecken, da sind die Hütten so eng, dass man Akrobaten als Möbelpacker bräuchte, um die Trage runterzubekommen.« »Klar, bei euch packen sie eher aus als an …« »Ah, wem sagen Sie das! He, Marcel, erzähl dem Herrn mal von dem Typen aus der Rue Maxime-Lisbonne. Auch ein Kollege von Ihrem verstorbenen Freund.« »Ein Psychiater?« »Nein, ein Selbstmörder. Hatte sich allerdings fürs Kunstfliegen entschieden. Er ist im vierten Stock aus dem Fenster gesprungen. Patsch! Direkt der Concierge vor die Füße. Eine Überraschung aus heiterem Himmel, kann ich Ihnen sagen. Trotz der vier Stockwerke war der Typ nicht tot. Ein Wunder, da gibt’s kein anderes Wort für. Oder aber ein Mordsglück. Ermordet hätte er wohl auch gern einen – nämlich den Typen, der mit seiner Frau … Kurzum, nach zwei Monaten im Krankenhaus bringt man ihn wieder heim. Bandagiert wie eine Mumie, aber lebend. Und er weiß, was er will. Kaum ist eine Woche um, hängt er sich an seinen Verbänden auf. Als er dann runtergetragen wird, kippt die Bahre. Eine Kehre zu knapp genommen und wusch! Der Junge nimmt die vier Stockwerke im Gleitflug. Ich höre noch das Gepolter von seinem Aufprall. Aber das Beste war die Concierge. Kaum dass der Kerl runtergeknallt ist, hat man sie schreien hören: ›Geht das noch lange hier?‹« »Versucht, den hier nicht zu werfen«, riet Bailly, der gerade aus dem Schlafzimmer kam. »Hier in der Gegend haben die Concierges einen langen Arm.« Die beiden Flics sahen ihn an und versuchten herauszubekommen, ob das ein Witz sein sollte. Sie legten respektvoll den Zeigefinger ans Käppi und zogen ab, um Griffart zu verpacken. »Da muss sich die Fünfte Kolonne ja auf was gefasst machen«, sagte ich. »Auch Sie beziehungsweise die Agentur Bohman könnten einen Angestellten verlieren.« »Moment mal! An der Geschichte hier ist nichts faul. Es war Selbstmord …« Der Doktor trat zu uns und putzte seine Brille. Ohne die Gläser sahen seine Augen aus wie zwei benutzte Gummiflicken. »Besser kann man es nicht vertuschen.« »Was soll das heißen?« Er setzte sein Gestell auf und seine Augen nahmen wieder ihre normale Größe an. »Dass es sich auf den ersten Blick um einen Selbstmord handelt.« »Sind Sie denn nicht mit von der Partie? Ich dachte, die Gerichtsmediziner sind alle an der Front? Ich pfeif auf den ersten Blick, wenn es einen zweiten gibt.« Der Arzt sah Bailly an. »Ich frage mich, ob ich ihn nicht auch untersuchen sollte. Für einen Kerl mit platten Füßen geht ihm, wie ich finde, ziemlich schnell der Hut hoch.« »Warten Sie, bis er das Zeitliche gesegnet hat. Bei seiner Begabung, sich in die Scheiße zu reiten, bringt er es bald so weit.« »He, ho!«, sagte ich. »Was denn für eine Scheiße? Griffart hat sich selber umgebracht, oder etwa nicht?« »Dok?«, fragte Bailly. »So werde ich es in meinem Bericht schreiben. Freitod durch Selbstinjektion. Und die Autopsie wird uns sagen, womit.« Mein Uff hatte die Größe eines Zeppelins. »Sie haben mir vielleicht Angst gemacht …« Bailly zog seinen Tabak heraus und fing an, sich eine zu drehen. »Verstehe. Seinen Schützling abkratzen zu lassen, ist schon nicht besonders glorreich, aber wenn er umgelegt wurde, während Sie geschlafen haben … Da findet man so schnell keine neuen Klienten mehr.« »Bald ist sowieso niemand mehr in Paris.« »Wenn Sie sich da mal nicht täuschen, vor den Toren werden ganze Regimenter von Touristen gemeldet.« »Ich habe kein Talent für Sprachen.« »Das lernen Sie noch. Alle werden es lernen, Sie werden schon sehen.« Wir unterbrachen uns, um Griffart durchzulassen, der den Flur in der Waagerechten durchquerte, mit einem Beamten vorne und einem hinten. Unter der Decke, die ihn vor Blicken schützte, zeichneten sich seine sterblichen Überreste ab wie eine Statue vor ihrer Einweihung. Auf dem Treppenabsatz angelangt, betrachteten die beiden Flics die Stufen mit bedrückten Gesichtern. »Bist du so weit?«, fragte der Dicke, der vorne ging. »Klaro«, antwortete der andere ohne Überzeugung. Sie nahmen den Abstieg in Angriff, als gingen sie auf rohen Eiern. Als ich sie unten mit wehender Pelerine davonrauschen sah, sagte ich mir, dass es das Normalste von der Welt war, den Himmel zwischen zwei Schwalben zu erreichen. Der Fotograf räumte seinen Krempel zusammen. Der Arzt verabschiedete sich. Er schüttelte Bailly lange die Hand. So, als hätten sie eben ein gutes Geschäft abgewickelt: »Der Leichnam ist in ausgezeichnetem Zustand, Sie werden zufrieden sein. – Ich werde es Ihnen bei Gelegenheit bestätigen, Inspektor.« »Ich schicke Ihnen dann meinen Bericht«, sagte der Dok einfach. Daraufhin warf er einen fachmännischen Blick auf meine Füße und ging kopfschüttelnd seines Weges. Der Sommer draußen lachte Krieg und Menschen aus. Die Avenue gab sich mit ihren geschlossenen Fensterläden einen Anschein von südlichem Mittagsschlaf. Mit der Sonne, die auf dem Trottoir die Zeit vertrödelte, und der Bank, die auf ihre strohhutbewehrten Alten wartete. In der leichten Brise lag ein Duft von Lindenblüten. Einen Kanonenschuss entfernt dünstete die Erde den Gestank von verfaultem Fleisch aus, hier aber sättigten sich die großen schwarzen Fliegen, von der Hitze schwer geworden, noch nicht an Kadavern. Bailly bewunderte die Fassade des Palais. »Ich hätte nicht Flic, sondern Psychiater werden sollen … Die Krankenhausverwaltung scheint bei den Behandlungshonoraren nicht zu knausern.« »Vertun Sie sich mal nicht, Griffart hat zwar in Clermont Sprechstunde gehalten, aber seine eigentliche Arbeit war seine Praxis. Die gut betuchten Irren haben seine Forschung finanziert.« »Wissen Sie, ob man noch jemanden benachrichtigen muss, abgesehen von der Schwester und Delettram?« »Nein. Für eine Koryphäe ist er nicht viel unter Leute gegangen. Na ja, seine Bekannten sind wie alle anderen auch. Haben wahrscheinlich eher daran gedacht, ihre Koffer zu packen, als lockere Partys zu...


Patrick Pécherot, 1953 in Courbevoie geboren, Journalist. 2002 erhielt er den "Grand Prix de Littérature Policière" für Nebel am Montmartre, den ersten Band einer Trilogie über das "populäre" Paris zwischen den Weltkriegen. Außer Krimis schreibt er Jugendbücher und Comics zusammen mit dem Co-Autor Jeff Pourquié.



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