E-Book, Deutsch, 216 Seiten
Reihe: EDITION BLAU
Pavese Das Haus auf dem Hügel
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-85869-785-1
Verlag: Rotpunktverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, 216 Seiten
Reihe: EDITION BLAU
ISBN: 978-3-85869-785-1
Verlag: Rotpunktverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Einer der bedeutendsten Vertreter der modernen italienischen Literatur, in der Neuübersetzung von Maja Pflug.
Turin, Juni 1943. Nächtliche Luftangriffe der Alliierten bedrohen die Stadt. Wer kann, rettet sich mit Einbruch der Dunkelheit auf die Hügel. Corrado, Lehrer im städtischen Gymnasium und von den anderen ehrfürchtig 'Herr Lehrer' genannt, hat sich schon länger dorthin verkrochen. Angezogen vom Gesang der Leute stößt er eines Abends zum Gasthaus Le Fontane: Von hier sieht man die Stadt in Flammen aufgehen, hier wird diskutiert, was werden soll, hier formieren sich die Partisanen. Unter den Leuten auch Cate, eine frühere Liebe Corrados, und Dino, ihr Kind, das womöglich auch seines ist. Als eines Tages die Meldung vom Waffenstillstand verkündet wird, keimt kurz Hoffnung auf. Aber schnell dringen die Deutschen ins Land - und damit fängt alles erst an.
Das Haus auf dem Hügel, ein im deutschen Sprachraum noch wenig bekannter Roman Paveses, spielt in der Wirrnis jener dramatischen Sommermonate in Italien und erzählt, wie Corrados Existenz gegen starke innere Widerstände schließlich ganz und gar vom Krieg eingenommen wird. Von Maja Pflugs stimmiger Neuübersetzung ins Heute geholt, ist das Buch eine einzigartige literarische Auseinandersetzung über die Unentrinnbarkeit des Kriegs und die Frage nach dem Sinn von politischem Handeln.
Cesare Pavese, 1908 geboren, wuchs in Santo Stefano Belbo, Piemont, und in Turin auf. Als er sechs Jahre alt war, starb sein Vater. Nach dem Philologiestudium Übersetzung von englischer und amerikanischer Literatur. 1935 Verbannung nach Kalabrien. 1938 Eintritt in das Verlagshaus Einaudi, Turin; 1943 Übernahme der Leitung des Büros in Rom.
Pavese gilt als wichtiger Vertreter des Neorealismo. Zu seinen bekanntesten Büchern zählen neben *Der Mond und die Feuer* (1950) *Die einsamen Frauen* (1949) und sein Tagebuch *Das Handwerk des Lebens* (1952). 1950 erhielt Pavese den Premio Strega. Im August desselben Jahres, auf dem Höhepunkt seines literarischen Erfolgs, nahm er sich in einem Turiner Hotelzimmer das Leben.
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I.
Schon zu anderen Zeiten redete man vom Hügel, so wie man vom Meer oder vom Wald geredet hätte. Aus der Stadt, die sich verdunkelte, kehrte ich abends dorthin zurück, und für mich war es kein beliebiger Ort, es war eine Auffassung der Dinge, eine Lebensart. Zum Beispiel sah ich keinen Unterschied zwischen jenen Hügeln und diesen von früher, wo ich als Kind spielte und jetzt lebe: Immer noch ein holperiges, kurviges Gelände, Felder und Wildnis, immer noch Straßen, Bauernhöfe und Schluchten. Ich stieg abends hinauf, als flüchtete auch ich vor dem nächtlichen Aufschrecken bei Alarm, wenn die Straßen von Leuten wimmelten, armen Leuten, die schreiend und diskutierend mit ihrer Matratze auf dem Fahrrad oder auf der Schulter auszogen, um womöglich irgendwo auf den Wiesen zu schlafen, unbeugsam, leichtgläubig und fröhlich. Man ging bergan, und jeder sprach von der verurteilten Stadt, von der Nacht und den bevorstehenden Gräueln. Ich lebte schon länger dort oben und sah die Leute nach und nach abbiegen und weniger werden, und schließlich wanderte nur ich allein zwischen den Hecken und dem Mäuerchen noch weiter hinauf. Dann spitzte ich beim Gehen die Ohren, hob den Blick zu den vertrauten Bäumen, atmete den Geruch der Dinge und der Erde. Ich empfand keine Traurigkeit, ich wusste, dass die Stadt in der Nacht in Flammen aufgehen und die Leute sterben konnten. Die Schluchten, die Landhäuser und die Wege würden am Morgen ruhig und unverändert erwachen. Am Fenster zum Obstgarten würde ich wieder den Morgen sehen. Ich würde sogar in einem Bett schlafen. Die Flüchtlinge der Wiesen und Wälder würden wieder in die Stadt hinuntergehen wie ich, nur erschöpfter und fröstelnder als ich. Es war Sommer, und ich erinnerte mich an andere Abende, als ich in der Stadt lebte und wohnte, Abende, an denen auch ich spät nachts singend oder lachend hinabgewandert war, und tausend Lichter funkelten auf den Hügeln und in der Stadt unten am Ende der Straße. Die Stadt war wie ein See aus Licht. Damals verbrachte man die Nacht in der Stadt. Man wusste nicht, dass es eine so kurze Zeit sein würde. Man vergeudete Freundschaft und Tage mit den nichtigsten Begegnungen. Man lebte, oder glaubte es jedenfalls, mit den anderen und für die anderen. Ich muss sagen – da ich mit dieser Geschichte einer langen Illusion beginne –, dass man das, was mir zustieß, nicht dem Krieg anlasten darf. Im Gegenteil, der Krieg, dessen bin ich sicher, hätte mich noch retten können. Als der Krieg ausbrach, lebte ich schon längere Zeit in der Villa dort oben, wo ich einige Zimmer gemietet hatte, doch hätte mich nicht die Arbeit in Turin festgehalten, wäre ich schon damals ins Haus meiner Eltern zu diesen anderen Hügeln zurückgekehrt. Der Krieg nahm mir nur die letzten Skrupel, mich zu verkriechen, die Jahre allein zu verbringen und mir das Herz zu zerfressen, und eines schönen Tages merkte ich, dass Belbo, der große Hund, der einzige aufrichtige Vertraute war, der mir noch blieb. Der Krieg gab einem das Recht, sich abzukapseln, in den Tag hinein zu leben, nicht mehr den verpassten Gelegenheiten nachzutrauern. Doch man könnte sagen, dass ich den Krieg schon längst erwartet und damit gerechnet hatte, ein so ungewöhnlicher und ausgedehnter Krieg, dass man sich mit wenig Mühe wegducken und ihn am Himmel über der Stadt toben lassen konnte, während man heimging auf die Hügel. Jetzt geschahen Dinge, bei denen mir das einfache Leben, ohne zu klagen, ja fast ohne darüber zu sprechen, eine Haltung zu sein schien. Dieser unbestimmte, dumpfe Groll, in dem meine Jugend geendet hatte, fand im Krieg ein Versteck und einen Horizont. Auch an jenem Abend stieg ich den Hügel hinauf; es dämmerte, und jenseits des Mäuerchens ragten die Bergkämme empor. Belbo lag an der üblichen Stelle auf dem Pfad und wartete auf mich, und ich hörte ihn im Dunkeln winseln. Er zitterte und scharrte. Dann lief er auf mich zu, sprang an mir hoch, um mein Gesicht zu berühren, und ich beruhigte ihn, sprach auf ihn ein, bis er abließ und glücklich vorausrannte und stehen blieb, um an einem Stamm zu schnuppern. Als er merkte, dass ich nicht in den Pfad einbog, sondern weiter Richtung Wald ging, machte er einen Freudensprung und verschwand zwischen den Bäumen. Mit dem Hund über die Hügel zu wandern, ist schön: Im Gehen schnuppert er und erkennt für uns die Wurzeln, die Tierhöhlen, die Schluchten, das verborgene Leben und vervielfacht unsere Entdeckungsfreuden. Schon als Junge schien mir, ich würde, wenn ich ohne Hund durch die Wälder wanderte, zu viel vom Leben und den Geheimnissen der Erde verpassen. Ich wollte nicht vor dem späten Abend in die Villa zurückkehren, denn ich wusste, dass meine und Belbos Hausherrinnen gewöhnlich auf mich warteten, um sich mit mir zu unterhalten und sich ihre Fürsorge und das kalte Abendessen und ihre Liebenswürdigkeit mit den verdrehten und oberflächlichen Ansichten über den Krieg und die Welt bezahlen zu lassen, mit denen ich meine Mitmenschen abspeiste. Manchmal lieferte ein neues Kriegsereignis, eine Drohung, eine Bomben- und Brandnacht den zwei Frauen einen Vorwand, um mir an der Türe, im Obstgarten, bei Tisch entgegenzutreten und draufloszureden, sich zu wundern, sich aufzuregen, mich ans Licht zu zerren, zu erfahren, wer ich bin, zu erraten, ob einer von ihnen. Ich aß gern allein zu Abend, im verdunkelten Zimmer, allein und vergessen, spitzte dabei die Ohren, lauschte der Nacht, fühlte, wie die Zeit verging. Wenn in der Dunkelheit über der fernen Stadt ein Alarm aufheulte, war meine erste Regung der Ärger darüber, dass die Einsamkeit gestört wurde, dass die Ängste, die Unruhe bis dorthinauf kamen und die beiden Frauen die schon abgedunkelten Lampen ausknipsten in der sorgenvollen Hoffnung auf etwas Großes. Wir gingen alle in den Obstgarten hinaus. Ich zog die ältere der beiden vor, die Mutter, die mit ihrem Umfang und ihren Gebrechen etwas Ruhiges, Erdiges an sich hatte, und im Bombenhagel, konnte man sich vorstellen, würde sie genauso aussehen wie ein verdunkelter Hügel. Sie redete nicht viel, konnte aber gut zuhören. Die andere, die Tochter, eine alte Jungfer um die vierzig, war zugeknöpft, knochig und hieß Elvira. Sie lebte in der Furcht, der Krieg könne bis dorthinauf kommen. Ich merkte, dass sie voll Angst an mich dachte und sie sagte es mir auch: Sie litt, wenn ich in der Stadt war, und einmal, als die Mutter sie in meiner Anwesenheit damit aufzog, erwiderte Elvira, wenn die Bomben Turin noch weiter zerstörten, würde ich Tag und Nacht bei ihnen bleiben müssen. Belbo lief auf dem Weg voraus und wieder zurück und wollte mich in den Wald locken. Doch an jenem Abend blieb ich lieber an einer baumlosen Biegung stehen, von wo man das weite Tal und die Hänge überblickte. So gefiel mir der mächtige Hügel, mit den welligen Linien der Kuppen und Hänge in der Dunkelheit. Früher war er genauso, aber übersät mit Lichtern, ein ruhiges Leben, Menschen in den Häusern, Erholung und Fröhlichkeit. Auch jetzt hörte man manchmal plötzlich Stimmen, Gelächter in der Ferne, aber tiefe Finsternis lastete auf allem, überdeckte es, und die Erde war wieder wild und allein, so wie ich sie als Junge gekannt hatte. Hinter den bestellten Feldern und den Straßen, hinter den Häusern der Menschen, unter den Füßen brütete das uralte, gleichgültige Herz der Erde in der Dunkelheit, lebte in den Schluchten, in Wurzeln, in verborgenen Dingen, in Kindheitsängsten. Zu jener Zeit begann ich, mich an Kindheitserinnerungen zu erfreuen. Man könnte sagen, dass ich unter dem Groll und der Unsicherheit, unter dem Wunsch, allein zu sein, den Jungen wiederentdeckte, der ich gewesen war, um einen Gefährten, einen Kollegen, einen Sohn zu haben. Ich sah diesen Ort, wo ich gelebt hatte, wieder vor mir. Wir waren allein, der Junge und ich. Erneut durchlebte ich die wilden Entdeckungen von damals. Ich litt, ja, aber mit der trotzigen Haltung dessen, der seine Mitmenschen weder wahrnimmt noch liebt. Und ich redete und redete, leistete mir selbst Gesellschaft. Wir zwei waren allein. Wieder tönte an jenem Abend Stimmengewirr vom Hang herauf, gemischt mit Gesang. Es kam von der anderen Seite, auf der ich noch nie hinuntergegangen war, und klang wie ein Lockruf aus anderen Zeiten, wie die Stimme der Jugend. Einen Augenblick lang erinnerte es mich an die Gruppen von Flüchtlingen, die abends wie Ausflügler die Ränder des Hügels bevölkerten. Aber es wanderte nicht, kam immer von derselben Stelle. Dass in der bedrohlichen Dunkelheit, vor der verstummten Stadt, eine Gruppe, eine Familie, irgendwelche Leute sich singend und lachend das Warten verkürzten, kam mir seltsam vor. Ich dachte auch nicht, dass man Mut dazu brauchte. Es war Juni, die Nacht war schön unter dem Himmel, es genügte, einfach loszulassen; ich aber war froh, dass keine wahre Zuneigung, kein Hindernis meine Tage belastete, dass ich allein war, an niemanden gebunden. Nun schien mir, als hätte ich schon immer gewusst, dass es zu dieser Art Brandung zwischen Hügel und Stadt kommen würde, zu dieser andauernden Angst, die jedes Vorhaben auf morgen beschränkte, auf das Erwachen, und beinahe hätte ich es auch gesagt, wenn mir jemand...